Testosteron: Die Potenz von Reifen testen (lassen)
Wenn ein Reifenhersteller ein neues Produkt vorstellt, kann ihm eigentlich nichts Besseres passieren, als dass dieses gleich zur Markteinführung mit einem Testsieg glänzen kann. Um dem Fall vorzubeugen, dass es bei einem der unabhängigen Vergleiche der einschlägigen Magazine nicht klappt, bauen in jüngerer Vergangenheit mehr und mehr Unternehmen vor und lassen einfach testen.
Mehr oder weniger regelmäßig jeweils im Frühjahr und im Herbst veröffentlichen Zeitschriften wie ADAC Motorwelt, Autobild, Autozeitung, Auto Motor und Sport etc. ihre neuesten Testergebnisse für Pkw-Sommer- bzw. -Winterreifen. Nicht zu vergessen sind auch die Vergleiche von Motorradreifen zu Beginn einer jeden Saison etwa durch Motorrad oder vergleichbare Magazine für Zweiradfans. Im Nachgang zu den jeweiligen Veröffentlichungen ist von der einen oder anderen Seite immer mal wieder zu hören, dieser oder jener Hersteller habe sich das gute Abschneiden seines Produktes womöglich erkauft. „Jeder Idiot kann sich an drei Fingern abzählen, von wem diese Tests gekauft sind“, kommentierte beispielsweise jüngst erst ein Leser eine Onlineumfrage der NEUE REIFENZEITUNG zum Thema Reifentests, und schnell fand sich jemand, der meinte, ihm beipflichten – „Sicher sind die Reifentests gekauft“ – zu müssen. Selbst wenn ein gesundes Maß an Skepsis nie schaden kann, so hat es in der jüngeren Vergangenheit allerdings keinen konkreten Anlass gegeben, an der Seriosität bzw. Unabhängigkeit der veröffentlichten Testergebnisse der etablierten Automobil- oder Motorradzeitschriften zu zweifeln.
Wie aber steht diesbezüglich aus, wenn die Reifenindustrie selbst eine Organisation wie beispielsweise TÜV Süd, Dekra oder das Motorrad TestCenter einem Produktvergleich beauftragt? Ohne den testenden Unternehmen ein unkorrektes Vorgehen vorwerfen zu wollen oder gar beweisen zu können, muss man dennoch keinerlei wahrsagerischen Fähigkeiten vorweisen können, um zu behaupten, dass das Produkt des Auftraggebers bei einem solchen – gerne als „neutral und unabhängig“ beschriebenen – Vergleich in der Regel immer zu den Gewinnern zählen wird. Was denn auch sonst: Wohl kein Unternehmen der Welt gibt Geld für einen Vergleichstest aus, bei dem dann womöglich ein Wettbewerbsmodell oder vielleicht sogar mehrere besser abschneiden als das eigene Produkt. Und falls die Konkurrenz möglicherweise aus irgendeinem Grund doch unerwartet die Nase vorn haben sollte, dann ist davon auszugehen, dass die Verantwortlichen auf Auftraggeberseite genügend Grips besitzen, diese unangenehme Erkenntnis für immer totzuschweigen und die kompletten Testergebnisse in der Versenkung verschwinden zu lassen.
Das mit den Tests beauftragte Unternehmen wird seinerseits nämlich den Teufel tun und die Ergebnisse von sich aus in Welt hinaus posaunen – zumindest dann nicht, wenn man auch in Zukunft mit dem Auftraggeber im Geschäft bleiben möchte. Unabhängig von einer sich einem solchen Vertrauensbruch mit hoher Wahrscheinlichkeit anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung beider Seiten würde eine derartige Illoyalität mit größter Sicherheit außerdem andere Kunden aus der Branche abschrecken, sodass noch mehr potenzielle Aufträge futsch wären. Insofern dürfte in dieser Konstellation also Auftraggeber wie Auftragnehmer daran gelegen sein, dass die Ergebnisse des Tests so ausfallen wie von dem zahlenden Kunden gewünscht. Um das sicherzustellen, kann man natürlich von vornherein das Prüfprozedere so gestalten respektive die Testdisziplinen derart auswählen, dass letztlich „das Richtige“ hinten rauskommt. Man kann sich an den fünf Fingern einer Hand abzählen, welche Aussagekraft diese Art des Vergleiches hat: Werden entsprechend der jeweiligen Herstellerphilosophie bei Reifentests nur bestimmte Kriterien in den Vordergrund gerückt werden, dann gibt es nämlich plötzlich ganz ganz viele Testsieger im Markt. Dass diese dann mitunter nur bei einem im wahrsten Sinne des Wortes „gekauften“ Test vorne liegen, muss nicht zwangsläufig gleich jedermann auffallen. Zumal wenn man – wie so mancher Endverbraucher mit seinem in der Regel eher geringen Interesse am Thema Reifen – nicht gar so genau hinschaut.
Und so machte in diesem Frühjahr erst beispielsweise die Meldung von einem Testsieg des Motorradreifens „ContiRoadAttack 2“ die Runde, weil das Motorrad TestCenter der Motorpresse Stuttgart GmbH & Co. KG im Rahmen eines Produktvergleiches dem Reifen eine „herausragende Leistungsfähigkeit“ bescheinigt haben soll und es „in der Summe der Eigenschaften keinen besseren Reifen für sportliche Tourenmotorräder“ gefunden habe, obwohl zumindest ein Produkt bei dem fraglichen „Test“ die identische Wertungspunktzahl vorweisen kann. Wohlgemerkt ist hier zudem von den Ergebnissen eines von Continental beauftragten und dann von einem als unabhängig bezeichneten Dienstleistungsbereich der Verlagsgruppe durchgeführten Reifentest die Rede und eben gerade nicht von einem Test des Magazins mit dem Titel Motorrad. Da lohnt ein zweiter Blick auf den zugehörigen, über die Conti-Webseiten abrufbaren Prüfbericht allemal.
Genauer gesagt gibt es deren sogar zwei, wobei einer von beiden erst nach einer entsprechenden Rückfrage der NEUE REIFENZEITUNG bei Werner Koch, Technische Leitung/Fahrversuche beim Motorrad TestCenter, auf den Internetseiten des Reifenherstellers auftauchte. Zusammen mit der ursprünglichen Conti-Presseaussendung zum „Testsieg“ des „RoadAttack 2“ war zunächst nur der inzwischen als „Teil 1“ bezeichnete und vom März dieses Jahres datierende Bericht zugänglich, bei dem es um das Fahrverhalten bei Nässe der zum Vergleich herangezogenen Probanden ging. Bei dessen Lektüre stutzt der Leser erst einmal, da sich in der abschließenden Ergebnistabelle nur die Punktewertungen von drei Reifen wiederfinden, obwohl an vielen anderen Stellen des Prüfberichtes doch von insgesamt sechs Testkandidaten die Rede ist: Neben dem „ContiRoadAttack 2“ wurde dem Bridgestone „Battlax BT-023“, Dunlops „RoadSmart“, Metzelers „Roadtec Z6 Interact“, Michelin „Pilot Road 2“ sowie dem Pirelli „Angel ST“ bei Nässe auf den Zahn gefühlt – ein im Test ebenfalls mitlaufender „ContiRoadAttack“ wurde darüber hinaus eindeutig als „Einfahrreifen“ deklariert.
Obwohl laut Prüfprotokoll bei den Tests immer mindestens zwei Mitarbeiter des Konzerns anwesend gewesen sein sollen, konnte man seitens Continental selbst nicht erklären, warum weder die Gesamtpunktzahlen für die drei Produkte von Bridgestone, Metzeler und Michelin in dem Bericht auftauchen noch warum ihm im Gegensatz zur Nässewertung nicht die in dem beiden „Modul Landstraße“ und „Modul Rennstrecke“ genannten Disziplinen vergebenen Punktezahlen zu entnehmen sind. Auch nähere Informationen über die Testmodule „Landstraße“ bzw. „Rennstrecke“ fehlen in dem ursprünglich veröffentlichten 35-seitigen Dokument. Ein wenig mehr Licht in die Sache kommt erst mit dem dann später unter dem Namen „Teil 2“ auf Nachfrage bereitgestellten 42-seitigen Prüfbericht, der vom Dezember 2009 datiert. Darin ist einerseits zu lesen, dass Continental sämtliche Reifen für die Fahrversuche zur Verfügung gestellt hat, sowie andererseits erklärt, warum drei der Reifen des Testfeldes später nicht mehr in der Ergebnisliste geführt werden.
Dass der Bridgestone-Reifen „durchs Raster gefallen“ ist, liegt zunächst einmal nachvollziehbar daran, dass er gar nicht auf der Rennstrecke (im spanischen Calafat) und den Landstraßen in deren Umgebung für Tests zur Verfügung stand und erst später in den Vergleich mit aufgenommen wurde. Zudem seien die damit verbleibenden fünf Reifenpaarungen in Spanien im sogenannten „Pyramidensystem“ des Motorrad TestCenter gefahren worden, erklärt Werner Koch gegenüber dieser Fachzeitschrift. Das bedeutet demnach, dass im ersten Testdurchgang alle Reifen unter identischen Bedingungen gefahren bzw. bewertet werden und die Testfahrer danach dann entscheiden, welche Reifen in die nächste Stufe übernommen werden. „Reifen mit eindeutigen Schwächen oder Mängeln fallen somit aus dem Testprogramm“, wird begründet, warum man sich von da an außer auf den „ContiRoadAttack 2“ nur noch auf Dunlops „Roadsmart“ und Pirellis „Angel ST“ fokussiert habe.
Da ist es nur als konsequent zu bezeichnen, dass sich im zweiten Teil des Prüfberichtes für alle fünf Motorradreifen dann auch nur die Punktewertungen für die Rennstreckendisziplin finden und in Sachen „Testmodul Landstraße“ als nächste Phase des „Pyramidensystems“ die Punktebewertungen für die Metzeler- und Michelin-Modelle unter den Tisch fallen. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus interessant zu wissen, wie der Test gelaufen wäre, hätte man mit den Prüffahrten auf der Landstraße (sowie einer Schlechtwegstrecke) angefangen. Ob dann die gleichen Reifen „durch den Rost gefallen“ wären? Diese Frage muss unbeantwortet bleiben. Laut dem Motorrad TestCenter war die Tour aber ohnehin lediglich als Gegenprobe „zur Relativierung der Punktwertung auf der synthetischen Teststrecke“ in Calafat gedacht. Als bestenfalls inkonsequent muss man vor diesem Hintergrund ansehen, dass das Motorrad TestCenter drei Monate nach den Tests Ende vergangenen Jahres in Spanien sein eigenes „Pyramidensystem“ zumindest teilweise aus den Augen verloren zu haben scheint. Denn wie anders ist es zu erklären, dass bei der Fortsetzung des Tests in diesem Frühjahr auf dem Contidrom an die zuvor scheinbar schon ausgesiebten Metzeler- und Michelin-Reifen nunmehr doch wieder fleißig Punkte für ihre Nässeeigenschaften vergeben werden und mit dem Bridgestone „Battlax BT-023“ sogar ein Nachrücker mitgeprüft wird?
Außerdem kann man den Was-wäre-wenn-Gedanken nun weiterspinnen: Angenommen das Testmodul „Fahreigenschaften bei Nässe“ hätte zuerst – also vor der Rennstreckenhatz bzw. der Landstraßentour – stattgefunden, dann wären als die drei aussichtsreichsten Kandidaten der Conti- zusammen mit den Bridgestone- und Michelin-Reifen in die nächste Phase des „Pyramidensystems“ gegangen. Deutlich wird daran vor allem eines: Der Ausgang des von Continental beauftragten „Tests“ hängt bei dieser Herangehensweise des Motorrad TestCenter in gravierendem Maße von der aus welchem Grund auch immer gewählten Reihenfolge der zu absolvierenden Disziplinen ab. Was das im Umkehrschluss für die Aussagekraft dieses Produktvergleiches im Besonderen bedeutet, darüber sollte sich jeder Leser sein eigenes Urteil bilden können. Gleichzeitig ist aber auch erkennbar, dass ein beauftragter Test im Allgemeinen niemals den gleichen Wert wird besitzen können, wie die trotz aller Unkenrufe in der Branche weitgehend als seriös und unabhängig anerkannten Produktvergleiche der etablieren Auto- und Motorradmagazine.
Apropos: Interessanterweise hat die Zeitschrift Motorrad in ihrer Ausgabe 11/2010 die Ergebnisse eines ausführlichen Tests von Tourenreifen veröffentlicht, bei dem die gleichen Probanden wie bei dem von Conti beim Motorrad TestCenter in Auftrag gegebenen Vergleich sowie zusätzlich Avons „Storm 2 Ultra“ ihr Können beweisen mussten. Untersucht wurde hierbei das Fahrverhalten auf der Landstraße im Neuzustand und nach einer 4.500 Kilometer langen Tour von Stuttgart aus Richtung Süden bis nach Sizilien und wieder zurück. Des Weiteren gingen auch die Nässeeigenschaften der Reifen (ermittelt auf dem Bridgestone-Testgelände unweit von Rom) sowie deren Verschleißverhalten in das Endergebnis ein. Dabei haben die Tester eigenen Worten zufolge erstmals Reifen aus dem Fachhandel getestet, nachdem die von den jeweiligen Herstellern zur Verfügung gestellten Testmuster gegen solche aus dem Lager eines Händlers getauscht worden waren.
Mit Blick auf die Teilergebnisse in den einzelnen Disziplinen des Motorrad-Tourenreifentests meint man dann auch zu erahnen, warum sich das Motorrad TestCenter seinerseits vor allem auf die Leistungen des „ContiRoadAttack 2“ auf der Rennstrecke bzw. der Landstraße kapriziert hat. Denn auch die Motorrad-Redaktion bescheinigt dem Reifen aus Hannover im Landstraßeneinsatz das beste Ergebnis – egal ob neu nach den 4.500 Kilometern. „Der Conti ist auf der Landstraße zu Hause und animiert förmlich zum Kurvenwetzen“, urteilen die Tester. Im Nassen machen es manche Konkurrenten besser, einige aber auch schlechter. Wegen des höchsten Verschleißes im gesamten Testfeld wird der Conti-Reifen im Endergebnis allerdings „nur“ Vierter. Verstecken muss er sich damit allerdings beileibe nicht, zumal diese Platzierung im Test eines renommierten Magazins allemal mehr Wert sein dürfte als der Sieg in einem selbst in Auftrag gegebenen und damit mehr oder weniger „gekauften“ Produktvergleich, oder? christian.marx@reifenpresse.de
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