Pirelli-Kalender: Mit Emotionen gegen den Schönheitsterror
Alles ist irgendwie ein bisschen gaga. „Strange und over the top“, wie ein deutscher Journalist sagt, der in einem weichen grünen Sessel im Pariser Fünf-Sterne-Hotel Ritz versinkt und sich dabei genüsslich ein pinkes Macaron in den Mund schiebt. Er ist nicht allein. 260 Journalisten aus der ganzen Welt sind in die französische Hauptstadt gereist, um bei der Vorstellung des legendären Pirelli-Kalender dabei zu sein. Die meisten von ihnen zwei Tage. Das Unternehmen lässt sich den Mythos was kosten. Was genau ist geheim. Aber es muss sich für Pirelli rechnen, denn sonst wäre jetzt nicht bereits der 44. Kalender produziert worden. Wie immer in limitierter Auflage und als Geschenk für von Pirelli auserwählte Freunde und Kunden.
Vorabinterview mit dem Fotografen: Nervöse chinesische Journalistinnen verlieren ihre Contenance, sie drängeln und verteilen böse Blicke, um dann später doch noch eine Stunde warten zu müssen, bis sie zum Tête-à-Tête mit Peter Lindbergh gebeten werden. Der grauhaarige Mann mit Fünftagebart wirkt sympathisch. Er hat ein offenes Gesicht und ein herzliches Lachen. Er trägt eine beige, etwas zu kurz geratene Chino, das schwarze Kurzarmshirt lässt Bauchansatz erkennen. An seinem braun gebrannten linken Armgelenk trägt er zwei Lederbänder. Aus Mode macht er sich nichts. Sagt er und sieht der Betrachter. Muss er aber auch nicht, denn er kann es sich erlauben: Der Deutsche mit Wohnsitz in Frankreich ist einer der international renommiertesten Fotografen. Bereits zum dritten Mal hat er „The Cal“ gestaltet. Pirelli-Chef Marco Tronchetti Provera schwebten Frauen in seiner Reifenfabrik in Settimo Torinese vor, so heißt es.
“Sexy ist für mich das Gegenteil von Bikini und High Heels”
Die Idee hatte keine Chance beim Fotokünstler. Stattdessen fotografierte er Hollywoodstars mit ihren Ecken und Kanten, darunter die 71-jährige Helen Mirren, die 50-jährige Robin Wright, die 49-jährige Nicole Kidman und die 55-jährige Julianne Moore. Zu sehen ist wenig nackte Haut, dafür aber viele Emotionen. In seinem nuscheligen Englisch betont Lindbergh immer wieder:„Sexy ist für mich das Gegenteil von Bikini und High Heels.“ Er wollte mit den Fotos eine andere Art der Nacktheit einfangen, eine die viel wichtiger sei, als nackte Körperteile. Es sei eine Schönheit, die Individualität und den Mut, man selbst zu sein, sowie Empfindsamkeit zum Ausdruck zu bringen. Lindbergh: „Ich wollte keine künstliche Perfektion, sondern die wahre Welt und die Gefühle, die sich hinter den Gesichtern dieser Frauen verbergen.“
Damit bringt er seinen Unmut gegen den Schönheitsterror in der heutigen Zeit zum Ausdruck: „Alles Unvollkommene ist verschwunden, und das lässt nur leere Gesichter übrig“, kritisiert er. Um seine Vorstellung von natürlicher Schönheit und Femininität zu realisieren, hat der Fotograf 14 bekannte Schauspielerinnen abgelichtet: Jessica Chastain, Penelope Cruz, Nicole Kidman, Rooney Mara, Helen Mirren, Julianne Moore, Lupita Nyong’o, Charlotte Rampling, Lea Seydoux, Uma Thurman, Alicia Vikander, Kate Winslet, Robin Wright, Zahang Zivi. Das Durchschnittsalter der Frauen wird mit 44 Jahren beziffert.
Die Aufnahmen wurden im Mai und Juni an fünf verschiedenen Locations gemacht: Berlin, Los Angeles, New York, London sowie am Strand von Le Touquet in Frankreich. 30.000 Fotos hat er dabei geschossen, entstanden ist ein Kalender aus 40 Porträts. Mal wieder in Schwarz-Weiß. Lindberghs einfache Erklärung: „Ich habe ein Problem mit Hauttönen.“ Er ergänzt dann aber doch: „Eine Schwarz-Weiß-Fotografie spiegelt eine andere Wirklichkeit wider, als sie in der wahren farbigen Welt in Erscheinung tritt.“
Polizei und Sprengstoffhunde sorgen für Sicherheit
Um den Kalender in Paris zu präsentieren, sind Nicole Kidman, Uma Thurman und Helen Mirren angereist. Sie fahren mit schwarzen Luxuskarossen mit verdunkelten Scheiben ins noble Hotel Salomon de Rothschild. Auch die Pressemeute wird aus den angemieteten Luxushotels herbeichauffiert. Das Pariser Stadtpalais ist von unzähligen Polizisten und Sprengstoffhunden bewacht. Der unterirdische Konferenzraum ist bis auf den letzten Platz belegt. Geplaudert wird über das Shooting.
Die 71 Jahre alte Schauspiel-Ikone Helen Mirren scherzt während der Präsentation: „Endlich wollte ich mal nackt mit knallroten Lippen und wilden Haaren präsentiert werden und jetzt ist das nichts geworden.“ Natürlich liebe sie ihre Fotos, die sie umhüllt von einer grauen Decke zeigen. „Beim Fotografieren ist man immer nackt. Auch wenn man angezogen ist.“ Fotografiert zu werden gehöre zum Job einer Schauspielerin, „wir mögen das nicht unbedingt, aber wir können das auf dem roten Teppich. Meistens wirkt es auch natürlich.“ Das Innere und damit die Emotionen zu zeigen, mache allerdings Angst und erfordere Mut. Nicole Kidman lässt durchblicken, dass ihr Mann, der Country-Star Keith Urban, sie eh lieber ungeschminkt sieht als mit pompösen Make-up. Ihr Mann habe die Lindbergh-Fotos von ihr bis zu diesem Tag noch nicht gesehen gehabt, „den interessieren eh mehr die technischen Dinge an einem Auto.“
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