Komplettradmontage bei Reifen Gundlach
Wer einem Mitglied aus dem Management von Reifen Gundlach (Raubach/Westerwald) bezüglich des Aufbaus der Komplettradmontage mit der Floskel begegnet „Das war aber eine schwere Geburt“, der wird kaum Widerspruch ernten, dafür eher als Replik hören: „Und eine langwierige dazu.“ Dass sich die Gundlach-Mannschaft mit dem Aufbau einer durchautomatisierten Komplettradmontage, die den höchsten Erstausrüstungsansprüchen bereits heute sehr nahe kommt – und ihnen bei Bedarf wohl kurzfristig genügen könnte –, für ein völlig neues und nur auf den ersten Blick nahe liegendes Geschäftsmodul entschieden hatte, hat man vor etwa drei, vier Jahren wohl auch noch nicht so recht übersehen können. Damals war begonnen worden, ein völlig neues Zentrallager – ein Logistikzentrum „state of the art“ – zu errichten. Und darüber hinaus war man bei der Suche nach einem Baustein, mit dem sich Reifen Gundlach von anderen, sicher auch recht leistungsfähigen Reifengroßhändlern unterscheiden könne, auf die Idee einer hochleistungsfähigen Komplettradmontage gekommen. Vom Plan bis zur Installation der Anlage und schließlich – jetzt endlich – dem reibungslosen Funktionieren ist mehr Zeit ins Land gegangen, als man ursprünglich gedacht hatte.
Das mag damit zusammenhängen, dass die hochmoderne Komplettradmontage industriellen Maßstäben gerecht wird und so überhaupt nicht mehr mit den handwerklichen Erfahrungen verbunden ist, die Reifen Gundlach aus seiner langjährigen Geschichte als Reifenfachhändler mitbringt. Mit der jetzt in den Großserienbetrieb startenden Anlage hat das Unternehmen Neuland betreten, andere Großhändler verfügen über solch eine Geschäftseinheit nicht. So sie denn von einer eigenen Komplettradmontage sprechen sollten, handelt es sich genau genommen um durch Fördertechnik miteinander verbundene handwerkliche Arbeitsplätze.
Was schon an der Größenordnung der Investition abzulesen ist, die Gundlach in einem großzügigen Anbau an das Logistikzentrum in Dürrholz getätigt hat: Allein in das Equipment mögen an die vier Millionen Euro geflossen sein, den Bau der Extrahalle und die Kosten für eigenes Personal, das an der Realisierung des Projektes mitgewirkt hat, noch gar nicht mitgerechnet.
Nur mit dem Wissen eines auch noch so perfekten Reifenfachhändlers ließe sich solch ein anspruchsvolles Vorhaben nicht realisieren. Bei der Suche nach einem Projektpartner war den Gundlach-Managern schnell klar geworden, dass sich Billiglösungen langfristig nicht auszahlen würden. Daher kamen sie bei der Suche nach einem Generalunternehmer schon fast automatisch auf die Firma Hofmann Maschinen- und Anlagenbau (Worms). Die verfügt über reichlich Erfahrung mit entsprechenden Komplettradmontagen und ist obendrein Benchmark bei den Einzelteilen solch einer Anlage, auf die es ankommt: so das Montieren, Wuchten und nicht zuletzt das Prüfen.
Darüber hinaus findet sich das in der Branche wohlbekannte geschwungene Hofmann-H auf der Gundlach-Montagestraße auch auf der Füllglocke und dem sogenannten „Reifensitzoptimierer“. Bei den anderen Bestandteilen gibt es andere Spezialisten, die gewissermaßen als Subunternehmer fungierten. Die Fördertechnik, das Matchen oder die Verpackung seien als die wichtigsten Beispiele genannt.
Das Equipment einer hochautomatisierten Komplettradmontage gibt es nicht „von der Stange“. Daher haben die Hofmann-Spezialisten die Anlage gemäß den Gundlach-Spezifikationen auch erst einmal an ihrem Standort in Worms aufgebaut, weil hier vielleicht einmal kurzfristig Umformtechnik und da vielleicht einmal eine bestimmte CNC-Maschine zur Herstellung einzelner und ja schließlich „maßgeschneiderter“ Bauteile benötigt wird, die man gar nicht an den endgültigen Standort Dürrholz hätte schaffen können. Bis zu anderthalb Dutzend Spezialisten haben in Worms getüftelt und gebaut, bis sie die Anlage funktionsfähig hatten – und sie daher demontieren und in den Westerwald zu Gundlach transportieren konnten. Dass dort anschließend über Wochen hinweg immer noch vier bis sechs Hofmann-Ingenieure mit der Anpassung an die Gegebenheiten beschäftigt waren, unterstreicht nur erneut, wie komplex der Aufbau einer Komplettradmontage mit industriellem Anspruch ist.
Erstausrüstungsstatus für Dürrholz wäre an „Just-in-time“- und „Just-in-sequence“-Ansprüchen jedenfalls der automobilen Volumenhersteller gekoppelt: Wann sich Gundlach daran macht, das kann zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden. Die technischen Voraussetzungen für solch eine Erstausrüstungsbelieferung sind allerdings geschaffen – weitgehend jedenfalls. Denn was dazu (noch) fehlt ist das Equipment zur Uniformity-Messung, der dafür in der Anlage optimale Platz ist allerdings frei gehalten worden. Ansonsten herrscht OE-Standard: Der Raum ist beheizt auf mindestens 16° Celsius, das ist angesichts der bei kalten Temperaturen wegen der besonders steifen Reifenflanken schwierigen Montage ebenso erforderlich wie für die „Geschmeidigkeit“ des Öls in einigen mechanischen Elementen.
Im 15-Sekunden-Takt können Stahl- wie Aluminiumfelgen gleichermaßen durchgeschleust werden, ohne dass dies irgendwelcher Umstellungen bedürfte. Gleiches gilt für die Größe der Räder: Von 13 bis 20 Zoll reicht das Spektrum, das auf der Anlage aktuell abgedeckt wird; darüber hinaus (also zum Beispiel 22 Zoll) ist handwerkliche Montage im Hause Gundlach natürlich weiterhin möglich. Die Rädergröße hat ebenso keinen Einfluss auf den Zeittakt wie das Material, die Mindestlosgröße für einen Auftrag lautet Eins. Auf das unscheinbare 13-zöllige Stahlrad kann also unmittelbar das üppige 20-Zoll-Designerrad aus feinstem Aluminium folgen.
„Theoretisch“ käme man bei 15 Sekunden pro Rad auf eine Stundenkapazität von 240 Einheiten. Der industrielle Standard allerdings liegt bei um die 95 Prozent, sodass auch Wolfgang Berg, der bei Reifen Gundlach für das Projekt Komplettradmontage verantwortlich zeichnet, vorsichtiger kalkuliert. Und so erscheinen ihm 5.760 Räder pro Tag eher Utopie, aber 1.700 pro Schicht ein durchaus realistisches Ziel. Das soll mit fünf bis sechs Mitarbeitern pro Schicht realisiert werden, die freilich allesamt gut geschult sind. Was weniger heißt, dass sie an einer Reifenmontagemaschine ausgezeichnete Leistungen bringen, sondern vielmehr den „Kollegen Computer“ mit den richtigen Daten füttern können müssen. Liegen Rad und Reifen erst auf dem Band, erfolgt alles Weitere auf dem Weg zur – selbstredend ebenfalls automatischen – Verpackung berührungslos. Dokumentiert werden muss darüber hinaus alles gemäß den dafür vorgesehenen Normen.
Erklärtermaßen ist das klassische Ersatzgeschäft die Zielgruppe der Investition. Das können Reifenfachhändler sein, die ihre eigenen Kapazitäten anderweitig nutzen oder in der Umrüstphase an die Grenzen des Machbaren stoßen; speziell wenn sie ein starkes Wiederverkäufergeschäft haben und ihr Kunde Autohaus oder Kfz-Werkstatt gerne gleich das komplette Rad von seinem Reifenhändler bezieht. Das können auch Reifenhändler sein, die der Gundlach-nahen Kooperation Com4Tires angehören und bevorzugt deren Hausprodukte GT Radial (Reifen) und Advanti Racing (Leichtmetallfelgen) kombinieren möchten. Der weiteren Phantasie bei der jetzt folgenden Kundenakquise sind keine Grenzen gesetzt. Aber Reifen Gundlach ist mit der Komplettradmontage ja erst ganz am Anfang – auch wenn der Weg bis zum Startplatz vielleicht länger war als gedacht.
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