Pirelli-Werk in Breuberg – ein guter Nachbar
Der italienische Reifenhersteller Pirelli ist weit mehr als ein italienisches oder ein europäisches, gar ein globales Unternehmen. Pirelli ist seit mittlerweile 104 Jahren auch ein durch und durch deutsches Unternehmen, das am Standort Breuberg im hessischen Odenwald fest etabliert ist. Pirelli bekennt sich zum Standort Deutschland, der nicht nur hoch qualifizierte Mitarbeiter für eine hoch spezialisierte Fertigung bietet, sondern auch den wichtigsten Ersatz- und Erstausrüstungsmarkt darstellt. „Pirelli ist weltweit ein Spezialist für Hochleistungsreifen“; sagt Dr. Guglielmo Fiocchi, Vorsitzender der Geschäftsführung der Pirelli Deutschland GmbH: „Wenn man mit Kunden zu tun hat, muss man vor Ort sein.“ Im zweiten Teil unserer Artikelserie „Standort: Deutschland“ (Teil 1: Dunlop-Werk in Wittlich; Januar-Ausgabe) befassen wir uns nun mit Pirellis Reifenfabrik im Odenwald.
Eigentlich besteht der Standort Breuberg bei Höchst im Odenwald heute aus drei Fabriken, nicht mehr nur aus einer. Die eigentliche Urzelle des heute von Pirelli betriebenen Standortes waren die Veithwerke, später Veith-Gummiwerke, die 1903 gegründet wurde. 60 Jahre nach Gründung übernahm dann Pirelli die Mehrheit an dem damals als Aktiengesellschaft geführten Reifenhersteller – die erste Fabrik. Das dann 1964 in Veith-Pirelli AG umbenannte Unternehmen übernahm 1986 die Metzeler Kautschuk GmbH. Der Motorradreifenhersteller produziert gleich nebenan in der zweiten Fabrik am Standort. Und die eigentlich dritte Fabrik und der ganze Stolz des Konzerns gründeten der italienische Konzern dann 2001. Damals wurde das erste vollautomatische MIRS-Modul für die Fertigung von Pkw-Reifen am Standort Breuberg in Betrieb genommen.
Dass der Standort im europäischen und im internationalen Fabrikenverbund des Konzerns – Pirelli betreibt weltweit 24 Reifenfabriken – eine herausragende Rolle spielt, wird nicht nur durch die Tatsache erklärt, dass im Odenwald jährlich rund zehn Millionen Reifen fertigt werden und Pirelli dort somit die größte Reifenfabrik Deutschlands betreibt, sondern auch durch die allgemeinen Rahmenbedingungen des deutschen Standortes. Für Dr. Guglielmo Fiocchi, Vorsitzender der Geschäftsführung der Pirelli Deutschland GmbH, sei die gegenwärtige und zukünftige Bedeutung des Standortes Breuberg Ausdruck der „Strategie des Konzerns“, so Fiocchi gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG. Pirelli sei „weltweit Spezialist für Hochleistungsreifen“ und von Endverbrauchern und Kunden auch als solcher akzeptiert. Dies sei einer der Wettbewerbsvorteile der Italiener gegenüber anderen Reifenherstellern. Da dies aber so ist wie es ist, stellt Deutschland eben einen der wichtigsten Märkte weltweit dar. Nicht nur, dass in Deutschland die Endverbraucher eine überdurchschnittlich große Nachfrage nach entsprechenden Hochleistungsreifen aus dem Hause Pirelli haben – das trifft sicher auch auf einige andere Länder zu. Ebenso wichtig sei gerade die Präsenz bedeutender Erstausrüstungskunden im Land. Die Liste der Pirelli-Kunden ist das Who’s who der deutschen Automobilindustrie von Porsche über BMW, DaimlerChrysler und Audi bis hin AMG und natürlich auch Volkswagen.
Neben diesen Erstausrüstungskunden liefert Pirelli Deutschland natürlich auch in den deutschen Ersatzmarkt sowie in den Export (über den Konzern). Gerade die Nähe zum deutschen Ersatzmarkt mit seinen Fluktuationen beim Winterreifengeschäft vereinfachen die damit einhergehenden logistischen Herausforderungen doch beträchtlich. Saisonale Spitzen könnten so kurzfristig abgefedert und logistisch ausgeglichen werden.
Da Pirellis Produkte für alle namhaften Automobilhersteller homologiert sind und Pirelli seine Erstausrüstungskunden auch zukünftig mit Hochleistungsprodukten aus deutscher Fertigung bedienen möchte, investiert der Hersteller große Summen in Forschung & Entwicklung am Standort. „Pirelli ist von allen namhaften Reifenherstellern das Unternehmen, das den größten Anteil an Investitionen in Forschung und Entwicklung steckt“, kommentiert das Unternehmen seine weltweiten F&E-Aktivitäten. Dass neben und in enger Abstimmung mit der F&E-Zentrale am Konzernsitz in Mailand auch der Standort Breuberg mit den rund 200 Ingenieuren und Technikern einen zentralen Beitrag zur Stellung des Reifenherstellers in Deutschland leistet, steht für Fiocchi außer Zweifel. Die Breuberger F&E-Mitarbeiter haben etwa einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des UHP-Reifens Pirelli PZero geleistet, der Anfang des Jahres eingeführt wurde und für den der Hersteller allein fünf Patente angemeldet hat: „Darauf sind wir mächtig stolz.“ Daneben werden im so genannten Technikum aber auch spezielle Entwicklungsreifen gefertigt und es wird zur Optimierung der Materialien geforscht; in Kürze: Am Standort Breuberg werden alle Bereiche der Reifenentwicklung abgedeckt.
Es sind gerade diese Einrichtungen, so der Vorsitzende der Geschäftsführung, die Pirelli in Deutschland auch als Arbeitgeber so interessant für Universitätsabgänger mache. Es sei natürlich überaus wichtig, die richtigen Mitarbeiter an den richtigen Stellen zu platzieren, nur so könne der Hersteller auch künftig sein Reifenportfolio alle drei Jahre komplett erneuern. Die Pirelli Deutschland GmbH steht folglich in einem engen Austausch mit den regionalen Hochschulen. Zahllose Studenten absolvieren Praktika bei Pirelli und Diplomanden erstellen ihre Abschlussarbeiten im Umfeld des Reifenherstellers. Obwohl das Unternehmen mit seinem hohen Technisierungsgrad in der Fertigung sicher zu den anziehenderen unter den potenziellen Arbeitgebern eines diplomierten Chemikers oder Ingenieurs zählt, bemühe sich Pirelli dennoch aktiv um die Einstellung hoch qualifizierter Universitätsabgänger und ist auf entsprechenden Jobbörsen an den Universitäten und Fachhochschulen stets vertreten. Gerade im Wettbewerb mit anderen für die Inhaber technischer Diplome attraktiven Arbeitgebern wolle Pirelli bestehen. „Wir arbeiten in einem komplizierten Geschäft mit den schwierigsten Kunden der Welt – das macht die Aufgabe so interessant.“ Natürlich erhalten nicht nur hoch qualifizierte Berufseinsteiger umfangreiche Trainings und Schulungen sowie Auslandsaufenthalte, Lernen bedeutet auch hier kontinuierliches Arbeiten.
Da sich ein Unternehmen – gerade mit einer derart langen lokalen Geschichte – vor Ort einbindet, ist eine bare Selbstverständlichkeit, schließlich lebt man seit Jahrzehnten nicht nur neben- oder etwa miteinander, sondern eben auch voneinander. Während die über 2.500 Pirelli-Mitarbeiter, darunter 78 Auszubildende, in der Region zu Hause sind und hier ihr Geld ausgeben, verdienen eben zahlreiche Unternehmen direkt als Zulieferer oder Dienstleister oder profitieren ganz allgemein von der Kaufkraft der Beschäftigten. „Wir fühlen uns sehr wohl an diesem Standort“, sagt Dr. Fiocchi, „wir sind ein Teil dieser Gesellschaft.“ Dementsprechend eng sind folglich auch die Verbindungen in die Kommunen der Region, was über einen gelegentlichen „Tag der offenen Tür“ hinaus geht. Da werden regelmäßig Schulklassen empfangen, Mädchen können im Rahmen des Girls’ Days einen Tag bei Pirelli verbringen und man bemüht sich intensiv um die Integration von Behinderten und chronisch Kranken; Pirelli ist ein guter Nachbar.
Von Hinweisen, die Reifenproduktion in Breuberg könnte ja auch ins rumänische Slatina verlegt werden, um Kosten zu sparen, will man bei Pirelli nichts wissen. „Sicherlich sind die Kosten allgemein das Problem“, sagt Dr. Fiocchi zur Situation am Standort Deutschland, „wir sind teuer“, so die Erkenntnis. Gerade deswegen werden in Breuberg auch ausnahmslos hochwertige Motorrad- und Pkw-Reifen gefertigt, entweder in der MIRS-Anlage oder eben in den beiden anderen Fabriken. In der traditionellen Reifenfabrik werden Reifen bis zu 21 Zoll gefertigt, in den MIRS-Modulen auch gelegentlich noch größere Dimensionen. Es werden mittlerweile praktisch keine Reifen mehr unter 17 Zoll gefertigt. Um entsprechende Reifen bauen zu können, braucht es nicht nur moderner Maschinen, die prinzipiell überall auf der Welt – auch in Slatina – stehen könnten, sondern man benötigt eben auch gut ausgebildete Mitarbeiter sowie ein entsprechend adäquates Produktionsumfeld. Auf diese Weise ließen sich die vergleichsweise hohen Produktionskosten rechtfertigen – Qualität müsse man eben bezahlen. Laut Fiocchi habe Pirelli außerdem die Effizienzen der Produktion kontinuierlich verbessert.
Pirelli will auch künftig am Standort in Deutschland festhalten, er sei die „Stärke unseres Konzerns“. In naher Zukunft soll der jährliche Output von gegenwärtig rund zehn Millionen Reifen – davon zwei Millionen Motorradreifen – zwar nicht nennenswert gesteigert werden, wohl aber die Tonnage. Der italienische Reifenkonzern wird sich in Deutschland also auch weiterhin auf den Ausbau der UHP-Produktion konzentrieren und werde entsprechende Investitionen in Mix und Qualität vornehmen. „Wir planen hierzubleiben“, so der Vorsitzender der Geschäftsführung der Pirelli Deutschland GmbH abschließend.
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