Mercer-Untersuchung: Autoindustrie vernachlässigt Markentreue
Bei der Kundenbindung hinken die Automobilhersteller anderen Branchen deutlich hinterher. Dabei versäumen sie nicht nur, ihre Stammkunden enger an die Marke zu binden, sondern vernachlässigen auch ein großes Potenzial für Zusatzgeschäfte. Dies folgern die Automobilexperten der internationalen Managementberatung Mercer aus einer Untersuchung zu Kundenbindungsprogrammen. Handel und Dienstleistung weisen danach den Weg zu einer besseren Kundenbindung. In der Automobilindustrie könnten die Umsätze in den Werkstätten und im markengebundenen Zubehörhandel gezielt gesteigert werden; Partnerschaften mit anderen (Consumer-)Marken könnten positive Image-Effekte erzeugen; Statussysteme könnten langjährigen Kunden begehrte Treueprivilegien gewähren.Während in der Dienstleistungsbranche und im Handel hart um Käufer gebuhlt wird, vertraut die Automobilindustrie weiter auf den Glanz ihrer starken Marken. “Gerade die deutschen Automarken profitieren von einer Kundentreue, die bei Neuwagenkäufern durchweg über 50 Prozent liegt”, sagt der Mercer-Automobilexperte Dr. Jan Dannenberg. “Dennoch klafft eine erhebliche Lücke von etwa 40 Prozent zwischen den Käufern, die angeben, dasselbe Automodell oder dieselbe Marke wieder kaufen zu wollen, und den tatsächlichen Wiederkäufen. Dabei kostet jeder Kundenverlust bis zu 300.000 Euro Umsatz.” Dies ist auch auf den seltenen Kundenkontakt zurückzuführen: Laut Mercer erwirbt ein Kunde durchschnittlich alle fünf Jahre einen Neuwagen. Dazu kämen demzufolge 1,1 Werkstattbesuche pro Jahr, was insgesamt 1,3 Kundenkontakte pro Jahr zur Folge hätte. Nach Ansicht der Managementberatung eindeutig zu wenig, sodass eine Abnahme der Kundenloyalität angesichts von Sonderangeboten und Nischenmodellen der Konkurrenz nicht verwundern könne. Die Automobilindustrie müsse und könne – so Mercer – von anderen Industrien lernen, wie diese ihre Kundenkontakte erhöhen und den Umsatz steigern.”Ziel der Kundenbindung ist es, Kunden über Anreizsysteme zu Wiederkäufen zu motivieren, damit sie nicht zum Wettbewerb überlaufen. Es geht in Deutschland um über drei Millionen Neuwagenverkäufe pro Jahr. Und es geht um renditestarke Zusatzumsätze für das seit langem unrentable Händlernetz”, meint Jan Dannenberg. Zwar hätten die meisten Autohersteller bereits ein Kundenbindungsprogramm etabliert, doch befänden sich diese noch ausnahmslos auf der untersten Ebene einer dreistufigen Kundenbindungsskala, der so genannten “Privilegienstufe”. Sie funktioniere nach der Idee eines exklusiven Clubs. Dessen Mitglieder können Leistungen abrufen, die den Charakter ihrer Automarke widerspiegeln sollen, wie etwa Reisen und Veranstaltungen. Dazu – so das Ergebnis der Mercer-Analysen – gibt es meist eine Mitgliedskarte mit Zahlungsfunktion und Vergünstigungen, etwa bei der Übernachtung in Hotels. Die Attraktivität solcher Angebote wird als eher begrenzt bewertet, denn nur ein sehr kleiner Kundenkreis nehme die Angebote wahr.Effiziente Kundenbindung, das hätten Programme aus Handel und Dienstleistung gezeigt, bleibe demgegenüber nicht auf dieser ersten Stufe stehen. Erst dort, wo Treue zunächst mit Prämien und später auch mit erlebbarem Status belohnt wird, erfüllen Kundenbindungsprogramme nach Ansicht der Managementberater ihre Mission wirklich: Der Kunde erfährt, wie ihn die häufige Nutzung von Angeboten eines Anbieters für diesen immer wertvoller werden lässt. Den Automobilherstellern wird daher die Einrichtung eines Prämiensystem für die Nutzung seiner Angebote geraten, was bei richtiger Ausgestaltung des Programms nicht nur umsatzfördernd, sondern sogar hoch profitabel sein könne. Denn im Auto-Dienstleistungsbereich – von der Finanzierung über Versicherung, Zubehörhandel, Service und Reparatur bis zur Autovermietung – liegen laut Mercer immerhin mehr als 40 Prozent aller Gewinne des Automobilsektors. Wenn Kunden Punkte sammeln können, indem sie die Leistungen der Niederlassungen und Händlernetze nutzen, könnten sich diese vom markenunabhängigen Wettbewerb differenzieren und wieder Boden gut machen.”Dreh- und Angelpunkt der Sammelstrategie sind die richtigen, zielgruppengerechten Prämien”, betont Jan Dannenberg. Das Sammeln solle sich in den Augen des Kunden lohnen. Deshalb müssten die Prämien den Charakter der Marke widerspiegeln und begehrenswert sein. Hier sei auch die Zusammenarbeit mit anderen Marken wichtig, die die eigene Marke stärken: “Lohnende Prämien müssen das richtige Image besitzen. Die Zusammenarbeit von BMW Williams und Bogner weist hier in die richtige Richtung.” Neben der Markenbindung soll es auch immer eine Bindung von Prämien und Privilegien an den Umsatz des Kunden geben. “Bei den erfolgreichen Programmen”, so Dannenberg, “bleibt neben der geschäftsstabilisierenden Wirkung unter dem Strich auch ein deutlicher Gewinn übrig.”Während die Sammelstrategie allerdings eher kurz- und mittelfristige Wirkung erzeuge, sei ein das Statusprogramm vor allem für die langfristige Kundenbindung einsetzbar, also dafür, die Wechselbereitschaft des Kunden zu reduzieren. In mindestens zwei Stufen – so der Vorschlag – erhalten langjährige Kunden besondere Privilegien, die ebenfalls dem Charakter der von ihnen gefahrenen Marke angepasst sind. Mehrmalige Käufer von Oberklasse-Limousinen könnten beispielsweise Anspruch auf einen Abend mit Chauffeur-Service erhalten, häufige Sportwagenkäufer könnten zu einem Erlebniswochenende mit Rallyefahrt eingeladen werden. Weiterer Aspekte, der für eine Intensivierung der Kundenbindungsprogramme sprächen, seien Kundenkenntnis und Kundenkontakt. Beim Automobil – immerhin nach dem Hauskauf die zweitgrößte mögliche Anschaffung im Leben eines Konsumenten – weiß der Hersteller in der Regel gar nicht, wer seine Käufer sind. Und wenn diese bei ihrem nächsten Neuwagenkauf nicht wieder zum selben Händler gehen, wird auch ein alter Kunde nicht wiedererkannt.”Für den Kunden ergeben sich dadurch oft Situationen, in denen er sich nicht adäquat behandelt fühlt”, sagt Jan Dannenberg. “Kundenargumente wie ‚Das ist schon mein fünftes Auto dieser Marke – da könnte sich das Unternehmen doch kulanter zeigen’ stoßen bei den Automobilherstellern zwangsläufig auf taube Ohren – sie wissen in der Regel gar nicht, wer wann und wie häufig ein Auto ihrer Marke erworben hat.” Mit funktionierenden Kundenbindungsprogrammen, die von mehr als der Hälfte der Neuwagenkäufer wahrgenommen werden, würde sich das ändern. Der Kundenkontakt könnte personalisiert werden. Dannenberg resümiert: “Auch wenn die Konzepte des Handels nicht eins zu eins auf die Automobilbranche übertragen werden können: Unsere Studie zeigt, dass die Autohersteller eine Menge von den Kundenbindungssystemen anderer Branchen lernen können.”
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