Gibara und der Abstieg der Goodyear Tire & Rubber Co.
Das Timing hätte nicht “besser” sein können: Die Steelworkers’ Union hat vor dem Headquarter des Goodyear-Konzerns gestern demonstriert, weil das Management einerseits harte Einschnitte verlange, aber andererseits nicht das geringste Entgegenkommen hinsichtlich Arbeitsplatzsicherungen bisher gezeigt habe. Die Gewerkschafter befürchten offenbar die Schließung amerikanischer Fabriken und Verlagerung von Produktionskapazitäten in Billiglohnländer. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt bringt die örtliche Tageszeitung umfangreiche Berichte über das Wirken des zum Monatsende nun endgültig in den Ruhestand ziehenden letzten Goodyear-Chef Sam Gibara und bezichtigt ihn “aggressiver Bilanzierungsmethoden” mittels derer er Boni in Millionenhöhe einstrich für Leistungen, die keine gewesen seien.Gibara hatte sich für das Geschäftsjahr 2001 einen Bonus in Höhe von 1,25 Millionen US-Dollar gewähren lassen, obwohl das Unternehmen mit 203 Millionen US-Dollar tief in die roten Zahlen gerutscht war. Gleichzeitig waren 10.000 Jobs gestrichen worden und die Börsenkapitalisierung war um 60 Prozent gefallen. Damit nicht genug. Goodyear-Anleihen wurden von den Rating-Agenturen des Landes als Junk Bonds, damit als äußerst spekulativer “Müll” abgewertet. Neben Gibara waren Bob Keegan (566.000 US-Dollar), Bob Tieken (283.000 US-Dollar) und John Polhemus (310.000 US-Dollar) Boni gewährt worden. Begründet wurden die Boni damit, dass der Cashflow des Vorjahres um 140 Prozent in die Höhe geschossen sei von einst 509,8 Millionen US-Dollar auf dann 1,26 Milliarden US-Dollar.Unter Bezug auf Finanzexperten, die im Auftrag der Zeitung tätig geworden waren, behauptet John Russel vom Beacon Journal nun, der Cashflow-Erfolg sei äußerst zweifelhaft und nur dank aggressiver und dennoch legaler Bilanzierungsmethoden darstellbar gewesen. Goodyear habe sich mit einem Buchungstrick geholfen. So sei eine Firma Wingfoot LLC gegründet worden, die die inländischen Kundenforderungen des Konzerns aufgekauft habe. Während der Goodyear-Konzern um Hunderte von Millionen US-Dollar besser da stand als zuvor, trug die Wingfoot LLC, die dem Konsolidierungskreis offenbar nicht angehörte, fortan einen Schuldenberg in eben dieser Höhe vor sich her. Der Zweck der Wingfoot-Firmengründung sei einzig darin zu sehen, so die Zeitung unter Berufung auf Finanzexperten, die Bilanz des Goodyear-Konzerns besser aussehen zu lassen als es der Wirklichkeit entsprochen habe. Ferner habe das Management wegen viel zu optimistischer Vorgaben auch viel zu wenig in den Pensions-Fonds einbezahlt. Auch damit noch nicht genug. Die Investitionen in den Fabriken seien auf ein völlig unhaltbares Niveau zurückgedrängt worden und selbst die Investitionen für Forschung und Entwicklung seien auf einem ohnehin bereits niedrigen Niveau nochmals um 47 Millionen US-Dollar gekürzt worden. Ohne all diese Maßnahmen hätte der Cashflow bei “erbärmlichen 166 Millionen US-Dollar” gelegen.Ein Goodyear-Sprecher wies Vermutungen zurück, das Management habe all diese Maßnahmen nur ergriffen, um sich selbst einen Bonus gewähren zu können. Man sei zum Beispiel besser als Wettbewerber in Forschung und Entwicklung, weil man sich auf überlegene Computer-Programme stützen könne. Und wegen der “weichen Wirtschaftslage” habe man weniger in Fabriken investiert, weil ein Return nur über einen (zu) langen Zeitpunkt zu erwarten gewesen sei. Deshalb habe man gewartet und das Geld da eingesetzt, wo es einen besseren Return versprochen habe.Insgesamt sei keinesfalls im Jahr 2001 eine Verbesserung des Cashflow zu verzeichnen gewesen. Das Management habe sich für eine Leistung honorieren lassen, die nicht erbracht worden sei, so John Russel vom Beacon Journal weiter.Um der Diskussion im Vorjahr die Spitze zu nehmen, hatte Gibara “den Aufsichtsrat gebeten”, die Bonuszahlung von 1,25 Millionen auf 0,930 Millionen US-Dollar zu reduzieren und im Hinblick auf die schwierige Lage des Goodyear-Konzerns die Auszahlung erst vorzunehmen, wenn er in Pension gehe. Auch das sei keine besondere Leistung gewesen heißt es nun, denn dieser Schritt habe für Gibara lediglich einen vorteilhaften steuerlichen Hintergrund.Auch ansonsten kommt Gibara in weiteren Artikeln wirklich nicht gut weg. Man habe ihn um eine Stellungnahme bzw. ein Interview gebeten, aber der Mann, der ansonsten mit Schlagwörtern um sich geworfen habe, habe sich verweigert. Russel bringt viele Versprechungen Gibaras in Erinnerung, um sodann aufzuzeigen, dass es sich um leere Versprechungen handelte. So versprach Gibara der Konzernbelegschaft in seiner Antrittsrede dieses: “Wir werden es nicht durchgehen lassen, dass dieser Konzern noch einmal eine schwache Bilanz hat und sich viele Jahre unter einem Schuldenberg und nicht tolerierbaren Finanzlasten abrackern muss.”Was davon erreicht wurde, weiß inzwischen jeder Beobachter. Goodyear steht nach wie vor am Rande des Abgrunds und es ist längst nicht ausgemacht, dass es Gibara-Nachfolger Keegan gelingen wird, den Turnaround doch noch schaffen zu können. Der Schuldenberg ist einfach riesig, der Bewegungsspielraum allzu eingeengt. Goodyear hat inzwischen restlos alles den Banken verpfänden müssen und muss sich auch von den Banken Investitionen genehmigen lassen. Keegan, so der Tenor, könne sich in dieser Situation auch keinen noch so kleinen Fehler erlauben. Anders als Gibara habe Keegan aber ein offenes Ohr für die Händler, führe den Reifenkonzern nicht wie eine Steuerberatungsgesellschaft, sondern schaffe neues Vertrauen beim “Rückgrat des Konzerns.” Damit sind die amerikanischen Reifenhändler gemeint.
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