Demo gegen Conti, für Arbeitsplätze
Ein Stadtteil droht zu sterben – Harburg ist Phoenix und Phoenix ist Harburg. Kein Hamburger Stadtteil ist so mit einem Unternehmen verzahnt, seit 148 Jahren. Mit den Massenentlassungen, die Continental nach der Übernahme plant, sehen sich nicht nur viele Menschen in ihrer Existenz bedroht, ein ganzer Stadtteil hat Angst zu sterben. Deswegen sind am 20. Dezember 2.000 Menschen – wahrscheinlich waren es einige mehr – in Harburg auf die Straßen gegangen, um zu demonstrieren: Zielscheiben des Protests waren das eigene Spitzenmanagement, der Hamburger Senat, vor allem aber Continental und deren Vorstandsvorsitzender Manfred Wennemer.
Zu einem zentralen Platz in Harburg war wenige Tage zuvor zu einer Demonstration aufgerufen worden, die unter dem Slogan stand „Wenn Phoenix stirbt, stirbt auch Harburg“. Die NEUE REIFENZEITUNG war vor Ort, um Stimmen und Stimmungen einzufangen. Auch um denen zu begegnen, die hinterher verharmlosen wollen, da seien nur ein paar versprengte Gewerkschafter und Politbonzen zusammengekommen. Das stimmt nicht!
Die Stimmung unter den Demonstranten ist miserabel, nahezu alle Varianten sind anzutreffen, nur blanker Hass fehlt, als wäre dies nicht mit den guten hanseatischen Tugenden vereinbar. Gewiss: Da sind auch die Fahnen der Parteien (hier der SPD) und die Handzettel der IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) – aber es ist nicht ihre Demo, sondern die der Betroffenen, der Arbeiter und Angestellten und ihrer Familien, die bei Phoenix arbeiten. Traurigkeit, Wut, Enttäuschung, Lethargie, Kampfeslust, Hilflosigkeit, Existenzangst – alles da. Und wer kein „Phoenixianer“ ist, so nennen sich die Mitarbeiter des Unternehmens selbst und werden sie von der Bevölkerung genannt, der kann sich der Betroffenheit nicht verschließen. Hier sind keine Berufsdemonstranten und Krawallmacher, die meisten Menschen sind das erste Mal in ihrem Leben auf der Straße, um zu demonstrieren, das Lachen ist den Phoenixianern vergangen, keiner schert trotz bitterer Kälte aus, als der Harburger Weihnachtsmarkt, der in diesem Jahr sein 50. Jubiläum begeht, und die Glühweinstände passiert werden. Statt dessen reihen sich immer mehr ein. Mag die Anzahl der Demonstranten zu Beginn noch unter 2.000 gewesen sein, vor dem Phoenix-Verwaltungsgebäude sind es mehr. Sie tragen Kreuze und selbstbeschriebene Pappschilder, die Reime der Slogans sind oft holprig, das macht sie um so authentischer.
Viele Phoenixianer haben das Vertrauen verloren: Der Kampfeslustige entdeckt den Kollegen am Straßenrand und fordert ihn auf, sich einzureihen, dieser Kollege schleicht gesenkten Hauptes von dannen. Ein nagelneuer riesig dimensionierter Super-Konsumtempel wird von dem Demonstartionszug – angeführt wird er von einem Totenglöcklein, vier Sargträgern und einem Scharfrichter – passiert. „Die können den Namen gleich wieder ändern“, sagt einer mit Blick auf den Schriftzug „Phoenix Center“, weil er glaubt: Wo keine Phoenix, da auch kein Phoenix Center. Aus dem Einkaufszentrum kommt eine Frau, schließt sich der Menge an und fragt in die Runde, ob sie es sich denn auch in Zukunft würden leisten können, hier shoppen zu gehen.
Die Gewerkschafter haben Käppchen verteilt mit der Aufschrift „Phoenix – Wir wehren uns!“ und in der aggressiven Kampfesfarbe Rot, dem Kleinkind, das mit seiner Mutter gekommen ist, wird der Luftballon ums Handgelenk gebunden, der Luftballon ist schwarz, die düstere Farbe der Trauer. Dazwischen sind die Stimmen und Stimmungen der Phoenixianer, die sich als „Familie“ begriffen haben, eine hohe Loyalität zu ihrem Stadtteil und ihrer Phoenix haben. Fast 150 Jahre gibt es das Unternehmen, das früher auch einmal Reifen gefertigt hat, die sattesten Profite in der gesamten Firmengeschichte werden in 2004 eingefahren, den Arbeitern ist für diese Leistung auf die Schulter geklopft worden. „Erklär’ uns mal, warum wir dafür jetzt einen Fußtritt kriegen!“ wird der angereiste Journalist gefragt. Jede Antwort würde in dieser Situation beim Fragenden als blanker Zynismus empfunden.
Kirche, Gewerkschaften, SPD, der Betriebsrat – die Abschlusskundgebung ist in der Hand der Organisierten. Der Hamburger Senat gehöre aus der Stadt gejagt, bei Beiersdorf hat er 1,1 Milliarden Euro ausgegeben, um Airbus gekämpft – und Phoenix im Stich gelassen. Die Spitzenmanager von Phoenix bekommen ihr Fett auch weg: Sie hätten sich bereichert, seien abgesichert über Jobversprechungen Continentals, haben an sich selbst gedacht, nicht an die vielen Phoenixianer, die daran erinnern, dass einmal 4.500 Menschen für das Traditionsunternehmen in Harburg gearbeitet haben, jetzt sind es noch 2.700. Continental wollte erst 700 Arbeitsplätze streichen, jetzt ist die Rede von 850 bis 900, irgendwann – so fürchten sie – wird Phoenix ganz „platt gemacht“. Die Argumente kennt man heute schon: So viel (traditionsbehafteter, aber eben auch alter) Raum für so wenig Mitarbeiter, das kann sich doch nicht rechnen. Die Menschen haben das Vertrauen in ihre eigene Unternehmensspitze und in die Politik verloren. Wie Continental jemals Vertrauen gewinnen soll, ist ein Rätsel. Der Betriebsrat sagt, bis zum heutigen Tage nicht vom Continental-Management über dessen Ziele informiert und die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Maßnahmen aufgeklärt worden zu sein.
So schießt sich denn die Mehrheit auf die Continental AG ein und auf deren Vorstandsvorsitzenden Manfred Wennemer. „Warum wurde der denn Manager des Jahres?“ – Wieder bleibt eine Frage unbeantwortet. Conti wird in die Rolle des bösen Schurken in dem Spiel gedrängt. Das sei keine Fusion (mit ContiTech, d. Red.), sondern eine feindliche Übernahme. Dem Conti-VV reichen zehn Prozent Rendite nicht, jetzt sollen es 15 Prozent sein. Es wird in Zweifel gezogen, dass es sich bei Conti „um ein seriöses Unternehmen“ handelt.
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