Profiltiefenmessung im fließenden Verkehr
In den Grundzügen vorgestellt hatte Frank H. Schäfer, Geschäftsführer und Gründer der ProContour GmbH (Waldshut-Tiengen), das Projekt der NEUE REIFENZEITUNG bereits vor gut einem Jahr – jetzt ist er damit auch an die Öffentlichkeit gegangen: Gemeint ist eine Technik, die es erlauben soll, die Reifenprofiltiefe im fließenden Verkehr zu messen. Offiziell präsentiert wurde die Technologie, mit der man einen Beitrag zu einer höheren Verkehrssicherheit leisten will, Anfang September im Rahmen einer Podiumsdiskussion und einer Praxisdemonstration in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin.
Ansatzpunkt für die Entwicklung der als „Verkehrssicherheitssystem“ bezeichneten Anlage für den stationären oder mobilen Einsatz war Unternehmensangaben zufolge dabei die „alarmierende Zahl“ von Verkehrsunfällen mit Personenschäden, die auf Mängel an der Bereifung zurückzuführen sind. Unter Berufung auf die Daten einer KÜS-Studie wird für Deutschland immerhin einen Anteil von 15 Prozent am Gesamtfahrzeugbestand genannt, der auf mangelhaften Reifen unterwegs ist. Und laut Franz Nowakowski, Dekra-Beauftragter für Sondergutachten, waren bei den während eines Zeitraumes von fünf bis sechs Jahren von der Prüforganisation im Auftrag der Polizei oder Staatsanwaltschaft begutachteten rund 25.000 Reifen 36,8 Prozent ursächlich für einen Unfall. Damit lägen Mängel an der Bereifung hinsichtlich der Ursachen noch vor den Bremsen (36,5 Prozent) an erster Stelle, wenn ein technisches Versagen am Fahrzeug zu einem Unfall geführt hat, sagt er.
Wie Nowakowski, der Schäfers Worten zufolge „den einen oder anderen hilfreichen Hinweis“ im Zusammenhang mit der Entwicklung des Profiltiefenmessgerätes geliefert hat, weiter erklärt, stelle auch der Einfluss der Profiltiefe „einen nicht unwesentlichen Teil der Unfallursachen dar“ – insbesondere im Hinblick auf Verkehrsunfälle bei Regen durch Aquaplaning. „Setzt man die Wasserverdrängungsfähigkeit eines Neureifens mit einer Profiltiefe von etwa acht Millimetern mit 100 Prozent fest, so bleiben davon bei drei Millimetern Profiltiefen gerade noch etwa 35 Prozent und bei der gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern sogar nur noch 20 Prozent übrig“, erläuterte Nowakowski im Rahmen seines Diskussionsbeitrages während der ProContour-Präsentation in Berlin eine Faustformel. Dies – meint er – gelte für eine Fahrzeuggeschwindigkeit von 80 km/h und eine Wasserfilmtiefe von drei bis fünf Millimetern auf der Fahrbahn.
„Die gesetzliche Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern reicht nicht aus bei widrigen Fahrbahnzuständen wie Regen, Schnee oder Schneematsch“, so Nowakowskis Schlussfolgerung. Er spricht sich daher für eine Profiluntergrenze von drei Millimetern bei Sommer- und von vier Millimetern bei Winterreifen aus. „Das ist aber nicht allein meine Empfehlung, sondern auch die beispielsweise der Reifenhersteller oder des ADAC“, verdeutlicht er. Insofern könne das von ProContour entwickelte System „durchaus einen vernünftigen Beitrag als zu einem höheren Reifenbewusstsein der Verbraucher“ in Sachen Profiltiefe leisten, ist er überzeugt. Denn obwohl sich laut Unfallforscher Prof. Dr. Klaus Langwieder vom Institut für Fahrzeugsicherheit durch Initiativen wie den ReifenCheck oder die Aktion Wash & Go mittlerweile sehr viel getan habe, fehle gerade dieses Reifenbewusstsein – ob im Allgemeinen oder in Bezug auf das Thema Profiltiefe im Besonderen – bei vielen Verbrauchern nach wie vor.
In diesem Zusammenhang spricht Langwieder sogar von einem „komischen Bewusstseinsstatus“. Auf der einen Seite würden Fahrzeughersteller wie Verbraucher in ihren Autos heute zunehmend Wert auf elektronische Fahrsicherheitssysteme wie beispielsweise ESP, Spurhalteassistenten oder Ähnliches legen, die den aktuellsten Stand der Technik repräsentieren. „Auf der anderen Seite bewegen wir uns beim Thema Reifenkontrolle noch im Mittelalter“, so Langwieder unter Hinweis darauf, wie vergleichsweise mühsam es derzeit für den Autofahrer oder auch die Polizei bei Verkehrskontrollen ist, die Profiltiefe der montierten Pneus zu inspizieren. „Also unterbeleibt dies meist, dabei ist die Profiltiefe doch das Wichtigste“, meint er. Und diese Meinung dürfte Frank Schäfer zweifelsohne teilen, ansonsten hätte er die Entwicklung des „H3-D“ genannten Profiltiefenmessgerätes wohl nicht vorangetrieben.
Dabei steht das Projekt seinen Worten zufolge auf zwei Beinen, womit der technische und der juristische Aspekt gemeint ist. Dass ProContour die Technologie zu beherrschen scheint, davon konnte man sich in Berlin im Rahmen einer Livevorführung des Systems überzeugen. Aber auch auf der rechtlichen Seite scheint alles im grünen Bereich zu sein, wie Prof. Dr. jur. Thomas Würtenberger während der Podiumsdiskussion in der Hauptstadt verdeutlichte. „Bedenken gegen das System gibt es aus rechtlicher Sicht nicht“, stellte er unmissverständlich klar. Gemeint damit war in erster Linie allerdings nicht die Variante des Systems, die zur reinen Information der Autofahrer genutzt wird (etwa beim örtlichen Reifenhandel, der Kfz-Werkstatt oder bei Tankstellen) bzw. dessen Messungen unmittelbar im Anschluss dazu führen, dass die Polizei ein in Sachen Profiltiefe auffälliges Fahrzeug herauswinkt und noch vor Ort genauer in Augenschein nimmt. Für solche Zwecke bietet die ProContour GmbH eine nicht geeichte Variante ihres Profiltiefenmessgerätes an, wobei laut Schäfer die Investitionssumme für eine solche Anlage im fünfstelligen Euro-Bereich liegt.
Hinsichtlich seines Statements in Bezug auf die rechtliche Undenklichkeit des Systems zielte Württemberger aber eher in Richtung der zweiten Variante: In diesem Szenario kann eine geeichte Version des Profiltiefenmessers, dessen Anschaffungskosten Schäfer mit einem sechsstelligen Euro-Betrag beziffert, mit einem Kamerasystem kombiniert werden, sodass die Anlage analog zu fest installierten Blitzern „Profiltiefensünder“ fotografisch festhält. Im Anschluss könnte der Autofahrer von den zuständigen öffentlichen Stellen in einem mehr oder weniger automatisierten Verfahren zur Kasse gebeten werden, wobei in einem solchen Fall das Foto des Fahrzeuges/Fahrers sowie das Messprotokoll der Profiltiefe als Beweismittel dienen würden. „Die Straßenverkehrsordnung und die Straßenverkehrszulassungsordnung zielen unter anderem auf den Schutz von Leben und Sachwerten ab. Wenn das Eigentum und die körperlich Unversehrtheit aber geschützt sind, kann der Staat nicht zulassen, dass jemand beides gefährdet“, argumentiert Würtenberger, warum aus seiner Sicht nichts gegen einen derartigen Einsatz des ProContour-Systems spricht.
Er geht sogar noch einen Schritt weiter. „Wenn es eine solche Technik gibt, wie sie derzeit entwickelt und bald auch verfügbar sein wird, dann müssen sich die zuständigen Stellen fragen lassen, ob sie dieses System nicht vielleicht sogar einsetzen müssen. Es wird sich keine Behörde der Frage entziehen können, ob diese neue Technologie anzuwenden ist“, gibt er sich überzeugt und sieht außerdem auch keine Einwände vonseiten des Datenschutzes. „Datenschutzrechtliche Bedenken gibt es ebenfalls nicht, da die Daten ja nur erhoben werden, um Sünder zu fassen. Es geschieht im Prinzip nichts anderes als bei einem Blitzkasten an einer roten Ampel oder bei der Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen“, fügt er hinzu. Noch ist es allerdings nicht ganz so weit, denn für dieses Jahr sind laut Schäfer zunächst einmal entsprechenden Pilotprojekte in Deutschland und der Schweiz geplant – auf welchen Strecken, verrät der ProContour-Geschäftsführer allerdings noch nicht. „Die Gespräche dazu laufen noch“, sagt er.
Das stationäre, also in die Fahrbahn eingelassene System wie die mobile Variante, wo für die in der Fahrbahnebene benötigten Komponenten der Anlage beispielsweise ein vorhandener Kanaldeckel entsprechend umfunktioniert werden kann, basiert auf dem Grundprinzip der Lasertriangulation, erklärt Schäfer. Mithilfe von Profilsensoren, die in quer zur Fahrtrichtung verlaufenen Kanälen eingeschoben sind, und speziellen Digitalkameras werden demzufolge die 3D-Profile der über die Messstelle rollenden Reifen innerhalb von ein bis zwei Millisekunden vermessen, aufgezeichnet und mit gespeicherten Reifenprofilmustern abgeglichen – ohne Beeinflussung des Verkehrsflusses. Damit das System die Reifen selbst bei hohen Fahrzeuggeschwindigkeiten noch vermessen könne, muss es große Datenmengen von laut Schäfer bis zu 35.000 Bildern pro Sekunde verarbeiten. „Unser System ist so schnell, dass wir alle 20 Millisekunden eine Achse vermessen können. Bislang haben wir erfolgreiche Tests bis zu einer Geschwindigkeit von 180 km/h durchgeführt“, skizziert der ProContour-Geschäftsführer grob den Einsatzbereich. „Unser System funktioniert auch bei Nässe, nicht aber bei Wolkenbrüchen“, fügt er auf konkrete Nachfrage hinzu und kündigt darüber hinaus für später in diesem Jahr noch ein weiterentwickeltes Modell mit einem größeren Messbereich an.
Gleichwohl sei aber schon mit dem derzeitigen System das Erkennen von Lamellierungen im Profil und damit unter anderem auch eine Unterscheidung hinsichtlich Sommer- und Winterbereifung möglich. Man darf also sowohl auf die weitere Entwicklung gespannt sein, wie auch auf die Resonanz der hoheitlichen amtlichen Stellen. Denn abgesehen von dem sicherlich im Vordergrund aller Bemühungen stehenden möglichen Gewinn an Verkehrssicherheit bei Einsatz des ProContour-Systems bietet sich der öffentlichen Hand damit zugleich doch noch eine Gelegenheit, etwas gegen die chronisch knappe Finanzlage zu tun. „ProContour ‚H3-D’ wird Behörden und Kommunen sowie privaten Anwendern für den Eigengebrauch (Speditionen etc.) die Messung des Reifenprofils und der Reifenart im fließenden Verkehr ermöglichen. Damit leisten wir einen entscheidenden Beitrag zur Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer für den Sicherheitsfaktor Reifen“, zeigt sich Frank Schäfer zufrieden mit dem Ergebnis der Entwicklungsarbeit der vergangenen rund zwei Jahre.
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