MotoGP-Technologie steht Pate bei Michelins „Power Race“

Nachdem Michelin 1987 als erster Hersteller in Serie produzierte Radialreifen eingeführt und zwölf Jahre später den ersten serienmäßig gefertigten silicaverstärkten Reifen zur Marktreife entwickelt hat, will das französische Unternehmen nun vor allem die Motorrad fahrende Kundschaft mit einer weiteren Innovation überzeugen. Denn bei dem neuen straßenzugelassenen Motorradrennreifen „Power Race“, der am oberen Ende des Michelin-Produktprogramms angesiedelt ist und hier die „Pilot-Race-2“-Familie ersetzt, besteht die Lauffläche je nach Dimension und konkreter Ausführung – unterschieden werden die Varianten „Medium“, „Medium Soft“ und „Soft“ – aus zwei unterschiedlichen Gummimischungen. „Two Compound Technology“ (2CT) nennt Michelin diesen Ansatz, der seinen Ursprung im Motorsport, genauer gesagt in der MotoGP-Serie hat. Darüber hinaus setzt man bei dem „Power Race“ nicht nur auf dieselben Gummimischungen wie in der MotoGP-Serie, sondern fertigt ihn in den meisten Versionen auch in demselben Verfahren (C3M) wie die Rennreifen für die Königsklasse des Motorradrennsports.

Ausgenommen davon sind lediglich die 110/70-ZR17- und 150/60-ZR17-Modelle zur Bereifung von Motorrädern mit 125 und 250 Kubikzentimetern Hubraum – auf diese Varianten entfallen laut Michelin allerdings weniger als vier Prozent aller produzierten „Power-Race“-Reifen. „Mit dem C3M-Verfahren wird der Reifen auf einem soliden Kern aufgebaut: Die Form des ‚rohen’ Reifens ist die des fertigen, ‚gekochten’ Reifens. Das Fertigungsverfahren ermöglicht höchste Präzision bei Volumen und Geometrie und ist daher besonders für Zweikomponentenreifen wie den Michelin ‚Power Race’ geeignet“, sagt der Hersteller. „Ein weiterer Vorteil des C3M-Fertigungsprozesses ist dessen Flexibilität“, erzählt Thomas Ochsenreither, Leiter Erstausrüstung Deutschland/Österreich/Schweiz der Michelin-Zweiraddivision. „Wenn sich an einem MotoGP-Rennwochenende plötzlich die Witterungsverhältnisse ändern, kann damit über Nacht eine neue, den geänderten Bedingungen angepasste Spezifikation produziert werden, die dann schon am darauf folgenden Renntag den Teams zur Verfügung steht“, führt Ochsenreither weiter aus.

Beim neuen „Power Race“ greift Michelin zwar auf die schon beim im vergangenen Jahr vorgestellten „Pilot Power“ verwendete, so genannte C-RAO-Mischung (Compound-RAcing Optimization) aus der MotoGP zurück. Auch die darin verarbeiteten 100-prozentigen synthetischen Elastomere, die bei dem Hersteller unter der Bezeichnung MRSE (Michelin Racing Synthetic Elastomers) zusammengefasst werden, und die beiden zu 100 Prozent synthetischen Zusätze namens MMC (Macro Molecular Compound) und HSTC (High Tech Synthetic Compound) sind schon vom „Pilot Power“ her bekannt. Doch die Unterteilung der Lauffläche in mehrere Zonen – die an den Reifenschultern eingesetzte Gummimischung unterscheidet sich beim „Medium“-Vorder- und -Hinterradreifen sowie beim „Medium-Soft“-Vorderradreifen von dem in der Reifenmitte verwendeten Gummi – stellt ein Novum dar.

Als Grund für die Wahl unterschiedlicher Mischungen in der Schulter und im Mittenbereich nennt Ochsenreither die unterschiedliche Beanspruchung eines Reifens in diesen beiden Bereichen. Wird die Maschine einfach nur geradeaus gefahren, berührt der Mittelstreifen der Lauffläche den Boden – bei der Kurvenfahrt bzw. in Schräglage ist dagegen eher der Schulterbereich gefordert. „Und da hierbei der Grip ganz besonders wichtig ist, sind die Mischungen in diesem Bereich weicher ausgelegt als in der Mitte, wo eine zu weiche Mischung nur unnötig schnell verschleißen würde“, ergänzt er. Die Laufflächenmitte stehe demgegenüber im Zusammenhang mit dem Beschleunigen und Abbremsen der Maschine im Vordergrund, wobei es aufgrund der hohen Leistungswerte moderner Motorräder zu extremen Belastungen kommen könne. Diesen sei eine härtere Mischung deutlich besser gewachsen. „In der Summe sorgen wir damit für einen gleichmäßigeren Abrieb, weil jeder Bereich des Reifens optimal auf die spezifischen Anforderungen abgestimmt ist“, meint Ochsenreither. „Die Haltbarkeit des Reifens konnte auf diese Weise deutlich verbessert werden, sodass das Verschleißverhalten des ‚Power Race’ den Erwartungen aller Hobbyrennpiloten gerecht wird. Denn die wollen nicht schon nach wenigen Runden im Renntempo einen neuen Reifen aufziehen müssen. Der ‚Power Race’ übersteht dagegen problemlos selbst zwei komplette Tage auf der Rennstrecke.“

Allerdings verwendet Michelin bei dem neuen „Power Race“ nicht nur zwei Gummimischungen. Wenn man die unterschiedlichen, miteinander kombinierbaren Ausführungen „Medium“, „Medium Soft“ und „Soft“ sowie deren voneinander abweichende Härtegrade am Vorder- und Hinterrad mit in die Betrachtung einbezieht, ergeben sich in der Summe insgesamt sogar sieben verschiedene Gummimischungen. Die einzelnen Varianten unterscheiden sich zudem durch die Untergliederung der Lauffläche in größere oder kleinere „Medium-“ bzw. „Soft“-Anteile. „Dies ermöglicht uns einen maßgeschneiderten, für den Straßeneinsatz zugelassenen Rennreifen anzubieten, der für sportliche Motorräder mit unterschiedlichem Hubraum und unterschiedlicher Motorleistung geeignet ist“, hebt Stéphane Schröder hervor, der bei Michelin für das Marketing der Zweiraddivision in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich zeichnet.

Da das „Power-Race“-Programm auf sieben verschiedenen Gummimischungen beruhe, decke es die unterschiedlichsten Einsatzbereiche ab – von der Straße bis hin zur Rennstrecke. Allerdings ist die „Medium-Soft“-Variante in Deutschland ausschließlich Rennkursen vorbehalten. „Wir planen für diese Version keine der nur hierzulande benötigten Freigaben zu fahren, da sie bei Nässe nicht die Leistungen bringt, die wir von einem Straßenreifen erwarten“, verdeutlicht Ochsenreither. Unabhängig davon sollen alle Mischungen jedoch sehr schnell die Betriebstemperatur erreichen, damit den Fahrern schon bei niedrigen Temperaturen ordentlich Haftung bereitsteht. „Wir bieten sieben Gummimischungen an, weil Vorder- und Hinterrad eines Motorrades unterschiedlich beansprucht werden. Der Vorderreifen wird weniger belastet als der Hinterreifen und besteht daher aus weicheren Gummimischungen, die besseren Grip, höhere Spurtreue und angenehmeres Fahrgefühl gewährleisten. Die Gummimischung des Hinterradreifens, der auch die Antriebskräfte überträgt, ist härter und daher auch haltbarer“, ergänzt Ochsenreither. Die „Medium-“ und „Medium-Soft“-Ausführungen sollen dabei einen besseren Kompromiss zwischen Aufwärmphase, Stabilität, Leistung und Haltbarkeit bieten, während die „Soft“-Ausführung vor allem auf maximalen Grip ausgelegt ist.

Damit angesichts der Vielfalt der angebotenen Mischungsvarianten und den damit verbundenen Kombinationsmöglichkeiten niemand den Überblick verliert, gibt Michelin allen Interessierten einen so genannten „Tyre Guide“ an die Hand. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine Software, die auf CD-ROM dem „Power-Race“-Produktfolder beiliegt und den Motorradfahrer bei der Auswahl der richtigen Mischungskombination für den jeweiligen Einsatzzweck unterstützen soll. Das Programm, das sich allerdings auch unter der Adresse www.michelin-motorrad.de von den Michelin-Motorradwebseiten herunterladen lässt, bestimmt anhand der vom Benutzer einzugebenden fünf Parameter Außentemperatur (hoch, niedrig oder mittel), Wetter (trocken, feucht oder Regen), Streckenart (schnell mit breiten Kurven oder kurvig), Einsatzbereich (Qualifizierung, Rennen zwischen 50 und 100 Kilometer, Rennen über 100 Kilometer oder Straße/Hobbyrennen) und Hubraum (bis 750 Kubikzentimeter Hubraum oder darüber) die optimale „Power-Race“-Paarung.

„Die technischen Details – insbesondere im Zusammenhang mit den vielen verschiedenen Gummimischungen – sind schwierig zu vermitteln. Deshalb kann hier die Produktinfo zusammen mit der CD einen Beitrag zum Verständnis und zur richtigen Reifenwahl für den jeweiligen Einsatz leisten“, ist Stéphane Schröder überzeugt. Denn nicht jeder hat wie die zur Präsentation des „Power Race“ auf die Rennstrecke in Calafat (Spanien) geladene Fachpresse die Gelegenheit, die perfekte Reifenpaarung durch ausgedehnte Testrunden selbst herauszufinden. Zumal Michelin den geladenen Pressevertretern zugleich anbot, in intensiven Fahrtests die Unterschiede etwa zu einem „Pilot Power“ herauszufahren. Außerdem hatte der Hersteller einige Großenduros zur Verfügung gestellt – alternativ bereift mit dem „Anakee“ oder einer speziell für diese Maschinen entwickelten Variante des „Pilot Road“, die Michelin erst zur Motorradmesse Intermot im vergangenen Herbst vorgestellt hatte.

Mit diesem Radialreifen für das Sporttouringsegment sieht sich der Hersteller gut vorbereitet auf die weitere Entwicklung des Motorradreifenmarktes. „Während wir bis zum Jahr 2009 von nahezu stabilen Anteilen fast aller Marktsegmente ausgehen, werden radiale Sporttouringreifen in Zukunft deutlich auf Kosten ihrer Pendants in diagonaler Bauweise zulegen“, ist Schröder sicher. Nach den von ihm in Calafat präsentierten Marktzahlen liegen schon heute radiale und diagonale Sporttouringreifen mit einem Anteil von jeweils rund 20 Prozent am Gesamtmarkt in Deutschland in der Käufergunst gleichauf. Vor fünf Jahren sei dies noch ganz anders gewesen. Laut seinen Aussagen kamen diagonale Sporttouringreifen 1999 noch auf einen Anteil von 28 Prozent, und ihre radialen Gegenstücke lagen bei lediglich 13 Prozent. „Dieses Bild wird sich bis 2009 nahezu umgekehrt haben. Wir erwarten dann etwa 25 Prozent Marktanteil für radiale und nur noch 17 Prozent für diagonale Sporttouringreifen“, gewährt Schröder einen Einblick in die Prognosen Michelins. Insofern ist es verständlich, dass der Reifenhersteller bei dem Presseworkshop in Calafat nicht nur den „Power Race“, sondern auch seine anderen Produkte und vor allem den „Pilot Road“ für die boomenden Großenduros in Szene zu setzen wusste.

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