Ersatzteilmarkt gerät unter Druck
Automobilhersteller (OEMs) setzen den unabhängigen Markt für Auto-Ersatzteile, „Independent Aftermarket“ (IAM), massiv unter Druck. Vertragshändler (OES) werden damit in den kommenden Jahren im Zuge der zunehmenden Elektronikkomplexität eine führende Marktposition einnehmen. Zudem ist mit einem intensiven Wettbewerb aus Schwellenländern um ein Marktvolumen von aktuell etwa 165 Milliarden Euro zu rechnen. Die klassischen Anbieter von Autoersatzteilen sehen sich mit Preisreduktionen und einer wachsenden Verhandlungsmacht von Einzel- und Großhändlern konfrontiert. Dies geht aus einer aktuellen Studie der Managementberatung A.T. Kearney und SupplierBusiness hervor, zu der über 70 Führungskräfte aus dem Europäischen Aftermarket befragt wurden. Um in Zukunft im Auto-Ersatzteilgeschäft weiter wachsen zu können, sollten die etablierten Hersteller vor allem auf Langzeitstrategien und die Entwicklung einer lokalen Präsenz in den wachsenden Märkten Osteuropas setzen und ihr bisheriges Produktportfolio mit Teilen aus den wachstumsstärksten Segmenten ergänzen. OEMs sollten ihre OES- und IAM-Strategien aufeinander abstimmen, um Kannibalisierungseffekte besonders im Aftermarket-Geschäft für Fahrzeuge im Alter zwischen vier und sieben Jahren zu vermeiden.
„Für die meisten Marktakteure in Europa ist das Aftermarket-Geschäft ein Kerngeschäftsfeld mit hohen Margenpotenzialen. Automobilhersteller (OEMs) und Zulieferer, die sowohl Vertrags- (OES) als auch unabhängige Werkstätten (IAM) bedienen, ‚ringen’ um ein Marktvolumen von insgesamt 165 Milliarden Euro. Zudem erwarten wir ein reales Gesamtwachstum von 40 Prozent im europäischen Aftermarket-Geschäft bis 2020, was einer Marktgröße zu Endkundenpreisen von 230 Milliarden Euro entspricht“, erklärt A.T. Kearney-Partner Martin Haubensak. Je nach Region werden sich die Umsätze im Aftermarket-Geschäft in Europa demnach unterschiedlich entwickeln – hauptsächlich getrieben durch die Veränderung des Fahrzeugbestandes. Innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette muss mit einer nur leichten Zunahme im zukünftigen Aftermarket-Geschäft in Westeuropa gerechnet werden. Im Gegensatz dazu werden sich die Umsätze in Osteuropa bis 2020 verdreifachen. Dies entspricht einer zukünftigen Marktgröße in Höhe von 66 Milliarden Euro zu Endkundenpreisen, heißt es in der Studie.
Im Rahmen der Untersuchung wurden zudem Veränderungen bei Produkten und Technologie als einer der „Makrotrends” mit dem höchsten Einfluss auf das Aftermarket-Geschäft identifiziert. Dieser Trend wird vornehmlich durch den zunehmenden Anteil an Elektronik im Fahrzeug sowie eine höhere Lebensdauer von Einzelteilen vorangetrieben. Ebenso sind Auswirkungen auf das Aftermarket-Geschäft von wirtschaftlichen, umweltbedingten sowie kundenseitigen Veränderungen zu erwarten, jedoch haben diese einen wesentlich geringeren Effekt. Eine zunehmende Lebensdauer von Einzelteilen sowie ein umwelt- und wirtschaftlich bedingter Rückgang der Fahrzeugnutzung werden zu einer reduzierten Nachfrage nach Verschleiß- sowie Wartungsteilen führen. Bei A.T. Kearney geht man davon aus, dass dieser Trend zu Umsatzeinbrüchen in den betroffenen Teilesegmenten in Höhe von mehr als 20 Prozent bis zum Jahr 2020 führen wird. Der höhere Anteil von Elektronik am Fahrzeuggesamtwert wird auch das Aftermarket-Geschäft in diesem Segment stimulieren. Die Umsätze im Elektronik-Aftermarket werden in diesem Szenario um circa sieben Prozent pro Jahr zulegen.
Mit der Zielsetzung, den Benzinverbrauch zu senken und höhere Emissionsstandards zu erfüllen, werde die Antriebstechnik immer komplexer, z.B. durch Hybridisierung. Die neuen Antriebskonzepte sollen daher in diesem Segment zu höheren Umsätzen führen, was unter anderem durch einen höheren Anteil von Antriebskomponenten am Gesamtfahrzeugwert hervorgerufen werde. Des Weiteren können durch die zunehmende Komplexität höhere Umsätze aus Dienstleistungen erzielt werden, wird gefolgert. Die steigende Komplexität stelle allerdings auch eine wachsende Gefahr für den IAM-Kanal dar, da dieser die für anspruchsvolle Reparaturen erforderlichen Fähigkeiten erst mit hohen Investitionen aufbauen müsse.
„In unserer Studie haben wir zukünftige Schlüsselstrategien ermittelt”, erläutert Studienautor Jörg Branschädel von A.T. Kearney. „Neben zunehmenden Investitionen in das IAM-Servicegeschäft werden OEMs versuchen, ihr OES Aftermarket-Geschäft zu stärken – hauptsächlich durch die Ausweitung von Garantien und das Angebot von Full-Service-Verträgen. Diese aggressiven Strategien im OES-Kanal, gemeinsam mit der zunehmenden Reparaturkomplexität, werden eine signifikante Bedrohung für IAM-Marktteilnehmer wie beispielsweise Reparaturwerkstätten im Franchiseformat oder Autocenter sein. Die Fähigkeit, umfassende markenübergreifende Diagnosesoftware, -werkzeuge und -Know-how für den unabhängigen Aftermarket bereitzustellen, wird zum kritischen Erfolgsfaktor für die weitere Entwicklung des IAM-Kanals. Nach Jahrzehnten des Rückgangs erwarten die für die Studie befragten Unternehmen nun gesamtheitlich, dass der OES-Kanal zukünftig an Marktanteil gewinnen wird“, sagt er.
Die Führungskräfte der Automobilindustrie rechnen seinen Worten zufolge mit einer Zunahme von IAM-Produktionen auf Ebene der Zulieferer zur Senkung der Herstellkosten als Reaktion auf rückläufige Preise. Ebenso sei eine wachsende Anzahl von Aftermarket-Kooperationen zwischen Zulieferern zu erwarten. Am wahrscheinlichsten seien dabei Kooperationen in den Bereichen Verkauf und Logistik. Auf IAM-Großhandelsebene werde es zu weiteren Fusionen und Übernahmen, zu einer verstärkten Internationalisierung und einem daraus resultierenden „globaleren“ Einkauf kommen, was wiederum eine zunehmende Bedrohung für das Aftermarket-Geschäft der Zulieferer darstelle. „Es muss bei Standardteilen mit mehr Wettbewerb aus Schwellenländern und in der Konsequenz mit höheren Preisnachlässen von den etablierten Marktteilnehmern gerechnet werden”, sagt Haubensak: „Der Wettbewerb wird durch steigende Verhandlungsmacht auf Retail- und Wholesale-Ebene infolge von Marktkonzentration und Internationalisierung verschärft“, fügt er hinzu.
Um erfolgreich im Aftermarket-Geschäft zu wachsen, sollten Zulieferer demnach Langzeitstrategien und lokale Marktpräsenz (Verkauf und/oder Logistik) für die zunehmenden Chancen in Osteuropa entwickeln, wobei Joint Ventures mit anderen Zulieferern als „wichtige Option“ angesehen werden. Zudem müssten die Zulieferer ihr Produktportfolio weiter ausdehnen, z.B. durch Steigerung ihres Handelswarengeschäfts – gewissermaßen als „strategische Antwort“ auf einen stagnierenden westeuropäischen Markt. Auch die Entwicklung einer klaren Aftermarket-Elektronikstrategie wird den Unternehmen empfohlen, um von diesem wachsenden Segment sowie von der zunehmenden Notwendigkeit für Diagnosesoftware, -werkzeuge und -training profitieren zu können. „Zulieferer mit abweichenden Kernkompetenzen sollten andere strategische Optionen, wie z.B. regionale Expansion in Wachstumsmärkte, evaluieren“, so der Rat. OEMs auf der anderen Seite wird nahegelegt ihr Teile- und Finanzgeschäft weiter zu verzahnen, um die Grundlage für die Ausweitung der Full-Service-Konzepte zu schaffen, sowie ihre OES- und IAM-Strategien aufeinander abzustimmen, um Kannibalisierungseffekte insbesondere im Fahrzeugalter von vier bis sieben Jahren zu vermeiden.
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