Stagnierender Schneekettenmarkt mit großem Fusionsdruck
Zahlreiche Marktteilnehmer aus der Reifenbranche leiden unter den fehlenden Wintern und der großen Saisonalität ihres Geschäftes – Händler deutlich mehr als ihre Lieferanten aus der Industrie. Unterdessen steht der Markt für Schneeketten seit einigen Jahren offenbar noch stärker unter Druck, worin sich die noch größere Abhängigkeit der dort aktiven Unternehmen von weißen Wintern und einer guten Saison zeigt. „Wir erleben seit Jahren einen stagnierenden bis rückläufigen Markt“, heißt es dazu von Marktkennern. Während sich der Markt in Deutschland in der Größenordnung von geschätzten 400.000 bis 450.000 abgesetzten Schneeketten pro Jahr dahinschleppt, hat sich heuer der Druck auf den Markt in einigen Übernahmen entladen. So hat die RUD-Gruppe etwa Anfang des Jahres den italienischen Mitbewerber Weissenfels übernommen und seit Neuestem gehören die etablierten Schneekettenmarken Thule und König zur Pewag-Gruppe aus Österreich. Ob weitere Konsolidierungen und Marktverschiebungen stattfinden, wollen Marktbeobachter unterdessen nicht ausschließen.
Der Beitrag ist in der November-Ausgabe der NEUE REIFENZEITUNG erschienen, die Sie hier auch als E-Paper lesen können.
Es war Anfang des Jahres insbesondere die Übernahme der italienischen Marke Weissenfels durch Rieger & Dietz – in kurz: RUD –, in der sich der Wettbewerb auf dem europäischen Markt für Schneekettenmarkt wieder einmal exemplarisch zeigte. Die Lokalpresse berichtete im März in diesem Zusammenhang sogar von einem „wahren Übernahmekrimi“, den die RUD-Gruppe mit Hauptsitz im baden-württembergischen Unterkochen bei Aalen erfolgreich beendet hatte. Der renommierte italienische Hersteller Weissenfels, der in den Jahren 1999 bis 2003 zur österreichischen Pewag-Gruppe gehört hatte, war 2014 in die Insolvenz gegangen. Darin drückte sich der hohe Wettbewerbsdruck auf dem europäischen Markt aus, befördert eben durch fehlende Winter und etliche Wettbewerber, die den Markt mit Billigprodukten aus Fernost zu überfluten suchten und suchen. Gerade für ein minimal diversifiziertes Unternehmen wie Weissenfels – außer Schneeketten hatte das Unternehmen nichts Nennenswertes im Portfolio – war ein funktionierendes Saisongeschäft wichtiger noch als für fest etablierte Marktführer wie RUD, Pewag oder Ottinger aus Singen.
Der Weissenfels-Insolvenzverwalter versuchte folglich, den Hersteller mit seinem Werk im italienischen Tarvis fünf Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt zu verkaufen. Von mehreren Interessenten berichteten italienische Medien seinerzeit. Unter den Namen möglicher Kaufinteressenten, die entsprechend kursierten, war auch der der Pewag-Gruppe. Die Österreicher hatten sich in der Weissenfels-Produktionsstätte nach dem Beginn des Insolvenzverfahrens eingemietet. Der Vertrag lief allerdings Ende des vergangenen Jahres nach nur wenigen Monaten aus.
Österreichischen Medien zufolge sei die Pewag-Gruppe bereit gewesen, für Weissenfels über drei Millionen Euro zu zahlen. Die japanische Kito-Gruppe habe dem Vernehmen nach sogar doppelt soviel geboten. Genützt hat dies offenbar nichts, denn den Zuschlag durch den Insolvenzverwalter erhielt am Ende Rieger & Dietz. Welchen Preis die Unterkochener geboten und letztendlich für Weissenfels bezahlt haben, darüber ist nichts bekannt.
So wie sich im Bieterwettstreit um Weissenfels einige offenbar unberechtigte Hoffnungen gemacht hatten, so wurden auch die Hoffnungen der Belegschaft in Tarvis auf sichere Arbeitsplätze nicht erfüllt. Wie RUD kurz nach der Übernahme bestätigte, habe man sehr wohl den Namen Weissenfels, die Vertriebswege wie auch das Produktionsequipment aus Tarvis übernommen. Aber: „Die Fertigung wird in das bestehende RUD-Werk in Rumänien integriert“, betonte RUD-Geschäftsführer Dr. Hansjörg Rieger gegenüber der Presse damals. Im rumänischen Sibiu betreibt die RUD-Gruppe ihren Schneekettenstandort. Dort und am Reifenschutzstandort Aalen hatte die Firma zuletzt deutlich investiert; ein weiterer Standort passte nicht zum Fabrikenverbund.
Bei Rieger & Dietz ist man zufrieden mit der Akquisition, beschere sie dem Familienunternehmen doch „einen weiteren Wachstumssprung“, wie es dazu aus der Zentrale in Unterkochen heißt. „Im hart umkämpften internationalen Markt der Schnee- und Gleitschutzketten hat RUD im Kreis der weltmarktführenden Hersteller die Karten neu gemischt. Mit Übernahme des bedeutenden Langzeitkonkurrenten Weissenfels ist der aggressive Wettbewerb nicht nur im Schneekettensaisongeschäft, sondern auch im Anbieterfeld der Traktions- und Reifenschutzketten in eine neue Phase getreten“, heißt es dazu in einem Statement. Weiter: „So gewinnt die RUD-Firmengruppe mit diesem erfolgreichen strategischen Schachzug nicht nur die Markenrechte des traditionsreichen Weissenfels-Labels mit seinem ursprünglichen Herkunftsstandort Italien, sondern zugleich auch Produktionskapazitäten und Märkte aus dem hoch qualifizierten seitherigen Weissenfels-Portfolio.“
Der seither als „Weissenfels Traction“ operierende Neuling im bereits 1875 entstandenen RUD-Firmenverbund bringe mit seinem renommierten Namen „interessante zusätzliche und hochwillkommene Marktpräsenz und zugleich leistungs- und ausbaufähige Produktionskapazitäten an europäischen Standorten. […] Mit seiner neuesten, auf Expansion zielgerichteten Investition verstärkt der RUD-Familienkonzern nunmehr mit den Premiummarken RUD, Erlau und Weissenfels seinen ‚Quantensprung’ auf einen Platz in der Weltmarktspitze.“ Im aktuellen Konzernabschluss meldete RUD einen Jahresumsatz von insgesamt 176,5 Millionen Euro, 46,5 Millionen Euro davon mit „Reifenketten“.
Pewag übernimmt Thule/König
Während die Pewag-Gruppe zwar bei der neuerlichen Übernahme ihrer ehemaligen Tochter Weissenfels das Nachsehen hatte und der RUD-Gruppe den Vortritt lassen musste, konnte das Unternehmen mit Hauptsitz im österreichischen Graz in diesem Jahr dennoch einen nicht unbeträchtlichen Wachstumsschub erfahren: Die Pewag Schneeketten – bildet zusammen mit dem Hersteller von technischen Ketten Pewag Austria die Pewag-Gruppe – konnte im September die Schneekettensparte der Thule-Gruppe übernehmen. Der schwedische Freizeitausrüster Thule (unter anderem bekannt durch Dachgepäckboxen, Fahrradträger u. ä.) habe sich neu ausrichten wollen, hieß es dazu in einer Stellungnahme; Schneeketten sollten nicht mehr Teil des Kerngeschäfts sein, stattdessen wolle man sich auf den Outdoor-/Freizeitbereich konzentrieren. Durch diese Akquisition konnte die Pewag-Gruppe allerdings nicht nur die Markenrechte an Thule-Schneeketten und entsprechende Produktionskapazitäten übernehmen. Die Schweden hatten bereits Ende 2004 den namhaften italienischen Anbieter von Schneeketten König übernommen, der damals für einen Jahresumsatz von 33,5 Millionen Euro (2005) stand und der somit nun auch zum ‚Reich’ der Österreicher gehört. In einer Börsenmitteilung bezifferte Thule den Transaktionswert der Übernahme mit 20 Millionen Euro, wobei die Hälfte dieser Summe von den Schneekettenverkäufen der kommenden beiden Saisons abhänge. Der Großteil der Schneekettenproduktion sowie die rund 145 Angestellten der bisherigen Thule-Sparte befinden sich im italienischen Molteno nördlich von Mailand – dem Sitz der italienischen Thule-Tochtergesellschaft.
Durch die Übernahme konnte sich die österreichische Pewag-Gruppe zu einem der größten, wenn nicht sogar zu dem größten internationalen Hersteller von Schneeketten aufschwingen. 2014 meldete Thule einen Umsatz mit Schneeketten mit beiden Marken in Höhe von rund 14 Millionen Euro, was lediglich drei Prozent des Gesamtumsatzes entsprach. Dass dies einmal so kommen würde, damit hatte vor zehn Jahren im Übrigen niemand gerechnet. Damals – kurz nach der operativen Trennung der beiden Geschäftsbereiche Schneeketten und technische Ketten bei Pewag – planten die beiden jetzt zusammen gekommenen Unternehmen bereits einmal eine Übernahme, allerdings mit anderen Vorzeichen: Kaufen wollten die Schweden, verkaufen die Österreicher, die damals für einen Schneekettenumsatz von 48 Millionen Euro standen. Der damalige Chef der Thule-Gruppe diskutierte schon öffentlich die Vorzüge einer entsprechenden Übernahme, gerade die Abdeckung in wichtigen Märkten wie Österreich, Italien und Frankreich betreffend. Die Schweden träumten seinerzeit davon, ein „Global Player für Schneeketten“ zu werden. Diesem Ansinnen setzten indes die Wettbewerbshüter der Europäischen Kommission einen Riegel vor und ließen die Akquisition damals schlichtweg platzen. Über das unsanfte Ende dieser Global-Player-Ambitionen redeten die Verantwortlichen bei Thule indes nicht mehr öffentlich. Forthin betrieben beide Unternehmen weiter ihr angestammtes Schneekettengeschäft – bis eben im September die Pewag-Gruppe die entsprechende Thule-/König-Sparte übernommen hat und damit wohl ihrerseits in den Rang eines Global Player aufgestiegen ist, was selbst durch den Verkäufer aus Schweden anerkannt wird.
Damit ist das Pewag-Portfolio allerdings noch nicht komplett. Ebenfalls zur Unternehmensgruppe gehört das traditionsreiche Kettenwerk Brückl, das als KWB Ketten Austria GmbH mit Sitz in Klagenfurt firmiert. Das Unternehmen komplettiert das Pewag-Sortiment mit der zweiten Schneekettenmarke „KWB“. Dass das KWB und damit die Pewag-Gruppe in der Tat ein Unternehmen mit Tradition ist, lässt sich in der „Zeittafel bedeutender Ereignisse“ der Pewag-Gruppe nachlesen. Der erste Eintrag dort: „1479 – Erste urkundliche Erwähnung des Schmiedewerks in Brückl“. Während neuerdings also auch die Thule-/König-Schneekettensparte zur Pewag-Gruppe gehört, soll sich am Vertrieb der Produkte über die bisherigen Strukturen dem Vernehmen nach (zunächst) nichts ändern.
Marktführer in Deutschland
Beobachter trauen heute beiden Unternehmen – also der Pewag- wie auch der RUD-Gruppe – jeweils einen Anteil von rund einem Drittel am deutschen Schneekettenmarkt zu. Mit gewissem Abstand dahinter auf Rang drei rangiert dem Vernehmen nach Ottinger. Da es keinerlei detaillierte und veröffentlichte Marktanalysen gibt, sind entsprechende Marktzahlen mit Vorsicht zu genießen; selbst bei der Marktgröße schwanken die Annahmen beträchtlich (siehe oben). Aber auch Ottinger aus Singen zählt zu den ganz Großen der Branche. In der Eigendarstellung des Unternehmens vom Bodensee heißt es, „Ottinger ist seit 1965 europaweit das größte Unternehmen, das sich ausschließlich auf Schneeketten spezialisiert hat.“ Damit reicht Ottingers Historie zwar nicht bis ins Spätmittelalter zurück, dennoch konnten die Singener in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiern.
Der deutsche und der europäische Schneekettenmarkt wird derzeit – im Grunde genommen genau wie der Reifenmarkt auch – sehr durch einen harten Wettbewerb mit Anbietern von in Fernost gefertigten Produkten sowie durch die Verlagerung der Vertriebswege vom stationären Handel ins Internet geprägt. Dass auch hier der Strukturwandel nicht ohne Opfer vonstatten geht, zeigte sich vor rund einem Jahr exemplarisch am oberösterreichischen Autozubehörhändler Rinder mit Sitz in Leonding. Berichten zufolge hatte das Unternehmen mit seinem Geschäft – Schneeketten waren dabei zugegebenermaßen nur ein Teil des Portfolios, wobei Marktbeobachter dem Unternehmen schon einen Absatz von 40.000 bis 50.000 Ketten jährlich zugetraut haben – stark nach Südosteuropa expandiert. Diese „verunglückte Expansion raubte die Substanz“, schrieb die Lokalpresse, woraufhin der Autozubehörhändler im vergangenen November mit acht Tochtergesellschaften und der Rinder GmbH selbst in die Insolvenz gehen musste. Rinder hatte vorwiegend in Fernost Ware eingekauft und diese unter anderem auch als Eigenmarken (etwa „Alpin R“) über Händler und Discounter vertrieben. 27 Millionen Euro hatte das Familienunternehmen an Schulden angehäuft, womit die Insolvenz zu den größten in Oberösterreich im vergangenen Jahr gezählt hatte. Betroffen waren 40 Mitarbeiter in Leonding und 50 Beschäftigte in den fünf Ländern mit eigenen Gesellschaften.
Das Problem mit Ware aus Fernost, so ein Marktbeobachter im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, sei die Qualität der Ketten: Die Schweißnähte der Ketten seien oftmals schlecht gemacht, entgratet würde in der Regel gar nicht. Dafür spiegele sich dieser Qualitätsunterschied in der Regel auch im Preis wider. Dieser liegt wenigstens 30 bis 50 Prozent unter denen von in Europa produzierenden Qualitätsanbietern. Aber da der Markt stagnierend bis rückläufig ist, ist der Preisdruck eben auch immens bei Schneeketten. Während die einen sich dabei als Qualitätsanbieter mit Problemlösungskompetenz einen Platz suchen und ihre Produkte mit Argumenten, die über die Produkteigenschaft Preis hinaus gehen, zu überzeugen wissen, setzen die anderen ganz klar auf die Preiskarte.
Dazu gehört nicht nur der Einkauf (in Fernost), dazu gehört auch der Vertrieb. Dieser lässt sich bekanntermaßen über Webshops und den Paketversand kostenoptimal organisieren; dies trifft auf Schneeketten, die der Endverbraucher lediglich bei Bedarf (selber) montiert, noch viel mehr zu als auf Reifen, die schließlich von einem Fachmann mit Werkstatt montiert und gewuchtet werden müssen. Ein Vertriebsweg, der ebenfalls eher zu Anbietern von billigen Schneeketten aus Fernost passt, ist der Baumarkt, der Discounter und der stationäre Teilehandel bzw. Fachmarkt. Anbieter wie Pewag, RUD oder Ottinger hingegen setzen ihrerseits schwerpunktmäßig über den Vertrieb ihrer Produkte über das Autohaus und den Reifenfachhandel. Da Schneeketten natürlich nur bei einem konkreten Bedarf verkauft werden, etwa vor dem Winterurlaub oder generell an Kunden, die im Gebirge leben, werden sie nicht selten auch zusammen mit Winterreifen vermarktet, entsprechend decken sich hier die Vertriebswege durchaus stark. Folglich spielt neben dem Reifenfachhandel auch das Autohaus eine zunehmende Rolle bei der Vermarktung von Schneeketten.
Für die Zukunft darf man auf dem deutschen und dem europäischen Schneekettenmarkt dem Vernehmen nach keine Wachstumssprünge erwarten. Während das Geschäft einerseits saisonal und darüber hinaus extrem wetterabhängig ist, ist es andererseits auch abhängig von der Reifenentwicklung. Gute Winterreifen können zwar Schneeketten nicht ersetzen, dazu fehlt ihnen schlichtweg die notwendige Traktion. Aber im Grenzbereich – brauche ich schon Schneeketten oder eben noch nicht? – sorgen ständig bessere Winterreifen tendenziell schon dafür, dass der Markt auch weiterhin stagniert bis schrumpft.
In dieselbe Richtung beeinflusst ein weiterer automobiler Trend den Markt für Schneeketten. Durch die stark wachsende Attraktivität von SUVs und sogenannter Crossover-Fahrzeuge verbreiten sich zunehmend Allradler in Deutschland und in Europa. Mit ihrer überlegenen Traktion – gerade in Verbindung mit den entsprechenden Reifen – sorgen auch sie für zusätzlichen Druck auf den Schneekettenmarkt.
Diesen Drücken und Markttrends versuchen viele Hersteller mit entsprechenden Produktentwicklungen zu begegnen. Maßgeblich für die Attraktivität von Schneeketten ist deren einfache Montierbarkeit; hier setzten viele Hersteller an. Kaum ein Endverbraucher will eine Schneekette haben, er muss sie aber haben; im Handel mit Schneeketten müssen schlichtweg Hemmschwellen minimiert werden. Oder aber die Kompatibilität der Schneeketten mit großzölligen Reifen in nur minimal größeren Radkästen muss verbessert werden. Reduziert man die Höhe bzw. Dicke einer Schneekette, nehmen die Montierbarkeit und der Freiraum im Radkasten zu, was wiederum zentral für die produktseitige Zulassung als Schneeketten und deren einfache Montierbarkeit ist. arno.borchers@reifenpresse.de
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