ETRA-Altreifenkonferenz 2003 in Frankfurt

Zum mittlerweile dritten Mal hatte die European Tyre Recycling Association (ETRA) Ende September zu einer Konferenz über Altreifenrecycling in Deutschland eingeladen. Im Vordergrund standen dabei – wie auch schon in den Jahren zuvor – vor allem Anwendungsmöglichkeiten von Altreifenrezyklaten bei neuen Produkten und im Bauwesen. Gut 30 Vertreter von im Recyclingbereich aktiven Unternehmen waren der Einladung des Verbandes zu der Veranstaltung in Raunheim bei Frankfurt gefolgt, die ETRA-Generalsekretärin Dr. Valerie Shulman mit einem Überblick über aktuelle Trends und Zahlen zum Reifenrecycling in Europa und Deutschland eröffnete.

Im vergangenen Jahr sind ihren Worten zufolge in den EU-Mitgliedsstaaten knapp 2,6 Millionen Tonnen an Altreifen angefallen. „Und diese Zahl wird in den nächsten Jahren durch die zehn neuen Mitgliedsstaaten noch zunehmen“, so Dr. Shulman. Aber nicht nur deshalb wird ein weiteres Anwachsen der zu entsorgenden Altreifenmengen erwartet. Selbst wenn man nur die derzeitigen 15 Mitgliedsstaaten zugrunde lege, addierten sich die zusätzlichen Mengen, die durch das Greifen des Deponierungsverbotes gemäß 1999/31/EC (Landfill Directive), der Altautoverordnung 2000/53/EC (End-of-Life Vehicle Directive) und der so genannten Waste Directive 2000/76/EC anfallen, schon allein auf jährlich rund 1,3 Millionen Tonnen. Mit etwa 900.000 Tonnen resultiert dabei laut Dr. Shulman der Löwenanteil aus dem Deponierungsverbot, während bei der Entsorgung von EU-weit gut sieben Millionen Altfahrzeugen jährlich ca. 30 Millionen Reifen oder rund 300.000 Tonnen zusätzlich anfallen könnten. Da darüber hinaus einige Zementöfen bei der Verbrennung von Altreifen bezüglich der Schadstoffemissionen die in der Direktive 2000/76/EC gesetzten Limits wohl nicht erreichen könnten, seien nochmals etwas mehr als 100.000 Tonnen zu erwarten.

Was passiert mit den anfallenden Altreifenmengen? Nach dem von Dr. Shulman präsentierten Zahlenmaterial landete im vergangenen Jahr immerhin noch ein Anteil von 35 Prozent auf Deponien – vor zehn Jahren lag der Wert ihren Aussagen zufolge sogar bei über 60 Prozent. Elf Prozent der Altreifen wurden 2002 demnach der Runderneuerung zugeführt, zehn Prozent fanden in Form von Profilreifen Wiederverwendung. Besonders große Verschiebungen habe es innerhalb der letzten zehn Jahre allerdings zugunsten einer stofflichen Verwertung von Altreifen gegeben. „Mittlerweile werden rund 21 Prozent – beispielsweise in Granulatform als Zusatz bei neuen Produkten – stofflich verwertet, 1992 waren es lediglich fünf Prozent“, erklärte Dr. Shulman. „Damit liegt dieser Zweig inzwischen nahezu gleichauf mit der energetischen Verwertung (23 Prozent) zum Beispiel in Zementöfen.“ Interessant sei dabei vor allem, dass mit einem Anteil von 67 Prozent ein Großteil der Investitionen in neue Verfahren bzw. Anlagen zur Gewinnung etwa von Granulaten oder Pulvern aus ausrangierten Reifen heute von privaten Unternehmen geleistet werde und nicht mehr wie noch vor einer Dekade mehrheitlich öffentliche Gelder fließen. „Nur noch 14 Prozent der Investitionen kommen von staatlichen Institutionen, zu 19 Prozent engagieren sich Jointventures von Privatfirmen und öffentlicher Hand“, stellte Shulman fest.

Die Bandbreite der stofflichen Verwertung von Altreifen reicht von den Pneus im Ganzen – etwa in Form künstlicher Riffe im Meer – bis hin zu Produkten oder Materialien, die ganz oder teilweise auf kleingeshredderten oder gar pulverisierten Reifen basieren. Um eine bessere Vergleichbarkeit der dabei jeweils zugrundeliegenden Altreifenrezyklate zu gewährleisten, hat das European Centre for Normalization (CEN) mit der Bezeichnung CWA 14243 – CWA steht für CEN Workshop Agreement — eine Arbeitsgrundlage geschaffen, die mittelfristig in eine Europäische Norm (EN) münden soll. In der Vornorm CWA 14243 sind laut ETRA Standardisierungswünsche von Herstellern und Nutzern von Altreifenrezyklaten ebenso berücksichtigt wie Prozesse, Materialien, spezielle Anwendungen und Qualitätssysteme. Nach Aussagen des Verbandes haben 63 öffentliche und private Unternehmen sowie Organisationen aus 18 EU- und Nicht-EU-Ländern an dem Entwurf mitgearbeitet. Die CWA beschreibt mehr als 50 Anwendungen und Produkte, die aus Altreifenrezyklaten hergestellt werden. Im Groben werden dabei vier unterschiedliche Stufen unterschieden: ganze Reifen, zerkleinerte/geshredderte/granulierte/pulverisierte Pneus mit Restgrößen von sieben bis leicht über 50 Millimeter, mehrstufig aufgearbeitete Pulver mit Teilchengrößen bis maximal sieben Millimeter sowie speziell veredelte Rezyklate mit Körnungen von weniger als 50 µm.

Entsprechend dieser Vielfalt wurden im Rahmen der ETRA-Altreifenkonferenz auch einige Anwendungsbeispiele vorgestellt. Die Bandbreite reichte dabei von Thermoplastischen Elastomeren (TPE) aus Altgummi über den Einsatz von Altreifenrezyklaten bei Sportböden/Kunstrasen bis hin zum Einsatz des „Reifenabfalls“ im Straßenbau. Darunter sind sowohl Beimischungen zum Asphalt als auch Anwendungen im Zusammenhang mit Pollern und Ähnlichem zu verstehen. „In Deutschland hat man bereits seit den 80er Jahren Erfahrungen mit Gummiasphalt, allerdings ist es unverständlicherweise in den letzten Jahren sehr ruhig um dieses Thema geworden“, erläutert ETRA-Vizepräsident Costis Keridis aus Griechenland. Dabei plädiert Keridis nicht deshalb für die Verwendung im Straßenbau, weil man mit den Altreifen halt irgendwo hin müsse, sondern weil Gummiasphaltfahrbahnen im Vergleich zum herkömmlichen Straßenbau „eben das bessere Produkt“ seien – zum Beispiel in punkto Haltbarkeit.

Insofern wurde diesbezüglich von einigen Teilnehmern die gegen eine solche Altreifenanwendung gerichtete Lobbyarbeit etablierter Firmen als ein wesentliches Übel ausgemacht. Ein Phänomen, das auch in anderen Bereichen von einigen Teilnehmern der Konferenz beklagt wurde. Gegen solche Torpedierungen von innovativen Projekten und neuen Produkten könnten kleine und mittelständische Unternehmen allein nicht viel ausrichten, wurde allgemein beklagt. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass nur durch einen starken gemeinsamen Auftritt die Akzeptanz von auf Altreifenrezyklaten basierenden Produkten gesteigert werden könne. „Ich halte dies für eines der wesentlichen Ergebnisse der Konferenz“, stellte ETRA-Vizepräsident Gilbert Johnson fest. „Wir müssen dieses ‚Networking‘ unbedingt weiter vorantreiben“, stimmte dem Dr. Shulman zu. Verwundern dürfte dies nicht – sieht sich die ETRA doch als Sprachrohr des europäischen Reifenrecyclings.

Für weiteren Zündstoff sorgte in Frankfurt das Thema Aliapur. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein gemeinsam von sieben Firmen gegründetes Unternehmen, unter dessen Federführung in unserem Nachbarland Frankreich spätestens zum 29. Dezember diesen Jahres ein System zur landesweiten Altreifenentsorgung installiert sein muss. Basis dessen ist ein Ende 2002 verabschiedetes Gesetz, das den im Lande produzierenden Reifenherstellern die Verantwortung für die Altreifenentsorgung überträgt. Und zwar genau bis zu der Menge, welche die jeweiligen Hersteller in den französischen Markt gebracht haben. „Hier offenbart sich schon eine Lücke dieses Systems, denn was ist mit den importierten Reifen?“, fragte sich nicht nur Dr. Shulman. Zwar habe der Ansatz unbestrittene Vorteile wie garantierte Abnahmepreise und eine damit verbundene Planungssicherheit zum Beispiel für die beteiligten Reifenhändler, Runderneuerer, Entsorger, Recycler usw. Dennoch machte sich in der Runde das Gespenst von einem mächtigen Monopolisten breit, bei dem im Hintergrund ein großer Reifenhersteller die Zügel fest in der Hand hält. Für die ETRA nur noch ein weiterer Grund für einen starken Interessenverband der Reifenrecyclingbranche und ein unvermindertes Engagement der Mitglieder im Sinne des neu entdeckten „Networking“-Ansatzes.

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