Technik: Die Reibungspunkte bei Formel-1-Reifen
Elastisch oder fest, dämpfend oder federnd, hart oder weich – der Alleskönner Gummi hat viele Gesichter: Es geht um jene Parameter, die im Rennsport über Sieg oder Niederlage entscheiden. (Noch-)Formel-1-Lieferant Michelin berichtet vom technischen Einmaleins der Reifeningenieure.
Wenn von „Gummi“ die Rede ist, haben viele eine feste Vorstellung von diesem Stoff. Tatsächlich aber meint dieser Sammelbegriff eine große Bandbreite von Polymeren. Einzige Gemeinsamkeit: Es handelt sich stets um mehr oder weniger elastische Materialien. Ein Gummiball zum Beispiel, der aus einem hoch elastischen Gummi besteht, gibt fast die gesamte aufgenommene Energie wieder ab. Wird er aus einer bestimmten Höhe fallen gelassen, springt er nach dem Aufticken nahezu auf dasselbe Niveau zurück. Besteht ein Ball aus einer harten Gummimischung, kann er im Extremfall fast ohne „Rebound“ zu Boden fallen.
Die meisten Gummimischungen besitzen eine bestimmte charakteristische Temperatur, unterhalb derer die Moleküle sich nicht mehr bewegen. Dieser Punkt nennt sich „Glasübergangstemperatur“ und kann zwischen minus 200 Grad Celsius bis über 40 Grad Celsius liegen. Der Name deutet es an: Erreichen Gummis diese kritische Grenze, wird das Material steif und spröde wie Glas.
Gute Reibung, schlechte Reibung
Die Friktion – oder Reibung – ist jener Widerstand, der überwunden werden muss, wenn ein Material gegen ein anderes reibt. Dieses Phänomen kommt – zum Glück – in praktisch jeder Alltagssituation vor: Ohne Reibung zwischen Schuhen und Erdboden könnten wir nicht laufen, ohne Friktion würden Nägel nicht in der Wand halten. Ingenieure benutzen zur Beschreibung der Reibung die Gleichung X = µ x Z. Das bedeutet: Die Reibungskraft X ist gleich dem Reibungskoeffizienten µ multipliziert mit der vertikalen Kraft Z. Diese letzte Größe besteht zum Beispiel aus dem Gewicht eines Fahrzeugs oder dem aerodynamischen Abtrieb.
Was die Gleichung vor allem aussagt: Die nötige Kraft, um ein Material mit gleichbleibender Geschwindigkeit gegen ein anderes zu bewegen, wirkt proportional zu der Kraft, die die beiden Materialien aufeinander drückt. Beispiel dafür: Die erforderliche Antriebskraft für einen Formel-1-Rennwagen wächst proportional mit dem Gewicht bzw. Abtrieb. Sie ist ebenfalls proportional zur Konstante µ, die von der Materialbeschaffenheit abhängt. Zusätzlich gilt es zu berücksichtigen, dass der statische Reibungskoeffizient gewöhnlich größer ist als der dynamische Koeffizient desselben Materials. Das heißt: Um ein Material in Bewegung zu setzen, ist zur Überwindung der Reibung ein größerer Krafteinsatz erforderlich, als dafür, es auf gleichem Tempo zu halten. Die folgenden µ-Werte geben eine Vorstellung von den verschiedenen Reibungskoeffizienten:
Holz auf Holz: 0,25
Metall auf Metall, trocken: 0,15 (Beispiel: Eisenbahnräder auf Schienen)
Gummi auf Glas, trocken: 2,0
Gummi auf Asphalt, trocken: 1,5
Gummi auf Asphalt, nass: weniger als 1,0
Bleiben wir zur Einordnung bei der Materialkombination Gummi auf Glas. Ein Reibungskoeffizient größer als 1 bedeutet, dass mehr Kraft erforderlich ist den Gummiblock zu bewegen als sein Eigengewicht auf dem Glas beträgt. In anderen Worten: Gummi besitzt in der Regel nicht nur eine große Reibung, es treten auch weitere Effekte auf. Im Motorsport generiert Gummi Friktion vor allem in drei Formen: Adhäsion, Deformation und Verschleiß. Diese drei Elemente summieren sich zur Summe der Reibung zwischen Gummi und Fahrbahnoberfläche in der Richtung der Geschwindigkeit.
Die beim Fahrbahnkontakt entstehende Adhäsion ist ein Resultat der elektrochemischen Bindung zwischen den Elastomermolekülen in der Lauffläche des Reifens und dem Asphalt. Beim Kontakt des Pneus mit der Fahrbahnoberfläche bleiben die Elemente aneinander haften. Wie das funktioniert, zeigt ein einfacher Vergleich: Wenn ein Tropfen Wasser auf einer Glasplatte aufkommt, bleibt er als Tropfen bestehen, statt in alle Richtung zu verlaufen. Der Grund dafür liegt in der Adhäsion. Sie hält die einzelnen Wassermoleküle ebenso zusammen wie die Elastomer-Partikel mit jenen des Asphalts. Die Stärke der Adhäsion hängt von der Qualität der Verbindung zwischen den Molekülen ab.
Durch die Friktion verändert sich ein Pneu auf der Strecke auch in seiner Form: Die so genannte Deformation tritt beim Beschleunigen, Bremsen und in den Kurven auf. Bei großer Krafteinwirkung – etwa in kurvigen High-Speed-Passagen oder bei Vollbremsungen – verändert ein Reifen seine Form am stärksten.
Als weitere Folge der Reibung tritt Reifenverschleiß auf. Die Stärke der Abnutzung hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Zu den entscheidenden Kriterien zählen der Fahrbahnbelag und die Reifenmischung. Generell gilt: Je rauer der Asphalt und je weicher die Mischung, desto höher der Verschleiß der Pneus. Neben diesen Faktoren spielen auch die Fahrweise des Piloten, die Eigenschaften des Fahrzeugs und die äußeren Bedingungen eine große Rolle.
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