Euromaster setzt auf Servicegeschäft und neues Kompaktmodell – Berents: Strukturwandel kommt
Die großen Organisationen des deutschen Reifenhandels setzen zunehmend auf Spezialisierung bzw. Professionalisierung wie gleichzeitig auch auf Diversifizierung und reagieren damit auf die Entwicklung des Marktes. Diese drängt Händler mehr und mehr dazu, sich umfassend um das Servicegeschäft zu kümmern, was auf einem wettbewerbsfähigen Qualitätsniveau allein kaum noch zu bewerkstelligen ist. Starke industrienahe oder unabhängige Partner können hier helfen und entsprechende Leistungsbausteine von zentraler Seite bieten. Gleichzeitig wollen sich diese Partner – also die besagten Organisationen des Reifenhandels – aber auch für solche Händler öffnen, die (noch) nicht am weitreichenden Komplettpaket eines Franchisegebers wie etwa Euromaster interessiert sind. Das schafft eine größere Marktabdeckung fürs Flottengeschäft, bindet Händler gleichzeitig enger an eine Industrieorganisation und schafft somit Absatzpotenzial. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erläuterten kürzlich Euromaster-Geschäftsführer Andreas Berents und Franchiseleiterin Bärbel Rankl (beide für Deutschland und Österreich verantwortlich), wohin sich das Konzept Euromaster entwickeln soll und warum dies eine Notwendigkeit ist.
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Eine Reifenhandelsorganisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, „Deutschlands führende Werkstattkette für Pkws und Nutzfahrzeuge“ zu werden, hat in Bezug auf das angebotene Leistungsportfolio und das damit verbundene Qualitätsniveau nicht allzu viele Spielräume. Wie Andreas Berents im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erläutert, muss die Organisation insgesamt und alle zu ihr gehörenden Regie- und Franchisebetrieb das volle Angebot auf höchstem Niveau liefern, und zwar zu landesweit einheitlichen Qualitätsstandards. Dies bedeutet freilich nicht, erläutert der Euromaster-Geschäftsführer die einzig vernünftige Ausnahme von dieser Regel, dass jeder Pkw-Reifenstandort sich (künftig) auch auf Lkw-Reifen spezialisieren oder Vollsortimenter werden muss. Im Gegenteil. Während das Geschäft mit Lkw-Reifen an vielen innenstadtnahen Euromaster-Standorten in Deutschland einfach keinen großen Sinn macht, baut die Michelin-Tochter seit Kurzem ganz gezielt an verkehrsgünstig gelegenen Standorten – in der Regel in der Nähe viel befahrener Bundesstraßen oder Autobahnen – ein eigenes Netzwerk von reinen Lkw-Stationen auf; derzeit gehören bereits 20 Regiebetriebe dazu.
Davon abgesehen, so Andreas Berents weiter, müsse das angebotene Leistungsportfolio und das damit verbundene Qualitätsniveau aber an allen Euromaster-Standorten im Land einem einheitlichen hohen Standard genügen. Warum? Weil eine Handelsorganisation samt ihrer Regie- und Franchisebetriebe heute nur dann das vorgenannte Ziel der Marktführerschaft erreichen kann, wenn sie sich konsequent um die Weiterentwicklung des Servicegeschäftes kümmert.
Für diese Richtungsentscheidung gibt es den Verantwortlichen in der neuen Euromaster-Zentrale in Mannheim zufolge im Wesentlichen zwei zentrale Gründe. Einerseits ist die Hinwendung zum Servicegeschäft heute für alle Reifenhandelsbetriebe eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Fast alle Marktteilnehmer haben sich in der Vergangenheit vielfach und ausschließlich um ihre Einkaufskondition gekümmert und darauf ihr Geschäftsmodell aufgebaut. Die damit in Gang gekommene Preisspirale bezeichnet Euromaster-Geschäftsführer Berents im Rückblick als „Riesensünde“. Die Vermarktung eines hochwertigen Produktes einzig und allein über den Preis mache eben vielen Marktteilnehmern das Geschäft kaputt. Das ‚Gegenmittel‘ zum Preiskampf ist Berents zufolge eine klare Ausrichtung des Geschäftsbetriebes auf die Qualitätsvermarktung des Produktes und der damit in der Regel in Verbindung stehenden Dienstleistungen. Mit anderen Worten: Der Verkauf ist zentral für den Geschäftserfolg und nicht der Einkauf und etwaige Sell-in-Ziele müssen dementsprechend den Sell-out-Zielen untergeordnet werden.
Und gerade im Verkauf – das ist der zweite zentrale Grund für die Euromaster-Richtungsentscheidung, konsequent auf Service zu setzen – sind die Ansprüche der privaten und gewerblichen Kundschaft mittlerweile genauso hoch, wie die dazu gehörenden innerbetrieblichen Prozesse der verschiedenen Leistungsbausteine komplex sind.
Zwei Beispiele: der Kfz-Service und das Flottengeschäft. Eine zunehmende Hinwendung zum Servicegeschäft an den Euromaster-Standorten beinhaltet natürlich zuallererst auch eine noch stärkere Hinwendung zum Kfz-Service, und nicht nur zum Reifenservice, etwa durch Einlagerungen oder andere Dienstleistungen rund um die schwarzen Rundlinge. Euromaster gibt auch in der Werbung das Marketingversprechen ab, dass jedes Fahrzeug, das auf die Bühne genommen wird, einem 14 Punkte umfassenden sogenannten „Mastercheck“ unterzogen wird, und zwar auch während der laufenden Saison. Jeder im Reifenhandel weiß, dass dies leichter gesagt ist als getan. Einerseits müssen die Mitarbeiter umfassend geschult werden, wofür die Michelin-Tochter ein eigenes Schulungszentrum betreibt, die „Euromaster-Akademie“. Andererseits müssen entsprechende Checks in die innerbetrieblichen Prozesse dermaßen integriert und von den Mitarbeitern akzeptiert sein, dass sie wie das Wuchten eines neu montierten Reifens, also wie selbstverständlich, zum Angebot dazu gehören. Ein solches Angebot wird schnell zum Anspruch des Kunden.
Auch im Flottengeschäft sind mitunter hochkomplexe prozessuale Abläufe zu stemmen. Während jedem im Reifenmarkt zu allererst die Netzabdeckung als zentraler Erfolgsfaktor im Flottengeschäft einfällt, was sie ohne Frage auch ist, werden in deren Schatten gut funktionierende Prozesse als Garant für eine erfolgreiche Teilnahme am Flottengeschäft von beiläufiger Seite oftmals übersehen. Vor einigen Jahren konnte Euromaster im Verbund mit Michelin mit der Deutschen Post einen Flottenvertrag abschließen. Die dazu gehörenden rund 40.000 Fahrzeuge entsprechend zu handhaben, ist alles andere als eine Kleinigkeit und nur über hohe Investitionen in die Kontrolle der Prozesse – und folglich der IT – erfolgreich zu managen.
Eine Organisation wie Euromaster also, die mit dem Ziel, „Deutschlands führende Werkstattkette für Pkws und Nutzfahrzeuge“ zu werden, antritt, muss sich folglich um die zentrale Steuerung des Qualitätsniveaus kümmern und darf die Vereinheitlichung von Standards nicht dem Zufall überantworten. Bei der zentralen Steuerung der Organisation mit besonderer Hinwendung auf das Servicegeschäft ist es wichtig, dass die Zentrale möglichst eigenständig auftritt und andererseits die Entscheidungsfreiheiten ihrer Franchisenehmer einschränkt.
Auch wenn es eine Selbstverständlichkeit ist, dass Michelin ein großes Interesse daran hat, über seine Handelstochter Euromaster – und alle anderen Organisationen im Markt – möglichst viele Reifen der eigenen Marken abzusetzen, sind einem möglichst hohen Share of Account natürliche Grenzen gesetzt. Eine funktionierende Reifenhandelsorganisation muss heute in Deutschland ein Multi-Marken-Anbieter sein, um wettbewerbsfähig zu sein.
Während die Reifenhandelsorganisation eines Herstellers vernünftigerweise mit einem Höchstmaß an Entscheidungsfreiheit auszustatten ist, so Andreas Berents weiter, damit sie entsprechend der Marktbedürfnisse geführt werden kann, müssen die Franchisenehmer ihrerseits auf solche Freiheiten in einem gewissen Umfang verzichten. „Wer zu uns kommt, ist eigentlich kein Vollunternehmer mehr“, stellt der Euromaster-Geschäftsführer fest und erinnert gleichzeitig daran, dass der ungebundene Reifenfachhandel eben die Frage beantworten muss, welches Verhältnis die volle unternehmerische Unabhängigkeit im Vergleich zur Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens haben kann. In der Regel kommt dann das Eingeständnis, dass ein modern geführter Reifenfachhandel heute längst nicht mehr alles alleine leisten kann, sondern eben einen starken Partner benötigt.
„Wir führen schon oft Gespräche zum Thema Unabhängigkeit“, ergänzt Bärbel Rankl. Die Leiterin Franchise Deutschland/Österreich betont dabei weiter, dass Euromaster – trotz aller Zentralisierung von unternehmerischen Entscheidungen – immer noch „ein sehr offenes System“ sei, dass es den Franchisenehmern ermögliche, über „einen offenen und lebendigen Austausch“ die Entwicklung der gesamten Organisation mit zu beeinflussen.
Dass die Entwicklungen auf dem deutschen Reifenmarkt mittel- bis langfristig dazu führen, dass die zentral geführten Organisationen eine noch größere Rolle spielen, davon ist der Euromaster-Geschäftsführer überzeugt. Während der Reifenmarkt in den vergangenen Jahren – wenn überhaupt – nur marginal gewachsen ist, hat sich die Anzahl der Marktteilnehmer in der selben Zeit dramatisch erhöht; die zu verteilenden ‚Kuchenstücke‘ wurden demnach immer kleiner. Selbst ein beiläufiger Blick auf die Ertragssituation vieler Marktteilnehmer im Reifenhandel – ungebunden wie auch gebunden – lässt unschwer erkennen, dass größere Marktveränderungen anstehen. Mit anderen Worten: Ein über Jahre hinweg künstlich aufgeschobener Strukturwandel könnte sich früher oder später Bahn brechen. Und die Frage, wen ein entsprechender Strukturwandel zuerst treffen dürfte – den ungebunden oder etwa den gebundenen Handelsbetrieben – darf man getrost als rhetorisch betrachten. Überspitzt formuliert fasst Berents das Szenario zusammen: „Wenn du überleben willst, dann komm zu uns!“
Auch wenn es viele im Reifenhandel mit der Binsenweisheit halten, Partnerbetriebe seien der Industrie lieber als eigene Regiebetriebe, so verfolgt man bei Euromaster indes nicht unbedingt das strategische Ziel, die bestehenden Regiebetriebe zu ‚privatisieren‘, sprich: zu verfranchisen. Aktuell zählen die Verantwortlichen bei Euromaster in Deutschland 262 eigene Betriebe. Während in den vergangenen fünf Jahren, seit dem die Michelin-Tochter sich ganz gezielt um organisches Wachstum über Franchisebetriebe kümmert, lediglich vier Euromaster-Betriebe diesen Weg nahmen, wurden allein in den vergangenen drei Jahren immerhin 60 Euromaster-eigene Betriebe geschlossen. Darunter, so betont der Euromaster-Geschäftsführer weiter, seien natürlich vorwiegend solche Betriebe gewesen, die nur wenig Positives, wenn überhaupt, zum Ergebnis der Gesamtorganisation beitragen konnten. Andreas Berents zufolge sei Euromaster in Bezug auf seine Regiebetriebe mittlerweile „sauber“ und habe – betrachtet man ausschließlich die Ebene der Handelsbetriebe und nicht auch die dazu gehörende Zentrale – „keine großen Verlustbringer mehr“ in den eigenen Reihen.
Dennoch, Wachstum, was die Anzahl der Standorte betrifft, plant Euromaster vorwiegend über neue Franchisepartner. Weiterer Wachstumsfaktor dabei: Das oben bereits erwähnte wachsende Euromaster-Netzwerk reiner Lkw-Servicestationen im Regiebetrieb. Aktuell gehören in Deutschland darüber hinaus immerhin schon 80 Franchisebetriebe zum Euromaster-Netzwerk. Und es seien eben diese Partnerbetriebe, die in den kommenden Jahren den „Motor des Wachstums“ für Euromaster darstellen sollen, in jedem Fall was die Anzahl der Standorte betrifft.
Dabei soll der Motor nicht überhitzen, um im Bild zu bleiben. Mit anderen Worten: Für Geschäftsführer Berents ist „ein gesundes Wachstum der Organisation“ wichtiger als eine schnelles Hochdrehen der Anzahl der Standorte. Dennoch: Innerhalb der kommenden fünf Jahre haben die Verantwortlichen in der Euromaster-Zentrale in Mannheim schon das Ziel von rund 500 Standorten im Blick. Das Bedeutet: Zusätzlich zu den bestehenden 80 Franchisebetrieben müssten bis 2022 weitere 170 Reifenhändler überzeugt werden, sich dem Systemgeber und dessen Franchisekonzept anzuschließen, denn eine nennenswerte Verringerung der Anzahl der Regiebetriebe ist gleichzeitig nicht geplant.
Darüber hinaus sehen Berents und Franchiseleiterin Bärbel Rankl auch „viel Potenzial“ für weiteres Wachstum in der Erweiterung des Angebotes für die bestehenden Betriebe. Entsprechendes organisches Wachstum stellt dabei auch die gedankliche Brücke her zu einem weiteren Wachstumsprojekt, und zwar dem des sogenannten „Kompaktmodells“.
Franchisenehmer, die den Franchisevertrag „Kompakt“ dem deutlich umfassenderen sogenannten „Full“-Vertrag vorziehen, erhalten dabei ein Basispaket, das den anspruchsvollen Euromaster-Standard in der Vermarktung und im Markenauftritt über einige obligatorische Bausteine gewährleisten soll; die komplette Leistungspalette inklusive der Warenwirtschaft (also unter anderem die dazugehörende Software und betriebswirtschaftliche Auswertungen) bietet indes nur die volle Franchisepartnerschaft. Das Kompaktmodell „ist mit einer geringen monatlichen Gebühr noch stärker auf die individuellen Bedürfnisse kleinerer Betrieb zugeschnitten“, erläutert Franchiseleiterin Bärbel Rankl. Die monatliche Systemgebühr im Kompaktmodell beginnt bei 650 Euro und hängt von der Vertragsart und dem Umsatz des Partners ab. Zu dem Kompaktpaket gebe es weitere Leistungen wie beispielsweise aus dem genannten Bereich Warenwirtschaft, die der Franchisepartner individuell bzw. modularartig hinzu buchen kann. Eine Teilnahme am Flotten- und Leasinggeschäft ist in jedem Fall auch Teil des Kompaktmodells. Wie dies auch bei anderen Organisationen gang und gäbe ist, so will sich auch Euromaster ganz bewusst dem Markt öffnen und den Eintritt ins eigene System für interessierte Reifenhändler möglichst erleichtern. Sind die entsprechenden Kompakt-Franchisenehmer erst einmal von der Leistungsfähigkeit und den Vorteilen der Organisation überzeugt, dann – so die Erwartungshaltung in der Euromaster-Zentrale in Mannheim – ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich noch enger einbinden und somit für Wachstum sorgen – anorganisch wie auch organisch. arno.borchers@reifenpresse.de
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