20 Jahre Embedded Systems von Continental Automotive Systems
Ohne Elektronik lässt sich kein modernes Auto mehr bewegen. Einspritzung und ABS, adaptives Fahrwerk und Tempomat, Airbag oder Getriebeautomatik – alle diese Subsysteme werden von hocheffizienter Software gesteuert. Ingenieure bezeichnen sie auch als „Embedded Systems“ – als eingebettete Systeme, in denen Mechanik, Sensorik, elektronische Hardware und Software als Wirkverbund eine genau definierte Funktion darstellen. „Wenn man so will, war unser Antiblockiersystem MK II von 1984 das erste für den Serieneinsatz produzierte sicherheitsrelevante Embedded System im Automobilbau. Denn es arbeitete erstmals mit Prozessoren“, sagt Helmut Fennel, Leiter des Competence Centers Regelungstechnik und Software bei der Division Automotive Systems der Continental AG. Die Division integriert mit den Marken Continental Teves und Continental Temic als weltweit führender Technologiepartner der Automobilindustrie umfassendes Know-how in den Bereichen Fahrsicherheit, Antrieb und Komfort.
Mechatronisches System: Wirkverbund von Elektronik und Mechanik
Embedded Systems unterscheiden sich grundlegend von PCs, Handys oder anderen elektronischen Geräten des modernen Lebens. „Ein Wesenszug der Embedded Systems ist der Wirkverbund von Elektronik und Mechanik zum mechatronischen System“, erklärt Fennel und nennt ein Beispiel aus der Division Automotive Systems. „Wenn die ABS-Electronic Control Unit aus den Signalen der elektronischen Raddrehzahlsensoren erkennt, dass ein Rad beim Bremsen zu blockieren droht, steuert sie hydraulische Ventile an, die den Bremsdruck an genau diesem Rad im Bereich der optimalen Reibung modulieren. So bleiben Fahrstabilität und Lenkfähigkeit erhalten.“
Um das Embedded System „Bremse“ zu entwickeln und zu produzieren, müssen also Sensorikspezialisten, Mechanik-Konstrukteure und Designer von elektronischer Hardware interdisziplinär zusammenarbeiten. Als verbindendes Element kommt die Software hinzu. Sie sorgt dafür, dass die optimale Systemfunktion mit kostengünstiger Hardware erzielt werden kann. Weiteres verbindendes Element ist der Fahrversuch, der die Gesamtfunktion beurteilt und dafür sorgt, dass Einzelkomponenten an der richtigen Stelle optimiert werden. „Dieses Know-how ist in Jahrzehnten gewachsen und Teil unserer Stärke“, sagt Fennel: „Wir kennen die Dynamik des Autos.“
Dazu wagen sich die Ingenieure des Fahrversuchs – oft gemeinsam mit den Entwicklern des jeweiligen Systems – auf zugefrorene Seen am Polarkreis. Dort müssen sie zeigen, dass in der Praxis alles so perfekt funktioniert, wie es sich die Entwickler gedacht haben. Ganz wichtig bei der Arbeit aller Beteiligten, die für die Ingenieure auch aus der abstrakten Beschäftigung mit FMEA (Fehler-Möglichkeitseinfluss-Analyse) Methoden bestehen: Methodik, Erfahrung und Intuition. „Wir müssen das Fahrgefühl des Menschen erahnen, der dieses Auto später einmal kauft“, sagt Fennel. „Er soll sich wohl und sicher fühlen in seinem Auto, das sich genau so verhält, wie er es vom Produkt einer bestimmten Marke erwartet.“
Mit Ressourcen haushalten: passgenaue Software
Hier sind überwiegend die Software-Ingenieure gefragt. Denn ob das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) spät und hart oder früh und sanft einsetzt, um ein instabiles Auto auf Kurs zu halten – das steuern die Algorithmen, die von gut 1.000 Software-Ingenieuren der Division Automotive Systems entwickelt werden. Viel Speicherplatz steht für ihre automotive Software nicht zur Verfügung. Denn eine Festplatte wäre in der rauen Umgebung eines Automobils nicht zuverlässig genug. Vielmehr kommen – auch aus Kostengründen – Single-Chip-Prozessoren zum Einsatz, die das Schreiben betont „schlanker“ Software erfordern.
1984, zu Zeiten des ersten Teves-ABS MK II, verfügten die Prozessoren gerade einmal über vier KiloByte ROM-Speicher. Das kleinste ABS von Continental Teves begnügt sich heute mit 128 KiloByte – verblüffend wenig für die Basis aller Fahrerassistenzsysteme, schließlich beansprucht schon das Betriebssystem eines PC mehrere hundert KiloByte Speicherplatz. Noch imposanter wird die Leistung der Automotive-Software beim Blick auf das höchstentwickelte Fahrerassistenzsystem, das elektronische Stabilitätsprogramm ESP. Das erkennt durch Auswerten von Sensorsignalen für Geschwindigkeit, Raddrehzahlen, Lenkwinkel, Querbeschleunigung und Gierrate des Autos, wohin der Fahrer fahren will und wohin das Auto tatsächlich fährt. Klafft zwischen Fahrerwunsch und tatsächlichem Verhalten des Autos eine als kritisch definierte Lücke, weil die Straße plötzlich glatt, die Kurve zu eng oder die Lenkbewegung zu extrem ist, bringt das ESP das Auto im Rahmen des physikalisch Möglichen auf Kurs, indem es den Motor drosselt und eines oder mehrere Räder unterschiedlich
lang und unterschiedlich stark abbremst. Die Software, die dies alles ermöglicht, beansprucht nur rund ein MegaByte Speicherplatz.
Echtzeit-Anforderungen: Es geht um Millisekunden
Nachvollziehbar, dass solche Eingriffe blitzschnell, das heißt in Echtzeit, ablaufen müssen. „Eher zufällig getroffene Zeitfenster wie beim PC sind indiskutabel“, unterstreicht Fennel. Das Embedded System im Automobil reagiert innerhalb von Millisekunden. Bei jedem Wetter, ein Autoleben lang.
Darüber fordern manche Funktionalitäten von der Software fast schon hellseherische Fähigkeiten, so etwa das ARP (Active Rollover Protection). Dieses System hat Continental Teves speziell für hohe Fahrzeuge entwickelt, die bei schnellen Richtungswechseln leicht umkippen können. ARP arbeitet präditiktiv. Es schließt aus den letzten Lenkbewegungen und den Reaktionen des Fahrzeugs auf die nächste Lenkbewegung. Führt die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem instabilen Fahrzustand, erhöht ARP durch vorbeugende Eingriffe ins Motormanagement und dosierte Bremseingriffe die Fahrstabilität.
Die Zukunft: Hybridantrieb und vernetzte Systeme
Mit dem Hybridantrieb, den Continental Automotive Systems als einziger europäischer Zulieferer für Serienfahrzeuge liefert, hält ein besonders komplexes Embedded System Einzug in unserere Autos. Die Software für dieses System zu entwickeln, ist wohl eine der spannendsten Aufgaben in der Automobilindustrie. Denn Hybridautos kombinieren einen Verbrennungsmotor mit einem Elektroantrieb und bedürfen eines ausgeklügelten Energiemanagements zwischen diesen Motoren, den Batterien, dem Getriebe und dem Bremssystem.
Anders gelagert sind die Herausforderungen, die die zunehmende Vernetzung der elektronischen Systeme eines Autos mit sich bringt. Dies ist für Fennel der logische Schritt in die Zukunft: „Heute sind Embedded Systems eine ideale Symbiose zwischen Elektrik, Elektronik, Mechanik und Sensorik, deren Bauteile miteinander verwoben und hochintegriert sind. Nun müssen wir aber die Embedded Systems öffnen und Teile davon standardisieren. So ermöglich wir eine übergeordnete Vernetzung im Gesamtfahrzeug und haben Vorteile wie etwa das Sensorsharing, also die gemeinsame Nutzung eines Sensor-Signals durch mehrere Systeme.“ Unter dem Namen AUTOSAR (Automotive Open System Architecture) haben sich daher Autohersteller und Zulieferer wie die Continental AG zu einer Entwicklungskooperation zusammengeschlossen, deren Ziel die Schaffung genau dieser standardisierten Software-Architektur ist.
Zumindest theoretisch entsteht durch Vernetzung die Gefahr, dass etwa durch Motortuning per Chip oder vielleicht sogar über das Mobiltelefon oder das Internet Viren in das Bordnetz geraten. Die Embedded Systems von Continental sind gegen Viren gut geschützt. Denn die Software ist in die Hardware eingebettet, zum Teil in einem nicht mehr änderbaren Maskenrom und zu einem anderen Teil programmiert in einem Flash-Speicher mit Zugangssicherung. Hinzu kommt, dass alle ins System eingehenden Signale auf Plausibilität überprüft werden, so dass ABS oder ESP eher ins Notprogramm wechseln, als unsinnige Aktionen einzuleiten. „Nach dem Neustart ist alles wieder, wie es sein soll“, sagt Fennel, denn der Virus könne nur den Speicher befallen, in dem die gemessenen und berechneten Daten gespeichert werden. „Dieser Speicher wird mit dem Einschalten der Zündung neu initialisiert.“ Trotzdem müsse das gesamte Bordnetz verlässlich gegen Angriffe von außen immunisiert werden, was in den Aufgabenbereich des Gesamtsystemintegrators, also des Automobilherstellers, falle.
Eine Alternative zur Vernetzung gibt es ohnehin nicht, denn sie ermöglicht bei sinkenden Kosten die Realisierung neuer Funktionen wie zum Beispiel APIA (Active Passive Integration Approach). Unter diesem Namen entwickelt Automotive Systems ein Netzwerk der aktiven und passiven Sicherheitssysteme. Ein mit APIA ausgestattetes Auto kann, so die Vision, Unfälle durch autonomes Abbremsen vermeiden und Verletzungen mindern, indem Gurte und Airbags schon vor einem unvermeidlichen Aufprall konditioniert sowie Sitze elektrisch verfahren, Fenster und Schiebedächer geschlossen werden. Dieses Schutzpotenzial könnte man nicht bieten, wenn man nicht Systeme wie Sitz, Fensterheber und Bremse, die originär nichts miteinander zu tun haben, vernetzt und neue Sensorik für die Beobachtung des Fahrzeugumfeldes einführt.
Die klassischen Embedded Systems verändern sich also, wachsen zu komplexen Strukturen zusammen. „Eine der größten Herausforderungen wird es daher sein, mit Augenmaß den Goldenen Schnitt zu finden, der einerseits Kosten-, Funktions- und Failsafe-Vorteile der Embedded Systems bewahrt, andererseits aber die Öffnung zum Sensorsharing und zur Vernetzung ermöglicht“, blickt Helmut Fennel auf eine spannende Zukunft.
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