Pkw-Reifenrunderneuerung ohne Zukunft?
Dem europäischen Markt für runderneuerte Pkw-Reifen scheint keine rosige Zukunft bevorzustehen. Erst jüngst gab einer der größten deutschen Hersteller, die Reiff Reifen + Autotechnik GmbH, dieses Teilgeschäft auf. Auch Nokian Tyres hat sich jetzt von der Pkw-Reifenrunderneuerung getrennt, nachdem zu Beginn des vergangenen Jahres das gesamte Runderneuerungsgeschäft noch unter dem Dach eines so genannten Profit Centres zusammengeführt wurde.
Wie sich der europäische Markt für die Pkw-Reifenrunderneuerung in den kommenden Jahren entwickeln wird, scheint nur schwer vorherzusagen. Dass er angesichts stark zunehmender billiger Importe aus dem Fernen Osten und dem Osten Europas an Bedeutung gewinnen wird, darauf werden sicherlich nicht viele Marktbeobachter ihr Geld setzen. Denn schließlich sind die Anzeichen eines schrumpfenden Marktes und geringerer Profitaussichten mittlerweile deutlich zu erkennen. Ein Beispiel: die Reiff Reifen + Autotechnik GmbH.
Das Unternehmen aus Reutlingen hat die Produktion von runderneuerten Pkw-Reifen zum Ende Dezember 2004 aufgegeben, weitere Investitionen (zum Beispiel in neue Profile) hätten sich nicht mehr gerechnet. Die Reifen waren unter der Marke „Condor“ bekannt, erst vor rund einem halben Jahrzehnt hatte Reiff eine Produktionsstätte vorgestellt, die als die „modernste der Welt“ galt.
Wenige Monate zuvor war die alte Fabrik durch ein Großfeuer weitgehend zerstört worden. Der geschäftsführende Gesellschafter Eberhard Reiff hatte sich damals entschieden, rund 2,5 Millionen Euro (also damals fünf Millionen Mark) in den Wiederaufbau der Anlagen zu stecken, weil er glaubte eine Zukunft für die Pkw-Reifenrunderneuerung in Deutschland zu sehen, wenn man nur in die modernsten Maschinen und Abläufe investiert. Dabei hatte er auch vor Augen, dass der vormalige große Wettbewerber Gummi-Mayer ausgeschieden war und erwartet, dass ein weiterer unter den bedeutenden deutschen Herstellern ausscheiden würde.
Die Marktentwicklung gab ihm recht: Bereits Ende 2001 sollte der damalig größte Produzent in Deutschland Vergölst (Bad Nauheim) die Segel streichen. Doch die Hoffnung, dass sich die durch die Aufgabe von Gummi-Mayer und Vergölst jetzt fehlenden Volumina auf die verbleibenden Marktteilnehmer verteilen würden und der Anbieter mit der modernsten Fabrik sich dabei das größte Stück vom Kuchen sichern würde war trügerisch: Statt auf Alternativen zu Classat (Gummi-Mayer) und Securo (Vergölst) zu wechseln, kauften die Endverbraucher so genannte Low-Budget-Neureifen aus Osteuropa oder Fernost.
Mit einer Qualitätsoffensive und der Arbeitsgemeinschaft industrieller Runderneuerer (AiR), die im Händlerverband BRV organisiert ist (und der auch die anderen maßgeblichen deutschen Runderneuerer angehören), sowie der TÜV-kontrollierten Produktion wollte man die Qualitätskarte ziehen und verdeutlichen, dass deutsche Runderneuerte gegenüber den Billigneureifen leistungsfähiger sind. Das verfing beim Verbraucher ebenso wenig wie der Hinweis darauf, dass er mit dem Kauf der Neubesohlten der Umwelt einen Dienst erweisen würde.
Die „Billiganbieter“ aus Osteuropa oder Südostasien konnten mit Lohn- und Energiekosten für die Herstellung von Neureifen aufwarten, bei denen ein deutscher Produzent von Runderneuerten trotz aller Rationalisierungsanstrengungen irgendwann kapitulieren musste. Zumal der Preisverfall schier nicht aufhören wollte: Reiff hätte zwar Reifen der Runderneuerungs-Pkw-Marke Condor verkaufen können (und macht dies dank noch gut gefülltem Lager bis heute), aber zu Preisen, die weitere Investitionen nicht hätten rechtfertigen können. Die Anfangsinvestitionen in die Fabrik, so Eberhard Reiff gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG, sind abgeschrieben, im Jahre 2004 galt es, eine beträchtliche sechsstellige Summe in neue und aktuelle Reifenformen zu investieren – oder die schmerzhafte Entscheidung zu fällen, dies Marktsegment zu verlassen. Diese Investitionen hätten sich mittelfristig nicht mehr gerechnet, bedauert Reiff.
Die beiden letzten verbleibenden größeren Runderneuerer von Pkw-Reifen für den deutschen Markt sind Reifen Ihle (Rigdon – Reifen Ihle Günzburg an der Donau; siehe unten) und Schwarz (Respa – Reifen Schwarz Passau) mit zusammen keiner halben Million Stück pro Jahr. Ob sie die bei Reiff frei gewordenen Kapazitäten kompensieren können und dadurch der Pkw-Reifenrunderneuerung wenigstens ein Dasein in der Nische beschert wird, mag man ihnen wünschen, darf aber auf Dauer bezweifelt werden. Reiffs Hoffnung jedenfalls auf solch einen Automatismus war trügerisch gewesen. In einem modernen westlichen, hochentwickelten Land ist die Runderneuerung von Pkw-Reifen ein Auslaufmodell.
Die Entscheidung von Reiff Reifen + Autotechnik GmbH, sich von der Pkw-Reifenrunderneuerung zu verabschieden, findet ihr Spiegelbild in der Marktentwicklung während der vergangenen Jahre. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland noch etwa 1,4 Millionen runderneuerte Pkw-Reifen verkauft (vorläufige Schätzung des BRV). Zehn Jahre zuvor waren dies noch knapp 4,3 Millionen, also das Dreifache. Seit 1995 ging der Verkauf dieser Reifen kontinuierlich zurück; man kann fast behaupten, der Markt befindet sich seit dem im freien Fall, denn er schrumpfte jährlich um durchschnittlich 10,4 Prozent. Allerdings lässt sich an der Statistik des Bundesverbands Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk in der jüngsten Vergangenheit eine gewisse Stabilisierung des Marktes erkennen, obwohl er nach wie vor schrumpft.
Besonders hart betroffen von den jüngsten Entwicklungen bei der Pkw-Reifenrunderneuerung sind Sommerreifen, die immer mehr vom Markt verschwinden. Im Jahr 2003 wurden in Deutschland gerade einmal rund 100.000 runderneuerte Pkw-Reifen ohne M+S-Kennung verkauft, was einem Anteil am gesamten Runderneuerungsmarkt von nur noch etwa sieben Prozent entspricht. 1995 hingegen lag dieser Anteil noch bei etwas über 35 Prozent. Wenn heute also überhaupt noch eine Marktnachfrage nach Runderneuerten besteht, dann sind dies beinahe ausnahmslos Winterreifen. Nüchtern betrachtet machen aber auch runderneuerte Pkw-Reifen mit M+S-Kennung am gesamten deutschen Ersatzmarkt nur noch einen geringen Anteil aus: 2,9 Prozent in 2004 (gesamt: 3,1 %). Auch auf dem stark wachsenden Winterreifenmarkt in Deutschland fallen die runderneuerten Pkw-Winterreifen mit einem Anteil von immer noch 6,4 Prozent nur noch bedingt ins Gewicht. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil noch bei stolzen 21,9 Prozent.
Trotz aller Zahlenbeispiele, die etwas Gegenteiliges vermuten lassen, scheint die Pkw-Reifenrunderneuerung doch immer noch ein verhältnismäßig einträgliches Geschäft zu sein. Das jedenfalls sagt Alexej von Bagh. Nokians Vizepräsident, verantwortlich für das Runderneuerungsgeschäft, erklärt gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG, die Aktivitäten mit runderneuerten Pkw-Reifen seien stets profitabel gewesen. Allerdings: „Es spielte allerings keine bedeutende Rolle in den Aktivitäten unseres neuen Profit Centres.“ Bis zum Jahreswechsel hatte Nokian Tyres bzw. dessen Reifenhandelskette Vianor noch zehn Runderneuerungsanlagen in Skandinavien und Russland betrieben. Die Anlage im schwedischen Vara (nahe Göteborg) allerdings, in der 12 Mitarbeiter Pkw-Reifen runderneuert haben, ist mit Wirkung zum 1. Januar 2005 an den Wettbewerber Mac Ripper AB mit Sitz in Skepplanda (ebenfalls Nähe Göteborg) für einen ungenannten Preis verkauft worden. Nokians Handelskette hatte in Vara jährlich etwa 125.000 Pkw-Reifen runderneuert (2004) und diese unter dem Markennamen Galaxie in den eigenen Outlets vertrieben, darunter insbesondere Winterreifen. Mac Ripper, so heißt es, wolle das Geschäft fortführen.
Die „Aufgabe der Pkw-Reifenrunderneuerung“, erläutert Alexej von Bagh, sei eine „strategische Entscheidung“ des finnischen Unternehmens gewesen, sich neben dem Neureifengeschäft auf die Runderneuerung von Lkw-Reifen zu konzentrieren. „Die große Menge liegt in der Lkw-Reifenrunderneuerung“, so Nokians Vizepräsident. Nicht ohne Stolz kann der Hersteller darauf verweisen, nicht nur 125.000 Pkw-Reifen runderneuert zu haben im vergangenen Jahr. Auch soll in den acht Fabriken, die sich auf vier Länder verteilen (Finnland, Schweden, Norwegen und Russland), im vergangenen Jahr ebenso viele Lkw-Reifen runderneuert worden sein, was einer durchschnittlichen Jahreskapazität von knapp 16.000 Reifen pro Anlage entspricht – eine stattliche Summe.
Laut Alexej von Bagh sei die Pkw-Reifenrunderneuerung ein profitables Geschäft für Nokian Tyres gewesen, obwohl genauere Daten dazu nicht veröffentlicht wurden. Wegen der fehlenden Volumina habe man sich allerdings gegen die Fortführung und für den Verkauf entschieden, so der Vizepräsident des finnischen Reifenherstellers, der nun den Fokus vollkommen auf das Lkw-Reifengeschäft legen will. „Die Verbindung der Lkw-Reifenrunderneuerung und des Geschäfts mit Runderneuerungsmaterialien wird in beiden Geschäftsbereichen Synergien erzeugen“, ist sich von Bagh sicher, der auch nicht der Meinung ist, der Verkauf des einen Geschäftsfeldes werde mit den Plänen im anderen in irgendeiner Weise kollidieren.
Dass sich Nokian Tyres sein Runderneuerungsgeschäft vornehmen würde und Veränderungen möglich seien, kündigte sich bereits im Sommer 2003 an, als der Plan einer „Reorganisation“ bekannt wurde. Bereits damals erklärte Vizepräsidentin Raila Hietala-Hellman, die verantwortlich für Kommunikation und Industrial Relations des Unternehmens ist, man werde die eigene Wettbewerbsfähigkeit im Bereich Runderneuerung stärken, da die „Schließung und der Zusammenschluss kleinerer Runderneuerungsbetriebe in den nordischen Staaten ein zunehmend allgemeines Phänomen darstellt“. Der angekündigte „Wechsel“, so hieß es damals, werde auch Vianors Rolle in der Branche ändern.
Einer der wenigen namhaften Pkw-Reifen-Runderneuerer in Deutschland, der sich wacker gegen die scheinbar aussichtslose Zukunft stemmt, ist Reifen Ihle. Adolf Mayer ist der Ansicht, dass das Geschäft mit der Runderneuerung von Pkw-Reifen „in einem überschaubaren Zeitraum“ und „aus heutiger Sicht“ eine Zukunft hat. Jährlich stellt das Unternehmen aus Günzburg 355.000 runderneuerte Pkw-Reifen her, von denen lediglich 5.000 Sommerreifen sind. Dies könnte sich in 2005 leicht verbessern: „Wir gewinnen durch die Aufgabe anderer“, kommentiert der Verkaufsleiter und meint damit Wettbewerber Reiff. Mayer rechnet damit, 20.000 bis 30.000 zusätzliche Pkw-Reifen erneuern zu können, jetzt wo Reiff diesen Teilmarkt verlassen hat. Um auch weiterhin am Markt bestehen zu können, muss Reifen Ihle in neue Profile und neue Formen investieren – Formen für die Runderneuerung werden in Günzburg übrigens selber hergestellt, Kosten: rund 30.000 Euro. Daneben will Ihle zur kommenden Wintersaison zwei weitere Pkw-Vulkanisationspressen anschaffen, von denen eine knapp 50.000 Euro kosten wird. Insgesamt hat Ihle dann 70 solcher Pressen in Betrieb.
Damit sich solche Investitionskosten auch rechnen, versucht Reifen Ihle neue Vertriebswege aufzubauen. Verkaufsleiter Mayer sieht etwa im Vertrieb über Verbraucher- und Baumärkte noch ein gewisses Potenzial, weiß aber auch, dass dort nicht die großen Mengen gemacht werden können. Außerdem biete das Unternehmen aus Günzburg, so Adolf Mayer, in solchen Märkten nicht die Erstmarke Rigdon, sondern die Zweitmarke Impuls an – zu geringeren Preisen.
Der Verkaufsleiter meint darüber hinaus, auch von dem sinkenden verfügbaren Nettoeinkommen der Deutschen profitieren zu können. Da es sich beim Reifenkauf eben um „kein Erlebniskauf handelt“, werden die Autofahrer künftig stärker zu günstigen Alternativen greifen, hoff Mayer, und meint damit natürlich die runderneuerten Pkw-Reifen. Gleichzeitig wird diese Hoffnung allerdings durch die starke Konkurrenz durch billige Ostasienimporte torpediert. Mit diesen Neureifen stehe man „heute viel direkter im Wettbewerb“, auch wenn diese teilweise mit veralteten Profilen auf den deutschen Markt kommen. Aber auch um das Image der runderneuerten Pkw-Reifen sei es nicht zum Besten bestellt: „Da gibt es schon eine gewisse Abwehrhaltung.“ Allerdings haben im jüngsten ADAC-Winterreifentest immerhin zwei Runderneuerte das Testurteil „empfehlenswert“ einstreichen können. Die Abwehrhaltung, von der Mayer spricht, sei insbesondere unter jüngeren Reifenhändlern zu beobachten. Für die mache es auch keinen Unterschied, dass Mayer versichert, Ihle benutze stets Premiumkarkassen für die Runderneuerung, und nur im Einzelfall „bei raren Größen eine Brand“, also eine Zweitmarkenkarkasse. Auch scheinen die mehrmaligen Qualitätskontrollen vor, während und nach der Runderneuerung skeptische Händler nicht vom Gegenteil zu überzeugen, dass es sich bei runderneuerten Pkw-Reifen um Qualitätsprodukte handelt, die eine echte Alternative zu billiger Neuware aus Fernost darstellt.
Ob die Hoffnungen einiger auf eine bessere Zukunft aufgehen, wird sich zeigen, spätestens wenn in einigen Jahre komplett neue Winterprofile auf den Markt gebracht werden müssen. Ob die Runderneuerungsbranche bereit sein wird, erneut zu investieren oder lieber dem Beispiel Reiffs folgt, werden wir erleben. Es kann durchaus sein, dass Thorsten Schmidt, Kraiburgs Vizepräsident und verantwortlich für den Geschäftsbereich Runderneuerungsmaterialien, mit seiner unverblümten Prognose recht behält: „Die Pkw-Reifenrunderneuerung hat keine Zukunft!“
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