Hayes Lemmerz wird endlich wirklich international
Gemeinsam mit dem Jointventure-Partner Inci Holding (40 Prozent der Anteile) hat Hayes Lemmerz im Juni eine neue Fabrik für Aluminiumgussfelgen in Manisa (Türkei, Großraum Izmir) eingeweiht. Gefertigt wird im Niederdruckkokillenguss und nach den gleichen Standards wie in allen anderen Werken des Erstausrüsters. In diesem Jahr werden bereits 400.000 Räder gefertigt, die auch bereits verkauft sind (so 17 Zoll an Toyota), im nächsten Jahr wird die Produktion auf etwa eine Million Einheiten gesteigert, die geplante weitere Expansion erfolgt je nach Auftragslage.
Für Fred Bentley, im Unternehmen als Präsident und Chief Operating Officer für die Sparte „Global Wheel Group“ verantwortlich, endlich mal ein angenehmerer Anlass, als Werksschließungen wie in der Vergangenheit verkünden zu müssen, das sei einfach furchtbar („awful“) für ihn. Gleichwohl ist aus seiner Sicht und aus der von Marc Hendrickx (Vizepräsident „Aluminium Operations“ und hierzulande so etwas wie das „Gesicht“ des weltgrößten Räderherstellers) das Ende der Leidenszeit wenigstens am Horizont in Sicht. Denn die Monate, in denen das Unternehmen unter dem amerikanischen Konkursrecht stand (gemäß Chapter 11, aus dem Hayes Lemmerz am 3. Juni 2003 entlassen wurde), sind unvergessen und haben zu einem Schrumpfungsprozess geführt: Ende 2002, als die Wucht des Restrukturierungsdruckes auf das Unternehmen wegen Chapter 11 einbrach, zählte man noch 44 Fabriken und 11.400 Mitarbeiter, heute sind es 35 Werke und etwa 10.000 Mitarbeiter.
Wobei – das war immer unstrittig – die Probleme des Unternehmens erstens eher aus dem nordamerikanischen Geschäft und zweitens eher aus dem „Nicht-Räder-Bereich“ stammten. Und so war einerseits auch Nordamerika wesentlich stärker von den Aufräumarbeiten betroffen als „der Rest der Welt“ und trennte sich Hayes Lemmerz von Teilen, die im Rahmen eines Glaubens an Diversifikation aufgebaut bzw. aufgekauft worden waren in den Jahren, als man sich daran zu machen in der Lage wähnte, den Zulieferermarkt und auch den für Räder aufrollen zu können. Tatsächlich aber hatte man es sogar versäumt, aus den im Frühjahr 1997 fusionierten bisherigen Wettbewerbern Hayes und Lemmerz einen Konzern zu formen, bei dem die berühmten Synergien hätten greifen können. Und so machten die Amerikaner lange weiter, wie sie es gewohnt waren, und die Europäer auch.
Vermutlich ist „Chapter 11“ der Weckruf gewesen, den das Unternehmen brauchte – auch wenn das in den Ohren der Mitarbeiter, die auf der Strecke geblieben sind, zynisch klingen mag. Die Quartalszahlen verdienen zwar noch lange keinen Goldrand, beinhalten aber immerhin Kennziffern wie einen verbesserten Cashflow und Gewinne aus dem operativen Geschäft, die verheißen, dass die Trendwende geschafft ist.
Besinnung aufs Kerngeschäft
und Synergien
Zum einen verlässt Hayes Lemmerz den Pfad der Diversifikation, der sich als Irrweg herausgestellt hatte. Unternehmensteile, die nichts oder nur am Rande etwas mit Rädern zu tun haben, werden abgegeben. Das Unternehmen besinnt sich aufs Kerngeschäft, und das sind nun mal Fahrzeugräder in jeder Variante, ob für Nutzfahrzeuge (Lkw, Busse und Gabelstapler) oder für Pkw, ob aus Stahl oder Aluminium. Mit Lkw-Aluminiumrädern (produziert bei der Aluwheel W.L.L. des Unternehmers Hamid Rashid Al Zayani in Manama/Bahrain) und mit dem so genannten Strukturrad, das auf den ersten Blick wie eines aus Aluminium aussieht, aber aus Stahl gefertigt wird und bei dem Hayes Lemmerz im Markt (zumindest noch) eine Alleinstellung hat, wird sogar innerhalb dieses Kerngeschäftes Neuland betreten. Räder sind nun einmal das, wovon Hayes Lemmerz wirklich etwas versteht.
Und endlich vollzieht sich auch, was schon vor Jahren erwartet worden war: Bislang hatten die Amerikaner im Schwerkraftverfahren gegossen, der Rest der Räderwelt von Hayes Lemmerz jedoch im Niederdruckverfahren. Mit der Aufgabe des Werkes Huntington (Indiana), das dieser Tage geschlossen wird, gehört das Thema der Vergangenheit an. Auf sämtlichen der mehr als 200 Gießautomaten von Hayes Lemmerz weltweit kommt das Niederdruckverfahren zur Anwendung, bislang in Huntington abgearbeitete Aufträge bzw. dortiges Equipment konnten allerdings nur zum Teil nach Gainesville (Georgia) ins eigene Schwesterwerk transferiert werden. „Wir haben Aufträge verloren“, räumt Hendrickx ein. Davon profitiert haben die südafrikanisch-deutsche Firma ATS und der Weltmarktführer bei Aluminiumgussfelgen Superior. Hayes Lemmerz jedenfalls hat in den Vereinigten Staaten nur noch eine Fabrik zur Herstellung von Pkw-Aluminiumfelgen sowie einen weiteren Standort in Chihuahua (Mexiko), von dem aus die amerikanische Erstausrüstung beliefert werden kann. Ob Gainesville oder die anderen internationalen Standorte die Lücke Huntington schließen können, bleibt abzuwarten: vielleicht Brasilien, vielleicht Südafrika, wo gerade erst die Kapazität kräftig aufgestockt wurde (von 800.000 auf 1,3 Millionen Einheiten jährlich); der Standort Thailand ist zwar das nächste größere Investitionsprojekt (Verdoppelung der Kapazität auf ca. 2,3 Millionen Einheiten), diese Räder sind allerdings schon gewissermaßen verplant und für Toyota in Japan vorgesehen, so Fred Bentley.
Der findet die Frage interessant, ob angesichts des deutlich wachsenden Anteiles der Nicht-US-Umsätze (im ersten Quartal dieses Geschäftsjahres 56 Prozent) Northville in Michigan Ort der Unternehmenszentrale bleibe. Zwar sind die Aktionäre von Hayes Lemmerz überwiegend institutionelle Investoren aus den USA, aber bei einem Fortgang der Desinvests im Nicht-Räderbereich und angesichts einer Stärkung der internationalen Geschäfte erscheint ein außeramerikanischer Umsatzanteil von um die 75 Prozent durchaus realistisch. Übrigens ist das auch ziemlich genau der Anteil, den Räder zum Konzernumsatz heute beitragen.
Mit jährlich gut 60 Millionen produzierten Rädern (aufgeteilt in 40 Millionen Pkw-Stahlräder, 15 Millionen Pkw-Aluminiumräder, 6,5 Millionen Lkw-Stahlräder, 0,5 Millionen Gabelstaplerräder) ist Hayes Lemmerz die weltweite Nummer eins mit einem Marktanteil nach eigenen Angaben von 23 Prozent und nur einer von drei (die anderen beiden sind zwei wesentlich kleinere japanische Unternehmen) Erstausrüstungslieferanten, die Stahl und Aluminium aus einer Hand bieten. Bei Pkw sieht Marc Hendrickx mit einem geschickten Mix aus sogar drei Rädertypen (neben dem Stahl- und Aluminiumrad sei auch das von den Fahrzeugherstellern begehrte und in einer Kapazität von jährlich drei Millionen Einheiten praktisch ausverkaufte Strukturrad genannt) einmalige Chancen, denn die Kunden – da ist Hayes Lemmerz in der Tat so gut wie kein anderer „diversifiziert“ mit einem ganz breiten Kundenportfolio – würden bei keinem anderen Hersteller gleich drei verschiedene Varianten finden. Dass nicht auch andere Stahlradhersteller in der Lage sind, Strukturräder oder ähnliche Entwicklungen anzubieten, liegt an zweierlei: Einerseits hat Hayes Lemmerz das Verfahren ziemlich gut patentrechtlich schützen können, andererseits gibt es gerade mal eine Hand voll Pressen weltweit, mit denen die Produktion überhaupt möglich wäre: Eine steht bei Hayes Lemmerz in Königswinter, die andere bei Hayes Lemmerz in Manresa (Spanien). Übrigens: Durch das Strukturrad (auch „Steel Flex Wheel“ genannt) erhält das deutlich unterhalb der Auslastungsgrenze von 9,5 Millionen Einheiten fertigende spanische Stahlräderwerk eine neue Perspektive, das Dilemma der Fabrik: Sie war stark ausgelegt auf 13 und 14 Zoll, und der Markt ist ja nun stark rückläufig gewesen in den letzten Jahren.
Und es gibt noch einen weiteren strategischen Aspekt, der jetzt anfängt Früchte zu tragen. Pieter Klinkers, Vizepräsident Verkauf und Marketing der „Global Wheel Group“, weist darauf hin, dass Hayes Lemmerz früher ganz überwiegend in Hochkostenländern produziert hat, dieses Verhältnis aber inzwischen bereits in Richtung Niedrigkostenländer umgedreht hat: zu Lasten von Ländern wie Spanien und Belgien (Produktionskürzungen) oder Italien (eine Werksschließung) sowie den USA, zu Gunsten von Ländern wie Südafrika, Mexiko, Tschechien, Thailand, Indien oder Türkei. Wobei Marc Hendrickx klarstellt, dass der deutsche Standort Königswinter aufgrund der hochmodernen (Stahlfelgen-) Produktion unangetastet bleibt und auch beispielsweise für das Alufelgenwerk Hoboken in keinster Weise irgendwelche Schließungspläne existieren, vielmehr sei diese Fabrik mit der Fertigung von Hightech-Felgen (übrigens überwiegend für Mercedes) bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet. „Wir brauchen auch diese Werke“, sagt Hendrickx und erteilt damit Spekulationen, sein Unternehmen sei prinzipiell auf dem Sprung hin zu Niedrigkostenstandorten, eine Absage. Am Beispiel Aluminium heißt das, Volumenräder aus den kostengünstigen Standorten, hochwertige Räder aus Standorten wie Hoboken (Belgien), Sant Joan Despi (Spanien) oder Dello (Italien), wo sich auch das Entwicklungszentrum für Räder befindet, zu beziehen.
Weltweit die Nummer eins über alles gesehen und bei Stahlrädern, weltweit die Nummer zwei bei Aluminiumrädern und in Europa (nähme man nur reine Europa-Produktion) hinter Ronal und Borbet die Nummer drei, beim Marktimage vielleicht (hinter ATS, d. Red.) sogar erst an vier, ist eine gute Ausgangsbasis, meinen Hendrickx und Klinkers, „und für mich ein entscheidender Grund, vor gut einem Jahr von Michelin zu Hayes Lemmerz zu wechseln“, ergänzt lachend der 35-jährige Holländer Pieter Klinkers. Die automobile Welt komme nicht ohne Reifen von Michelin aus, aber eben auch nicht ohne Räder von Hayes Lemmerz. Ihm imponiere, dass bei Hayes Lemmerz (wie bei Michelin) eben nicht nur Opfer von den Arbeitern eingefordert werden, sondern auch das Management mitziehe. So habe man die Zugeständnisse bei den Gehältern, die man den Arbeitern in den (gewerkschaftsfreien) US-Fabriken zugemutet habe, ebenso in der Unternehmensspitze umgesetzt.
Standort Türkei
Eine zentrale Rolle und wachsende Bedeutung nimmt innerhalb des Produktionsverbundes von Hayes Lemmerz die Stadt Manisa (nordöstlich von Izmir/Türkei) ein. Dort unterstehen Mustafa Zaim eine Pkw-, eine Lkw-Stahlradfabrik (in der übrigens auch 18 und 19 Zoll große Pkw-Stahlnoträder für die Erstausrüstung von beispielsweise Audi TT, VW Touareg, Toyota Avensis oder diverse Mercedes-Modelle hergestellt werden) und seit Juni auch eine Fabrik für Pkw-Aluminiumgussfelgen. Zaim ist ein Mitglied der einflussreichen Familie Inci, die an den drei Fabriken im Rahmen von Jointventures jeweils die Minorität hält. Die Pkw-Stahlradfabrik Hayes Lemmerz Inci Jant Sanayi A.S. stellt aktuell gut drei Millionen Einheiten (ca. 65 Prozent für die türkische Erstausrüstung) her und ist – obwohl an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden produzierend – absolut voll ausgelastet. Das gilt auch für die Nutzfahrzeugräderfabrik Hayes Lemmerz Jantas Jant Sanayi A.S., die mit 1,5 Millionen Einheiten (nach Königswinter) die zweitgrößte ihrer Art in Europa ist. Die Inci Holding ist darüber hinaus ein stark diversifizierter Konzern (herausragend Kühlgeräte), der unter anderem auch Autobatterien herstellt (Inci Akü).
Jetzt also auch eine Fabrik für Pkw-Aluminiumfelgen, an der die Inci-Familie nach dem Vorbild der anderen beiden Fabriken mit 40 Prozent beteiligt ist. Eingeweiht wurde das neue Werk mit etwa 500 Gästen aus der Politik und der Wirtschaft sowie zahlreichen Honoratioren aus der Region im Rahmen eines großen Festes. Die Delegation von Hayes Lemmerz wurde von Fred Bentley, Marc Hendrickx und Pieter Klinkers angeführt. Beim Werksdurchgang der neuen „Hayes Lemmerz Inci Jant Sanayi A.S. Alüminyum“ bestätigt Raymond Boey, bei dem Unternehmen vor allem für Produktionsfragen verantwortlich, dass man zwar auch Equipment aus dem aufgegebenen Standort Campiglione Fenile (bei Turin) wieder installiert habe, dass aber das meiste Equipment absolut neu und Spitzenstandard im Wettbewerb – so die Warmauslagerungs- und die Lackieranlage von Eisenmann – sei, seine Einschränkung ist vielmehr eine andere: „Für uns ist sehr wichtig, dass wir alle Maschinen nach unserem Standard modifizieren können.“ So seien sämtliche Gießautomaten in den Werken absolut identisch, zwar auf dem Markt gekauft, aber doch in keiner anderen Fabrik eines Wettbewerbers so zu finden.
Im Vorwege habe er etwas „Bauchgrimmen“ bei der 35-Millionen-Euro-Investition in die neue Fabrik gehabt, denn die Entscheidung dafür sei gefallen, ohne einen einzigen Kunden für die Aluminiumgussräder in petto zu haben, verrät Klinkers. Vor zwei Jahren habe man das Projekt erstmals mit der Familie Inci erörtert, ergänzt Bentley. Dass ein Erstkunde (Toyota) bereits einen Großteil des Erstjahresvolumens (ca. 400.000) abnehme und weitere Interessenten (so Fiat/Italien) anklopfen, lässt diese Anfangsbefürchtung verblassen. Denn von jetzt an kann die Fabrik, deren Layout äußerst großzügig ausgefallen ist, je nach Auftragslage weiter hochgefahren werden. Die Marktanalysen haben ergeben, dass etwa ein knappes Drittel im wachsenden Inlandsmarkt (2005: Produktion von ca. 900.000 Fahrzeugen) abgesetzt werden kann, der Rest an europäische Autohersteller gehen könnte, die vor allem auch per Schiff gut zu bedienen sind. Wenn alles klappt, werden 2007 bereits 900.000 oder eine Million Aluminiumfelgen gegossen, 2008 vielleicht 1,5 oder 1,6 Millionen Einheiten. Aber das ist vielleicht auch eine Lehre aus dem Chapter-11-Verfahren: Euphorie breitet sich nicht aus, „aber Genugtuung, dass unsere harte Arbeit belohnt wird“, meint Klinkers.
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