„Fit für den Winter“-Messe
Wer soll eigentlich zu einem Fest kommen, das ein Großhändler veranstaltet? – Mit tausend Gästen rechnete der geschäftsführende Gesellschafter von RS Exclusiv Thomas Schmidt. Es kommen Reifen- und Autozubehörhändler aus dem gesamten norddeutschen Raum, dem „Heimatmarkt“ von Schmidt. Zwar hat Schmidt Kunden im ganzen Bundesgebiet und fährt auch ein Lkw das ganze Land ab, aber von seinem Selbstverständnis her versteht sich RS Exclusiv als regionaler Großhändler. Der Großhandel für Reifen, Räder & Autoteile in Neumünster feiert einmal jährlich in großem Stil, dieses Mal unter dem Motto „Fit für den Winter“ – zwar Mitte September noch bei Sonnenschein und warmen Temperaturen, für RS Exclusiv hat das Wintergeschäft aber bereits begonnen.
Das Unternehmen hat sich in den letzten zwei Jahren gewandelt: womit nicht nur der Umzug an einen neuen Standort (der alte wurde beibehalten und wird weiterhin als Lager genutzt) gemeint ist und auch nicht, dass jetzt Gummi Grassau zur Gruppe gehört und damit der Einzelhandel zu einem Standbein wurde. RS Exclusiv ist jetzt Vollsortimenter und führt auch Marken, die Schmidt vor einigen Jahren noch mied; RS Exclusiv kümmert sich jetzt intensiv um das Nutzfahrzeuggeschäft, das früher nur am Rande mitlief; und RS Exclusiv ist nicht mehr ein Anbieter, der sich überwiegend im Budget-Segment tummelt, sondern eine klare Markenstrategie fährt bis hin zum Premium-Segment.
Die Reifenhersteller waren (fast) allesamt mit Ausstellungsständen vor Ort: Fulda, Bridgestone/Firestone, Yokohama, Dunlop, Michelin/Kleber, Kumho, Vredestein, Continental/Barum, Pirelli. Auch Felgenhersteller waren präsent bzw. ihre Produkte wurden gezeigt (BBS, OZ, rial), RS Exclusiv- bzw. First Stop-Software-Partner Schaal Informatic fehlte auch nicht. Im Sortiment auch Roadstone, Sunny, Hankook/Kingstar, Metzeler und Stunner.
Schmidt zählt auf Großhandelsseite derzeit 52 Mitarbeiter, rechnet er Gummi Grassau hinzu, kommt er auf 110. Zwar trennt er Einzel- und Großhandel konsequent, aber die ehemalige Grassau-Verwaltung ist längst aufgelöst, Platz genug bietet das im letzten Jahr ersteigerte Anwesen in Neumünsters Friedrich-Wöhler-Straße. Thomas Schmidt ist ein äußerst kostenbewusster Geschäftsmann. Die neuen Räumlichkeiten waren geradezu ein Schnäppchen (in der Zwangsversteigerung für 900.000 Euro), größere Investitionen nicht erforderlich, Lager- und Büroräume entsprachen schon sehr weitgehend den Bedürfnissen eines Reifen- und Autoteile-Großhändlers. Dieses Kostenbewusstsein hat er auch bei Gummi-Grassau implementiert, kann so in der Einzelhandelskette jährlich bis zu 800.000 Euro einsparen und macht aus einem insolventen Unternehmen ein profitables.
Auf 5.500 Quadratmeter in der neuen und auf 2.500 Quadratmeter in der keine zwei Kilometer entfernten alten Halle lagert er 200.000 Reifen, jetzt – kurz vor der Wintersaison, für die sich RS Exclusiv bis an die Kapazitätsgrenze bevorratet – dienen auch noch 24 Container als weiterer Stauraum.
Er habe „Hauptmarken“, setzt Schmidt trotz Öffnung für alles was der Markt verlangt Prioritäten: Im oberen Bereich sind dies Bridgestone und Continental, im Mediumbereich Fulda und Firestone und auf der Budgetschiene Barum und Kingstar, aber Thomas Schmidt hält nicht an starren Schemata fest: So bekomme Stunner (Marangoni) eine Chance, sich in diesem Winter besser zu positionieren. Ein noch besseres Beispiel aber ist Michelin: In der „Vor-Grassau-Zeit“ gingen die Geschäftsbeziehungen gegen Null. Weil Grassau – vormals Mitglied bei der Kooperation point S und heute bei First Stop – aber mit überdurchschnittlicher Präsenz der Marken Pirelli und Michelin aufwartete, musste man sich an einen Tisch setzen. Nach Ansicht von Schmidt letzten Endes zum Nutzen aller beteiligten Partner. Grassau hat ja nicht nur Hofgeschäft, sondern ist auch ein in Norddeutschland an den einzelnen Standorten maßgeblicher Wiederverkäufer.
Womit nicht nur gemeint ist, dass Michelins Pkw- und Lkw-Reifen für den Großhändler RS Exclusiv interessant geworden ist, Schmidt bemüht sich immer, durch die Endverbraucher-Brille zu blicken. Und so wird der Grassau-Kunde nicht verprellt, indem ihm bedeutet wird, dass die Marke, die er dort seit Jahren bezieht, plötzlich die falsche sein soll. Thomas Schmidt ist keiner, der sofort alles umwirft, er hält vielmehr sogar Traditionen wach: In diesem Jahr begeht Gummi Grassau sein 75jähriges Firmenjubiläum, das wird natürlich gebührend gewürdigt.
Die Voraussetzungen wären da gewesen, dass sich die von Klaus Grassau gegründete „Vulkanisier-Anstalt“ auch über die dritte Generation hinaus positiv entwickelt hätte und in der Familie geblieben wäre. So war beispielsweise das Equipment für einen professionellen Autoservice durchaus vorhanden, den Unterschied zu früher kleidet Schmidt in drei Worte: „Wir leben Autoservice.“
Da passte es gut, dass schon der Großhändler nicht nur (wenn auch hauptsächlich) auf Reifen setzt, sondern sein Spektrum auf Verschleiß- bzw. Kleinteile von der Zündkerze (Champion) bis hin zum anspruchsvollen Tuning (Evotech) erweitert hatte. Schmidt kennt seine Kunden, weiß dass diese möglichst alle Teile aus einer Hand haben wollen. Allerdings musste er auch in den letzten Jahren realisieren, dass viele kleinere Betriebe, die er durch ein Franchisesystem an sich gebunden hatte, nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Insofern war die Übernahme eines regionalen Reifenhandelsnetzes wie Grassau für Thomas Schmidt auch Kompensation.
Doch mit dieser Übernahme will es Schmidt nicht bewenden lassen: 13 Niederlassungen zählt Grassau aktuell, 20 bis 25 sollen es einmal werden. Im gesamten norddeutschen Raum gibt es noch genügend Standorte, die sich ausfüllen ließen. Weitere 20 bis 25 unabhängige Reifenhändler möchte Thomas Schmidt in Norddeutschland an sich binden und scheut auch das in der Branche gelegentlich verpönte Wort „Hard-Franchising“ nicht. Was bei Grassau erfolgreich und erprobt ist, muss auch andernorts funktionieren. Beispiel Ölwechsel: Wenn fünf oder sechs Autofahrer – wie das bei Grassau schon passiert – wegen eines Ölwechsels täglich auf den Hof fahren, so ist der erste Schritt für Zusatzgeschäfte gemacht, wächst Kundenbindung. Schmidt will die Betriebe herausholen aus der Ecke des puren Reifenservice, er – siehe oben – lebt eben den Autoservice. Das ehemalige Franchisesystem ist eingestampft, die Anzahl der Händler, die sich dem neuen System verschreiben, ist noch Null. Für Thomas Schmidt eine Herausforderung. detlef.vogt@reifenpresse.de
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!