Ihle Baden-Baden hat größte Löschanlage Europas
„Leichtschaumflutungsanlage“ – ein Begriff, der bestimmt nicht in den allgemeinen Wortschatz fällt. Für die Mitarbeiter der Ihle Baden-Baden AG, einem in 14 europäischen Ländern agierenden Reifengroßhändler, allerdings ein Begriff von großer Bedeutung. Denn im Falle eines Brandes des 57.000 Quadratmeter großen Zentrallagers in Muggensturm flutet die Anlage den vom Feuer bedrohten Hallenabschnitt innerhalb von vier Minuten komplett mit Leichtschaum. Aber nicht nur das: Die größte Leichtschaumflutungsanlage Europas ist außerdem in der Lage, das komplette Lager auf einmal zu fluten.
Als 2004 die Erweiterung des Hallenbaus von 27.000 auf 57.000 Quadratmeter und damit auf eine Kapazität von eine Million Reifen beschlossen wurde, war den Verantwortlichen schnell klar, dass die bisherige Feuerlöschanlage nicht für ein Lager derartigen Ausmaßes ausgerichtet war. Das gesamte Lager hatte nun eine Größe erreicht, bei der nicht nur die Brandgefahr exponentiell stieg, sondern auch dessen zerstörerische Wirkung ein immens hohes Risiko darstellte. Wenn auf engstem Raum gelagerte Reifen anfangen zu brennen, so ist es äußerst schwer, diese zu löschen. Und je mehr Reifen, umso größer das Risiko für Mensch und Ware. Und natürlich auch für die Existenz des gesamten Unternehmens. Nicht zu vergessen die Mitarbeiter der unmittelbar benachbarten Unternehmen, die aufgrund giftiger Dämpfe, die bei einem Großbrand entstehen, von einer Rauchvergiftung bedroht wären.
Kurzum: Die Ihle Baden-Baden AG hat die alternativlose Notwendigkeit einer neuen Löschanlage erkannt und nicht lange gezögert, die dafür erforderlichen Investitionen vorzunehmen. Ein Blick auf die Kosten verdeutlicht den Ernst der Absichten. 30 Prozent der Gesamtkosten für den Hallenanbau hat allein die von der Total Walther GmbH (Stammsitz in Köln) gebaute Löschanlage in Anspruch genommen. Der Einbau der Löschanlage dauerte zwölf Monate. Die im Vorfeld erforderlichen praktischen Versuche, die vom Verband der Sachversicherer (VdS) abgenommen wurden, zeigten nicht nur, dass die Anlage auch tatsächlich löscht. Diese Versuche kosteten zudem knapp 300.000 Euro.
Normalerweise werden in Lagern dieser Größenordnung (innerhalb oder außerhalb der Reifenbranche) Sprinkleranlagen, CO2-Löschanlagen oder Schaumlöschanlagen mit Schwer- oder Mittelschaum eingesetzt. Nach den Studien und Analysen im Vorfeld kamen diese herkömmlichen Lösungen jedoch nicht für das Zentrallager in Muggensturm in Betracht. Außergewöhnliche Formate brauchen außergewöhnliche Lösungen. So fiel die Entscheidung schlussendlich auf eine Leichtschaumflutungsanlage. Diese sind nicht nur äußerst selten im Einsatz, sondern in Lagern von der Größenordnung á la Ihle in ganz Europa noch nicht anzutreffen.
Da ein Großbrand kaum beherrschbar ist, gilt der Grundsatz, möglichst schon den Entstehungsbrand zu löschen. In einem Lager, in dem die Reifen nach dem in der Branche gängigen Blocksystem gelagert werden, stellt dies jedoch ein erhebliches Problem dar. Blocklagerung bedeutet, dass die Reifen in Gestellen gelagert und diese in Reihen nebeneinander und übereinander – sozusagen in „Blocks” – gestapelt werden.
Unter diesen Voraussetzungen wird man der neuen Situation nicht gerecht, indem man einfach die Anzahl der Sprinkler erweitert. Denn darin liegt ja gerade die Crux: In einem Blocklager können Sprinkleranlagen an sich nur wenig bewirken. Einerseits weil nicht genug Wasser an den Reifen haften bleibt und andererseits weil das Sprinklersystem nicht nah genug an die Brandstellen herankommt. Dafür müsste man nicht nur an den Hallendecken, sondern auch zwischen den Gestellen selbst Sprinklerköpfe anbringen, was wiederum die Gefahr einer Beschädigung im alltäglichen Tagesbetrieb hervorgerufen hätte. Eine Alternative zur Sprinkleranlage musste also her. Eine Anlage, die schnell reagiert, die den in Feuer stehenden Hallenabschnitt innerhalb von vier Minuten flutet und dabei möglichst wenig Schaden bei Mensch und Ware anrichtet. Eine Anlage, die sogar bei einem Stromausfall ihre lebensrettenden Funktionen ausübt. Funktionen, die zusammengefasst folgendes leisten können:
Das Feuer bricht aus. Die Anlage wird durch eine Zwei-Melder-Abhängigkeit aktiviert, d. h. wenn zwei Rauchmelder einer so genannten Melderkette (Loop) in einem der fünf Hallenabschnitte Rauch wahrnehmen, wird ein automatisches Signal an die Feuerwehr weitergeleitet. Gleichzeitig geht eine Meldung an die Steuerzentrale der Löschanlage. Die Pumpen erhalten den Befehl, die Löschung um 60 Sekunden zu verzögern und erst dann die Löschmaschinerie zu starten. Diese Verzögerung ist wichtig, damit für alle in diesem Abschnitt der maximale Fluchtweg von 60 Metern gewährleistet ist. Ist diese Zeit abgelaufen, so setzt der Löschvorgang ein.
Aus dem 1,25 Millionen Liter umfassenden Vorratsbehälter werden dann durch die Kraft von fünf Dieselpumpen und mit einem Druck von 16 Bar bis zu 60.000 l/min Wasser gefördert. Eine Maschinengröße von 3,50 x 1,50 x 2,00 Metern und ein Pumpendurchmesser von 90 Zentimetern sind hierfür notwendig. Durch den hohen Druck aktiviert das Wasser die Turbinen der Anlage und treibt weitere Pumpen an, die das in den zwei Behältern befindliche Tensid (Leichtschaumkonzentrat) fördern. Wasser und Tensid gelangen anschließend in separat verlaufenden Rohrleitungen zu derjenigen Sprinklerunterzentrale, die für den gefährdeten Hallenabschnitt zuständig ist (demzufolge gibt es davon fünf). Dort wird über ein Ventil das Tensid im vorgeschriebenen Verhältnis mit dem Wasser vermischt. Danach verläuft das Gemisch weiter über fünf Rohrleitungen zu den Schaumkanonen (Generatoren). Diese insgesamt 705 Kanonen haben jeweils einen Durchmesser von 1,10 Metern und sind auf alle Hallenabschnitte verteilt. An den Schaumkanonen des Brandabschnitts angelangt, verteilt sich das Gemisch aus Wasser und Tensid in einem Ring, an welchem so genannte Düsenköpfe angebracht sind. Der Druck presst das Gemisch über die Düsenköpfe aus den Kanonen. Durch die Luft, die nachgezogen wird, entsteht Schaum. Nachgezogen wird die Luft durch das „Outside Air“-Verfahren: Die sich über den Schaumkanonen befindlichen Dachkuppeln werden aufgesprengt, Luft dringt durch die Öffnung in die Halle. Außerdem öffnen sich weitere Dachkuppeln, da der ansteigende Schaum die Luft aus der Halle nach oben verdrängt und diese Luft entweichen kann. Bis der Schaum dann die Decke erreicht hat, dauert es vier Minuten und in dieser Zeit wird der Brand vollkommen umhüllt und erstickt. Das Ganze passiert bevor die Feuerwehr eintrifft. Diese kontrolliert, ob das Feuer erfolgreich gelöscht wurde. Wäre der Brand allerdings noch nicht gelöscht, dann ist der Vorrat an Wasser und Tensid nach den VdS-Bestimmungen so ausgelegt, den Hallenabschnitt noch weitere achtmal zwei Minuten lang nachfluten zu können.
Für die Mitarbeiter ist bereits die Auslösung eines einzelnen Rauchmelders entscheidend, denn dieser warnt die Lagerarbeiter durch einen Dauerton vor. Bei anfangenden Bränden kann so von speziell geschulten Mitarbeitern immer noch versucht werden, das Feuer über Handfeuerlöscher zu löschen. Alle anderen Mitarbeiter sollen bei diesem Ton bereits das Lager verlassen. Der Dauerton bedeutet allerdings noch keine Flutung. Erst wenn der 2. Rauchmelder anschlägt, ist der Brand so weit fortgeschritten, dass die Leichtschaumflutungsanlage das Signal zur Löschung enthält. Der rotierende Ton signalisiert den Menschen im Lager, dass noch 60 Sekunden Zeit bleiben, den Hallenabschnitt zu verlassen. Wer dies nicht tut, der hat keinerlei Überlebenschance! Diese Zeit ist jedoch ausreichend, um aus jedem Bereich hinauszugelangen, da der maximale Fluchtweg 60 Meter beträgt. Dieser Weg ist gewährleistet, auch wenn über die Brandmeldezentrale die Brandfallsteuerung aktiviert wird. Das bedeutet, dass sich die Tore zwischen den Hallenabschnitten schließen, damit die anderen Bereiche geschützt werden, und ebenso die Rolltore, die nach draußen führen. Alle Fluchtwege sind durch Fluchtwegschilder gekennzeichnet. Zudem wurden alle Mitarbeiter eingewiesen, wie sie sich im Brandfall zu verhalten haben. Die Standzeit des Schaums beträgt nach der Flutung zwei Tage und erst am dritten Tag fällt der Schaum in sich zusammen. Anschließend können die Schäden festgestellt werden, wobei die Anlage der maximalen Schadensbegrenzung dient. Erste Tests haben gezeigt, dass die Ware unbeschädigt bleibt.
Zu etwas Besonderem macht die Anlage auch der Baustil mit der Kombination aus VdS-Richtlinien und NFPA-Richtlinien (National Fire Protection Association – vergleichbare Organisation in der USA). Die verwendeten Dieselpumpen wurden nach NFPA-Richtlinien gebaut und zusätzlich vom VdS einzeln geprüft und erstmals in Deutschland zugelassen. Die Leistung dieser Pumpen kann man erahnen, wenn man bedenkt, dass mit den gleichen Pumpen New Orleans trocken gelegt wurde. Die Vereinbarkeit der Richtlinien stellte eine der Schwierigkeiten dar. Für die Arbeit im Lager und der Logistik bestand die hauptsächliche Schwierigkeit jedoch darin, diese Anlage in ein voll bestehendes, funktionierendes Lager einzubauen. Da wäre zum Beispiel der Einbau der Schaumkanonen an der Decke, womit Gänge blockiert worden wären, oder die Verlegung der Außenleitungen. Trotz der Hindernisse mussten der Lagerbetrieb zeitgemäß weiterlaufen und die Bauarbeiten fristgerecht eingehalten werden.
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