Renntempo statt Reformstau
Die Weichen sind gestellt: In dieser Woche schließen die Formel 1-Teams ihre Wintertests ab und begeben sich auf den langen Weg nach Australien. Dort beginnt am 6. März auf dem Stadtkurs von Melbourne die mit 19 Rennen bisher längste Saison in der Geschichte des Grand Prix-Sports, die – ein weiteres Novum – erstmals auch in der Türkei ein Gastspiel gibt. Das gravierend modifizierte Motoren-, Reifen- und Aerodynamikreglement sorgt für einschneidende technische Veränderungen, zahlreiche Top-Piloten haben das Team gewechselt. Die Karten also sind neu gemischt – gut genug, um das Kräfteverhältnis in der Formel 1 neu zu definieren?
Die rennfreie Winterzeit neigt sich in der Formel 1 ihrem Ende zu. Wenn am 5. März auf dem Albert Park Circuit von Melbourne das erste Qualifying der Saison 2005 beginnt, dann schlägt zugleich für alle Beteiligte die Stunde der Wahrheit: Erstmals in diesem Jahr müssen Rennställe, Fahrer und Reifenhersteller ihre wahre Leistungsfähigkeit unter vergleichbaren Bedingungen unter Beweis stellen – ein spannender Moment, der zugleich Indizien für den weiteren Verlauf der Weltmeisterschaft liefert.
Dabei wartet die Formel 1-Saison 2005 mit so umfassenden Neuerungen auf wie seit 1988, dem Beginn der turbofreien Zehnzylinder-Ära, nicht mehr. Beispiel Rennreifen: Fortan dürfen die Pneus während der Grand Prix nicht mehr bei den Tankstopps gewechselt werden. Jeder Fahrer muss mit einem Satz Reifen das Qualifying und das komplette Rennen bestreiten – also eine Distanz von rund 340 Kilometer. Eine Reglementsänderung, die nicht nur Michelin und seinen Wettbewerber Bridgestone, sondern auch die Fahrer und Teams vor große Herausforderungen stellen.
Wer seine Hausaufgaben am besten gelöst hat, dies wird frühestens der Große Preis von Australien zeigen. „Michelin hat einen guten Job gemacht“, ist sich jedoch Pat Symonds sicher, der Chefingenieur des Renault F1-Teams. „Wir können mit unseren Reifen problemlos komplette Renndistanzen zurücklegen. Durch die langlebigeren Pneus haben wir nicht so viel bei den Rundenzeiten eingebüßt wie gedacht.“
Auch die Motorenhersteller sehen sich von den neuen Regularien gefordert: Fortan müssen die extrem hochdrehenden Dreiliter-Zehnzylinder nicht nur ein Grand Prix-Wochenende halten, sondern zwei. Dies entspricht einer Verlängerung ihrer Laufleistung auf mehr als 1.000 Kilometer. Radikale Einschnitte bei der Aerodynamik sorgen zudem für eine Reduzierung des Abtriebs um 25 bis 30 Prozent – ein Verlust, den die meisten Teams durch intensive Arbeit im Windkanal nach eigenen Angaben bis zum Saisonauftakt bereits um 50 Prozent wieder egalisiert haben.
Bereits 2004 gingen die Formel 1-Boliden bei 18 Grand Prix an den Start. In dieser Saison kommt ein weiteres Rennen hinzu: der Große Preis der Türkei, der erstmals am 21. August ausgetragen wird. Der 5,38 Kilometer lange „Kurtkoy International Circuit“ liegt im asiatischen Teil vor den Toren der Hauptstadt Istanbul und besitzt Tribünenplätze für 76.000 Zuschauer. Das Layout stammt von dem in aller Welt geschätzten Streckendesigner Hermann Tilke aus Aachen, der auch die Pisten in Malaysia, Bahrain und China entwarf und gebaut hat. Als typischer „Tilke-Kurs“ verfügt die Piste über einen interessanten Mix von Geraden, schnellen und mittelschnellen Kurven sowie engen Haarnadelkurven, die zum Überholen einladen. Die Streckenbetreiber versprechen gar einen Kurs, der so spektakulär sein soll wie Spa-Francorchamps und so übersichtlich wie der Hungaroring. Als dritter Kurs neben Interlagos und Imola wird das neue „Istanbul Otodrom“ gegen den Uhrzeigersinn befahren.
Bemerkenswerte Neuheit aus Sicht von Michelin: Der Reifenhersteller aus Clermont-Ferrand tritt in der neuen Saison nicht nur als Partner der Werksteams BAR-Honda, Renault F1, BMW WilliamsF1, McLaren-Mercedes und Toyota an, sondern darf neben Red Bull Racing – vormals Jaguar – auch den Rennstall von Peter Sauber als Kunden begrüßen. „Ich war mir sicher, dass die Pneus von Michelin schneller sind“, begründete der Teameigner den Wechsel seines Ausrüsters, der nicht nur für viele Fans überraschend kam, im Gespräch mit der englischen Fachzeitschrift autosport. „Eine Vermutung, die sich in unserem Fall bereits bei den ersten Testfahrten bestätigt hat.“
Ein Experiment, das vor Jahresfrist auch BAR-Honda riskiert hat. Nach seiner ersten Saison auf Rennpneus von Michelin kann der britisch-japanische Rennstall zufrieden zurückblicken: Die Stammfahrer Jenson Button und Takuma Sato errangen nicht weniger als 119 WM-Punkte – mehr, als dieses Team in seiner fünfjährigen Formel 1-Geschichte zuvor zusammen gesammelt hat und genug für den zweiten Rang in der Konstrukteurs-Meisterschaft. Zugleich verbesserte sich BAR-Honda im Vergleich der schnellsten Rennrunden von 2003 auf 2004 um 3,15 Sekunden – die Scuderia Ferrari, die das vergangenen Formel 1-Jahr klar dominieren konnte, fuhr im Durchschnitt nur um 2,65 Sekunden schneller.
Viel neue Konstellationen erwarten die Formel 1-Fans auch hinsichtlich der Fahrer-Besetzung: Lediglich zwei Teams vertrauen für 2005 auf jenes Piloten-Duo, mit dem sie auch in die vergangene Saison gestartet sind – Ferrari und BAR-Honda. Ansonsten drehte das Fahrer-Karussel so manche Sonderrunde. Michelin-Partner BMW WilliamsF1 zum Beispiel begrüßt mit dem Australier Mark Webber und Nick Heidfeld aus Mönchengladbach gleich zwei neue Renn-Chauffeure. Der Deutsche setzte sich dabei in einem ausführlichen Auswahlverfahren gegen den Brasilianer Antonio Pizzonia durch und besitzt damit zum ersten Mal in seiner sechsjährigen Formel 1-Karriere ein konkurrenzfähiges Auto, mit dem er um Siege und den WM-Titel kämpfen kann.
Heidfeld übernimmt damit das Cockpit von seinem Landsmann Ralf Schumacher, der fortan an der Seite des bekannt schnellen Italieners Jarno Trulli in den Farben von Toyota antritt. Das in Köln beheimatete Team stellte seine enormen Ressourcen bereits unter Beweis: Vor dem Auftaktrennen erhielt der von Grund auf neu entwickelte Toyota TF105 eine nochmal komplett überarbeitete Aerodynamik, die – so Schumacher – deutlich mehr Abtrieb entwickelt soll.
Mit „Feuer und Eis“ lässt sich das neue Fahrer-Duo von Michelin-Partner McLaren-Mercedes umschreiben: Der kühle Finne Kimi Räikkönen erhielt mit Juan Pablo Montoya einen Teamkollegen, der eher für sein heißblütiges südamerikanisches Temperament bekannt ist. Der Kolumbianer löste David Coulthard ab. Der Schotte nahm nach zehn Jahren am Steuer der Silberpfeile eine neue Herausforderung an und stellt sein geballtes Know-how sowie seinen anerkannt schonungsvollen Umgang mit den Rennreifen von Michelin in den Dienst des neuen Rennstalls Red Bull Racing. Als Nummer-2-Pilot des ehemaligen Jaguar-Werksteams stehen gleich zwei Fahrer bereit: Christian Klien aus Österreich geht auf jeden Fall in Australien, Malaysia und Bahrain an den Start, soll sich aber im Laufe der Saison mit dem amtierenden Formel 3000-Meister Vitantonio Liuzzi aus Italien abwechseln.
Auf südländisches Talent vertraut auch Renault F1. Mit dem noch jungen Spanier Fernando Alonso und Rückkehrer Giancarlo Fisichella am Steuer des viel versprechenden neuen Renault R25 will Teamchef Flavio Briatore die Scuderia Ferrari herausfordern und im Kampf um den Konstrukteurs-Titel ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Den Platz von Fisichella im Rennstall von Peter Sauber nimmt dafür ein ehemaliger Weltmeister ein, der die letzten drei Grand Prix 2004 noch für die französische Werks-Equipe am Volant drehte: Formel 1-Rückkehrer Jacques Villeneuve, der Champion von 1996. Ihm zur Seite steht mit Felipe Massa ein ebenfalls hochtalentierter Brasilianer.
Während Ferrari unverändert auf den nunmehr siebenfachen Weltmeister Michael Schumacher sowie Rubens Barrichello setzt, vertrauen Minardi (Christijan Albers/Patrick Friesacher) und das vom Stahlmagnaten Alexander Shnaider übernommene Jordan-Team mit Tiago Monteiro und dem Inder Narain Karthikeyan jeweils auf Formel 1-Neulinge
Einen Vorteil besitzen diese vier Debütanten: Sie müssen sich für den neuen Zeitplan, der fortan die Grand Prix-Wochenenden bestimmt, nicht umgewöhnen. Denn ab Melbourne 2005 gilt: Die Startaufstellung wird in einem zweigeteilten Qualifying ermittelt, deren Zeiten addiert werden. Gehen die Piloten am Samstag Nachmittag ab 13 Uhr mit wenig Treibstoff-Ballast auf die Strecke, so müssen sie das zweite Zeittraining – das am Sonntag Morgen um zehn Uhr beginnt – mit jener Tankfüllung bestreiten, mit der sie auch ins Rennen starten.
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