Europa ist nicht alles für Goodyear. Aber ohne Europa ist alles nichts
Dass der Goodyear-Konzern seine Zukunft wieder positiver einschätzen darf als noch im letzten Jahr hat besonders mit der guten Performance des Unternehmens in Europa (Ost und West) sowie in Lateinamerika zu tun. Europa hat 32 % zum Umsatz des ersten Quartals 2005 beigetragen, aber damit 53 % des gesamten Operating Profits erwirtschaftet. Konnten damit der Zentrale in Akron schon wirklich gute Zahlen gemeldet werden, waren die Zahlen aus Lateinamerika geradezu überragend. Mit einem Umsatz von „nur“ 348 Millionen Dollar gelang ein Operating Profit von 87 Millionen Dollar. Damit ist eine große Abhängigkeit von diesen beiden Regionen entstanden, die zum Umsatz im ersten Quartal 39,5 %, aber 83 % zum gesamten Operating Profit beigetragen haben. Die Achillesferse des Konzerns ist das Reifengeschäft in Nordamerika (NAT – North American Tires), in welchem der Turnaround nur äußerst langsam dahinschleicht. Die NAT-Division steuert rund 45 Prozent zum Gesamtumsatz bei, aber weniger als vier Prozent zum Operating Profit. Diese Entwicklung haben manche Analysten als „enttäuschend“ angesichts ansonsten positiver Marktentwicklungen in Nordamerika beurteilt und sie weisen zudem darauf hin, dass der Konzern in diesem und im kommenden Jahr jeweils mehrere 100 Millionen Dollar zur Verringerung der Unterdeckung des Pensions Fonds einzuzahlen hat und zudem als weitere große Herausforderung auf Jahre hinaus bleiben wird, den Schuldenberg von rund 5,6 Milliarden Dollar abtragen zu können. Ansonsten benötigen die Amerikaner zu viel Geld für Zinsen, das Wettbewerber in Produktionsstätten investieren können. Damit es auch in naher Zukunft keine weiteren Risiken gibt, müssen die guten Ergebnisse in Europa und Lateinamerika beibehalten werden.
Goodyear hat Europa nach wie vor in Ost und West aufgeteilt. Für den kleineren, aber hochprofitablen Ostteil (Umsatz im 1. Quartal 2005: 340 Millionen Dollar, Operating Profit 47 Millionen Dollar, entsprechend einer Marge von 13,8 %) ist Jarro Kaplan als President verantwortlich, während Westeuropa (Umsatz im 1. Quartal 2005: 1,198 Mrd. Dollar, Operating Profit 107 Millionen Dollar, entsprechend einer Marge von 8,9 %) von Mike Roney gemanagt wird. Kaplan sieht die Trennung in Ost und West, die ihre Ursache im Jointventure mit Dunlop bzw. Sumitomo Rubber Industries hat, als Vorteil, weil sich die Marktbedingungen in Osteuropa von denen in reiferen Märkten doch sehr unterscheiden. Die Bearbeitung dieser Märkte erfordere daher unterschiedliche Ansätze. So hat die Marke Debica in Polen den mit Abstand höchsten Marktanteil aller Konzernmarken, doch im Rahmen einer Mehr-Marken-Strategie geht es Kaplan dennoch darum, den Anteil der Premiummarken Goodyear und Dunlop wie auch Fulda zu erhöhen. Und damit dieser Umschwung auf Premiummarken gelingt, setzt er auf den „Unternehmergeist“, der dem Tempo gut tue, darauf dass in Westeuropa bewährte Konzepte auch in Osteuropa, so vor allem in Polen, umgesetzt werden können. Das war auch ein wesentlicher Grund dafür, Jörg Uellendahl als Direktor Retail zu engagieren, der Garantie dafür sei, dass Premio-Konzepte eins zu eins umgesetzt und billige Kompromisse vermieden würden. Im Geschäft mit großen Lkw-Flotten setzt man auch in Osteuropa inzwischen auf die Marke Goodyear, so bei dem Großkunden Hungarocamion, um nur ein Beispiel namentlich heranzuziehen. Nach allen bisher bekannt gegebenen Zahlen ist und bleibt die Osteuropa-Division des Konzerns auf deutlichem Expansions- und Wachstumspfad. Das Potenzial ist riesig und insbesondere die Märkte Polen und Türkei versprechen schon wegen der hohen Bevölkerungszahlen große Entwicklungen. Und auch in Russland will Kaplan nun endlich ernst machen. Der Konzern hat ein Off-Take mit dem russischen Reifenhersteller Yaroslavl, der zur Sibur-Gruppe zählt, und es halten sich hartnäckig Gerüchte, Goodyear verhandele mit dem größten russischen Reifenhersteller Nizhnekamskshina zwecks Übernahme. Dazu war Kaplan jedoch nichts zu entlocken, aber er unterstrich die verstärkten Bemühungen, auch in Russland insbesondere mit den Premiummarken Goodyear, Dunlop und Fulda stärker Fuß zu fassen. Seit zwei Jahren etwa wird die Organisation verstärkt, werden mehr Leute eingestellt, und inzwischen gibt es auch bereits ein Händlernetz, mit dem weite Teile Russlands wenn schon nicht abgedeckt, so doch bearbeitet werden können. Die jetzigen Bemühungen sind ganz offensichtlich als Vorstufe zu werten. Man wird eine Produktionsstätte in Russland über kurz oder lang brauchen und bekommen und man stellt immer mehr Außendienstler ein, mit denen das Potenzial gehoben werden soll. Osteuropa braucht Manager, Goodyear braucht mehr fähige Manager, die beim Aufbau helfen, die unterschiedlichen Landeskulturen respektieren, um das riesige Potenzial der einzelnen Märkte ausschöpfen können.
Auch der President von Goodyear Westeuropa, Mike Roney, kann sich derzeit etwas relaxter zurücklehnen. Der deutschsprachige Raum läuft nach wie vor bestens und es scheint so zu sein, dass die großen Baustellen Frankreich und Großbritannien weniger Verluste erleiden als vorher. Ob dabei allerdings tatsächlich in Großbritannien bereits ein positives Ergebnis gefeiert werden kann, ist eine eher offene Frage und wird intern nach wie vor bezweifelt. Goodyear verhält sich auf reifen Märkten nicht anders als alle großen Konkurrenten. Man zielt auf die anspruchsvollen Felder, auf UHP-Reifen, 4 x 4-Reifen, auf anspruchsvollere Winterreifen und natürlich auf das wachsende Segment der Runflats. Bereits im letzten Jahr gelang es, rund 2,5 Millionen Runflats zu verkaufen und in diesem Jahr sollen es auf einen Schlag 4 bis 4,5 Millionen werden. Der Anteil am Erstausrüstungsgeschäft bei BMW ist relativ hoch und mit dem Erfolg der Bayerischen Motoren Werke will Goodyear auch größere Erfolge feiern. An einen Verkauf der Agro-Division, so hat es Goodyear in Nordamerika mit dem Verkauf an Titan inzwischen vorgemacht, denkt Roney nicht. Denn in Europa ist man hinsichtlich Radialisierung sehr viel weiter als in den USA und die Zukunftsinvestitionen können demzufolge auf diesem Kontinent geringer gehalten werden als das in den USA möglich wäre. Dort beginnt die Radialisierung erst ganz allmählich und es dürfte schwer sein, einen Zeitrahmen zu setzen, innerhalb dessen die Radialisierung zu einem Abschluss kommen könnte, sodass noch viele Jahre lang diagonale Treibradreifen den Markt bestimmen werden, mit denen Goodyear in Amerika jedenfalls bisher kein Geld verdienen konnte. Ein weiterer wesentlicher Vorteil für Europa könnte sein, dass nicht allein die Radialisierung in Westeuropa bereits sehr weit fortgeschritten ist, sondern zusätzlich in Osteuropa sich neue Märkte auftun, und zwar sowohl für die radialen als auch für die alt bewährten diagonalen Treibradreifen.
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