Der Fall Semperit – Eine Abrechnung mit Continental (Update)
Österreicher und Deutsche verstehen es, sich in vielen Dingen trotz der gemeinsamen deutschen Sprache nicht gegenseitig verständlich mitteilen zu können.. Da gibt es “die Piefkes” ohnehin, doch das reicht den ehemaligen Betriebsräten nicht, sie müssen nachlegen. Und zwar ordentlich. Doch genau damit machen sie es sich selbst nahezu unmöglich, mit ihrem Anliegen so wahrgenommen zu werden wie sie es möchten.
Die beiden ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden der Semperit-Reifenwerke, Alfred Artmäuer (für die Arbeiter) und Julius Böheimer (für die Angestellten), haben sich mit Hilfe des Journalisten Manfred Bauer allen Frust von der Seele geschrieben und diesen in dem nun erschienen Buch „Ohne jede Chance, der Fall Semperit“ abgeladen. Das im Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes in Wien herausgegebene Buch sei allen gewidmet, die mit Überzeugung für eine Welt eintreten, in der nicht der Profit das Schicksal von Menschen bestimme, sondern Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit und in der die Solidarität zwischen den Menschen höher bewertet werde als Aktienkurse und Unternehmensgewinne, lassen die Autoren verlautbaren, die dem Conti-Konzern bescheinigen, „eine Blutspur durch Europa“ gezogen zu haben.
Die Autoren haben um sich herum viele Feinde ausgemacht, bei denen sie sich durch einen kräftigen verbalen Tritt in Erinnerung bringen. Der große Feind heißt Dr. Hubertus von Grünberg. “Der berüchtigte einstige Conti-Vorstandsvorsitzende” habe 1994 das Semperit-Vermögen aus der “österreichischen Tochter herausgepresst.” Dieses beschreiben die Autoren selbst als “im Prinzip völlig legal” um dann noch den Bogen zu finden, es grenze “moralisch fast an das Delikt der Veruntreuung.” Wer versteht das? In weiten Teilen ist das Buch mit Seitenhieben auf von Grünberg geradezu durchzogen.
Im Kern sehen die Autoren alles so: Continental hat von Anfang an keine lauteren Absichten gehabt, wollte mit Semperit einen tollen Wettbewerber elegant beerdigen, sobald man ihn nur genügend ausgenommen hatte. Sieht so die Realität aus? Hoffnung schöpften die “Semperitler” noch einmal, als Dr. Kessel zum von Grünberg-Nachfolger avancierte. Aus und vorbei, denn Kessel-Nachfolger Manfred Wennemer war, meinen die Autoren, ein ausgewiesener Semperit-Gegner. Auf Veranlassung von Kessel sei Wennemers Conti-Tech einmal von Semperit zu teuer bedient worden. Wennemer habe nie verschmerzt, “über den Tisch” gezogen worden zu sein. An anderer Stelle wird erwähnt, Vorstandsmitglied Wennemer habe sich unangemeldet auf dem Werksgelände in Traiskirchen aufgehalten. Damit habe sich ein neuer Stil im Umgang miteinander abgezeichnet. Man fragt: Liebe Leut, kommt es darauf an, laufen Konzernentscheidungen wirklich so ab?
Das “Fundament für den späteren Niedergang der Semperit” haben die Verantwortlichen der Creditanstalt in Wien allerdings bereits gelegt. Der Haupteigentümer habe “die Perle” nicht erkannt und nicht gewürdigt. “Die dürftigen Mittelzuführungen durch die CA bei gleichzeitiger Ausbeutung des Unternehmens durch die schon erwähnten hohen Kreditzinsen sowie im eklatanten Defizit der CA-Verantwortlichen, die technologische Spitzenleistung von Semperit und der Beschäftigten nicht erkannt” zu haben, wird der CA vorgeworfen.
Aber auch die Franzosen um Francois Michelin kommen nicht gerade gut weg. Das Jointventure SEMKLER (Semperit/Kleber) hätten diese, meinen die Autoren, nur begonnen, um an die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse der Semperitler zu kommen. Zu dem Jointventure sei es ohnehin nur gekommen, weil Michelin sich anfangs sehr diskret zurückgehalten habe, denn: “Die im Dunkeln sieht man nicht, weil in Österreich die Verbindung mit einem Unternehmen, das in einem Ausmaß autoritär und gewerkschaftsfeindlich agiert wie Michelin, nicht so ohne weiteres toleriert werden würde.” Und allen Ernstes versteigen sich die Autoren zu der Behauptung: “Ja, am Sektor der Lkw-Reifen war der Technologievorsprung von Semperit sogar wesentlich größer als bei den Partnerfirmen (gemeint: Kleber und Michelin).” Das aber hätten “die CA-Zauberlehrlinge wissen können und wissen müssen.”
Und nach allem dann doch die Schließung. Warum? “Ein Kampf, der nicht am Willen der Arbeitnehmer scheiterte, sondern daran, dass es ein Kanzler Schüssel dezidiert ablehnte, sich in die Entscheidung privater Unternehmen einzumischen.” So lässt sich der Vorsitzende der Gewerkschaft der Chemiearbeiter zitieren.
So ganz grün sind sich die Herren Betriebsräte im Konzern, anders lautenden Meldungen zum Trotz, übrigens nicht. Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Richard Köhler, sei zwar nach wie vor ein Freund, aber die Doppelbelastung als stellv. Aufsichtsratsvorsitzender habe ihn zweifellos in Interessenskonflikte führen können oder müssen. Und mit der Solidarität untereinander ist es sowieso eine delikate Sache, weil solche im Fall der Fälle am eigenen Werkstor endet. Und dass Richard Köhler im Zweifel zunächst die Interessen des Werks Korbach zu verteidigen wusste, ist bestens bekannt. Im übrigen auch nicht zu beanstanden. Er ist gewählt von den Kollegen in Korbach.
Das Buch offenbart ein paar wirkliche Missverständnisse:
Semperit ist von der Continental AG gekauft worden. Damit war das Werk Traiskirchen ein Werk unter allen anderen Reifenwerken im Konzernverbund. Die von den Österreichern beanspruchte Sonderrolle hat es nie gegeben, sie hat sich auch niemals rechtfertigen lassen. Da mögen die Herren auch jammern, ihnen seien die Forschungs- und Entwicklungsaufgaben entzogen, sie seien somit zur verlängerten Werkbank degradiert worden. Im Zeitpunkt der Übernahme durch Continental hatte Semperit das Eigenkapital verloren und war allein nicht mehr lebensfähig. Es ist eine unternehmerische Entscheidung, ob F&E in einem Zentrum gebündelt wird oder nicht, das kann man nicht Werksleitern überlassen, die allesamt egoistische Interessen verfolgen (müssen).Da mag Semperit allein viele Jahre zuvor “eine Perle” gewesen sein, doch dafür gibt es nichts zu kaufen. Die Rechenaufgaben, nach denen sich Continental eine goldene Nase an der Semperit verdient haben soll, sind in der von den Autoren gebotenen Einfachheit auch nicht nachzuvollziehen. Selbst wenn man nicht mit von Grünberg und Wennemer in allen Punkten einig wäre, so sollte man doch wirklich akzeptieren, dass es sich bei beiden Herren um, sagen wir es mal so, ausgeschlafene Großstadtjungs handelt, die sich die Nase vergolden ließen wo immer es möglich wäre.
Das größte Missverständnis liegt wohl in der Weltanschauung. Im Vorwort appelliert der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes dafür, “die strategischen Unternehmenskerne im Einfluss der ÖIAG und damit in Österreich” zu halten, denn “hier geht es um strategische Investitionsentscheidungen für die Zukunft des Landes und seiner Menschen.” Der Herr Präsident ist offenbar noch immer nicht in Europa angekommen. So wie die “Semperitler” nie akzeptiert haben, nur ein Werk unter anderen zu sein, eine Sonderrolle meinten beanspruchen zu können, so pocht der Herr Präsident auch politisch auf eine Sonderrolle der Alpenrepublik. Doch wer in der EU ist, lebt nach EU-Regeln, auch nach EU-Wettbewerbsregeln. Durch den EU-Beitritt hat Österreich sich viele Vorteile versprechen können und hat sie wohl auch; die Exporttore stehen offen. Doch den Gewerkschaftlern ist es nicht möglich, die Importtore zu schließen! An keiner Stelle im Buch weisen die Autoren auf die Tatsache hin, dass Österreich als Heimatmarkt einfach auch für Semperit viel zu klein ist, dass auch österreichische Firmen auf den großen europäischen Binnenmarkt angewiesen sind. Das aber ist keine Einbahnstraße.
Wenn die Bedingungen in Österreich einem Konzern nicht mehr attraktiv genug erscheinen, so ist das nur aus Sicht von Gewerkschaftlern als “Folge einer menschenverachtenden und einzig am Profit orientierten Geschäftsstrategie eines multinationalen Konzerns” zu beschreiben. Wo aber ist der Staat auf Dauer jemals der bessere Unternehmer geblieben? Die Autoren betreiben zu viel Schelte und gefallen sich im Klassenkampf.
War demnach die Schließung des Reifenwerks zwingend? In früheren Beiträgen hat diese Zeitschrift eine andere Meinung vertreten. Kann eine Reifenmarke wie Semperit auf Dauer ohne “Heimatproduktion”, d.h. ohne eine Heimat-Identität, erfolgreich bleiben? Warum ist niemals mehr aus der Marke Semperit gemacht worden, z. B. eine Winterreifenmarke? Die Reifenmarke Semperit ist ihrer Wurzeln beraubt worden und das macht sich bereits jetzt europaweit stark genug bemerkbar. Aus der Marke wurde ein Name mit der Folge, dass namenlose Reifen billig angeboten werden müssen. Hätte man im Markt mehr gewinnen können als man durch billigere Produktion aus Werken in Billiglohnländern bekommt? Sofern es ein Fazit gibt, dann wohl dieses:
Die “Semperitler” sind damals wie heute nicht über eine kernige Protestbewegung hinausgekommen. Sie haben es versäumt, dem Konzernvorstand eine tragfähige Strategie vorzulegen, an welcher dieser nicht hätte vorbeigehen können.
Alfred Artmäuer und Julius Böheimer sind ehrenwerte Männer, sie haben sich für den Fortbestand der Semperit, d.h. des Werks in Traiskirchen, sehr bemüht. Sie haben diesen Kampf -leider – verloren; das ist bitter genug. Sie wären allerdings besser beraten gewesen, sich selbst noch etwas mehr Zeit gegeben zu haben. So ist eine doch sehr einseitige Abrechnung zu Papier gebracht worden, die beide Herren in sachlicher Streitdiskussion nicht erfolgreich argumentativ vertreten können.
klaus.haddenbrock@reifenpresse.de
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