Dr. Rainer Landwehr: „Wir wollen wachsen ohne zu leiden“
Auf seinen Posten hatten konzernintern schon eine Reihe von Leuten geschielt. Vor dem Hintergrund der Personalpolitik der letzten Jahre war es dann jedoch keine allzu große Überraschung mehr, dass die Wahl für einen Nachfolger von Deutschland-Chef Gerd Grünenwald auf einen Kandidaten von außen fiel, auf Dr. Rainer Landwehr (51). Landwehr ist seit Dezember letzten Jahres bei Goodyear Dunlop und hat die Verantwortung nach einer Einarbeitungsphase in Brüssel im Mai auch offiziell übernommen und die Gelegenheit nutzen können, auf der Messe in Essen mit einer Vielzahl von Kunden reden zu können. Inzwischen stellte sich Dr. Landwehr auch der Neue Reifenzeitung einem Hintergrundgespräch zur Verfügung.
Man muss nicht mit abgedroschendsten Phrasen wie „Benzin im Blut“ Beschreibungen versuchen, wenn man eine Persönlichkeit als „Automann“ vorstellen möchte. Auf Dr. Landwehr trifft dies zu. Er ist ein Automann seit 20 Jahren, mit seinem Eintritt in den Ford-Konzern 1987, wo er kontinuierlich die Karriereleiter erklimmen konnte. Zunächst im Marketing & Vertrieb tätig, dann Geschäftsführer von Ford Niederlande, Direktor für Benelux und schließlich Geschäftsführer von Jaguar und Landrover für Deutschland, als diese Marken noch zum Ford-Konzern gehörten. Landwehr verließ den Ford-Konzern 2005 und übernahm die Geschäftsführung des Nissan Center Europe, bis die Chance kam, die Geschicke der Goodyear Dunlop in Deutschland leiten zu können.
Ein Wechsel von einem Automobilhersteller zu einem Zulieferer mag immer noch ungewöhnlich sein, vielfach wird er auch als Rückschritt gesehen, doch vorliegend kann kaum ein Zweifel erlaubt sein, dass Landwehr mit dem neuen Job eine Aufgabe übertragen bekam, die weit mehr von ihm fordern dürfte als es bisher der Fall war. Vor allem aber sieht er selbst diese Aufgabe als herausragend und motivierend an. In dieser für ihn sozusagen neuen Welt sind die Vertriebs- und Marketingerfahrungen des promovierten Betriebswirtschaftlers sehr gefragt. Das von ihm erkannte Hauptproblem beschreibt er in einer ihm eigenen klaren Sprache so: „Reifen sind nun mal Low-interest-Produkte. Sie sind einfach da und ich befürchte, dass auch der Reifenhandel unter einem nicht ganz klaren Image leidet.“ Damit ist wohl gemeint, dass man den Reifenspezialisten und einen Anbieter von Reifen, der auch als Autoservice in Erscheinung tritt, kaum klar genug erkennen oder unterscheiden kann.
Eine seiner Hauptaufgaben sieht Dr. Landwehr darin, die Geschäftsabläufe und Prozesse in einer sich radikal ändernden Welt permanent zu optimieren, Kosten zu reduzieren, ohne Abstriche an Qualitäten zuzulassen. Und man müsse all dies eben „schlanker, schneller und eleganter“ als Wettbewerber hinbekommen. Dazu sei es notwendig gewesen, sich die bisherigen Prozesse und Strukturen genauer anzusehen. Man müsse den Markt „aus der Adlerperspektive“ betrachten und Änderungen mit viel Fingerspitzengefühl vorschlagen und dann auch durchsetzen. Nur Kosten zu reduzieren, ja das sei ein relativ leichtes Unterfangen, mit dem man aber nicht allzu weit komme, weil man schnell auch alles andere reduziere, was gerade ausgebaut werden müsste. Dass dem Unternehmen insgesamt, damit auch dem in Deutschland, „schlankere Strukturen im Laufe der nächsten Zeit zu verpassen“ sein werden, steht für ihn fest. Und da die Geschäfte für Goodyear und andere Reifenhersteller weltweit derzeit nicht „prickelnd“ sind, wächst der Druck. Bei Goodyear wächst der Druck auf die europäische Einheit und damit ganz automatisch auf den wesentlichen und tragenden Teil Deutschland. Landwehr sieht durchaus die Gefahr, dass nicht für jeden Mitarbeiter notwendig erscheint, was alles gemacht wird, weil die Geschäfte hierzulande durchaus noch ganz gut liefen, „aber“ – so Landwehr – „man muss das Dach decken, solange noch die Sonne scheint“. Das hört sich einsichtig und klar an, doch die Gesellschaft neige dazu, Manager auch schon mal an den Pranger zu stellen, einfach nur weil diese die notwendigen Maßnahmen früh- und damit rechtzeitig vorgenommen hätten.
Was die große Linie der Geschäftspolitik angeht, stehen Goodyear Dunlop Deutschland wohl auf eine überschaubare Zeit hin kaum nennenswerte Veränderungen ins Haus. Landwehr will die operativen Einheiten stark halten und selbst nur unterstützend eingreifen. Bisher wurde das Geschäft von den Markenchefs gemacht, auch das bleibt so. Diese sollen einen möglichst hohen Grad an Selbstständigkeit und die sehr weit gehenden Freiheitsgrade behalten. Eine gute Abstimmung muss es aber bei der Planung geben. Zum Teil stehen die Marken Goodyear und Dunlop und in einigen Fällen auch Fulda selbst gegeneinander im Wettbewerb und nicht nur im Wettbewerb mit fremden Marken. Das soll nach Möglichkeit gemildert, wenn nicht schon völlig vermieden werden. Es komme darauf an, in der Summe stärker zu werden, nicht darauf, dass eine Marke auf Kosten einer anderen Konzernmarke vorankomme.
Goodyear Dunlop zählt sicher in Sachen Logistik in Deutschland zur absoluten Spitze. Das Unternehmen liefert im 24-Stunden-Rhythmus schnell und zuverlässig aus wie kein zweiter Konkurrent. Auch das kann an dieser Stelle sicher festgehalten werden: Das was vor mehr als 20 Jahren als „Nachtsprung“ (= Belieferung über Nacht, 24-Stunden-Service) begann und von Philippsburg aus immer weiter optimiert worden ist durch ihren Erfinder und Antreiber Bernhard Blümle, gilt als absolut führend und vorbildlich im Grunde europaweit. Das ist auch angesichts der Markenvielfalt und der damit verbundenen hohen Komplexität eine erstaunlich gute Leistung. Die große Kunst besteht nach wie vor darin, zwei so eng beieinander liegende Marken wie Goodyear und Dunlop so zu positionieren, dass sie sich nicht gegenseitig die Kunden abjagen. Beide Hauptmarken sehen sich als so bezeichnete Premiummarken, während Fulda einwandfrei der Economy-Kategorie zuzurechnen ist, also als Reifen mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis gilt. In internen Diskussionen befasst man sich mit unterschiedlichen Modellen, mit substitutiven und additiven, und das Ziel ist dabei von Rainer Landwehr einfach zu beschreiben: Wir wollen mit unseren großen Marken wachsen, ohne dass andere Konzernmarken darunter leiden müssen.
In Deutschland ist Goodyear Dunlop insgesamt Nr. 1, mit Abstand gilt das für Pkw-/Llkw-Reifen, während für Nutzfahrzeugreifen immer noch großer Nachholbedarf besteht. Das ist nach Ansicht nicht weniger Marktbeobachter auch darauf zurückzuführen, dass die Qualitäten in der Vergangenheit nicht immer so ausgezeichnet waren wie sie hätten sein sollen und wie sie heute sind. Inzwischen spielen Dunlop-Reifen neben denen der Marke Goodyear auf Lastkraftwagen wieder eine starke Rolle, während Fulda-Reifen eher regional in Erscheinung treten. Mehr als jeder dritte auf dem deutschen Pkw-Reifenersatzmarkt verkaufte Reifen dürfte einer aus dem Hause Goodyear Dunlop sein. Was die Erstausrüstung anbelangt, richtet sich alles mehr oder weniger klar ohnehin nach der Marke Goodyear.
So ist Dr. Rainer Landwehr heute für mehr als 7.000 für den Konzern in Deutschland tätige Leute zuständig, für sechs Reifenwerke innerhalb deutscher Grenzen sowie für den Goodyear-Standort Köln, der immer wieder mal ins Gerede kommt, weil er angeblich aufgelöst werden soll und was sich immer wieder als falsch herausgestellt hat. Abgesehen davon, dass es eine Standortsicherungsvereinbarung gibt, die Köln bis 2011 ohnehin unantastbar machen dürfte, haben sich alle anderen Lösungsvorschläge – zum Beispiel Umzug nach Hanau oder Fulda – als wenig praktikabel erwiesen; größere Einsparungen wären damit sowieso nicht einhergegangen, wohl aber größere Risiken.
Köln ist Heimat des Herzstücks der Goodyear Dunlop Deutschland, denn von dort aus wird die GDHS (Goodyear Dunlop Handelssysteme) gemanagt. Mit HMI, Premio und Quick sind die unterschiedlichsten Kooperationsformen im Handel tätig. Mit der GDHS verfügt Landwehr über eine sehr schlagkräftige Organisation, die größte in Deutschland, die sich zudem sehr stark mit den Konzernmarken, vorrangig wohl Goodyear, identifiziert. Das ist nicht von selbst gekommen, sondern Ergebnis harter Arbeit über nun schon 20 Jahre und länger. Langwehr, daraus macht er gar kein Geheimnis, will einiges tun für das Wachstum dieser Organisation, die dem Teilkonzern ein starkes Kreuz gibt.
So viel zu dem „Abstieg“ eines „Automannes“ vom Automobilhersteller zum Automobilzulieferer. Bei Licht betrachtet ist diese Aufgabe weitaus umfangreicher und auch weitaus aufregender als irgendwie ein paar Autos mehr oder weniger aus Japan an den Mann zu bringen, worauf der einzelne Manager ohnehin nur einen sehr begrenzten Einfluss hat, wenn das jeweils neueste Modell halt nicht hält, was es verspricht. Da lässt sich von Hanau aus einiges besser gestalten.
Wie man hören kann, hat Landwehr mit der ihm eigenen offenen Art die meisten seiner Mitarbeiter für sich einnehmen können, sodass die Felder gemeinsam beackert werden können. Letztlich aber zählt allein das Ergebnis. Die Marktanteile waren bereits unter der Führung seines Vorgängers Grünenwald sehr gut, die Erträge stabil. Deutschland war für den Goodyear-Konzern speziell in den ersten sieben Jahren des gerade erst begonnenen Jahrtausends eine Insel der Glückseligen. Es wurde Geld verdient, die Welt war okay. Dies in einer sich schnell ändernden Welt halten zu wollen und halten zu können, ist wahnsinnig schwierig. Denn, das ist ja wohl jedem Beobachter klar, die Rahmenbedingungen haben sich auch in Deutschland in diesem Jahr verdüstert. Es trotzdem gut zu schaffen, bleibt eine große Herausforderung.
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