Reifenhersteller Pirelli wächst sprunghaft
Der Börsengang im Sommer 2006 ging gründlich daneben, knapp 39 Prozent der Aktien des Reifenherstellers Pirelli Tyre Spa werden nunmehr von Banken statt von vielen kleinen Aktionären gehalten und ob damit der Geldhunger der Muttergesellschaft Pirelli & C. S.p.A. mehr als nur vorübergehend gestillt ist, bleibt abzuwarten. Die Muttergesellschaft jedenfalls hat Sorgen, denn die Beteiligung an Telecom Italia lief bis heute nicht störungsfrei und konnte die hohen Erwartungen –noch? – nicht erfüllen. Erst kürzlich kam es zu weiteren hohen Abschreibungen, da sich der Kurs der Telekom Italia partout nicht erholen will. Ganz anders der Reifenbereich. Unter der Führung von Francesco Gori hat dieser Bereich eine ganz und gar erstaunliche Vorwärtsentwicklung nehmen können. Gori hat bewiesen, dass man nicht erst mal zweistellige Milliardenbeträge in Dollar oder Euro jährlich umsetzen muss, um erfolgreich sein zu können, und er hat ferner bewiesen, dass man mit einer gut geführten Marke mehr erreichen kann als andere Konkurrenten mit einem ganzen Markenstrauß je erreichen werden.
Pirelli muss nicht mit allen Reifenarten auf der Welt vertreten sein. Wenn man in bestimmten Ländern mit Pirelli-Nutzfahrzeugreifen wenig bis nichts verdienen kann, schalten die Italiener einen Gang zurück und konzentrieren sich auf Märkte, wo es für sie besser aussieht. In anderen Teilen der Welt, so in Asien, haben sie dank eines Jointventures in China gerade erst mit der Bearbeitung der Märkte begonnen. In China gefertigte Nutzfahrzeugreifen sollen entweder im Reich der Mitte bleiben oder aber in asiatische Länder bis hinunter nach Australien und Neuseeland exportiert, nicht aber nach Europa verkauft werden.
Global aufgestellt ist Pirelli allerdings als Breitreifenhersteller, also als Hersteller höchst anspruchsvoller Reifen für Autos der gehobenen Klassen und Luxusklassen. Auf allen reifen Märkten der Welt laufen die Pneus von Pirelli und über lange Zeit hat sich der Eindruck verfestigt, die Italiener wären allein wegen des sehr günstigen Produktmix in der Lage, ausreichende Erträge erwirtschaften zu können. Das ist ja wenigstens nicht ganz falsch. Für Reifen gelten im Grunde dieselben Regeln wie für Autos: kleine Autos, kleine Gewinne, große Autos, satte Gewinne. Da wundert es nicht, dass nicht nur Pirelli, sondern alle Konkurrenten seit Jahren schon stets denselben Spruch öffentlich herunterleiern: Konzentration auf das obere Segment, Verbesserung des Produktmix! Das hat Pirelli allerdings nahezu perfekt vorgemacht. Man überließ vielen Wettbewerbern das Geschäft mit den so bezeichneten „long-runs“ bzw. „Brot-und-Butter-Reifen“ um sich umso stärker auf das obere Segment konzentrieren zu können. Und wie konsequent dies geschehen ist, zeigt das Beispiel der USA. Die Italiener scheuten sich nicht, den größten Einzelmarkt der Welt praktisch konsequent erst einmal zu verlassen, um sodann einen Neuaufbau zu starten. Erstausrüstungslieferungen erfolgen aus dem sehr wettbewerbsfähigen Reifenwerk in Bahia/Brasilien, während höchst anspruchsvolle Reifen in einer MIRS-Fabrik in Rome/Georgia für die US-Luxusautos gefertigt werden. Und ganz gewiss ist es mehr als nur hilfreich, dass die Reifenmarke Pirelli weltweit über einen exzellenten Klang verfügt.
Gori & Co. machen weder sich selbst noch der Reifenwelt etwas vor, sie posaunen keine Absichtserklärungen in die Welt, sondern sie lassen Fakten sprechen. Vor drei Jahren war man noch froh, endlich mehr als drei Milliarden Euro mit Reifen weltweit umzusetzen. In diesem Jahr werden es mehr als vier Milliarden Euro werden. Nicht durch Übernahmen, sondern durch Wachstum von innen heraus. Und auch die Erträge stimmen. Die EBIT-Zahlen sind vergleichbar denen anderer Spitzenhersteller, teils besser. Lediglich Continental dürfte derzeit bessere Erträge erwirtschaften, denn die Deutschen haben die Flucht in Billiglohnländer sehr früh begonnen und sie haben derzeit wohl noch einen, allerdings bald schon schmelzenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Pirelli jedenfalls ist auf einem sehr guten Weg und es gehört wenig Phantasie dazu, sich auszumalen, dass Pirelli die Herstellungskosten signifikant senken kann, dass dies auch all denen, die sich derzeit im Vorteil wähnen, Kopfschmerzen bereiten wird.
Warum ist das so? Pirelli hat zunächst einmal die bestehenden Fabriken „auf Vordermann“ gebracht. Die deutsche Fabrik zum Beispiel in Höchst gilt unter allen erdenklichen Bewertungsmaßstäben als äußerst effizient und wettbewerbsfähig. Dasselbe gilt für Fabriken in Italien, aber auch in der Türkei. Statt Produktionskapazität einfach zu verlagern, ist Pirelli einen anderen Weg gegangen, hat mit dem Bau von MIRS-Fabriken neue Möglichkeiten schaffen können, auch kleinere Losgrößen gewinnbringend zu vermarkten. Das hat sich auch niedergeschlagen in der Anerkennung der Produktqualität. In nahezu allen Reifentests führender Automobilfachzeitschriften werden die Reifen mit dem Pirelli-Namensschriftzug auf der Seitenwand sehr gut bewertet. Das ist durchgängig der Fall, nicht mal rauf und dann wieder mal runter.
Die Qualität stimmt, die Marke hat einen ausgezeichneten Ruf und kaum zu überbietenden Bekanntheitsgrad, folglich geht es jetzt auch mehr und mehr darum, die Herstellkosten wo immer möglich nachhaltig zu senken.
Mit dem Bau der neuen Fabrik im rumänischen Slatina fordern die Italiener ihre Konkurrenten heraus. Wer noch meinte, im billigen Rumänien würden künftig die billigeren und technisch weniger anspruchsvollen Reifen hergestellt, sieht sich getäuscht. Anlässlich der offiziellen Eröffnung im November 2006 konnten die Gäste eine hochmoderne Reifenfabrik besichtigen, die ausschließlich High Performancereifen, vorwiegend SUV-Reifen, herstellen wird. Es werden ausschließlich Reifen ab 17 Zoll bis 24 Zoll produziert. Die Fabrik gilt als die derzeit modernste unter dem Pirelli-Dach weltweit, ausgenommen die für kleine Losgrößen prädestinierten roboterisierten MIRS-Fabriken. Die maschinelle Ausstattung dürfte kaum zu toppen sein. Inzwischen verlassen diese High-Performance- und SUV-Reifen, mit Sommer- oder Winterprofilen, die Fabrik.
Slatina liegt in der Provinz Olt, etwa knapp zwei Autostunden von Bukarest entfernt. Dort läuft bereits eine Stahlcord-Produktion, ein Jointventure von Pirelli und Continental, in dem die deutsche Seite den Juniorpart übernommen hat. Damit wird die rumänische Stadt Slatina über kurz oder lang zu einer der wichtigsten Produktionsstandorte für Autoreifen in Europa werden.
Die Reifenfabrik steuert in diesem Jahr auf einen Output von 300.000 Reifen zu, der im weiteren Verlauf kommenden Jahres auf zwei Millionen Reifen gesteigert werden soll. Vielleicht bereits im Jahr 2008 soll das Werk seine Möglichkeiten, jährlich 4,5 Millionen High-Performance-Reifen herzustellen, ausschöpfen können. Und nicht nur das. Es wurde „auf Vorrat“ wenn schon nicht gebaut, dann aber doch geplant. Theoretisch besteht die Möglichkeit, die Produktion dort dann noch einmal zu verdoppeln. Derzeit finden in dem gesamten industriellen Komplex – Reifencord- und Reifenfabrik – bereits 770 Menschen, 450 davon im Reifenbereich, Arbeit. Wenn das Reifenwerk seine Kapazitätsgrenze erreicht hat, werden dort rund 1.000 Leute arbeiten. Das Investitionsvolumen für die Reifenfabrik gibt Pirelli mit etwa 170 Millionen Euro an.
Doch ein Problem ergibt sich: Osteuropa braucht keine High-Performance-Reifen in großem Stil. Noch nicht, meint man bei Pirelli. Das Management zeigt sich davon überzeugt, dass zukünftig und durchaus schneller als derzeit noch erwartet in Zentral- und Osteuropa ein Markt entsteht, der aufnahmefähig genug für Autos der gehobenen Mittel- und Luxusklasse sein wird und damit auch ein Markt für die dafür erforderlichen Reifen entstehen wird. Dennoch, realistischerweise haben die Italiener geplant, dass bestenfalls derzeit zehn Prozent der Slatina-Produktion im Land selbst und den umliegenden osteuropäischen Staaten verbleiben können, während 90 Prozent innerhalb der EU vermarktet werden müssen und können.
In Rumänien betreiben die Wettbewerber Michelin und Continental bereits sehr große Reifenfabriken, mit denen sie den Markt überschwemmen könnten. Tatsächlich aber ist Rumänien ein Reifenexportland und wird vermutlich als solches noch weiter an Bedeutung gewinnen. Wenngleich das so ist, so stellt Gori vor der Presse in Slatina noch einmal unmissverständlich klar, dass es sich um zusätzliche Produktion für Pirelli handelt und dass man keinen Gedanken daran verschwende, ein Reifenwerk in Europa deswegen zu schließen. Mit einem kleinen Seitenhieb auf Continental, allerdings ohne seine deutschen Wettbewerber namentlich zu nennen, stellt er fest, Deutschland sei das in technischer und technologischer Hinsicht anspruchsvollste Reifenland der Welt, da könne es nicht sein, dass man die dort verlangten anspruchsvollen Reifen nicht länger dort produzieren könne und in Billiglohnländer ausweichen müsse. Man müsse immer auch da sein, wo die Kunden sind, langfristig könne dies anders überhaupt nicht funktionieren. Wer diese Nähe zum Kunden und zum Markt aufgebe, bringe sein ganzes Unternehmen schnell in Gefahr.
Aus dem Kreis der internationalen Journalisten musste, wie so häufig, wieder eine Frage kommen, die man sich eigentlich sparen könnte, wenn der Herr nicht etwas mehr Zeit für den persönlichen Lernprozess brauchen und beanspruchen würde. Der anwesende stellvertretende Ministerpräsident Bogdan Pascu möge doch, bitte schön, aus seinem Herzen keine Mördergrube machen und mitteilen, in welcher Höhe denn Millionen-Subventionen gelaufen seien. Schön dann die Antwort des im in Wirtschaftsfragen angeblich unbeleckten Ostblock aufgewachsenen Politikers. Der Fragesteller möge sich doch keine Sorgen machen. Man habe nicht mehr und nicht weniger bezahlt als andere geboten und ggf. auch bezahlt hätten und natürlich sei alles auch nach Gesetz und Ordnung abgewickelt worden. Man könne ruhig und relaxt bleiben, selbst in Rumänien verstünde man schon, wie Geschäfte gemacht würden. Pirelli betreibt derzeit 24 Reifen- oder Stahlcordfabriken in zwölf Ländern weltweit und verkauft die Reifen in 160 Ländern auf allen fünf Kontinenten.
In einem Hintergrundgespräch mit dieser Zeitung nahm Francesco Gori auch noch einmal zu dem fehlgeschlagenen Börsengang Stellung. Dieser habe aus seiner Sicht nichts mit Pirelli Reifen selbst, sondern einfach nur mit den Marktbedingungen zu tun gehabt. Der gesamte Aktienmarkt sei in dieser Zeit überhaupt nicht aufnahmebereit und aufnahmefähig gewesen.
Die wichtigste Aufgabe sieht Gori nun darin, den Wachstumstrend beibehalten zu können. In den USA wachse man im zweistelligen prozentualen Bereich und das werde auch so bleiben. Die Belieferung aus der brasilianischen Fabrik funktioniert hervorragend, aber es ist absehbar, dass weiter Produktionskapazitäten benötigt werden. Doch das Geschäft in den USA ist so einfach nicht. Pirelli hat Probleme im OE-Geschäft, wie alle anderen Konkurrenten auch, weil die Abnahmemengen der Kunden von Monat zu Monat sehr stark differieren und die Absagen relativ kurzfristig kommen. Doch bei allen Schwierigkeiten dieser Art kann auch Pirelli, wenn der Neuanfang auf dem US-Markt so erfolgreich weiterlaufen soll wie bisher, auf die Erstausrüstung nicht einfach verzichten. Ob man damit Geld verdient oder nicht, sollte man derzeit wohl eher nicht fragen, insgesamt aber ist das Geschäft in Nordamerika für Pirelli sehr profitabel. Man kaufe sich keine Position, sondern wolle organisch wachsen.
Und der Wachstumspfad in Asien ist auch beschritten. Das Jointventure dort gibt Pirelli weitaus mehr Chancen, aber auch in Asien gilt: Wachstum Schritt für Schritt, wo man Positionen erreicht hat, sollen sie gefestigt und nach Möglichkeit ausgebaut werden. Ein Kauf von Marktanteilen kommt nicht in Betracht. Und wie sich anhand der jüngsten Quartalsberichte gezeigt hat, kann Pirelli sogar mit Nutzfahrzeugreifen weitaus besser verdienen als größere Wettbewerber.
Und in einem Punkt zeigt sich immer stärker, dass Gori Recht behalten wird: Braucht ein Reifenhersteller von Rang eine Mehr-Marken-Strategie? Für Gori war das nie der Fall. Er hat jetzt in die neue Fabrik in Slatina investiert, um dort die modernsten und anspruchsvollsten Reifen herstellen zu können, die derzeit vom Markt verlangt werden. Warum muss ein Reifenhändler 65 bis 70 Prozent aller Reifenkäufe bei einem Hersteller tätigen? Welchen Vorteil soll es bringen? Pirelli jedenfalls wird in dieses Geschäft nicht investieren, die Investitionen gehen einzig und allein in die Marke Pirelli und in die Produkte für heute und morgen. Angst, etwas verpassen zu können, hat Francesco Gori dabei überhaupt nicht: „Wenn wir eine „multi brand strategy“ entwickeln müssten, dann könnten wir uns die erforderlichen Reifen auf dem Markt zukaufen und dann mit relativ einfachen Mitteln ein Spiel spielen.“ Dr. Gori sieht weniger eine Gefahr kommen von Wettbewerbern mit noch so guter Mehr-Marken-Strategie oder noch so guten Produkten, sondern er fühlt sich unwohl wegen vielfacher Einschränkungen und Regulierungen in Europa. Dabei gehe es gar nicht einmal um die Regulierungen an sich. Wenn sie denn der Sicherheit und der Umwelt dienten, sei das alles in Ordnung. Das Problem bestehe eher darin, dass auch Konkurrenten aus Übersee, besonders aus Asien, solche Standards erfüllen müssten. Das behaupten sie sodann und fortan ist es unendlich schwierig und problematisch, solche Behauptungen zu überprüfen. Und dass es sich vielfach lediglich um Behauptungen handelt, die nicht durch Tatsachen gestützt sind, gilt nicht allein ihm als ausgemacht. Die Erfahrungen sind eindeutig.
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