SDS Systemtechnik: Konkurrenzfähig am Standort Deutschland
Fast so lange wie es Reifen gibt, gibt es auch die Runderneuerung. Dabei hat es immer wieder Innovationsschübe für die Branche gegeben, die das Produkt besser und vor allem sicherer gemacht haben. Ab den 1980er Jahren hat sich mit der Shearografie ein Prüfverfahren etabliert, dessen Nutzen heute in der Runderneuerung wie auch in der Neureifenfertigung unbestritten ist. Die weltweit wachsende Nachfrage eröffnete neue Möglichkeiten für deutsche Maschinenbauer – gerade für junge Unternehmen und Jungunternehmer ergab sich die Chance, ein ‚Stück vom Kuchen’ für sich zu reklamieren. Während in anderen Branchen bei steigendem Wettbewerb spätestens in der Reife- und Sättigungsphase des Produktlebenszyklus’ über Produktionsverlagerungen und Kostensenkungen nachgedacht wird, zeigt ein exemplarischer Blick auf die SDS Systemtechnik GmbH, dass es auch anders geht und der Standort Deutschland dabei ein zentraler Erfolgsfaktor ist.
Dieser Beitrag ist in unserer jüngsten Runderneuerungsbeilage Retreading Special erschienen, die Sie hier auch als E-Paper lesen können.
Als der gebürtige Ungar Dennis Gábor 1947 das Prinzip der Holografie entwickelte, wofür er 1971 auch mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, konnte noch niemand ahnen, welche Veränderungen sich durch dessen praktische Anwendung im Messverfahren der Interferometrie in der Reifenrunderneuerung ergeben würden. Nach ersten vereinzelten Anwendungen noch in den 1970er Jahren in den USA sorgten ab den 1980er Jahren eigenständige europäische Weltraumambitionen – die erste europäische Trägerrakete Ariane 1 startete am Heiligabend 1979 – dafür, dass reichlich öffentliche Aufträge für Unternehmen zu holen waren, die optische Messverfahren und Messtechnik anbieten konnten; eine neue Branche wurde geboren.
Nachdem Dr. Hans Steinbichler 1987 die Steinbichler Optotechnik GmbH gegründet hatte, war bald auch schon der noch keine 30 Jahre alte Maschinenbaustudent Stefan Dengler mit an Bord, zunächst während der Semesterferien, dann ab 1990 mit bestandenem Ingenieursstudium als Festangestellter in der noch jungen und kleinen Firma im bayerischen Neubeuern. Denglers Aufgabe dort: Reifenprüfanlagen entwickeln, bauen und vermarkten. Aus dieser Anstellung heraus entwickelte sich im Laufe der 1990er Jahre ein eigenes Unternehmen: die SDS Systemtechnik GmbH mit Sitz im baden-württembergischen Calw.
„Ich habe meine Chance von Michelin bekommen“, erinnert sich der Firmengründer und Geschäftsführer Stefan Dengler im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Dengler galt den verantwortlichen Fabrikplanern bei Michelin immer schon als fester Ansprechpartner, auch zu Zeiten vor der Firmengründung 1998. Als der französische Reifenkonzern dann Mitte des Jahrzehnts den Beschluss fasste, in den USA ein Franchisenetzwerk an unabhängigen dezentral operierenden Kaltrunderneuerern aufzubauen, denen per Vertrag eine Shearografie für die Eingangskontrolle der Karkassen vorgeschrieben werden sollte, kam die Stunde des Jungunternehmers Dengler. „Unsere Firmengründung war ziemlich untypisch“, so Dengler heute, „sie war aus dem Leben heraus entstanden“. Während viele in derselben Situation Business-Pläne schreiben und Kreditanträge stellen müssen, konnte Stefan Dengler mit einem konkreten Auftrag von Michelin das Ganze durchaus abkürzen – und das Geschäft einfach machen.
In Zusammenarbeit mit seinem Geschäftspartner Bernward Mähner, der heute die ISYM Informations- und Systemtechnik GmbH (Gilching bei München) betreibt, hatte Dengler eine SDS-eigene Bildverarbeitung entwickelt, die die Shearografie revolutionieren sollte. Im Reifenprüfverfahren kommen dabei Laserdioden zur Anwendung, wodurch sich erhebliche Kosteneinsparungen bei Bau und Betrieb der Shearografieanlagen einstellten. Dieses „Verfahren zur Verwendung mehrerer Laserdioden“ haben sich die Partner Dengler/Mähner patentieren lassen. Sie sehen noch heute darin das zentrale Patent – eines von mittlerweile mehreren Dutzend angemeldeten Patenten – ihrer Gründungsjahre und sehen mit Stolz, dass sich daraus mittlerweile der Industriestandard entwickelt hat. Michelin wollte, dass dieses Verfahren bei der beauftragten Shearografieanlage zum Einsatz kommt und war folglich das erste Unternehmen, das entsprechend Laserdioden in der Bildverarbeitung der Shearografie nutzt; die Homologierung beim Hersteller sei eine Formsache gewesen. Noch heute nutzt Michelin weltweit fast ausnahmslos SDS-Shearografieanlagen in seinen Runderneuerungsstätten – auch in den Remix-Anlagen – sowie in der Neureifenproduktion. Neureifen werden im Übrigen vorwiegend dann zur Kontrolle shearografiert, nachdem in der Produktion ein für die Qualität entscheidender Parameter umgestellt wurde, etwa bei den Pressen oder im Reifenaufbau.
Nach der Gründung 1998 entwickelte sich die SDS Systemtechnik GmbH schnell zu einem der wichtigsten Anbieter von Reifenprüfsystemen weltweit. Hatte Stefan Dengler die ersten Aufträge noch in einem leerstehenden Baumarkt erfüllt, baute er 2000 die eigene Produktion samt Verwaltungsgebäude am Rande der Großen Kreisstadt Calw auf – auf dem ehemaligen Gründstück seines Großvaters. Dengler stammt gebürtig aus Calw und fühlt sich im Nordschwarzwald familiär verwurzelt. Bereits 2004 musste die Produktion in Calw um eine zweite Halle erweitert werden, 2013 dann kam eine dritte Halle hinzu, die die notwendige Höhe besitzt, um auch Shearografieanlagen für große OTR-Reifen bis 63 Zoll problemlos montieren zu können. Alle drei Hallen sind dabei direkt miteinander verbunden, was in der Produktion – vom Rahmen- über den Schaltkastenbau bis hin zur Endmontage – kurze Wege ermöglicht.
Der weltweite Markt für Shearografieanlagen wächst zwar – gerade in Indien und in China wird viel in moderne Produktionskapazitäten und auch in die Runderneuerung investiert –, dennoch ist der Markt grundsätzlich endlich, nicht zuletzt auch, weil die installierten Anlagen in der Regel nahezu ewig hielten. Wie Stefan Dengler erzählt, sei die SDS-Shearografie mit der Seriennummer 1 (stand ursprünglich bei Reiff in Reutlingen) heute bei einem argentinischen Kaltrunderneuerer im Einsatz und laufe dort auf Windows 7. Das Zauberwort also, um unternehmerisches Wachstum am Laufen zu halten: Diversifizierung.
Auch wenn Stefan Dengler nie das Bedürfnis hatte, sein Geschäft mit Niederlassungen auf allen Kontinenten zu globalisieren, brachten die Entwicklungen im Markt dennoch entsprechende Veränderungen mit sich. Gingen in den ersten Jahren des Bestehens 100 Prozent der SDS-Shearografieanlagen an Runderneuerer in Europa und in Nordamerika, kamen mehr und mehr auch Neureifenhersteller und auch Kunden in Asien und Lateinamerika hinzu. Heute vermarktet SDS Systemtechnik bereits mehr als die Hälfte der jährlich im Schnitt 15 hergestellten Anlagen an Neureifenhersteller, die diese dann auch in ihrer Produktion einsetzen.
Von den derzeit 450 weltweit im Einsatz befindlichen Anlagen stehen immer mehr auch in China oder in Indien. Gerade in Indien entwickele sich derzeit mit der zunehmenden Radialisierung der Lkw-Reifen auch eine immer stärker werdende Runderneuerungsbranche, die immer höheren technischen Ansprüchen der Neureifenhersteller nach Qualität – etwa bei Apollo Tyres’ Runderneuerungsnetzwerk – genügen muss. In Indien sei die Entwicklung des Marktes, was Shearografie betrifft, mittlerweile dort, wo man in Europa noch vor 20 Jahren war. Aber es komme eben eine Entwicklung in Gang.
Mit dieser Internationalisierung des Geschäftes ging auch die Diversifizierung des Produktangebotes einher. Während die Prüftechnik in den SDS-Shearografieanlagen stets dieselbe ist, bietet das baden-württembergische Unternehmen mittlerweile aber Anlagen für kleine Reifen wie auch für große Reifen an, außerdem eben solche für Neureifen wie für die Runderneuerung, genauso wie solche für den Intensiv- oder Industrieanwender, „wo jede Sekunde zählt“, wie für kleine und mittelständische Runderneuerer, die nicht von Wulst zu Wulst shearografieren möchten (dies wird oft in Europa nachgefragt), sondern nur von Schulter zu Schulter (Standard in Nord- und Lateinamerika).
Erst im vergangenen Jahr stellte SDS Systemtechnik auf der Reifen-Messe in Essen die neue „ITT Easy“ vor, ein auf die Basisfunktionen reduziertes, kompaktes System. Dieses könne aufgrund gewisser konstruktiver Vereinfachungen, die aber nicht die Prüftechnik als solche betreffen, deutlich günstiger angeboten werden als die ITT-2 und die ITT-1; eine ITT Easy ist ab rund 85.000 Euro zu haben, kontrolliert aber nur von Schulter zu Schulter und sei somit Dengler zufolge ideal für bestimmte Märkte und Runderneuerer.
Parallel zu dieser Entwicklung hat bei SDS Systemtechnik auch das After-Sales-Geschäft mit Service – also mit Wartung und Reparatur – wie auch mit Ersatzteilen zugenommen. Während einige Kunden den Service gleich selber machen, bietet sich für den Maschinenbauer aus Calw in der zunehmend digitalisierten Welt mit dem zentralen Medium Internet eine ganz neue Möglichkeit, auf etwaige Probleme beim Kunden reagieren zu können. Mussten die SDS-Servicemitarbeiter früher mitunter durch die Welt reisen, um Kunden aufzusuchen, kann heute ein Großteil der konkreten Kundenanfragen wie auch der Updates der Steuerungssoftware per Remote Access (Fernsteuerung) abgearbeitet werden.
Dabei loggt sich ein SDS-Servicemitarbeiter über eine gesicherte Internetverbindung online in die Shearografieanlage des Kunden ein und nimmt dort entsprechende Veränderungen zur Fehlerbehebung oder zum Update der Software vor – vom Schreibtisch in Calw aus. Dies sei eine immense Erleichterung für alle Beteiligten und helfe vor allem dabei, die Effizienz des betrieblichen Ablaufs bei SDS Systemtechnik sowie die Zufriedenheit des Kunden zu steigern; ihm wird schlichtweg schneller geholfen.
Von den jährlich rund drei Millionen Euro Umsatz (2014 konnte SDS Systemtechnik sogar nahezu vier Millionen Euro umsetzen) entfallen mittlerweile 25 Prozent auf das After-Sales-Geschäft mit Service und Ersatzteilen. Der Anteil steige kontinuierlich, so Stefan Dengler.
Mit zunehmender Etablierung in der Reifenbranche kam man bei SDS Systemtechnik zu dem Schluss, man müsse mit der vorhandenen Prüftechnik auch in anderen Branchen Fuß fassen und dort entsprechende Anlagen anbieten. „SDS ist zu reifenlastig“, so Denglers Befund damals. So begann das Unternehmen zwischenzeitig, sich etwa intensiv um die Flugzeugbranche zu kümmern und dort Anlagen zur strukturellen Prüfung von Faserverbundstoffen anzubieten. Trotz umfassender Investitionen, auch in Messeauftritte, muss Stefan Dengler heute zugeben, damit gescheitert zu sein, hat dies aber durchaus als positiven Anschub mit auf den weiteren Weg genommen. Denn: Danach fiel der Entschluss, sich weiter innerhalb der Reifenbranche mit ergänzender Prüftechnik und außerdem auch mit Fördertechnik fest zu etablieren.
Dazu gehört etwa das 2008 eingeführte automatische Druckprüfsystem „Pressure Test System“ (PTS) als Ergänzung zur Shearografie. Das Verfahren verbinde die klassische Druckprüfung mit den Vorzügen der modernen Bildverarbeitung, also der SDS-Messtechnik, wobei der Reifen im Testdurchlauf unter verschiedenen Druckstufen vermessen wird. Dadurch lassen sich Rückschlüsse auf etwaige Strukturschäden in der Seitenwand oder in der Lauffläche, die nach außen hin offen sind, ziehen. Solche offenen Strukturschäden würden bei der Shearografie in der Vakuumkammer in der Regel keine Veränderungen erkennen lassen. Der Vorteil des automatischen Druckprüfsystems PTS sei außerdem, dass man dabei nicht bis an den Berstdruck des Reifens herangehen müsse; bereits bei 3 statt bei 8 bar könnte der Testlauf stattfinden, was Zeit und Geld spare, so Stefan Dengler.
Neben neuen Anwendungen der bestehenden Prüftechnik arbeitet SDS Systemtechnik seit einigen Jahren intensiv daran, die eigenen Anlagen durch Fördersysteme besser und effizienter in den Produktionsablauf der Kunden zu integrieren. Das Reifenhandling per Fördertechnik sei ein großer Wachstumsmarkt, so der Firmengründer.
Auch 17 Jahre nach der Gründung der SDS Systemtechnik GmbH zeichne sich das Unternehmen immer noch „durch eine extrem hohe Fertigungstiefe“ aus. Mit anderen Worten: Ein Großteil der Wertschöpfung findet nach wie vor am Standort in Calw statt; ausgelagert wird nahezu nichts. Produktionsverlagerung, etwa beim Rahmen- oder Schaltkastenbau, wo im Grunde genommen ‚nur’ geschnitten, gebohrt, gedrechselt, geschweißt, verschraubt und lackiert wird, kommen für Stefan Dengler nicht infrage. Seine maschinenbaulich gut geschulten Mitarbeiter in der Produktion in Calw – dort arbeitet gut die Hälfte der 17 SDS-Mitarbeiter – wüssten genau, worauf es ankomme, wo ein Schweißpunkt im Rohbau gesetzt werden muss und wie individuelle Anforderungen der Kunden umzusetzen sind; die Fehlerquote sei folglich sehr gering, die Flexibilität hoch. Außerdem mache es Dengler zufolge bei den geringen Stückzahlen, die jährlich gefertigt werden, und bei dem Grad an Individualisierungen wenig Sinn, Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern. „Ich bin außerdem überzeugt davon, dass man mit cleverem Engineering am Standort Deutschland konkurrenzfähig bleiben kann“, so der Firmengründer im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. arno.borchers@reifenpresse.de
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