Reifenpreise – Schiffbruch durch Gegenverkehr in der Einbahnstraße
In der jüngeren Vergangenheit hat die Reifenindustrie – wie auch alle anderen Hersteller von auf Rohöl basierenden Produkten – eine Preisrunde nach der anderen für ihre schwarzen runden Gummis angekündigt und umgesetzt. Als einer der Gründe dafür blieben steigende Ölpreise in diesem Zusammenhang meist nicht unerwähnt, die höhere Fertigungs-, Transport- bzw. Energiekosten nach sich ziehen. In der Tat hat der Preis für ein Barrel (Fass, entspricht knapp 159 Litern) Rohöl im Juli dieses Jahres ein Rekordhoch von über 140 US-Dollar erreicht – immerhin ein Plus von rund 40 Prozent gegenüber dem Wert von eben unter 100 Dollar pro Barrel zu Beginn dieses Jahres.
Doch seither ist der Rohölpreis wieder gefallen und bewegt sich nun (Stand Anfang September) irgendwo in der Region von um die 110 Dollar je Fass. Fragt sich also, ob die Industrie angesichts dessen auch ihre Reifenpreise wieder zurückschrauben wird und falls ja, wann es so weit sein könnte. Glaubt man Ali Dibadj, Analyst der Unternehmensberatung Sanford C. Bernstein, ist allerdings nicht allzu schnell damit zu rechnen. „Jeder hat noch das Gefühl einer zu großen Unsicherheit, um klar sagen zu können, was zu tun ist. Dass sie ihre Preise sofort senken, ist deshalb nicht zu erwarten”, hat er gegenüber der International Herald Tribune auf die Frage geantwortet, was diesbezüglich von Firmen wie unter anderem Procter & Gamble, Dow Chemical oder auch der Goodyear Tire & Rubber Company zu erwarten sei.
Während der Handel nicht nur im Reifenbusiness zunehmend ein Problem damit hat, seine höheren Einkaufspreise an den Endverbraucher weiterzugeben und sich deshalb mitunter verstärkt auf die Vermarktung von „Billigreifen aus Fernost“ kapriziert oder die bittere Pille einer sinkenden eigenen Marge schluckt, scheint die Industrie also erst einmal abwarten zu wollen, ob die niedrigeren Ölpreise Bestand haben. Zumal man – wie Goodyear gegenüber dem Blatt erklärt hat – momentan auch noch Reifen unter Verwendung beispielsweise von auf Öl basierenden Vorprodukten aus Lagerbeständen fertige, die aus den relativ hochpreisigen Zeiten von vor einigen Monaten stammten.
Wahr dürfte aber auch sein, dass der Reifenindustrie höhere Preise für ihre Produkte bei gefallenen und vielleicht sogar noch weiter fallenden Öl- und anderen Rohstoffpreisen nicht ungelegen kommen. Denn angesichts der (insbesondere vom Geschäft mit US-Herstellern geprägten) eher rückläufigen Tendenz in Sachen Nachfrage nach Bereifungen im Erstausrüstungsgeschäft wie im Ersatzmarkt – man denke nur an den hierzulande „ausgefallenen“ Winter 2007/2008 – kann es der eigenen Bilanz jedenfalls nicht schaden, wenn man an einer geringeren Zahl abgesetzter Pneus einfach ein wenig mehr verdient. Um beim Beispiel Goodyear zu bleiben: Der Konzern berichtet sowohl aus seinem Heimatland als auch bezogen auf die Region Europa, Mittlerer Osten, Afrika, Europa als zweitwichtigstem Markt des Unternehmens einen – was die Stückzahlen angeht – um zehn respektive knapp drei Prozent rückläufigen Absatz im ersten Halbjahr 2008, aber zugleich verbesserte Margen.
Dem in der jüngeren Vergangenheit doch eher gebeutelten Konzern sei eine positive Entwicklung ebenso von Herzen gegönnt wie allen anderen Unternehmen. Doch trotzdem mag man gar nicht daran denken, wie der Handel vor dem Hintergrund des (hoffentlich) vor der Tür stehenden Umrüstgeschäftes solche Klippen wie die einerseits nicht nur durch Reifenpreiserhöhungen der Industrie auf der Beschaffungsseite gestiegenen Kosten und die angesichts prallvoller Winterreifenlager gleichzeitig erwarteten fallenden Endverbraucherpreise andererseits erfolgreich umschiffen will.
Dabei muss allerdings die Frage erlaubt sein, warum man sich denn eigentlich unbedingt weiter entgegen der Fahrtrichtung einer offensichtlichen Einbahnstraße bewegen sollte. Ist es nicht viel sinnvoller, auf die Vorzugsrichtung einzuschwenken, sich also in Preisdisziplin zu üben wie es die Reifenindustrie mehr oder weniger erfolgreich vorexerziert? Denn selbst wenn jeder Autofahrer sicherlich noch so gerne den bestmöglichen Reifen zum allergünstigsten Supersonderbilligpreis und möglichst noch unter Berücksichtigung eines großzügigen Temperatur- oder Was-auch-immer-Rabattes zuzüglich eines umfangreichen und selbstredend kostenlosen Dienstleistungspaketes kaufen will, so wird daraus noch lange kein tragfähiges Geschäftsmodell für den Handel. Vielmehr kann ein solches Gebaren dazu führen, dass das „Motorschiff Reifenhandel“ viel schneller SOS funken muss, als ihm lieb ist.
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