Formel-1-Reifen von Michelin im Detail
Eine wahrlich runde Sache: Im Motorsport im Allgemeinen sowie in der Formel 1 im Besonderen haben sich die Reifen längst zu einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren entwickelt. Während beispielsweise Chassis-Ingenieure zum Teil monatelang tüfteln, um Zehntelsekunden zu finden, senken neue Reifenmischungen die Rundenzeiten oft im Sekundenbereich – in Motorsport-Dimensionen geradezu Quantensprünge. Doch wie genau ist so ein Hightech-Produkt Rennpneu eigentlich aufgebaut? Michelin gibt einige Geheimnisse des „schwarzen Goldes“ preis.
Insgesamt besteht ein Formel-1-Pneu – ebenso wie ein Serienreifen – aus mehr als 200 unterschiedlichen Materialien und Substanzen. Dazu zählen Öle, Stahl und Schwefelverbindungen; Kevlar, Polyester und bis zu 80 verschiedene Kautschuksorten; Aramide, Zink und Harz sowie eine gefällte Kieselsäure namens Silica. Da bei Rennreifen jedes einzelne Gramm als Teil der rotierenden Massen extrem ins Gewicht fällt, besitzen die Formel-1-Pneus von Michelin einen besonders hohen Anteil extra leichter Materialien wie Kevlarfasern als Stahlersatz oder auch textiler Werkstoffe. Egal ob natürlich oder synthetisch gewonnen: Die Quote des verbauten Kautschuks bleibt mit 79 Prozent praktisch identisch. Konstruktiv unterscheidet Michelin zwischen zwei Bereichen eines Rennpneus: die Karkasse, also die tragende Grundstruktur, und die Gummimischung („Compound“) der Lauffläche.
Wichtig für die Performance – die Karkasse
Die Karkasse mit dem darüber liegenden Gürtelverband – deren jeweilige Konstruktionsdetails geheim gehalten werden wie die Rezeptur von Coca-Cola – bestimmt nicht nur das Einlenkverhalten, sondern auch die Seitenstabilität und die Dauerhaltbarkeit des Pneus. Beim (ersten) Formel-1-Einstieg 1977 revolutionierte Michelin mit der Radialreifen-Technologie den Rennreifenbau. Bis heute kennt diese Form der Ausrichtung der Karkassen-Fäden – die parallel zueinander und im rechten Winkel der Fahrtrichtung verlaufen – im Grand-Prix-Sport keine Konkurrenz. Wie steif Karkasse, Wulstkern und seitliche Verstärkungslagen ausgelegt werden, hängt nicht nur vom Gewicht des Fahrzeugs – also der Radlast – ab, sondern auch von der vorhandenen Motorkraft. Steht wie in der Formel 1 Power im Überfluss zur Verfügung, sind geschmeidigere Karkassen gefragt. Sie bieten beim Einfedern unter Last eine größere Aufstandsfläche („Latschfläche“) und damit eine verbesserte Traktion.
Zwischen den Gürtellagen, die zur Optimierung der Stabilität im Winkel verschränkt übereinander liegen, und der Lauffläche findet sich in einem modernen Wettbewerbspneu ebenso wie in einem Serienreifen die so genannte „Null-Grad-Abdeckung“. Sie überspannt den Gürtel in Laufrichtung und verhindert bei hohen Drehzahlen – in der Formel 1 bis zu 3.000 Radumdrehungen pro Minute – ein „Wachsen“ des Pneus unter den großen Fliehkräften. Erfolgt dies wiederum in einem exakt kontrollierten Ausmaß, trägt der größere Abrollumfang zu leicht erhöhter Endgeschwindigkeit bei.
Die Gummimischung – das Temperaturfenster zählt
Der „Compound“ stellt den unmittelbarsten Kontakt zur Fahrbahnoberfläche her, unterliegt daher auch dem stärksten Verschleiß – der allerdings nur zum Teil von der reinen Laufleistung abhängt. Viel maßgeblicher tragen Parameter wie die Fahrbahnoberfläche, die Fahrweise und Fahrwerkseinstellungen zur Abnutzung der Laufflächen bei, denn sie beeinflussen den Temperaturhaushalt der Gummimischung.
Die optimale Betriebstemperatur liegt bei rund 95 Grad, die möglichst gleichmäßig über die gesamte Laufflächenbreite anliegen sollte. Um dieses optimale Temperaturfenster zu erreichen, stehen dem Fahrer und seinem Renningenieur die Einstellmöglichkeiten des Fahrwerks zur Verfügung: Sturz, Vor- oder Nachspur etwa. Negativer Sturz zum Beispiel („X-Beinigkeit“) stützt in Kurven gegen Fliehkräfte ab, belastet aber die innere Reifenflanke stärker.
Wichtig für das Qualifying: Rennreifen können kurzfristig mehr als 100 Prozent geben – den so genannten „Peak“, den Profi-Piloten gezielt für die extraschnelle Runde im Abschlusstraining nutzen. Geht das Gummi bei erstmaliger Erwärmung „auf“, wie die Techniker sagen, so bieten Rennpneus für eine kurze Zeit eine überdurchschnittlich hohe Bodenhaftung. Diese währt in der Regel für ungefähr die Distanz einer Runde und kann einen Zeitvorteil von bis zu 0,3 Sekunden bedeuten – im Qualifying schnell die Frage von zwei oder drei Startreihen weiter vorn oder hinten.
Spezialisten im Verdrängen – Regenrennreifen
Einem weit verbreiteten Irrtum zum Trotz: Regenrennreifen sind keinesfalls Trockenpneus mit eingeschnitzten Drainagerillen. Vielmehr stellen die Nässespezialisten ganz eigene Konstruktionen dar, auf denen zum Beispiel auch die so genannten „Intermediates“ basieren, die bei gemischten Bedingungen eingesetzt werden können. Regenrennreifen zeichnen sich durch einen weicheren Unterbau aus, um auf Oberflächen mit geringerem Gripniveau eine höhere Haftreibung erzielen zu können. Schon aus diesem Grunde besitzen sie einen feinfühliger nutzbaren Grenzbereich. Ihre optimale Betriebstemperatur erreichen sie bereits bei 40 bis 45 Grad Celsius. Einfach nachvollziehbar, warum sie auf trockenem Asphalt schnell überhitzen.
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