Die Zeichen der Zeit – Großhändler Gewe passt sich an

Reifengroßhändler, die sich heute im oft mengen-, immer aber margenschwachen Markt behaupten wollen, können zwei der Megatrends nicht mehr ignorieren: Einerseits entscheiden heute die logistischen Fähigkeiten mehr denn je über Erfolg und Misserfolg des Unternehmens, gerade in den immer kürzer werdenden Saisonspitzen. Andererseits sorgt das richtige Produktsortiment dafür, sich teilweise unabhängig zu machen von Wettbewerbern im Großhandel wie auch in der Neureifenindustrie, die die Wertschöpfungskette „Reifen“ hin bis zum Endverbraucher zunehmend kontrollieren will. Bei der Gewe Reifengroßhandel GmbH aus Kaiserslautern sieht man sich entsprechend gut aufgestellt. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erläutert Geschäftsführer Achim Becker, was seiner Meinung nach im Großhandel mit Reifen den Unterschied macht – und was nicht.

button_nrz-schriftzug_12px-jpgDieser Beitrag ist in der Januar-Ausgabe der NEUE REIFENZEITUNG erschienen, die Sie hier auch als E-Paper lesen können.

Reifengroßhändler denken immer noch mit glänzenden Augen an das „Jahrhundertjahr 2011“ zurück. Wem es damals nicht gelungen ist, einen anständigen Schnitt zu machen, dem wird es nie gelingen, so die einhellige Meinung aller im Reifenmarkt. Aber wie dem Markt seither wieder in Erinnerung gerufen wurde, geht es von einem hohen Gipfel in der Regel steil bergab. Die Jahre nach 2011 haben für viele Reifengroßhändler die Nagelprobe bedeutet. In einem Markt, indem eben nicht mehr jeder Reifen zwei oder drei Mal verkauft werden kann, müssen andere Dinge den Unterschied machen, weiß Achim Becker. Ganz entscheidend dabei: die logistischen Fähigkeiten.

Der Anspruch an die logistischen Fähigkeiten eines Reifengroßhändlers steigen linear zur Anspruchshaltung im Reifenhandel, Ware quasi just in time geliefert zu bekommen. In den vergangenen Jahren hat sich bekanntermaßen – befeuert durch das Überangebot aufseiten des Großhandels und sich deutlich verbessernder Lieferzeiten – die Neigung im Reifenhandel stark verringert, Ware einzulagern. Man sagt sich: Warum soll ich mir Reifen aufs Lager tun, wenn viele Großhändler die Lieferung binnen 24 Stunden nicht nur versprechen, sondern aufgrund hocheffizienter Warenwirtschaft und Paketdienste auch einhalten. Außerdem nimmt die Anzahl der Spezifikationen pro Reifengröße immer mehr zu, so dass dies die Lagerwirtschaft des Reifenhandels (manchmal auch die des Großhändlers) schlichtweg sprengt.

Der Anspruch an die logistischen Fähigkeiten eines Reifengroßhändlers steigen linear zur Anspruchshaltung im Reifenhandel, Ware quasi just in time geliefert zu bekommen

Der Anspruch an die logistischen Fähigkeiten eines Reifengroßhändlers steigen linear zur Anspruchshaltung im Reifenhandel, Ware quasi just in time geliefert zu bekommen

Achim Becker zufolge bestellen Händler heute im Schnitt nur noch 2,8 Reifen pro Order. Vor Jahren sei dies noch ein Vielfaches des heute gültigen Wertes gewesen. Entsprechend müssten die Prozesse im Lager und in der gesamten Logistikkette zunehmend optimiert werden, um das landläufig gültige Lieferversprechen binnen 24 Stunden einhalten zu können.

Der Geschäftsführer von Gewe Reifengroßhandel erkennt gleichzeitig aber auch einen weiteren Faktor, der die Dramatik der Situation noch verstärkt. Händler, die nicht mehr bevorraten, werden genauso wie nahezu alle Endverbraucher im Land vom Wintereinbruch ‚überrascht’. Sobald der erste Schnee irgendwo im Land fällt und die Medien schöne weiße Winterlandschaften zeigen, beginnt der Run auf den Reifenhandel. Ergo: Die Saisonspitzen – gerade zum Winter hin – werden zeitlich betrachtet immer kürzer und sorgen so für zusätzlichen Druck auf die Logistik im Reifengroßhandel. Wer dann nicht liefern kann, läuft Gefahr, einen Großteil seines Geschäftes zu verlieren. Gerade wenn dann zunehmend Beschwerden über fehlende oder verspätete Lieferungen aufkommen, wird schon mal ein Tyre24-Account vom Plattformbetreiber für mehrere Tage gesperrt; gerade in der Saisonspitze ein Drama für kleine wie große Reifengroßhändler einer entsprechenden Ausrichtung.

Der Kaiserslauterer Reifengroßhändler Gewe – bereits vor 45 Jahren gegründet – hat im Laufe der Jahre kontinuierlich in seine Logistik investiert. Die letzte Großinvestition fand ab 2009 statt, als das Unternehmen am heutigen Standort auf der grüne Wiese für rund 15 Millionen Euro ein komplett neues Zentrallager errichtet hat, da das alte am traditionellen, fünf Kilometer entfernten Standort den aktuellen Ansprüchen nicht mehr genügen konnte, wie Achim Becker im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erläutert. Heute findet das Handelsgeschäft aus zwei großen Hallen mit insgesamt 25.000 m² Fläche statt. Dabei sei auch die räumliche Trennung des Reifen- und des Rädergeschäftes – seit 15 Jahren für Gewe Reifengroßhandel ein zentraler Bestandteil des Angebotes (dazu unten mehr) – von großer Bedeutung; das Unternehmen baute 2011 eine zweite Halle zur Lagerung der Felgen am Standort.

Gewe Reifengroßhandel betreibt keine eigene Komplettradmontagestraße. Während kleinere Aufträge heute immer noch intern an den acht Montageplätzen bedient werden, so werden größere Aufträge mitunter an externe Dienstleister vergeben, um die angebotenen Lieferzeiten einhalten zu können. Die Kaiserslauterer betreiben im Übrigen darüber hinaus auch drei kleinere Montagebetriebe in der Region.

Im neuen Jahr plant das Unternehmen nun eine weitere große Investition. Wie Achim Becker erläutert, würden dann rund zwei Millionen Euro in eine neue Umschlagstation investiert werden. Man wolle künftig das Be- und Entladen der Lkws und Containerbrücken voneinander trennen, um die Prozesse im Zentrallager weiter zu optimieren. Die Einweihung der rund 4.000 m² großen Halle in direkter Nachbarschaft zu den beiden bestehenden Hallen sei für den kommenden Sommer geplant. Eine nebenan bestehende Freifläche auf dem insgesamt 40.000 m² großen Firmengrundstück soll unterdessen erhalten bleiben.

Gewe Reifengroßhandel mit Hauptsitz in Kaiserslautern beschäftigt 45 Mitarbeiter und setzte 2015 rund 40 Millionen Euro um

Gewe Reifengroßhandel mit Hauptsitz in Kaiserslautern beschäftigt 45 Mitarbeiter und setzte 2015 rund 40 Millionen Euro um

Apropos Standort. Landläufig geht man im Markt davon aus, dass Reifengroßhändler mit zentraler Lage in Deutschland einen Vorteil gegenüber dezentral ansässigen Unternehmen haben. Das sieht auch Achim Becker so, betont allerdings, man dürfe entsprechende Zeitgewinne nicht überbewerten. Und was die Versandkosten für Pkw-Reifen bei den Paketdiensten betrifft, mache der Standort des Lagers in Deutschland keinen nennenswerten Unterschied. Dies trifft allerdings für den Versand von Schwerreifen per Spedition, also Lkw-, AS- oder OTR-Reifen, nicht zu, räumt der Geschäftsführer ein. Ein diversifiziertes Produktangebot biete allerdings wiederum andere Vorteile; auch dazu unten mehr.

Logistik ist indes nicht alles, es kommt auch auf die richtige Mischung des Kundenservices an, für den eben auch die persönliche Kundenansprache und die Ansprechbarkeit von großer Bedeutung ist – trotz aller IT’isierung des Reifengroßhandels. Gerade in den immer steiler werdenden Saisonspitzen kommt es unweigerlich immer wieder einmal zu Problemen. Großhändler, die dann personell und prozessseitig nicht imstande sind, kurzfristig auf entsprechende Anfragen am Telefon, per E-Mail oder über das Bestellsystem zu reagieren und die ‚Probleme’ der Kunden zu lösen, haben im immer härter werden Wettbewerb schnell schlechte Karten. Entsprechend achten Achim Becker und Ingo Döring – ebenfalls Geschäftsführer und Gesellschafter der GmbH – darauf, das Serviceniveau so hoch wie möglich zu halten.

Der zweite Megatrend, den man auch bei Gewe Reifengroßhandel zunehmend beachtet, ist der des richtigen Produktsortiments. Nun gilt es seit jeher, dass nur derjenige im Reifengroßhandel erfolgreich sein kann, der die Reifen hat, die auch nachgefragt werden. Ohne Frage erhält diese triviale Feststellung aber mittlerweile durch einen gewissen Trend eine neue Dimension, die den Markt grundsätzlich verändert. Und zwar dadurch, dass immer mehr Reifenhersteller sich ihre eigenen Netzwerke schaffen, Biotopen gleich, in denen sie sich nahezu selbst genügen und die Warenströme kontrollieren können.

Es ist nicht mehr zu übersehen, dass gerade die Riege der großen Premiumhersteller – Michelin und Continental vorneweg – zunehmend den direkten Zugriff auf den Reifengroßhandel sucht und darüber hinaus auch eigene Betriebe und vor allem Partnerbetriebe im Einzelhandel an sich bindet. Der Grund für die Industrie, die Wertschöpfungskette „Reifen“ bis hin zum Endverbraucher zunehmend kontrollieren zu wollen, ist der rapide Preisverfall ihrer hochwertigen Produkte. Kontrolle der Vertriebswege soll hier Abhilfe schaffen und Preise stützen. Außerdem kann durch entsprechende Kontrolle natürlich der am Tresen verkaufte Markenmix (mit-)bestimmt werden. Gut für die Industrie dabei: Es gibt nicht wenige Großhändler im Markt, die ihre Betriebe lieber heute als morgen verkaufen wollen.

Zunehmend stehen folglich ‚unabhängige’ Reifengroßhändler vor der Frage, welche Marken sich für sie noch wirklich lohnen. Wie viele andere Großhändler auch, so hat auch Gewe Reifengroßhandel die Entscheidung zu einer speziellen markenseitigen Ausrichtung getroffen. Dass dabei Premiummarken zunehmend an Bedeutung verlieren, scheint für Achim Becker eine logische Konsequenz des gegenwärtigen Markttrends hin zu mehr kontrollierter Distribution durch die entsprechenden Hersteller zu sein.

Gleichzeitig hat der Großhändler sich sehr darum bemüht, eine eigene Markenwelt aufzubauen, die abseits des hier beschriebenen Markttrends eine nachhaltige Zukunft bieten soll. Becker spricht in diesem Zusammenhang vom „vollzogenen Markenswitch“. Heute bezeichnet der Gewe-Geschäftsführer die Hersteller Hankook, Nexen, Kumho und Toyo als seine Premiumpartner und sieht sich damit auf einem guten Weg.

Entsprechende Partnerschaften sind dabei genauso im Sinne des Großhändlers wie sie im Sinne des jeweiligen Herstellers sind, der im Wettbewerb mit den Großen am Markt – also den Tier-1-Herstellern – bestehen muss; entsprechende Allianzen sichern den Herstellern, die (noch) nicht mit einer Kontrolle der Wertschöpfungskette „Reifen“ bis hin zum Endverbraucher ausgestattet sind, die notwendigen Mengen. Außerdem sichern solche Allianzen den Reifengroßhändlern auch die notwendigen Mengen, um von Einkaufsvorteilen profitieren und im Wettbewerb mit anderen bestehen zu können. Wer alles macht, hat im Markt kein Profil, und kann im Preiswettbewerb kaum mithalten; Fokussierung ist wichtig.

Neben einer entsprechenden fokussierenden Markenstrategie sei es für Großhändler wie Gewe immer wichtiger, sich auch mit Exklusivmarken am Markt zu positionieren. Seit etwas mehr als einem Jahr bietet des Kaiserslauterer Unternehmen daher die Marke „Atlas Performance Tyres“ an. Von Shandong Linglong in China produziert, vertreibt Gewe Reifengroßhandel die Marke exklusiv in Deutschland. Seit Einführung der Marke in Deutschland sei das Produkt-Line-up vom Hersteller ausgebaut worden. Insbesondere die Einführung des Ganzjahresreifens „Atlas Allseason Green 4S“ im vergangenen Sommer habe die Akzeptanz des Produktes im Markt weiter deutlich gesteigert, so der Geschäftsführer. Eine Marke wie Atlas sei „ein absolutes Muss für die Kundenbindung und die Identität im Markt“, findet Becker. Außerdem ist das Geschäft mit Eigen- bzw. Exklusivmarken traditionell ein überaus margenstarkes; das sei auch bei Atlas-Reifen der Fall.

Wichtig für den Erfolg einer entsprechenden Marke seien einerseits langfristige Beziehungen zum Hersteller und/oder zum Inhaber der Markenrechte, andererseits aber auch exklusiv gehaltene Partnerschaften zu Reifenhändlern. Stichwort dabei: Stützpunkthändler. Wenn auch kurzfristig schwer zu steuern, so müssen diese Händler Gewe Reifengroßhandel zusagen, die Marke Atlas aus den Plattformen herauszuhalten, damit den Reifen nicht dasselbe Schicksal ereilt wie fast allen anderen Marken – das des unaufhaltsamen Preisverfalls.

Bereits vor 15 Jahren hat Gewe Reifengroßhandel mit dem Vertrieb von exklusiven Rädermarken begonnen. Was damals mit der Marke ASA (gehörte seinerzeit zu Hankook) begann, wurde vor sieben Jahren durch die preislich attraktivere Marke Tec by ASA ergänzt, um im vergangenen Herbst komplett in der neuen Marke Tec Speedwheels zusammengeführt zu werden – mit immerhin 2.000 verschiedenen Anwendungen. Das Unternehmen kann derzeit rund 130.000 eigene Räder jährlich vermarkten, so Becker anlässlich der Essen Motor Show, wo das Unternehmen seit jeher seine Rädermarken präsentiert. Gerade in jüngster Vergangenheit habe man das Komplettradgeschäft auf eigenen Felgen extrem steigern können, betont Becker und erwartet hier weitere gute Steigerungen. Gefertigt werden die Räder in mehreren asiatischen Werken von Produktionspartnern. Stahlräder vermarktet das Unternehmen dabei nicht.

Während sich Gewe Reifengroßhandel seit der Gründung vor 45 Jahren im Produkt- und Serviceangebot stark entwickelt hat, hat sich eines doch in all den Jahren nicht verändert: Gewe ist und bleibt Vollsortimenter, wie Achim Becker im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG betont. Dazu zählen Lkw- und EM-Reifen genauso wie Ackerschlepper-, Implement- und MPT-Reifen wie auch Kleinreifen; selbst Schläuche gehören dementsprechend zum Angebot. Grundsätzlich gelte für Großhändler heutzutage, alles, was nicht Pkw-Reifen ist, ist tendenziell gut fürs Geschäft, bilanziert der Gewe-Geschäftsführer seine Erfahrungen der vergangenen Jahre. Folglich wolle man auch in Zukunft breit aufgestellt bleiben und sich damit von marktüblichen Zyklen ein Stück weit unabhängiger machen.

Gewe Reifengroßhandel konnte 2015 seinen Umsatz um rund zehn Prozent auf jetzt 40 Millionen Euro steigern; das Unternehmen beschäftigt 45 Mitarbeiter. arno.borchers@reifenpresse.de

 

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