Kaltstart-Neustart bei Reifen Meisen: Familienbetrieb mit Tradition, Zäsur und Zukunft
Man muss sich über jedes Unternehmen freuen, das den Weg zurück aus der Insolvenz in den Markt findet und sich dort wieder langfristig als Marktteilnehmer etabliert. Blicken die Meisens zurück auf die Geschehnisse vor mittlerweile über fünf Jahren, dann ist ihnen immer noch anzumerken, durch welches tiefe Tal der Familienbetrieb ‚in der großen Krise’ damals gegangen ist. Nun sehen sich die Verantwortlichen beim Groß- und Einzelhändler und Offroadexperten Reifen Meisen mit Sitz in Solingen aber wieder klar auf Kurs, wobei der neue Kurs längst nicht mehr der alte ist, wie die NEUE REIFENZEITUNG erfuhr. „Man muss einfach nach vorne sehen“, so das Credo bei Reifen Meisen, das längst nicht mehr den Anschein von Zweckoptimismus hat.
Als einer der Reifen-Meisen-Lieferanten in den für alle Marktteilnehmer schwierigen Zeiten ab 2008 nicht mehr länger auf sein Geld warten mochte, schien es um den Familienbetrieb geschehen zu sein. Erst drei Jahre zuvor hatten Susanne Becker, Andrea Haensel, Michael Meisen und Stefan Meisen den Betrieb von ihren Eltern übernommen. Als dann – ausgerechnet im Jahr des 80-jährigen Firmenjubiläums – die Zahlungsunfähigkeit über die Meisens hereinbrach, schien die Zukunft mehr als ungewiss, trotz in der Insolvenz stets weiter laufender Geschäfte.
Wie sich Susanne Becker und Stefan Meisen – die beiden Geschäftsführer der Groß- und Einzelhandel für Reifen, Felgen und Werkstattbedarf D. Meisen Vertriebs GmbH – jetzt im Gespräch mit dieser Zeitschrift erinnern, war das Unternehmen schon vor der Zäsur 2008 mit Entscheidungen konfrontiert, die die Struktur des Unternehmens und dessen Wachstum maßgeblich beeinflusst haben und weiter beeinflusst hätten. Über die Jahre hatte sich Reifen Meisen zu einem etablierten Reifengroßhändler für den deutschen Markt entwickelt und war dabei schnell gewachsen. Erst 2002 wurde am Standort Dycker Feld in Solingen das neue Büro- und Lagergebäude mit rund 3.500 m² Fläche und Platz für mehr als 100.000 Reifen eingeweiht. Zum Ende des vergangenen Jahrzehnts hin machte das Unternehmen insgesamt einen Umsatz von bis zu 50 Millionen Euro und beschäftigte rund 70 Mitarbeiter.
Die Frage, die sich damals stellte, so Stefan Meisen, jüngster der vier Geschwister: Investiert Reifen Meisen weiter in die Logistik und das Wachstum des Großhandels und versucht damit, zu den Großen der schnelllebigen Branche aufzuschließen, oder soll man sich auf altbekannte, margenstarke Marktsegmente des Einzelhandels (zurück-)besinnen? Nun, genügend Zeit, darauf eine unabhängige und eigenverantwortete Antwort zu geben, blieb der Familie nicht, kam der Insolvenzantrag doch dazwischen.
Dass das Unternehmen dann bei laufendem Betrieb gesund geschrumpft wurde, kommt einer glücklichen Fügung gleich, hatten im Laufe der vergangenen Jahre doch nicht alle in schweres Gewässer geratene Marktteilnehmer irgendwann wieder festen Boden unter den Füßen. „Die Zeit damals war unglaublich schwierig“, erinnert sich Stefan Meisen heute. Es seien damals aber immerhin ‚nur’ zehn Kündigungen ausgesprochen worden, während sich viele der damaligen Mitarbeiter aus Lager und Verwaltung selber neue Arbeitsplätze suchten; die Auszubildenden konnten indes alle ihren Abschluss machen. Auch hätten die Gläubiger von damals allesamt eine deutlich überdurchschnittliche Quote ausgezahlt bekommen, nachdem der bestellte Insolvenzverwalter den Lagerbestand verkauft hatte. Auch daran könne man sehen, dass das Unternehmen von damals „zu keinem Zeitpunkt überschuldet“ war, sondern ausnahmslos ein Liquiditätsproblem hatte – immerhin.
Wie Susanne Becker erklärt, habe man sich während des Umbruchs auf alten Stärken im Einzelhandel besinnt und das Streben nach quasi ungezügeltem Wachstum im Reifengroßhandel zu den Akten gelegt. Machte das Filialgeschäft in Spitzenzeiten des Großhandels gerade einmal noch einen kleinen einstelligen Prozentsatz am Gesamtumsatz aus, so formulierte man damals die Marschrichtung für die Zukunft: Der Einzelhandel sollte wenigstens wieder ein Viertel des Umsatzes beisteuern, während die verbleibenden drei Viertel aus dem regionalen Reifengroßhandel und aus dem Großhandel mit Nischenprodukten stammen sollte; alles nicht unbedingt margenschwache Marktsegmente. Dieses Ziel kann heute als erreicht gelten und dessen Erreichung wurde dabei maßgeblich von der Insolvenz im Jubiläumsjahr 2008 beschleunigt.
Bereits damals betrieb Reifen Meisen zwei Niederlassungen, eine in Solingen, eine weitere im linksrheinischen, 40 Kilometer entfernten Grevenbroich. Beide Betriebe, insbesondere aber der Stammbetrieb in Solingen, galten und gelten in der Branche und in der Region als ausgemachte Offroad-Center. Dazu gehört nicht nur die Vermarktung von neuen und runderneuerten 4×4-Reifen, sondern auch die Vermarktung im Einzel- und Großhandel von Fahrzeugzubehör für sämtliche Offroader. Ein Reifenhändler, der sich als Spezialist im Offroadsegment etablieren will, stecke ganz automatisch auch mitten im Thema Autoservice. Dieses Geschäft wollte man ebenfalls parallel zum Abbau des Großhandelsanteil am Gesamtumsatz weiter ausbauen, was mehr als gelungen ist, heißt es dazu jetzt bei Reifen Meisen. Zum Autoservice gehört natürlich auch eine verstärkte Hinwendung zum Rädergeschäft, das für das Unternehmen jetzt ebenfalls eine größere Rolle spielt.
Über die Weiterentwicklung bestehender (Kern-)Kompetenzen bei Reifen Meisen hinaus hat sich das Traditionsunternehmen nach 2008 aber auch in gänzlich neue Richtungen aufgemacht. So vermarktet das Unternehmen seit Kurzem eben auch Werkstattausrüstung von Cormach aus dem norditalienischen Correggio, wo auch andere namhafte Maschinenhersteller ansässig sind. Zum angebotenen Sortiment gehören Wagenheber, Montage- und Auswuchtmaschinen oder Hebebühnen, die in Solingen zum Teil endmontiert werden. Über Italmatic – ebenfalls aus Italien – vertreibt Reifen Meisen darüber hinaus auch Verbrauchs- und Gebrauchsartikel für die Werkstatt, etwa Ventile, Gewichte, Werkzeug etc. „Dieses Geschäft läuft sehr stabil übers Jahr gesehen“, befindet Stefan Meisen.
Ein ebenfalls komplett neues Nischengeschäft, dem sich Reifen Meisen erst seit rund vier Jahren intensiv widmet, ist das Industriereifengeschäft. Heute vertreibt das Unternehmen exklusiv Vollgummireifen von Italmatic und Malatesta (ebenfalls aus Italien) sowie seit Ende dieses Jahres auch von Nexen Corporation in Deutschland und montiert diese auch direkt beim Kunden mit einer mobilen Presse. Gerade die Nexen-Industriereifen kommen als OE-Reifen mit etlichen Staplern aus Korea – etwa von Hyundai oder Doosan – nach Deutschland und bieten auch Reifen Meisen einen kontinuierlich wachsenden Erstmarkt. Neben den hier genannten Exklusivmarken vertreibt das Unternehmen natürlich auch die Marken anderer namhafter Industriereifenhersteller. Auch hier gilt: Das Geschäft läuft kontinuierlich und bietet außerdem gute Wachstumschancen und auskömmliche Margen, so Stefan Meisen weiter, wachse der Markt für Vollgummireifen doch stetig an.
Ein Geschäftsfeld, das man ebenfalls bei Reifen Meisen erst vor knapp vier Jahren erschlossen hat, ist das des Kontraktlogistikers. 2010 schloss der Reifenhändler ein Abkommen mit Marangoni Tyre aus Italien. Danach nutzte der italienischen Neureifenhersteller das Meisen-Lager in Solingen für seine eigene Logistik. Über dieses sogenannte „Deutschland-Lager“ vertrieb Marangoni dann bis zu 200.000 Reifen im Jahr auf dem hiesigen Reifenmarkt, wobei Reifen Meisen sich um den Versand und gewisse damit zusammenhängende Back-Office-Services kümmerte.
Bekanntlich hat Marangoni Tyre die Neureifenproduktion in diesem Sommer beendet, was auch für die Geschäftsbeziehung mit Reifen Meisen das Ende bedeutet. Wie Susanne Becker und Stefan Meisen erklären, habe man aber bereits nahezu reibungslos einen passenden Ersatz für den Marangoni-Logistikkontrakt gefunden, so dass das Lager auch nach dem 31. Dezember 2013 stets eine hohe Auslastung haben sollte. Details dazu mochte man bei Reifen Meisen zum Zeitpunkt des Gesprächs mit der NEUE REIFENZEITUNG indes noch nicht verraten. Übrigens: Während zwar Marangoni-Neureifen in Zukunft (auch) nicht mehr über Reifen Meisen zu haben sind, bleiben runderneuerte Pkw-/LLkw- und vor allem 4×4-Reifen von Marangoni unter dem Markennamen „Marix“ weiterhin im Sortiment des Reifenhändlers aus Solingen; Marix-Lkw-Reifen werden nicht angeboten.
Rückblickend ist man bei Reifen Meisen nicht unglücklich über den Verlauf der vergangenen fünf Jahre. Sicher, Mitarbeiter während der Insolvenz entlassen zu müssen, sei gerade für einen Familienbetrieb wie Reifen Meisen schwer gewesen. Aber dadurch, dass dem Unternehmen in dieser Zeit etliche Entscheidungen aus der Hand genommen wurden, konnte die Neuausrichtung hin zu mehr Einzelhandel, mehr margenstarke Nischen und neue Marktsegmente in einer Zeit vollzogen werden, die ansonsten wohl kaum möglich gewesen wäre.
Den Kaltstart-Neustart nach der Insolvenz sieht Stefan Meisen zum großen Teil auch als Leistung der Mitarbeiter und der Familie – alle hätten stets an der Erreichung des Ziels mitgewirkt: den Betrieb als Ganzes nicht zu gefährden. Heute genügt sich Reifen Meisen mit seinen 25 festen Mitarbeitern und einem Jahresumsatz in Höhe von gut zehn Millionen Euro wieder selbst. Die Zeiten, in denen man nach zügellosem Wachstum strebte, sind längst vorbei. Man trägt sich zwar mit der Idee, vielleicht einmal weitere Niederlassungen in der Region zu eröffnen. Aber wer weiß … das wird die Zukunft zeigen – „Man muss einfach nach vorne sehen“, so das Credo bei Reifen Meisen. arno.borchers@reifenpresse.de
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