Bei den Standards für Winterreifen ist „noch deutlich Luft nach oben“
Der Winterreifenmarkt ist in vielerlei Hinsicht in Bewegung bei Pkw- wie bei Lkw-Reifen. Um einige dieser Bewegungen einzufangen. Hat die NEUE REIFENZEITUNG ein Interview mit dem Marketingdirektor Nutzfahrzeugreifen im DACH-Markt bei der Goodyear Dunlop Tires Germany GmbH Michael Locher führen können:
NEUE REIFENZEITUNG: Europa erscheint wie ein Flickenteppich angesichts der zahlreichen national voneinander abweichenden Gesetze und Vorschriften hinsichtlich der winterlichen Bereifungen, der von Jahr zu Jahr bunter zu werden scheint. Aber ist es aufgrund allein schon der klimatischen Abweichungen zwischen beispielsweise nordischen Staaten und Mittelmeeranrainern überhaupt sinnvoll, eine wenigstens teilweise Harmonisierung anzustreben?
MICHAEL LOCHER: Eine Harmonisierung müsste in der Tat den jeweilig unterschiedlichen klimatischen sowie topografischen Gegebenheiten Rechnung tragen. Dass es Handlungsbedarf gibt, werden ihnen die Transportunternehmen bestätigen können. Ein Mehr an rechtlicher Sicherheit sowie eine Reduzierung des Aufwands ist für sie vonnöten. Dies könnte in einem ersten Schritt mit der Schaffung eines einheitlichen Fundaments für einzelne Regelungen erreicht werden. Darunter verstehe ich beispielsweise ein gemeinsames Verständnis der zentralen Frage, was überhaupt als Winterreifen gilt. Ein einheitlicherer Rahmen wäre natürlich auch der Reifenbranche dienlich. Für die gemeinsame Definition strenger Anforderungen könnten – in einem nächsten Schritt –beispielsweise Länder wie Österreich als Orientierung dienen. Welche Vorschriften sich in der Praxis wirklich bewähren, sollte jedoch auch über Vergleichsanalysen in einem Länderpanel ergründet werden. Die Frage hierbei lautet: Welche Gesetzgebung bringt welche Unfall- und Pannenzahlen mit sich? Welche weiteren Faktoren spielen eine Rolle? Darauf aufbauend wäre eine verstärkte Harmonisierung denkbar.
NEUE REIFENZEITUNG: Nachdem inzwischen auch immer mehr Budgetwinterreifen im Lkw-Segment neben der ohnehin aussagefreien M+S-Kennzeichnung auch Schneeflocke und 3PMSF-Symbol auf der Seitenwand tragen, frage ich mich, ob auch das nicht sukzessive zu einem Muster ohne Wert verkommt.
MICHAEL LOCHER: Was die M+S-Markierung angeht, ist hier bestimmt eine gewisse Beliebigkeit erkennbar. Das ist auch wenig verwunderlich, denn diese kann von den Reifenherstellern zur Abgrenzung gegenüber regulären Ganzjahresreifen frei verwendet werden. Das „three-peak-mountain snowflake“-Symbol – auch als Schneeflockensymbol bekannt – darf hingegen erst zum Einsatz kommen, wenn der Reifen eine für alle Hersteller standardisierte Testprozedur für grundlegende Wintertauglichkeit erfolgreich durchlaufen hat. Diese klar definierten Mindeststandards sind ja immerhin etwas, auch wenn es noch deutlich Luft nach oben gibt. Für Fahrten in sehr schneereichen oder auch in sonstigen schwierigen Gegenden wie im Gebirge vermarkten wir unseren „echten“ Winterreifen Ultra Grip Max, der noch mehr Sicherheit und Mobilität bietet, daher bewusst gesondert – auch wenn er natürlich mit M+S sowie 3PMSF markiert ist. Hierfür eine zusätzliche, höhere Messlatte mit verbindlichen Werten anzulegen, wäre ein gangbarer Weg.
NEUE REIFENZEITUNG: Ein Kollege hat das Reifenlabel mal als Sommerreifenlabel bezeichnet. Wäre ein Winterkriterium beim Labeling für Lkw-Reifen in fernerer Zukunft überhaupt vorstellbar angesichts von Achspositionierungen und so unterschiedlichen Anwendungen im Gegensatz zu Pkw-Reifen?
MICHAEL LOCHER: Die im Label ausgewiesene Nasshaftung hat tatsächlich nur sehr wenig mit der Schneetauglichkeit zu tun, auf die es beim Winterreifen hauptsächlich ankommt. Das Label ist jedoch für viele Transporteure ohnehin von eher eingeschränkter Bedeutung, denn trotz der höheren Transparenz informiert es eben nicht über alle bzw. nicht unbedingt über die Produkteigenschaften, die für sie relevant sind. Unabhängige Prüfstellen testen mindestens 15 Kriterien. Wir betrachten sogar mehr als 50 Leistungseigenschaften bei der Reifenentwicklung. So könnten zusätzliche Angaben über Laufleistung, Trockenhandling oder eben Schneetraktion grundsätzlich interessant sein. Die Frage ist nur, ob der enorme Aufwand, den das mit sich bringen würde, wirklich nötig ist. Und weshalb sollte man gerade die Wintertauglichkeit mit aufnehmen, wenn andere Eigenschaften mindestens ebenso wichtig sind? Es wäre allerdings vergleichsweise einfach, die M+S- sowie die 3PMSF-Markierungen auf dem Label anzugeben.
NEUE REIFENZEITUNG: Nach viel Optimismus zum Jahresbeginn fürs Ersatzgeschäft Lkw-/Busreifen im deutschen Markt erfolgte in den ersten Monaten des Jahres Ernüchterung, in diesem Sommer scheint der Markt dann doch noch ins Plus zu drehen. Sind die Voraussetzungen für ein gutes Winterreifengeschäft bei Lkw-Reifen und damit eine positive Jahresbilanz für 2015 doch noch günstig?
MICHAEL LOCHER: Wir sehen recht vielversprechende Signale aus dem Handel, aber auch von Endverbrauchern. Der Gesamtmarkt wird aller Voraussicht nach auf dem Niveau des Vorjahres liegen oder sogar etwas darüber.
NEUE REIFENZEITUNG: Preisgünstige Lkw-Neureifen aus Fernost haben ihren Platz im Ersatzgeschäft gefunden. Können Premiumhersteller wie Goodyear Dunlop mit ihren Zweit- und Drittmarken sowie Werksrunderneuerten dagegenhalten, angesichts der Saisonalität bei der Umrüstung auf Winterreifen haben sie doch eigentlich einen Zeitvorteil, denn auf recht plötzliche Marktbewegungen können die Billigimporteure wegen ihrer Lieferfristen viel schlechter reagieren?
MICHAEL LOCHER: Gerade mit unserem Premium-Fokus auch im Bereich Runderneuerung bewegen wir uns in einem völlig anderen Segment. Unsere Premiumreifen – neu wie runderneuert – erfüllen auf allen Gebieten höchste Anforderungen, hier finden sich immer die neuesten Innovationen wider. Im Bereich Premium verfügen wir zudem über die größte Bandbreite an Reifen. Zum einen sind hier unsere Spezialisten wie der Fuelmax und der KMax angesiedelt, zum anderen weisen wir hier das breiteste Spektrum an Dimensionen auf. Preiswertere Reifen – bei uns im Goodyear Dunlop-Konzern von der deutschen Qualitätsmarke Fulda repräsentiert – bieten hingegen einen guten Standard, von der Qualität bis hin zu den Größen. Wir offerieren mit der Marke Fulda zwar nicht den günstigsten Preis, aber ein überzeugendes Gesamtpaket. Wir sehen uns damit bestens aufgestellt und grenzen uns auch hier klar gegenüber Billigreifen ab. Durchaus verfügen wir darüber hinaus zusätzlich über einen Zeitvorteil. Es ist stets unser Ziel, auf Nachfrageveränderungen kurzfristig einzugehen. Unser breites Portfolio ist dabei natürlich von Vorteil.
NEUE REIFENZEITUNG: Wo wir schon bei Runderneuerten sind. Die verlieren in den letzten Jahren immer mehr Anteile gegenüber Neureifen. Speist sich der Marktanteilsgewinn der preisgünstigen Importreifen vor allem aus diesem Reservoir?
MICHAEL LOCHER: Das Transportgewerbe wird bekanntermaßen vom Thema Preis bestimmt. Die Kostenfrage ist immer die erste und sie wird je nach Unternehmen unterschiedlich gelöst. Das Minus kommt eher aus dem Bereich Baustelle und der Entwicklung bei kleineren Unternehmen. Grundsätzlich nimmt der Runderneuerungsmarkt einen bedeutenden Anteil am Gesamt-Lkw-Reifenmarkt ein und wir sehen hier noch Wachstumspotenzial in den nächsten Jahren. Dies gilt insbesondere für große, professionelle Flotten im Bereich Fernverkehr, die auf die Wirtschaftlichkeit von Premiumprodukten setzen. Wir stellen insgesamt eine Verschiebung des Marktes hin zu Premiumprodukten bei der Runderneuerung fest. Daher spüren wir aufgrund unserer entsprechenden Ausrichtung bei der Runderneuerung praktisch keine Effekte.
NEUE REIFENZEITUNG: Herr Locher, vielen Dank für die ausführlichen und informativen Statements, die uns Hinweise geben, wie sich Nfz-Winterreifenmarkt im Speziellen und Lkw-Reifenmarkt im Allgemeinen entwickeln werden. detlef.vogt@reifenpresse.de
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