„Verstehen, was Autofahrer brauchen“ – NRZ-Interview mit Michelin-CEO Senard zu Allwetterreifen
In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung betont Michelin-CEO Jean-Dominique Senard, die meisten Autofahrer in Deutschland bräuchten keine Winterreifen, stattdessen wären Allwetterreifen ausreichend. Der Aufschrei in der auf eine starke Saisonalität ausgelegten deutschen Reifenbranche fiel daraufhin entsprechend laut aus. In einem Interview mit der NEUE REIFENZEITUNG konkretisierte der Michelin-Chef seine Aussagen und befand, die Interessen und Ziele des Herstellers und der Reifenhändler in Deutschland seien nicht verschieden. „Unser Grundanliegen besteht darin, die Bedürfnisse des Verbrauchers zu erfüllen. Das haben wir mit den Reifenhändlern gemein.“ Und es gehe auch nicht darum, den deutschen Markt zu ändern; jeder müsse aber für einen bestehenden Bedarf eine gute Lösung anbieten.
NEUE REIFENZEITUNG:
Herr Senard, Sie sagen, dass die meisten Deutschen keine Winterreifen brauchen, stattdessen sind Allwetterreifen – namentlich ihr CrossClimate – eine ausgezeichnete Alternative. Viele deutsche Händler sind nicht dieser Meinung. Warum glauben Sie, dass sie sich täuschen?
Jean-Dominique Senard:
Um dem Bedarf der Autofahrer gerecht werden zu können, muss man wissen, wie sie ihre Fahrzeuge nutzen. Nur so kann man ihnen einen Reifen anbieten, der ihrem Bedarf gerecht wird und ihre Sicherheit gewährleistet.
61 Prozent der europäischen Autofahrer fahren das ganze Jahr über mit den gleichen Reifen. In Deutschland sind es 24 Prozent. Das führt zu einem Sicherheitsproblem auf der Straße, denn in vielen Fällen sind die Reifen für die jeweilige Jahreszeit ungeeignet. Das zeigt, dass sich zahlreiche Autofahrer nicht mit saisongerechten Reifen ausstatten wollen oder können. Der Michelin CrossClimate + ist für diese Autofahrer genau die richtige Lösung. Es handelt sich um einen Reifen für alle Wetterlagen, der mit der 3PMSF-Winterreifenkennung auch langfristig ausgezeichnete Performance bringt, d.h. auch wenn er halb oder stärker abgefahren ist. Das hat ein einschlägiges Magazin in Deutschland gerade bestätigt. Und genau an diese Verbrauchermehrheit in Europa wende ich mich. Gleichzeitig stellen wir fest, dass der Markt der Allwetterreifen jährlich um über 20 Prozent ansteigt und inzwischen über zehn Prozent des deutschen Marktes ausmacht.
Andere Autofahrer wiederum ziehen es vor, ihre Bereifung auf die Jahreszeit abzustimmen. Das ist auch gut so. Für sie bieten wir als Winterbereifung unsere Reihe Alpin an. Wir werden 2018 einen neuen Reifen mit noch besseren Sicherheitsleistungen auf den Markt bringen.
Ich will damit sagen, dass es nicht um einen Gegenüberstellung der Angebote geht. Es geht darum, zu verstehen, was die Autofahrer brauchen um ihnen zusammen mit der Reifendistribution die beste Lösung vorzuschlagen.
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NEUE REIFENZEITUNG:
Würden Sie sagen, dass Reifenhändler ihr eigenes Interesse vor das der Kunden stellen?
Jean-Dominique Senard:
Natürlich nicht. Aufgabe der Reifenhändler und der Reifenhersteller ist es, die Bedürfnisse des Verbrauchers zu erkennen und geeignete Lösungen zu finden, mit denen sie zufrieden gestellt werden können. Jeder Verbraucher verwendet sein Fahrzeug anders und für jede Verwendung gibt es den richtigen Reifen. Was einen Reifenhändler ausmacht, ist die Fähigkeit, den Bedarf des Kunden zu erkennen und ihm den geeigneten Reifen anzubieten. Nur so kann er ihn dauerhaft binden.
NEUE REIFENZEITUNG:
Warum verfolgen Reifenhersteller und Reifenhändler nicht mehr wie früher die gleichen Interessen? Liegt das nur an der geänderten Technologie, der Technologie von Michelin? Mit Ihrem Reifen CrossClimate scheinen Sie das ewige Dilemma in der Reifenherstellung gelöst zu haben.
Jean-Dominique Senard:
Unser Grundanliegen besteht darin, die Bedürfnisse des Verbrauchers zu erfüllen. Das haben wir mit den Reifenhändlern gemein. Wir alle möchten die Mobilität der Autofahrer verbessern. Diese Verbesserung erzielt man nur mit Innovationsgeist und neuen Lösungen für einen sich ständig ändernden Bedarf. Genau das ist Michelin mit dem CrossClimate + gelungen. Nachhaltige Leistungen, die im gesamten Lebenszyklus des Reifens Sicherheit gewährleisten, ganz gleich ob der Reifen neu ist oder bereits länger gefahren wird. Das ist unsere DNA. Diese Einstellung ist heutzutage wichtiger denn je, um sich den Umweltherausforderungen zu stellen. Wir müssen alle zum Ausbau einer nachhaltigen und sicheren Mobilität beitragen.
NEUE REIFENZEITUNG:
Mit der Einführung ihrer CrossClimate-Reifen Anfang 2015 haben Sie eine unserer Fragen dazu wie folgt beantwortet: Kein Unternehmen kann langfristig erfolgreich sein, wenn es entgegen den Interessen seiner Kunden, d.h. der Verbraucher, handelt. Kann man dieser Logik folgend daraus schließen, dass die Bedürfnisse der Reifenhändler, die ja auch als ihre Kunden angesehen werden können, nur zweitrangig sind?
Jean-Dominique Senard:
Nein, ganz und gar nicht. Wir haben die gleichen Interessen. Wir möchten die Autofahrer zufrieden stellen und zu einer Verbesserung der Mobilität in Europa beitragen. Mehr Sicherheit und weniger Umweltbelastungen sind die Garantie für eine Optimierung der Mobilität in Europa.
NEUE REIFENZEITUNG:
Ihre Empfehlungen provozieren womöglich zur Veränderung des bestehenden Geschäftsmodells im Reifenhandel Deutschlands, wo sich zahlreiche Firmen ganz klar auf die beiden Saisons ausrichten. Müssten die deutschen Reifenhändler nicht eher Angst vor solchen Veränderungen haben? Wie sollten sie diese als Chance und nicht als Bedrohung ihres Geschäftsmodells ansehen? Was würden Sie ihnen empfehlen?
Jean-Dominique Senard:
Es geht gar nicht darum, den deutschen Markt zu ändern. Deutschland war immer schon der größte Markt für Allwetterreifen in Europa. Es ist ein stark expandierender Markt, da das Angebot dieses Segments Verbrauchern entgegenkommt, die ihre Reifen nicht wechseln möchten. Das heißt nicht, dass der Winterreifenmarkt verschwinden wird. In diesem Segment zeichnet sich 2017 sogar ein positiver Trend ab. Mit dem Michelin CrossClimate + steht den Reifenhändlern eine zusätzliche Lösung zur Verfügung für Kunden, die Ganzjahresreifen suchen. Sie haben damit nicht nur die Möglichkeit, für einen bestehenden Bedarf eine gute Lösung anzubieten. Sie können auch das saisonale Geschäft etwas abfedern und die damit verbundenen Spitzen und Personalengpässe entzerren.
Denn davon abgesehen, ist der Reifenfachhandel mit den Herausforderungen der Digitalisierung und den damit verbundenen Veränderungen im Kaufverhalten der Verbraucher konfrontiert. Für alle Beteiligten ist es wichtig, diesen Wandel zu berücksichtigen und mit neuen Angeboten und Serviceleistungen darauf zu reagieren.
NEUE REIFENZEITUNG:
Ihre Äußerungen, die meisten deutschen Autofahrer brauchen keine Winterreifen, könnten auf dem deutschen Reifenmarkt eine negative Reaktion in Bezug auf Michelin auslösen. Haben Sie keine Angst, dass Reifenhändler und Handelsverbünde in Deutschland Michelin den Rücken zukehren und sich mit Herstellern zusammentun, die ihre Bedürfnisse nach einer starken Saisonalität teilen?
Jean-Dominique Senard:
Nein, ganz und gar nicht. Wir sind den gleichen Einflüssen ausgesetzt und uns verbindet ein und dasselbe Ziel: Wir möchten die Erwartungen der Autofahrer erfüllen und die Nachhaltigkeit der Mobilität ermöglichen. Nachhaltigkeit ist nicht möglich, wenn die Bedürfnisse der Verbraucher unberücksichtigt bleiben. Man sollte sich vielmehr folgende Frage stellen: Welche Marke verzeichnet in Deutschland den höchsten Zufriedenheitsgrad, gemessen am Indikator NPF, also dem Net Promotor Score?
Die Antwort ist klar: Michelin. Wir bekommen von den Deutschen sogar mehr positive Rückmeldungen als in Frankreich, unserem heimischen Markt.
Dieses Ergebnis spricht für uns und bestätigt die Tatsache, dass langfristiger Erfolg nur dann möglich ist, wenn man auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Verbraucher eingeht.
Michelin ist seit 111 Jahren in Deutschland präsent. Wir beschäftigen über 8.000 Personen und unser Firmensitz für die zukünftige Michelin-Region Nordeuropa wird sich in Deutschland befinden. Das heißt, mit Deutschland verbinden uns starke, dauerhafte und enge Beziehungen und Absichten. Die Deutschen sollen uns von unserer besten Seite kennen lernen, sowohl was unsere hochinnovativen Reifen als auch was unsere Serviceleistungen angeht. Das wird uns gelingen, wenn wir die seit vielen Jahren bestehende Win-Win-Partnerschaft mit den Händlern aufrechterhalten. Ich betone es noch mal: die Reifenhändler stehen im Mittelpunkt unserer Strategie. ab
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