Die „Digital Natives“ kommen
Im zweiten Quartal haben sich hinsichtlich seiner Geschäftsentwicklung bei dem Onlinereifenhändler Tirendo so starke Bremsspuren gezeigt, dass die Delticom AG als Mutterkonzern zum ersten Mal in ihrer 15-jährigen Geschichte ein negatives Ergebnis berichten musste. Wer sich als klassischer Reifenhändler angesichts dessen vielleicht sogar mit ein klein wenig Schadenfreude die Hände reibt und hofft, dies sei der Anfang vom Ende des Trends zum Onlinekauf von Reifen, der freut sich zu früh.
„Die volle Wucht kommt erst noch“, so diesbezüglich etwa Dr. Ralf Deckers von der Kölner ABH Marketing Research GmbH im Rahmen der unlängst vom Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. veranstalteten E-Commerce-Fachtagung „Die digitale Herausforderung – Was jeder Reifenfachbetrieb tun muss, um im Internetzeitalter Erfolg zu haben“. Gemeint ist: Erwartet wird, dass auch in den kommenden Jahren tendenziell ein immer größerer Anteil der Verbraucher ihre Reifen im Internet kaufen wird.
Schon in der vergangenes Jahr veröffentlichten BRV-Studie „Reifenfachhandel 2020“ wurde davon ausgegangen, dass der Marktanteil des Onlinevertriebskanals im deutschen Pkw-Reifenersatzgeschäft von zuletzt 10,5 Prozent im Jahr 2013 bis 2020 auf einen Wert von bis zu einem Fünftel anwachsen wird. Und das unabhängig davon, ob dem stationären Handel eine solche Entwicklung mit all ihren ungeliebten Begleiterscheinungen wie beispielsweise einem Mehr an Markt- und vor allem Preistransparenz nun lieb ist oder nicht.
Denn mit den sogenannten „Digital Natives“ wächst nicht nur dem Reifenhandel, sondern ganz allgemein dem Handel quer durch alle anderen Branchen eine ganz neue Generation Kundschaft heran. Für wen – wie beispielsweise etwa die heute unter 25- oder 30-Jährigen – der Umgang mit dem Medium Internet seit frühester Jugend oder gar seit Kindertagen etwas ganz Normales und Alltägliches ist und kein „Neuland“ wie zum Beispiel für unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, der nutzt das Web wenn schon nicht zum Reifenkauf selbst, so doch zumindest für die Recherche vor einem Erwerb neuer Gummis für sein Fahrzeug. Darin waren sich alle Referenten bei besagter BRV-Fachtagung einig.
Gleiches gilt für ihre Einschätzung, dass weder eine 100-prozentige Onlineausrichtung noch eine 100-prozentige Ausrichtung allein auf das stationäre Geschäft Erfolg verspricht: Die Mischung macht’s bzw. ein Sowohl-als-auch-Ansatz. Zumindest eine eigene Homepage, die eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit dem Händler bietet, wird als unbedingtes Muss angesehen. Besser noch seien freilich Dinge angefangen von einer in die jeweilige Webpräsenz integrierte Onlineterminvereinbarung bis hin zu Social-Media-Aktivitäten auf Facebook und Co., um die „Generation Smartphone“ da anzusprechen bzw. „abzuholen“, wo sie sich tummelt.
Auf all das gilt es sich also einzustellen – eine Verweigerungshaltung in Sachen Internet hilft dem (Reifen-)Handel jedenfalls nicht weiter. Es sei denn, man kann es sich leisten, zukünftig von vornherein auf einen erklecklichen und tendenziell weiter steigenden Anteil potenzieller Kunden zu verzichten. Die gute Nachricht ist: Der Reifenhandel scheint die Notwendigkeit, sich mit der Onlinethematik auseinandersetzen zu müssen, mittlerweile erkannt zu haben. Davon zeugt allein die Zahl von rund 200 Teilnehmern, die zu der BRV-Tagung gekommen sind.
Selbst wenn ganz konkrete Handlungsempfehlungen bei der Veranstaltung eher rar gesät waren, so gab es doch Anregungen und Denkanstöße genug, um sich auf Reifen suchende und hoffentlich dann auch kaufende „Digital Natives“ einzustellen. Dass der Reifenhandel in dieser Richtung etwas tun muss, dürfte keine Frage sein. Sonst geht es ihm wie anderen, die zu lange einzig an Althergebrachtem festgehalten haben: Mit steigender Verbreitung des Automobils sind beispielsweise Berufe wie die des Kutschers oder Hufschmiedes mehr oder weniger obsolet geworden – wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. christian.marx@reifenpresse.de
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