Pirelli-Chef Star der italienischen Wirtschaft
Im Rahmen der Übernahme von Telecom Italia Mobile (TIM) durch Telecom Italia (TI) und Kapitalerhöhungen bei Pirelli sowie des von Pirelli kontrollierten Konsortiums Olimpia, das größter Gesellschafter an TI ist, fällt derzeit auch immer wieder der Name Marco Tronchetti Provera, in Personalunion Chairman bei Pirelli wie bei TI. Tronchetti Provera ist seit langem der Star unter den Industriellen Italiens und gilt als der mächtigste Wirtschaftskapitän des Landes.
Die Doppelfunktion bei einem Reifenhersteller wie bei einem Telekommunikationskonzern spricht schon dafür, dass hier ein Manager am Werke ist, der weit über den Tellerrand des jeweiligen Unternehmens blicken kann, das Tagesgeschäft muss solch ein Wirtschaftsführer fast zwangsläufig seinen leitenden Angestellten übertragen. Hier trifft es sich gut, dass er Spitzenkräfte der Pirelli-Geschäftseinheit Kabel bei TI positionieren konnte, bei denen Tronchetti Provera sicher sein konnte, dass sie etwas vom Geschäft verstehen.
Marco Tronchetti Provera wird 1948 in Mailand geboren, studiert Betriebswirtschaft und graduiert 1971 an der Bocconi-Universität von Mailand in „Business and Administration“. In den 70er und 80er Jahren führt er das Familienunternehmen, in das er hineingeboren war und das im Handel mit Rohstoffen und Schiffstransport engagiert ist, aus kleinen Anfängen in neue Sphären, vor allem gründet er Mitte der 80er Jahre die später börsennotierte Holding CAM.FIN SpA (meist Camfin genannt), die noch heute an der Spitze diverser übereinandergestapelter Holdings und Beteiligungen steht.
Dann heiratet er die Tochter des Industrietycoons Leopoldo Pirelli und rückt damit endgültig auf in die oberste Kaste des italienischen Geldadels. Seine Bewährungsprobe besteht Tronchetti, dessen Camfin schon 1986 zu einem Partner der Pirelli & C. geworden war, nach der gescheiterten Übernahme von Continental 1992 und der darauffolgenden Krise von Pirelli: Der so dynamisch und entschlossen auftretende Schwiegersohn löst den alten Patriarchen ab, auch das Scheitern der Ehe mit der Pirelli-Tochter und die Scheidung ändern daran nichts. Sukzessive weitet Tronchetti Provera seine Macht bzw. die der Camfin bei Pirelli aus.
Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass der meist braungebrannte Manager – der auch in den Klatschspalten zu Hause ist und dort den Agnellis (bislang die einflussreichste Industriellenfamilie Italiens) sukzessive den Rang abläuft – den Pirelli-Konzern völlig umbaut: Aus einem schnöden Reifenhersteller wird ein High-Performance-Produzent, aus der Kabelsparte ein integrierter Netzwerk-Lieferant für Kommunikations- und Energieversorgungssysteme. Er hat aber auch das Glück des Tüchtigen und veräußert während der Börseneuphorie zwei kleinere, gerade erst gegründete Technologie-Gesellschaften mit einem Umsatz von 250 Millionen Euro für satte vier Milliarden Dollar nach Amerika (überwiegend an Cisco). Kurz danach kehrt bei der New Economy Ernüchterung ein. Das gewonnene Kapital investiert Tronchetti Provera zwar auch in die bisherigen Kerngeschäftsbereiche, erschließt aber auch ein ganz neues Geschäftsfeld und engagierte sich bei der Telecom Italia, die gerade dabei ist, die bürokratischen Strukturen eines vormaligen Staatsmonopolisten abzustreifen.
Tronchettis TI-Vorgänger Roberto Colaninno war zwar die waghalsige Übernahme von Telecom Italia gelungen, danach aber an der Neuordnung der finanziellen Verhältnisse gescheitert: Bei Colaninnos Versuch, seine Olivetti mit Telecom Italia zu fusionieren, hatten die Börsianer nicht mitgezogen. Nach dem Verkauf an Tronchetti Provera und dessen Verbündete 2001 erbte der damalige und heutige Pirelli-Chef dann die Aufgabe, die von Colaninno bei Olivetti angehäuften Schulden abzubauen. Außerdem war der Turm der übereinandergestapelten Holdings für die Beherrschung von Telecom Italia immer höher, das Unternehmensgeflecht immer undurchsichtiger geworden.
Tronchetti Provera initiiert umgehend eine Kapitalerhöhung bei Olivetti trotz eines gerade ungünstig erscheinenden Börsenumfelds, er verkauft ein von Colaninno angehäuftes Sammelsurium von Minderheitsbeteiligungen und der Turm der Holdings wird verkleinert. Nun plant er mit der Zusammenlegung von Telecom Italia und Telecom Italia Mobile den nächsten Schritt, 56 Prozent der Anteile an TIM hält TI bereits, die anderen 44 Prozent werden an der Börse gehandelt.
Jetzt kommt die von Pirelli mehrheitlich und einigen Partnern gegründete Olimpia SpA ins Spiel, die 17 Prozent der Anteile an TI hält. Pirelli wiederum hält an Olimpia 51 Prozent der Anteile, die Minderheitsgesellschafter gehören allesamt zu den ersten Adressen der italienischen Wirtschaft: die Familie Benetton, der Finanzier Emilio Gnutti und die beiden Bankengruppen Intesa und Unicredito. Die jetzt initiierte weitere Vereinfachung der Holdingstruktur und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Kapitalerhöhungen macht Tronchettis Position noch transparenter: Über die Mehrheit an einer relativ kleinen Gesellschaft mit einem Börsenwert von 422 Millionen Euro kontrolliert er die Telecom Italia und die in TI aufgehende Telecom Italia Mobile mit einem Börsenwert von zusammen fast 90 Milliarden Euro!
Marco Tronchetti Provera erscheint als genialer Finanzstratege, der andere Größen der italienischen Wirtschaft wie Schachfiguren führt. Er selbst freilich sieht sich nicht als „Finanzer“, sondern als „Industrieller“.
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