Digitale Dienste und Kundennähe entscheiden über langfristigen Erfolg von Lkw-Herstellern

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Lkw-Kunden in Deutschland und Europa wollen hochwertige Fahrzeuge und Dienstleistungen, um ihre Gesamtbetriebskosten zu optimieren und ihre Transportleistung zu maximieren. Sie sind offen für neue digitale Services und auch bereit, diese zu bezahlen, wenn sie die Ökonomie und Effizienz der Fahrzeuge verbessern. Bei Spediteuren geben vor allem leistungsfähige Komplettlösungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg den Ausschlag für den Lkw-Kauf – nicht so sehr günstige Fahrzeugneupreise. Diese Einstellung ist umso ausgeprägter, je größer die Unternehmen und Flotten sind. Das sind einige Ergebnisse der in diesem Jahr zum sechsten Mal durchgeführten Studie „What Matters Most in Europe’s Truck Market“ der internationalen Managementberatung Bain & Company. Befragt wurden darin mehr als 600 Flottenbetreiber von Nutzfahrzeugen über sechs Tonnen in den zehn größten europäischen Märkten zu ihren Kaufkriterien, ihrer Markenloyalität und ihrer Sicht auf digitale Dienste.

Für Lkw-Kunden lautet die wichtigste Frage, wie viel Leistung und Service sie für ihr Geld bekommen – und das über die gesamte Betriebsdauer des Fahrzeugs hinweg. Beim Kauf eines schweren Lkws spielen deshalb die Gesamtbetriebskosten des kompletten Lebenszyklus, sprich: die Total Cost of Ownership, die zentrale Rolle. Sie bestimmen die Kaufentscheidung zu einem Drittel. Die reinen Anschaffungskosten folgen mit 22 Prozent auf Rang zwei. Mit steigender Flottengröße wächst die Bedeutung der Gesamtbetriebskosten, während der Fahrzeugneupreis als Entscheidungskriterium an Relevanz verliert. Die Beziehung zum Händler landet mit 18 Prozent erstmals auf Rang drei der wichtigsten Kaufkriterien. Rang vier belegen mit 17 Prozent die Leistungsmerkmale des Lkws (Abbildung 1).

Während die kostenbezogenen Kaufkriterien in den vergangenen Jahren in Summe gleich geblieben sind, hat die Händlerbeziehung mit 18 Prozent klar an Bedeutung gewonnen. Zudem erreichte damit erstmals ein nichtmonetäres Kaufkriterium die Top-Drei. Diese Entwicklung tritt in großen europäischen Märkten wie Deutschland nicht nur deutlicher zutage als in kleineren Märkten. Auch spiegelt sie Faktoren wider wie verbesserten Service, höhere Händlerdichte, Konsistenz und Qualität in der Kundenbetreuung sowie kaufmännische und digitale Dienstleistungen. Eine große Rolle spielt hierbei die genaue Kenntnis von Segment und Einzelkunde. Beim oft sehr individuellen Produkt Lkw kann ein Händler umso gezieltere und interessantere Angebote machen, je besser er den Kunden und seine Bedürfnisse kennt.

Digitale Dienste sind als neu aufgenommenes Kaufkriterium aus dem Stand auf einen nennenswerten Anteil gekommen. Tatsächlich von Gewicht für die Kaufentscheidung sind sie allerdings nur dann, wenn sie sich über den gesamten Lebenszyklus hinweg positiv auf die Betriebskosten auswirken oder anderen Mehrwert für den Lkw-Betreiber schaffen. Weiter an Relevanz für die Kaufentscheidung verloren hat hingegen die Marke an sich. Ihr Anteil liegt bei nur noch sechs Prozent.

„Die steigende Bedeutung der Händlerbeziehung und der digitalen Dienste bestätigt die Strategie der Premiumhersteller, auf hochwertige Kundenbetreuung und Serviceangebote zu setzen“, stellt Dr. Jörg Gnamm, Partner bei Bain & Company und Autor der Studie, fest.

Die Bain-Studie deckt deutliche Preisunterschiede sowohl beim Anschaffungspreis als auch bei Komplettlösungen auf. Während der reine Kaufpreis als Entscheidungskriterium rückläufig ist, nimmt der durch Komplettlösungen beeinflusste Gesamtpreis an Gewicht zu. Komplettlösungen sind Angebote, die neben dem Lkw weitere Leistungen wie Flottenmanagement, Service, Beratung, Miete oder Finanzierung enthalten. Gerade Premiumhersteller können auf Basis ihres langfristig höheren Fahrzeugwerts plus ihrer Zusatzangebote hier höhere Preise erzielen.

160915_Bain-PM_Truckstudie2016_Abb2_Kundenloyalität_final_tb„Da die Gesamtbetriebskosten zunehmend in den Fokus rücken, müssen die Hersteller ihre Angebote zu einem effizienten Komplettpaket über die Lkw-Betriebszeit bündeln, das neben dem Truck auch Dienstleistungen und Services enthält“, so Gnamm. „Digitale Dienstleistungen werden dabei immer wichtiger und haben großes Differenzierungspotenzial für den Lkw-Hersteller, wenn sie die Gesamtbetriebskosten nachweislich senken.“

Die europäischen Truckhersteller haben im Durchschnitt die Zufriedenheit ihrer Kunden erhöht, auch wenn der sogenannte „NPS“ einiger Hersteller im Vergleich zur Bain-Studie 2012 gesunken ist. Der „Net Promotor Score“, der die Kundenloyalität misst, stieg für die Branche von damals 14 Prozent auf heute 16 Prozent an. Der NPS-Wert unterscheidet sich jedoch stark zwischen den verschiedenen Lkw-Marken, den Flottengrößen und Ländern. Das liegt vor allem daran, dass gewachsene regionale oder sektorspezifische Stärken der Hersteller einen deutlichen Widerhall in der Zufriedenheit der jeweiligen Kundengruppen finden.

Mit wachsender Flottengröße sinkt die durchschnittliche Kundenloyalität. Großkunden sind in der Regel anspruchsvoller und bewerten die Herstellerangebote kritischer. Und je spezialisierter die Kunden sind – so wie in der Bau- oder Abfallwirtschaft –, desto niedriger ist ihr NPS-Wert. Für die Hersteller heißt das, noch besser werden zu müssen in puncto Kundenverständnis und Individualisierung ihrer Angebote.

Zuverlässigkeit bleibt mit 21 Prozent der wichtigste Loyalitätsfaktor, dicht gefolgt vom Service mit 20 Prozent (Abbildung 2). Durch digitale Dienste, insbesondere Online-Monitoring und vorbeugende Wartung, kann die Qualität dieser Angebote noch weiter optimiert werden. „Fahrzeugausfälle sind der Moment der Wahrheit für einen Spediteur“, erklärt Bain-Experte Gnamm. „Wenn der Kundendienst des Herstellers das Problem schnell, professionell und höflich löst, stärkt das die Kundenbeziehung und erhöht die Kaufbereitschaft für Teile und Serviceverträge.“

160915_Bain-PM_Truckstudie2016_Abb3_Digitale Dienste_final_tbKunden und digitale Vorreiter

Bei den digitalen Diensten haben sich aus Kundensicht erste Lkw-Hersteller vom Rest der Branche abgesetzt. Zwischen diesen Vorreitern und den am schlechtesten bewerteten Akteuren klafft eine signifikante Lücke beim NPS-Wert. Dies verdeutlicht den akuten Handlungsbedarf beim Gros der Branche. Denn jeder vierte Lkw-Kunde ist bereit, für interessante digitale Angebote auch zu zahlen.

Insbesondere größere Spediteure präferieren Dienste, mit denen sich die Gesamtbetriebskosten und die Verfügbarkeit der Flotte verbessern lassen. Dazu zählen Fahrerüberwachung, Flottenmanagement, Sicherheit und vorbeugende Wartung. Ebenfalls sehr interessant aus Kundensicht sind Funktionen wie Infotainmentdienste oder Werkstattautomatisierung (Abbildung 3). „Die Mehrheit der Kunden will diese digitalen Services aus einer Hand – und zwar von ihrem bevorzugten Lkw-Hersteller“, betont Gnamm. „Das ist eine Chance, die sich kein Hersteller entgehen lassen wird.“

Obwohl der Lkw-Absatz in den Schwellenländern stark wächst, kommen die stabilen Erträge der sieben europäischen Hersteller nach wie vor aus Europa. Mit 260.000 neu zugelassenen Fahrzeugen ist die EU nach China und den USA weltweit der drittgrößte Markt für schwere Lkws über sechs Tonnen, und dieser wird bis 2021 um jährlich bis zu fünf Prozent wachsen.

Wollen die Hersteller im harten europäischen Wettbewerb weiter mithalten, müssen sie auch künftig in die Loyalität ihrer Kunden investieren. Ein gleichbleibend hoher Standard bei Fahrzeugzuverlässigkeit, Service und Gesamtbetriebskosten bildet die Grundlage. Zudem sollten die Hersteller ihre Methoden zur Kundenanalyse schärfen. Ein fundiertes Kundenverständnis ermöglicht es ihnen, Angebote zu unterbreiten, die noch exakter auf den jeweiligen Kunden zugeschnitten sind. Systematische Investitionen in mehr Kundennähe und in besseren Kundenservice bleiben wichtig, denn das sind die wesentlichen Kaufkriterien.

„Mittelfristig sind intelligente digitale Angebote unumgänglich, um dem Kunden von morgen Services auf der Höhe der Zeit bieten zu können“, resümiert Bain-Partner Gnamm. „Wer hier zurückfällt, läuft Gefahr, nicht nur attraktives Zusatzgeschäft zu verlieren, sondern auch den Anschluss an den Wettbewerb.“

Über die Studie

Für die zum sechsten Mal durchgeführte Studie „What Matters Most in Europe’s Truck Market“ hat Bain & Company mehr als 600 Lkw-Kunden aus den zehn größten europäischen Märkten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Nordics (Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden), Polen, Russland, Spanien und Türkei befragt. Zudem wird im Rahmen der Studie die umfangreiche Branchendatenbank von Bain analysiert, die auch Basis unserer Beratungsarbeit ist. Im Zentrum der diesjährigen Studie stand die Frage, wie gut Lkw-Hersteller die Bedürfnisse ihrer Kunden befriedigen und wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Neben der Markenloyalität wurden die wichtigsten Kaufkriterien und die Bedeutung digitaler Dienste nach Region, Flottengröße und Einsatzart, zum Beispiel Lieferverkehr oder Langstrecke, ausgewertet. ab

 

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