Ein-/Ausblick: Bridgestone-Testgelände in Vidsel und neuer Winterreifen
Bridgestone hat seine Kapazitäten zum Testen von Winterreifen erweitert. Die langfristige Pacht des „Arctic Falls“ genannten Geländes im schwedischen Vidsel – knapp 100 Kilometer vom Polarkreis entfernt – soll dem Konzern ermöglichen, früher als bisher mit Winterreifentests in Europa beginnen und diese auch länger als sonst durchführen zu können. Was das Testgelände in Schweden an Möglichkeiten zu bieten hat, davon konnten sich Vertreter der Fachpresse jüngst selbst ein Bild machen. Doch neben diesem Einblick in seinen so bezeichneten „Sweden Proving Ground“ gewährte Bridgestone zugleich auch einen Ausblick auf einen neuen Winterreifen, der dann wohl zur nächsten Saison auf den Markt kommen wird. Laut Gert Meylemans, Senior Manager im European Communications Office bei Bridgestone in Brüssel, hatte das Ganze aber noch einen weiteren Zweck: zu zeigen, wie ernst der Reifenhersteller das Sicherheitsbedürfnis der Autofahrer gerade auf winterlichen Fahrbahnen nimmt.
Denn dem trägt man mit einem Produktportfolio angefangen bei Spezialisten für die extremen Anforderungen im hohen Norden Europas (zum Beispiel „Blizzak WS70“ ohne Spikes oder den Spikereifen „Noranza 2 Evo“) über die auch hierzulande wohl bekannteren „Blizzak“-Lamellenreifenwinterreifen mit den Namenszusätzen „LM-30“, „LM-32“, „LM-35“ und „LM-80“ für kontinentale Winter bis hin zum Ganzjahresmodell „All Weather A001“ für Regionen mit eher moderaten Anforderungen an die winterliche Fahrzeugbereifung. Dass in der kalten Jahreszeit an Winterreifen – in welcher der drei Ausprägungen auch immer – in Europa kein Weg vorbei geht, daran will Meylemans jedenfalls keinerlei Zweifel aufkeimen lassen. In diesem Zusammenhang verweist er nicht zuletzt unter anderem auf entsprechende gesetzliche Regelungen in vielen europäischen Staaten wie beispielsweise Deutschland, Österreich, Schweiz sowie selbstredend die skandinavischen Länder oder Rumänien, Slowakei und die Tschechische Republik.
Hinzu komme, dass selbst in Großbritannien, das in der Vergangenheit nicht gerade als besonders volumenstarker Winterreifenmarkt von sich reden gemacht hat, die vergleichsweise strengen Winter 2009/2010 und 2010/2011 den Verbrauchern in zunehmendem Maße vor Augen geführt hätten, dass Winterreifen in der kalten Jahreszeit die bessere Besohlung für ihr Fahrzeug darstellen. Gleichwohl ist Bridgestone-Zahlen zufolge nach wie vor Deutschland der wichtigste Winterreifenmarkt Europas, wurden hier Meylemans Worten zufolge 2011 doch 42 Prozent aller im europäischen Markt nachgefragten Einheiten an die Frau oder den Mann gebracht. Auf den weiteren Plätzen folgen übrigens Italien, das für einen zwölfprozentigen Anteil am gesamten europäischen Winterreifenersatzgeschäft steht, und dann Polen (acht Prozent), Frankreich (sieben Prozent), Österreich (sechs Prozent) sowie die Schweiz mit fünf Prozent.
Das gestiegene Sicherheitsbewusstsein der Verbraucher lässt sich allerdings an anderen Zahlen ganz deutlich ablesen – nämlich am Verhältnis der in Europa abgesetzten Winter- und Sommerreifen. Unter Ausklammerung solch traditioneller Winterreifenmärkte wie Norwegen, Schweden, Finnland und den baltischen Ländern berichtet Bridgestone jedenfalls davon, dass Winterreifen noch 2007 für lediglich 26 Prozent des europäischen Gesamtmarktes standen, im vergangenen Jahr aber bereits für 36 Prozent. Parallel zu diesem Anstieg der Quote um immerhin zehn Prozentpunkte innerhalb von fünf Jahren ist auch die Absatzmenge insgesamt gestiegen: den Zahlen des Reifenherstellers von 2007 bis 2011 zufolge um ein Fünftel (20 Prozent), wobei sich dieser Wert allerdings auf Zentral- und Osteuropa ohne Ungarn und die Tschechische Republik bezieht.
„Die strengen Winter in den Jahren 2009 und 2010 haben die Nachfrage nach Winterreifen in Europa explodieren lassen. Die Umsätze sind im Westen und in der Mitte Europas zwischen 2007 und 2011 um 42 Prozent gestiegen und machen nun 38 Prozent des gesamten Pkw-Reifenumsatzes in ganz Europa aus. Allein 2010 stieg die Nachfrage um 20 Prozent, wobei der Umsatzzuwachs von Bridgestone über dem des Marktes lag. Die Länder, in denen seit jeher eher milde Winterbedingungen herrschen, wie das Vereinigte Königreich, Irland und die Niederlande, verzeichneten ebenfalls beispiellose Umsatzsteigerungen“, heißt es vonseiten des Unternehmens, das vor dem Hintergrund dieses Trends eigenen Worten zufolge seit 2008 verstärkt in die Entwicklung entsprechender Produkte investiert.
Zumal man sich als Anbieter von Lösungen versteht, um eine sichere Mobilität selbst bei den widrigen Fahrbahnbedingungen des Winters zu gewährleisten. „Dass Bridgestone die Winterreifen in den Mittelpunkt rückt und umfangreiche Investitionen in Tests und Entwicklung tätigt, basiert auf dem Engagement des Unternehmens, seinen Kunden Produkte anzubieten, die unter allen Bedingungen und zu jeder Zeit Sicherheit und Zuverlässigkeit garantieren“, so der Reifenhersteller. Um sein Angebot an Winterreifen zu erweitern und zukünftige Winterreifengenerationen zu entwickeln, investierte Bridgestone Europe in neue Testanlagen und -ausrüstung auf dem schwedischen Testgelände in Vidsel, das seit 2009 besteht.
Alle Wetter: In Abhängigkeit von den jeweiligen klimatischen Gegebenheiten – gezeigt sind links die Januar-Durschnittstemperaturen in Europa – empfiehlt Bridgestone unterschiedliche (Winter-)Reifen seiner Produktpalette
Freilich testete man auch zuvor schon in Schweden, aber das früher genutzte Gelände im knapp 40 Kilometer entfernten Älvsbyn hat gegenüber dem jetzigen einige Nachteile, erklärt Gianni Lampazzi vom nahe Rom (Italien) gelegenen Technical Center Europe (TCE) des Reifenherstellers, das auch für den Betrieb des neuen, sogenannten „Sweden Proving Ground“ verantwortlich zeichnet. So habe man in Älvsbyn auf zugefrorenen Seen getestet, was den nutzbaren Zeitraum einschränkt, muss man doch abwarten, bis das Eis trägt. Dadurch, dass das neue Prüfgelände auf festem Untergrund liegt, könne man in Vidsel nun schon ganz sicher ab November und bis Ende März bzw. teilweise auch noch bis in den April hinein testen, hebt Lampazzi als Hauptvorteil hervor. Seinen Worten zufolge kann die Einrichtung demnach 14 bis 17 Wochen pro Jahr genutzt werden.
Zu bieten dafür hat „Arctic Falls“ neben einem Eishandlingparcours und einem Hochgeschwindigkeitsabschnitt auch Eis- und zwei flache Schneestrecken von 1.380 Metern bzw. 550 Metern Länge für Traktions- und Bremsversuche sowie weitere Fahrdynamikflächen auf Eis und Schnee in Form etwa einer Kreisbahn oder einen Kurs mit zwei parallelen Spuren für das Schneehandling. Selbst eine Steigungs- bzw. Bergstrecke fehlt der nur knapp 100 Kilometer vom nördlichen Polarkreis entfernt liegenden Einrichtung ebenso wenig. Des Weiteren ergänzen entsprechende Räumlichkeiten für die Nutzung als Werkstatt, für die Messausrüstung und die Datenauswertung, als Büros bzw. für Konferenzen oder als Ruhebereich für Mitarbeiter/Gäste sowie natürlich auch die Unterbringung von Versuchsfahrzeugen bzw. bis zu 2.500 Reifen die weitere Infrastruktur für die Reifentester vor Ort.
Das Testgelände bietet jedenfalls – sagt Bridgestone – „ausreichend Platz und die entsprechende Ausrüstung, um sowohl subjektive als auch in quantitativer Hinsicht objektive Tests durchzuführen“ bzw. die Leistung von Pkw-, Transporter-, Lkw- und Busreifen bei Eis und Schnee zu testen. Wetterstationen und Sensoren sind für die Überwachen die Luft- und Bodentemperaturen und -bedingungen zuständig und leiten diese Informationen an die Bildschirme in den Büros des Standorts weiter. Fünf Schneekanonen und entsprechende Wasserleitungen sorgen bei Bedarf für Kunstschnee. Besetzt ist die Einrichtung in Vidsel während von November bis Ende März dauernden Testsaison demnach mit einem multinationalen Team von sieben bis neun Ingenieuren, Technikern und Fahrern aus Bridgestones TCE, während sich die Reifenmonteure und das Wartungspersonal für die Teststrecken aus der Region rekrutieren.
Seinen „Sweden Proving Ground“ sieht der Reifenhersteller als Bestätigung seines langjährigen Engagements in Sachen Entwicklung von Winterreifen sowie als Investition, die deren strategische Bedeutung im eigenen Produktportfolio unterstreicht. Und anspruchsvolle bzw. effiziente Tests von Winterreifentechnologien werden vor diesem Hintergrund als „von wesentlicher Bedeutung“ für Bridgestones Zukunftspläne bezeichnet. Apropos Zukunft: Der Prototyp, der vor Ort in Vidsel hinsichtlich ausgewählter Kriterien mit dem aktuellen „Blizzak LM-30“ verglichen werden konnte, soll – wie es heißt – dem kommenden Serienprodukt jedenfalls schon recht nahe sein und nur noch wenig „Feinschliff“ benötigen. Bei den Fahrtests vor Ort wusste er mit Blick auf den „LM-30“ als Referenz auf Schnee jedenfalls ebenso mit besseren Brems- und Traktionseigenschaften aufzuwarten wie mit einer höheren Seitenführung und bzw. einem präziseren Handling. christian.marx@reifenpresse.de
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