14. BRV-Mitgliederversammlung erwartet für 2000 stagnierenden Markt – Verkaufsmargen im vergangenen Jahr weiter unter Druck
Alle zwei Jahre findet die Ordentliche Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) im Rahmen der Reifenmesse in Essen statt. In diesem Jahr standen neben der Eröffnung und traditionellen Berichterstattung durch den Präsidenten Gerhard Ludwig u.a. ein Vortrag des Gastreferenten Dr. Peter May über die “Chancen und Risiken mittelständischer Unternehmer” sowie die Diskussion und Beschlussfassung über die bereits im Vorfeld angekündigte beabsichtigte Kooperation zwischen dem BRV sowie dem Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) auf der Tagesordnung. Des Weiteren wurden – dem üblichen zweijährigen Turnus folgend – die BRV-Awards in den Sparten Pkw und Lkw vergeben, die wie bereits zwei Jahre zuvor beide an die Deutsche Goodyear gingen. Vor den satzungsüblichen Formalitäten, die diesmal an den Schluss der Veranstaltung gelegt worden waren, wurden dann noch in Kürze die Ergebnisse des vom BRV und Reifenherstellern gegründeten Ausschusses “Elektronische Zusammenarbeit zwischen Reifenfachhandel und Reifenherstellern” präsentiert. In seiner Berichterstattung ging BRV-Präsident Gerhard Ludwig zunächst rückblickend auf die wirtschaftliche Entwicklung und Situation des Reifenfachhandels im Jahr 1999 ein. So habe sich – laut Betriebsvergleich des Instituts für Handelsforschung (Stichprobe: 124 Betriebe, 427 Verkaufsstellen) der Pkw-Neureifenumsatz im vergangenen Jahr um 4,4 Prozent erhöht, was insbesondere den Stückzahlzuwächsen im M+S-Bereich zu verdanken sei. Während das Sommerreifensegment stagnierte, verbuchte man bei den Winterreifen eine Erhöhung um 2,2 Millionen auf nunmehr insgesamt 17 Millionen Stück. Das entspricht einer Steigerungsquote von 14,8 Prozent. Des Weiteren sei es gelungen, den Anteil der im Frühjahr 2000 mit M+S-Reifen ausgestatteten Fahrzeuge auf 43 Prozent zu steigern. Mit dieser positiven Entwicklung sind aber auch ein paar Wermutstropfen verbunden, wie Ludwig verdeutlichte: - zunehmende Konzentration des Pkw-Geschäftes auf die Umrüstzeiten; - daraus resultierend wachsende Anforderungen an den Fachhandel, saisonale Spitzen professionell zu managen; - Problematik, qualifiziertes Servicepersonal für Umrüstzeiten bereit zu stellen; - zunehmender Anteil an Verbrauchern, die ihre komfortablen Winterreifen im Sommer einfach durchfahren. Ludwigs (wenig überraschendes, weil jährlich wiederholtes) Fazit: Irgendetwas läuft falsch im deutschen Reifenfachhandel. Trotz Stückzahlenzuwachses hätten sich die Betriebsergebnisse nicht verbessert, sondern seien vielmehr im sechsten Jahr in Folge negativ. Trotzdem gebe es sehr wohl Betriebe, die fünf Prozent Gewinn erzielten und damit bewiesen, dass man in der Branche dann eine Chance habe, “wenn man die richtigen Ideen und Konzepte für serviceorientierte Kundenbetreuung hat und den Mut aufbringt, für diesen Service den adäquaten Preis zu verlangen.” Für dieses Jahr geht der BRV-Präsident, entgegen Prognosen, die eine Steigerung im Winter- (+ 4,7 Prozent) und Sommersegment (+ 0,9 Prozent) vorhersehen, von einem stagnierenden Markt aus. “Indiz sind für mich die schlechten Zulassungszahlen, der ersten fünf Monate des Jahres 2000, die mit einem deutlichen Minus aufwarten.” Die Folge: Der Handel reagierte nervös, Ein- und Verkaufspreise rutschten nach unten, zur Kompensation der Ausfälle wollten Einzelne durch aggressive preispolitische Maßnahmen das Großhandelsgeschäft ankurbeln. Folge: Die Margen gerieten weiter unter Druck. Zudem sei von Seiten des Wettbewerbs der Versuch gestartet worden, mittels aggressiver Preispolitik die Verbraucher verstärkt ins Autohaus zu locken. Ludwig: “Unterstützt wurden sie dabei von den Reifenherstellern, die natürlich die positive Entwicklung des Distributionsanteils der Autohäuser sehen und sich dort einen Teil ihres Absatzes mit aggressiven Preisen sichern wollen.” Der Reifenfachhandel, machte Ludwig weiter deutlich, erwarte “eine klare konditionelle Besserstellung gegenüber dem Autohaus”, da er die gesamte Produktbreite und -tiefe des Sortiments vorhalten und seine Betriebsergebnisse zu 76 Prozent mit Reifen erwirtschaften müsse. Möglichkeiten zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation sowie zur Zukunftssicherung in einem für den Reifenfachhandel immer härter werdenden Wettbewerb sieht er insbesondere in drei Aufgabenfeldern: Einer zunehmenden Serviceorientierung und -optimierung (Öffnungszeiten, Fachberatung, Montagetermine usw.) – hier habe der BRV mit seinem Anfang 2000 gegründeten Arbeitskreis “Innovative Serviceideen” sowie dem “Reifenfachverkäufer-Lehrgang” bereits einiges geleistet. Hinsichtlich der Personalqualität und -qualifizierung hob Ludwig insbesondere die Mitarbeitermotivation und -führung (“Chef sein bedeutet auch Vorbild sein.”) sowie die Lehrlingsausbildung als zentrale Grundvoraussetzungen hervor. “Ich kann ihnen nur dringend empfehlen, bilden sie jetzt ggf. über Bedarf aus, denn die geburtenschwachen Jahrgänge folgen schon in Kürze und dann wird es um ein Vielfaches schwieriger, geeigneten Nachwuchs zu finden.” Als dritten Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg sieht Ludwig den betriebswirtschaftlichen Sektor (Kalkulation, Rohertragssteigerung): “Ich bin fest davon überzeugt, dass der Reifenfachhandel seine Beratungsleistung und technische Dienstleistung unter Wert verkauft. Wenn ein Kollege glaubt, er könne durch Preisaggressivität im Dienstleistungsbereich Kunden gewinnen und dauerhaft binden, dann nur deshalb, weil er seine Hausaufgaben insbesondere in den Punkten Serviceorientierung und Personal nicht gemacht hat.” Lkw-Vermarktung: Reifenfachhandel zum Service-Provider degradiert? Zum Abschluss seiner Berichterstattung ging Ludwig noch einmal gesondert auf die Lkw-Reifendistribution ein. Hier werden von Experten für die nächsten Jahre die größten Veränderungen in der absatzpolitischen Ausrichtung der Hersteller erwartet (zunehmende Kontrolle der Industrie, Direktfakturierung etc.). Eines sei bei den diesjährigen Gesprächen mit der Industrie deutlich geworden: “Man wird keinerlei Rücksicht auf den Reifenfachhandel nehmen, wenn es um die Absicherung und den Ausbau der eigenen Lkw-Stückzahlvolumina geht.” Daher müsse der Fachhandel selbst überzeugende und ganzheitliche Reifenmanagement-Konzepte erarbeiten und klar machen, wie er diese regionalen und/oder überregionalen Verbraucher künftig zu versorgen gedenke. “Der reine Verkauf und die Montage von Reifen werden in Zukunft nicht mehr ausreichen, um dauerhafte Kundenbindung und Kundenzufriedenheit zu erreichen”, so Ludwig. Gefragt sind Europaweite “Fuhrparkmanagement-Konzepte” inklusive Tag- und Nachtbereitschaft, Kilometerverträge, Reifenleasing, EDV-gestützte Fuhrparkanalyse. Wenn der Reifenfachhandel hierzu keine Lösungen anbieten kann, wird er – so Ludwig – einen beachtlichen Teil seines heutigen Lkw-Reifengeschäftes verlieren. “Das was ihm möglicherweise noch übrig bleibt (bzw. heute vielfach schon Realität ist, die Red.), ist eine ihm von den Herstellern zugewiesene reine Service-Provider-Funktion, in der der Reifenfachhandel Gefahr läuft, nicht nur das Neureifengeschäft zu verlieren, sondern auch das Karkass- und Runderneuerungsgeschäft.” Um dem entgegen zu steuern, hat der BRV Anfang des Jahres einen Arbeitskreis ins Leben gerufen, der sich mit der Analyse des Lkw-Reifenmarktes beschäftigt und Lösungsansätze entwickeln soll. “Ich gehe davon aus, dass wir Ihnen im Herbst erste Teilergebnisse vorlegen können.” Gastvortrag: Chancen und Risiken von Familienunternehmen Dr. Peter May, Unternehmensberater aus Bad Godesberg, sprach mit seinen Ausführungen zu Familienunternehmen viele der anwesenden Vertreter aus den Reihen des Reifenhandels direkt an. Handelt es sich doch hierbei größtenteils um klein- bzw. mittelständisches Unternehmertum, das familiär, nicht selten in mehreren Generationen ausgeübt wird. Am fiktiven Beispiel der Familie Max Müller, die in einem vergleichbaren Commodity-Bereich, der Lebensmittelbranche, aktiv ist, schilderte May, plakativ-eindrücklich und bis in die letzten Verästelungen hinein ausgearbeitet, Aufstieg und (selbst verschuldeten) Niedergang eines Familienimperiums. Ohne familiären Konsens zu wichtigen Grundbedingungen des Unternehmerseins kann ein Familienunternehmen auf Dauer nicht erfolgreich geführt werden, so eine der zentralen Thesen des Vortrags. Zu diesem Zweck braucht das Familienunternehmen eine Familienstrategie. Dabei ist zu fragen: Was sind unsere Ziele? Wo stehen wir? Was ist zu tun, damit wir unsere Ziele erreichen? “Familienstrategie kommt vor Unternehmensstrategie,” sagt May und meint damit bewusst nicht geht vor. Sein Lösungsansatz: Familienunternehmen haben auf Dauer nur eine Chance zu überleben, wenn man begreift, “dass zur Unternehmensentwicklung nicht nur eine Unternehmensstrategie gehört, sondern auch eine Familienstrategie, eine Vermögensstrategie und eine persönliche Strategie sowie deren Verknüpfung durch eine integrierte Eigenstrategie.” Kooperationsantrag mit ZDK ohne Gegenstimmen abgesegnet Hierzu lag der Versammlung ein Antrag vom BRV-Vorstand zur Diskussion und Abstimmung vor. Peter Hülzer, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des BRV, erläuterte zunächst die Ziele der geplanten engeren Kooperation mit dem ZDK. So gehe es u.a. um eine: Erweiterung des verbandlichen Dienstleistungsspektrums; Erhöhung der politischen Einflussmöglichkeiten und Verstärkung der Schlagkraft; Nutzung von Synergieeffekten, um u.a. Kostenreduktionspotentiale zu erschließen; Verbreiterung der Wissensbasis. Mit über 1.150 Mitgliedern und einem Organisationsgrad von 80 Prozent verfügt der BRV gegenwärtig über den höchsten Mitgliederbestand in seiner Geschichte und kann Hülzer zufolge aus einer “Position der Stärke” heraus mit dem ZDK (zum Vergleich: 48.000 Mitglieder) verhandeln. Zudem betätigten sich bereits 1.200 von 1.800 deutschen Reifenfachhandelsunternehmen im Autoservicegeschäft. Hier hofft der BRV auf einen Wissenstransfer Kfz-spezifischer Detailkenntnisse von Seiten des ZDK. Im Gegenzug sollen die Autohäuser und freien Kfz-Werkstätten – bislang argwöhnisch beäugte Wettbewerber in Sachen Reifendistribution – vom BRV-Wissen um Pneus und Räder profitieren. Da hätte man eigentlich Widerstand oder zumindest einige Bedenken von Seiten der Mitglieder erwarten dürfen. Gab es aber nicht, der Antrag wurde statt dessen ohne Gegenstimmen bei drei Enthaltungen vom Plenum abgesegnet. Dazu mag beigetragen haben, dass Hülzer in seiner Argumentation einer Fusion beider Interessenverbände eine klare Absage erteilte. Allerdings bleibt zumindest fraglich, wie der BRV, allein schon aufgrund der Größe und Mitgliederzahl des ZDK, auf lange Sicht seine organisatorische Eigenständigkeit in dieser Kooperation behaupten und legitimieren will. In der Wirtschaft, deren jüngste Entwicklungen als Beispiel für die Notwendigkeit eines solchen Schrittes angeführt wurden, ist schon oft von Kooperation geredet worden, damit aber eigentlich faktisch eine Fusion gemeint gewesen. Laut Hülzer entscheidet jedoch ganz allein der Markt, “wer Sieger und Verlierer sein wird.” Keineswegs falle die Entscheidung auf der Ebene der Verbände, “mögen sie den Besitzstand ihres Klientel auch noch so stark verteidigen.” Angesichts der anstehenden Veränderungen in Politik und Gesetzgebung, Industrie sowie auf Seiten der Verbraucher könne der BRV – so Hülzer – durch eine Kooperation mit dem ZDK nur gewinnen. Ob dem am Ende wirklich so ist, bleibt erst einmal abzuwarten. Electronic Data Interchange (EDI) – Branchenstandard geschaffen Zum Schluss stellte Wilfried Grigo die Ergebnisse des mit vier BRV-Vertretern, sechs Reifenherstellern sowie drei Software-Partnern besetzten Ausschusses “Elektronische Zusammenarbeit zwischen Reifenfachhandel und Reifenindustrie” dem Plenum vor. Tenor der Ausführungen: Bis Ende Juni 2000 hat der Unterausschuss EDI (“Electronic Data Interchange”) – sowohl in der traditionellen als auch der “ad hoc”-Version – sowie die EANCOM-Nachrichtenarten für Bestellungen, Bestätigungen, Lieferscheine, Rechnungen sowie Preisdaten einvernehmlich abgestimmt und dokumentiert. Das bedeutet im Klartext nicht weniger als dass damit “quasi auf der grünen Wiese” ein verbindlicher Branchenstandard für den Datenaustausch zwischen der Reifenindustrie und dem Reifenfachhandel geschaffen worden ist, an dem die Ausschussmitglieder seit Februar diesen Jahres intensiv gearbeitet haben. Dabei wurden bestehende Prozesse zugrunde gelegt und darauf geachtet, dass zusätzlich nur die in der Umsetzung befindlichen Themen abgedeckt werden, die in einem Zeitrahmen von zwölf Monaten auch wirklich realisiert werden können. Dazu Grigo: “Die Mitglieder des Unterausschusses sorgen dafür, dass dieser EDI-Standard in den Warenwirtschaftssystemen ihrer Unternehmen bzw. in der Software der Branchensoftwareanbieter integriert wird.” Darüber hinaus soll der Ausschuss den Standard inhaltlich und funktional weiter entwickeln. Vieles soll sich damit für den Handel vereinfachen, Prozesse beschleunigen sich, der Aufwand für Prüfung und Erfassungstätigkeiten kann erheblich reduziert werden.
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