Deldo profitiert von seiner eigenen Größe
Der internationale Reifengroßhandel scheint sich immer mehr zum erfolgreichen Absatzmittler zwischen Hersteller und Reifenfachhandel zu entwickeln. Während man bis vor etwa einem Jahrzehnt noch das Gefühl hatte, der Großhandel sei der Feind der Industrie, erkennt man heute eine „offenere Beziehung mit der Industrie“. So jedenfalls sieht man es bei Deldo Autobanden, wo man von dieser neuen Situation durchaus profitiert und ein Rekordjahr nach dem anderen verbucht. In diesem Jahr erwartet das Unternehmen mit Sitz im belgischen Antwerpen einen Jahresumsatz von 250 Millionen Euro und verkauft dafür weltweit über sechs Millionen Reifen.
Seitdem Deldo Autobanden vor 33 Jahren von Jos Delcroix und Paula Donckers, der Tochter eines Antwerpener Reifenhändlers, gegründet wurde, hat sich das Unternehmen in nur eine Richtung entwickelt: nach oben. Die unterschiedliche Preispolitik der Hersteller in den verschiedenen europäischen Ländern stellte die Grundlage für ein erfolgreiches Geschäftsmodell dar. Man kaufte Reifen dort, wo sie günstig waren, und verkaufte sie andernorts mit Gewinn.
Seither sind laut Tom Van Dyck, der seit vier Jahren die Aktivitäten des belgischen Großhändlers in Deutschland, Österreich und der Schweiz leitet, aber andere Erfolgsfaktoren in den Vordergrund gerückt. Während man in der Anfangsphase des Unternehmens Preisdifferenzen nutzte, macht heute die abgenommene Menge den großen Unterschied. Jeden Tag bewegt das Unternehmen rund 60.000 Reifen – 30.000 Reifen gehen rein ins Zentrallager im Antwerpener Freihafen, dem zweitgrößten Containerhafen der Welt nach Rotterdam in Holland, und 30.000 Reifen gehen raus. Insgesamt, so der Sales Manager in einem Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, setzt der Großhändler jährlich über sechs Millionen Reifen ab. In dieser Größenordnung kann Deldo natürlich Skaleneffekte für sich geltend machen. Laut Tom Van Dyck stehe der Preisvorteil aber „bei weitem nicht im Verhältnis“ zur zusätzlich von der Industrie abgenommenen Menge. Dennoch kämen natürlich Preisvorteile zum Tragen, die man an die eigene Kundschaft weitergeben könne. Deldo kauft aber weiterhin seine Reifen nicht nur ab Werk, sondern oft genug auch von anderen Großhändlern wie auch von Kooperation in ganz Europa wie auch weltweit, so der 26-Jährige. Der Preis macht hier die Musik. Bei Deldo wolle man zwar nicht behaupten, stets der günstigste zu sein. „Sehr konkurrenzfähige Preise“ könne man aber schon bieten, verbunden mit einer „schnellen und fehlerfreien Lieferung“, wie der Verkaufsleiter betont.
Ein weiterer Erfolgsfaktor des Antwerpener Großhändlers, der sich selbst als „die Nummer eins freier Reifenhändler Europas“ bezeichnet, der 95 Prozent seiner Reifen in Europa verkauft, ist sicherlich die Logistik. Handelsbetriebe, die heute am Markt bestehen wollen, müssen ihren Kunden nicht nur die richtige Ware zum richtigen Preis anbieten können, sondern eben auch verlässlicher Logistikpartner sein. „Logistik ist ein sehr wichtiger Faktor unseres Erfolges“, sagt Tom Van Dyck. Deldo besitzt einen Fuhrpark mit 40 eigenen Lkw plus 80 Trailer und betreibt seit 1997 mit Tyretrans N.V. sogar eine eigene Spedition. Dennoch reichen diese Transportkapazitäten nicht aus, und sie sollen auch nicht ausreichen. Wichtig sei es, den „besten und effizientesten Weg zum Kunden“ zu finden. Und dieser kann gelegentlich über externe Speditionen und Paketdienste gewährleistet werden. Jede Woche verlassen etwa 120 Lkw die Ladestationen in Antwerpen. Dennoch sehe man den eigenen Geschäftserfolg nicht nur in der optimierten Logistik begründet.
Auch Lieferfähigkeit gehört für den belgischen Großhändler zu den Erfolgsfaktoren. Während man 1973 noch eine ehemalige Antwerpener Brauerei als Lager nutzte, konnte man 1997 an den neuen Standort im Antwerpener Freihafen umziehen. Dort hat das Unternehmen nicht nur ein neues Bürogebäude errichtet, sondern eben auch eine Lagerhalle, deren Ausmaße mit 40.000 m² gigantisch zu nennen sind – es gibt europaweit nicht viele Reifenläger, die eine ähnliche Kapazität fassen können. Der durchschnittliche Lagerbestand wird von Deldo mit 1,5 bis zwei Millionen Einheiten angegeben, wozu allerdings noch die drei Außenlager zählen. Folglich müssen Reifenhändler in der Regel nicht lange auf ihre Ware warten, wenn sie bei Deldo Autobanden bestellt haben.
Ebenfalls sieht sich Deldo in punkto Marketingunterstützung ganz auf der Seite des Reifenhandels, so Rutger Veerman. Der 25-jährige Sales- und Marketing-Manager betont darüber hinaus, dass der persönliche Kontakt zum Kunden eine weitere wesentliche Komponente der Geschäftsidee des belgischen Großhändlers ist. Man stelle sich zwar auf Kundenwünsche und Marktbedürfnisse mit eigenen modernen Online-Medien an, halte aber den persönlichen Kontakt stets hoch.
Obwohl Tom Van Dyck und Rutger Veerman die Gründungsphase von Deldo Autobanden nur aus den Büchern und aus Erzählungen der älteren Mitarbeiter im durchweg jungen Team kennen, sind sich beide doch im Klaren darüber, dass sich die Situation mehr und mehr zu ihren Gunsten verändert. „Die Industrie kann heute nicht mehr auf uns verzichten“, weiß Tom Van Dyck, während sein holländischer Kollege Rutger Veerman sogar von einer Art Abhängigkeit spricht, die den internationalen Großhandel heute begünstige. Die internationalen Großhändler seien heute wirtschaftlich dermaßen stark, dass Reifenhersteller sehr darauf angewiesen sind, diesen Absatzkanal nicht zu verlieren, von den organisatorischen Erleichterungen, die ein einziger zahlungskräftiger Partner mit sich bringt, ganz zu schweigen. Während man sich früher bekämpfte, suchten beide Seiten heute „gute Beziehungen“ miteinander getreu dem Motto: „If you can’t beat them, join them.“ (Wenn Du sie nicht besiegen kannst, mach’ sie Dir zum Partner.)
Seit Umzug an den neuen Standort im Antwerpener Freihafen – übrigens nicht weit vom dortigen Opel-Werk entfernt – konnte Deldo jährlich um zehn bis 15 Prozent wachsen. Deldo nimmt heute etwa von sich in Anspruch, bei dem einen oder anderen Reifenhersteller weltweit größter Einzelkunde zu sein. Außerdem zählt der Großhändler zu den größten Lieferanten von Budget-Reifen aus Fernost.
Seit 2000 pflegt man etwa ein überaus exklusives Verhältnis mit dem chinesischen Hersteller Guangzhou South China Rubber Tire Co. Ltd. Das moderne Staatsunternehmen fertigt jedes Jahr rund sechs Millionen Reifen der Marken Wanli, Sunny und seit neuestem der Deldo-Eigenmarke Fortuna her, die das belgische Unternehmen exklusiv in Europa vertreibt. In diesem Jahr nimmt Deldo etwa 2,2 Millionen Reifen von South China Tire; im kommenden Jahr sollen dies bereits 2,5 Millionen Reifen sein. Somit kauft Deldo mehr als ein Drittel der Jahresproduktion des chinesischen Partners auf, der derzeit eine zweite Fabrik am Standort Guangzhou (Guangdong-Provinz; bei Hongkong am Pearl River) errichtet. Insgesamt verkaufe man jährlich etwa 3,5 Millionen Reifen, die dem Budget-Segment zuzuordnen sind. Zu Deldos Portfolio gehört ebenfalls exklusiv die Marke Roadstone, die vom südkoreanischen Hersteller Nexen Corp. produziert wird. Dabei kann Deldo gerade im Budget-Segment seine langjährigen Beziehungen nach Fernost nutzen, um auf den allgemeinen, europäischen Markttrend hin zu Reifen mit einem adäquaten Preis-Leistungs-Verhältnis immer eine richtige Antwort bieten zu können, so scheint es.
Seit dem vergangenen Jahr führt Deldo mit Fortuna eine Eigenmarke im Sortiment, von der man sich in Antwerpen einiges verspricht. Während diese Marke derzeit nur als Pkw-Sommerreifen in 24 Größen verfügbar ist, soll dieses Angebot während der kommenden zwei Jahr deutlich ausgebaut werden, verspricht Rutger Veerman. Es sei nun etwa die Entscheidung gefallen, dass South China Tire zur Saison 2007/2008 erstmals auch Fortuna-Winterreifen liefern wird. Auch für den belgischen Großhändler stellen Winterreifen derzeit den großen Wachstumsmarkt dar. Allein während der vergangenen Saison habe hier der Absatz um rund 40 Prozent zugelegt, so Tom Van Dyck. Die zweite Eigenmarke, mit der Deldo Händler weltweit exklusiv beliefern kann, ist Minerva. Wie allseits bekannt, wenn auch nicht offiziell kommuniziert, entsteht diese Eigenmarke bei Continental und wird folglich unter Hinweis auf das „German Engineering“ vermarktet. Minerva ist ebenfalls als Transporterreifen verfügbar.
Dass der deutsche bzw. der deutsch-sprachige Ersatzmarkt für den belgischen Großhändler eine besondere Rolle spielt, verwundert natürlich nicht. Von den etwa 250 Millionen Euro Umsatz, die Deldo in diesem Jahr voraussichtlich erzielen wird, werden etwa 75 Millionen Euro von Tom Van Dyck und seinen sieben direkten Mitarbeitern in Deutschland, Österreich und der Schweiz generiert. Deldo setzt also hierzulande knapp jeden dritten Euro um. Im vergangenen Jahr sind rund 1,5 Millionen Reifen in Deutschland abgesetzt worden, was wiederum knapp einem Viertel des Absatzes entspricht. Dabei gehören Autohäuser nicht zum Kundenstamm des Großhändlers: „Dies sind die Kunden unserer Kunden“, erklärt Verkaufsleiter Van Dyck. arno.borchers@reifenpresse.de
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