Die Pkw-Stahlräderaffäre – Hintergründe zu einem Rückruf
Das waren Branchenaufreger rund um den Jahreswechsel 2013/2014: Am 29. November – als die Essener Firma „Reifen Go!“ nur wenige Kilometer entfernt auf der Essen Motor Show eigentlich ihre Aluminiumräder der Marken Royal Wheels und Modul Wheels einem tuningaffinen Publikum auf einem eigenen Messestand präsentieren wollte – rückte ein Großaufgebot des Zoll am Laubenhof 12 an. Dass dann am 10. Dezember 2013 die Insolvenz angeordnet wurde und die beiden Geschäftsführer Mostafa Ahmadi und Mohamad Raza Sharif ins Fadenkreuz gerieten hat wohl ebenso mit Stahlrädern äußerst zweifelhafter Güte zu tun wie der Zolleinsatz.
Um von „Reifen Go!“ auf den Markt gebrachte Stahlräder ging es auch am 2. Januar 2014. Da warnte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ganz offiziell vor der Benutzung von Stahlrädern der Typen „RG 16445“/KBA49061 (6×15 Zoll für Opel Corsa), „RG 18245“/KBA49060 (6×15 Zoll für A- und B-Klasse von Mercedes-Benz), „RG 18425“/KBA49070 (6,5×16 Zoll für Passat, Eos und Scirocco) und „RG 19045“/KBA49068 (6,5×16 Zoll für Opel), die im Zeitraum vom 18. bis zum 30. Oktober 2012 bundesweit an Händler verkauft wurden. Es sei festgestellt worden, dass die Festigkeit dieser Stahlräder nicht ausreichend sei und deswegen Bruchgefahr bestehe – Stahlräder, die von „Reifen Go“ (daher RG in den Typenbezeichnungen) in den Markt gebracht und mit Preisen von weniger als 20 Euro bis knapp über 30 Euro je nach Abnahmemenge angeboten worden waren. Das Angebot – das auch Stahlräder der Größen 5,5×14 und 5,5×15 Zoll beinhaltete, war befristet bis 30. September 2012. Mit Redaktionsschluss der NEUE REIFENZEITUNG 3/2014, in der dieser Bericht veröffentlicht wurde, wurde der Rückruf übrigens noch ausgeweitet um die beiden Radtypen „RG 18325“/KBA49071 und „RG 19247“/KBA49067 in ebenfalls 6,5×16 Zoll.
Um wie viele Räder mag es da wohl insgesamt gegangen sein, die „Reifen Go!“ in den Markt drücken wollte? Wer gibt schon die Produktion von einigen hundert Pkw-Stahlrädern in Auftrag, noch dazu in verschiedenen Größen? Mit dem Handel geringer Volumina Stahlräder ließe sich Kleingeld verdienen, der Weg zum Reichtum wäre ein verdammt langer. Eingeweihte wollen wissen, dass es um wenigstens eine zweistellige Anzahl 40-Fuß-Container ging, die für „Reifen Go!“ von China kommend über die Weltmeere via Rotterdam zu uns gekommen sind. Wenn man weiß, dass in solch einen Container zwischen 1.500 und 2.000 Pkw-Räder passen, dann kann die Formulierung „eine fünfstellige Zahl an Stahlrädern“ nur als eher konservative Schätzung eingeordnet werden.
Wie viele Stahlräder es tatsächlich sind, die „Reifen Go!“ importiert hat, weiß vielleicht der Zoll aufgrund der Einfuhrpapiere, aber der wird die Anzahl aufgrund des Steuergeheimnisses nicht preisgeben. Auch nicht gegenüber dem KBA. Wie viele Autos mit Stahlrädern auf Deutschlands Straßen rollen, deren Tragfähigkeiten nicht ausreichen, kann an dieser Stelle nicht einmal halbwegs seriös geschätzt werden.
Stahlräder aus China müssen nicht per se qualitativ schlecht sein. Schließlich werden ja genügend Autos in Chinas Erstausrüstung millionenfach mit Stahlrädern aus heimischer Produktion bestückt. Aber dieser Zeitschrift ist zumindest ein Beispiel bekannt, bei dem ein Grossist „testweise“ einen Container Stahlräder bei einem chinesischen Hersteller geordert hatte – und nach Öffnung des Containers und verschreckter Sichtung sämtliche Räder dem Schrott zuführen musste. Diese Räder sind jedenfalls nicht in den Verkehr gekommen. Gut so! Aber warum konnten die Stahlräder, die von „Reifen Go!“ in Auftrag gegeben worden waren, überhaupt in den Verkehr kommen? Das KBA weist bei seinem Rückruf darauf hin, dass es um Räder geht, die bereits im Herbst 2012 (!) vermarktet worden sind. Das macht stutzig. Das KBA hat nach eigenen Angaben im Frühjahr 2013 bei einer „Internetrecherche“ festgestellt, dass „Reifen Go!“ Räder mit ungültigen Typgenehmigungszeichen in den Verkehr gebracht hat. Warum ein Rückruf erst Monate später? Liegt die Beantwortung dieser Frage im Procedere bei solchen Fällen, also dass alles „seine Ordnung haben muss“ und darum ein eher bürokratischer „Gang der Dinge“ ablaufen muss?
Jedenfalls lagen schon zum Jahreswechsel 2012/2013 in den Räumen des KBA in Flensburg Räder, die ein Marktteilnehmer ganz normal im Handel erworben und aus Verantwortungsbewusstsein eingeschickt hatte, von denen er sich sicher war: Die genügen den Ansprüchen nicht! Gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG haben zwei mit den Vorgängen vertraute Marktteilnehmer erklärt, sie hätten das KBA auf mangelhafte Räder aufmerksam gemacht, ein diesen Umstand aufklärender Prüfbericht eines weiteren Spielers aus dem Herbst 2012 liegt dieser Fachzeitschrift sogar vor.
Generell sollte nach Ansicht des Verfassers gelten: Bei dem Sicherheitsbauteil Stahlräder müssen sofort alle Lampen auf Rot springen, wenn Anrüchiges auch nur kolportiert wird. Stahlräder aus Fernost haben in der Branche einen schlechten Ruf. Die großen Vertreiber des Ersatzmarktes wie die Alcar-Gruppe (hat ja nicht nur ein eigenes Pkw-Stahlräderwerk in der Schweiz, sondern bedient die Ersatzmärkte in Europa auch mit den Pkw-Stahlrädern des Weltmarktführers Maxion) oder Kronprinz bzw. Südrad (als Unternehmen der mefro-Gruppe) sind in der Vergangenheit nicht müde gewesen, vor Rädern zu warnen, deren Herkunft und Güte nicht einwandfrei belegt waren. Als dritter renommierter Anbieter mit Marktgewicht sei der Vollständigkeit halber Magnetto genannt.
Die drei genannten Pkw-Stahlradvermarkter sind auch Zulieferer in die Erstausrüstung. Die von ihnen in die Ersatzmärkte gelieferten Produkte sind serienidentisch und werden darum auch häufig „Identräder“ genannt. Diese Räder werden mit den gleichen Konstruktionszeichnungen auf den gleichen Maschinen, mit den gleichen Stählen, Werkzeugen gepresst, gestanzt, gezogen, geprägt, entgratet, geformt, geschweißt usw. wie Erstausrüstungsräder; sie tragen die gleichen Achslasten, passen exakt auf die dazugehörigen Modelle bzw. die jeweiligen Bremsen. Die StVZO kennt darüber hinaus Sonderräder, die nicht unbedingt hundertprozentig mit den Erstausrüstungs- oder Identrädern übereinstimmen müssen. Wer Sonderräder fährt, der benötigt eine allgemeine Betriebserlaubnis (ABE), die der Fahrer – was vielfach nicht bekannt ist und darum jedenfalls bei Stahlrädern auch kaum praktiziert wird – mit sich führen muss. Solche Sonderräder können untadelig sein, müssen es aber nicht. Misstrauen ist immer dann angebracht, wenn kein Gutachten vorliegt. Denn dann kann es sich um Sonderräder handeln, deren Güte zu beurteilen auch dem Fachmann manchmal nicht auf den ersten Blick gelingen mag: Scharfe Grate, Kratzer usw. sollten zur höchsten Vorsicht gemahnen, solche Räder genügen den Erstansprüchen nicht und den von Identrädern damit auch nicht. Wer kann schon beim bloßen Augenschein erkennen, ob das Rad die für ein bestimmtes Fahrzeugmodell erforderlichen Radlasten aufweist? Manchmal verrät schon die pure Gewichtsermittlung, um zu erkennen, dass vielleicht an den Wandstärken gespart wurde. Prüfer berichten von Gewichtsunterschieden bei Pkw-Stahlrädern der gleichen Größe in Sphären von bis zu zwei Kilogramm (!), das sind radtechnisch Welten. (Im Allgemeinen sind mangelhafte Stahlräder die schwereren, bei mangelhaften Aluminiumrädern ist es auch schon mal umgekehrt gewesen.) Und während die genannten Erstausrüster und Anbieter von Identrädern von renommierten Stahlherstellern geliefertes Bandmaterial verwenden, wird schon mal geätzt, für dubiose Fernoststahlfelgen würden Baustähle verwendet, die vielleicht bei Bauvorhaben eingesetzt werden könnten, aber für das Sicherheitsbauteil Pkw-Stahlräder völlig ungeeignet sind.
Zurück zum konkreten Fall der Pkw-Stahlräder, die in Zusammenhang mit „Reifen Go!“ stehen. Da geht es nämlich nicht nur um die Räder, die in den Verkauf gelangen konnten, sondern auch um das Prüfprocedere. Und genau genommen geht es um Sonderräder einerseits und Identräder andererseits, um bollerig um den Knöchel schwabbelnde Gummistiefel auf der einen, um bestens sitzende Lackschuhe mit einem kleinen Kratzer auf der anderen Seite.
Kein Kavaliersdelikt
Zum Sachverhalt. Wohl etwa im Frühsommer 2012 hatte „Reifen Go!“ beim Kraftfahrt-Bundesamt eine Vorabnummer bestellt. Die zu bekommen sei nicht schwierig, wie uns von berufener Seite erklärt wird. Man müsse dafür nicht zertifiziert sein, auch werde nicht wirklich verifiziert, wer den Antrag gestellt hat. Wer als Firma ordnungsgemäß angemeldet ist bzw. einen Handelsregisterauszug vorweisen kann, erfüllt schon die formellen Anforderungen. Wer ein Gutachten im Rahmen der Produktsicherheit in Auftrag gegeben hat, der erhält das Typengenehmigungszeichen prompt, noch bevor das Ergebnis der Prüfung vorliegt. So auch in diesem Falle. Ein Gutachten, das die Sicherheit der von „Reifen Go!“ in den Markt lancierten Pkw-Stahlräder belegt, ist nie erstellt worden.
Der Auftrag gen China, die Räder herzustellen, ging wohl direkt nach Eingang der KBA-Nummer raus. Wenn man bedenkt, wie lange die Container auf dem Seewege sind, dann ist „Reifen Go!“ vermutlich sogar recht flott gewesen. Die Ergebnisse von Tests und Analysen in Übereinstimmung mit dem Paragraphen 30 der StVZO (Richtlinien für die Prüfung von Sonderrädern für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger), die der NEUE REIFENZEITUNG vorliegen und bei denen Ident- und die betreffenden China-Räder in der Größe 6,5×16 Zoll (für Ford und Opel) verglichen worden sind, zeigen die mangelhafte Güte der China-Räder eindrucksvoll, hier einige der ermittelten Fakten: Die von „Reifen Go!“ importierten Räder wichen beim Gewicht um mehr als ein Kilogramm vom Gewicht der „Guträder“ ab, die Lackbeschichtung war bis zu doppelt so dick bei den Fernostprobanden, aber von so schlechter Qualität, dass sie zur Rostbildung geradezu einlädt, die Maße der einzelnen Radelemente weisen signifikante Abweichungen auf, nicht zuletzt brachen die Räder lange vor Erreichen der Minimalanforderungen an das Identrad. Dass einem ersten „freiwilligen“ Rückruf durch „Reifen Go!“ im Mai 2013 – der zweite erfolgte im Oktober – mehr oder weniger sanfter Druck des KBA zugrunde lag, kann man nur vermuten.
Um von einer Prüfinstanz wie einem der deutschen TÜVs (bzw. TÜV Austria), Dekra, KÜS, GTÜ, Prüflabor Nord oder Süd Automotive das Plazet zu bekommen, bedarf es qualitativ untadeliger Räder – oder dessen sollte es wenigstens bedürfen, denn auch die Herren Prüfer sind ja nicht unfehlbar. Wie aber Räder zur Prüfung vorlegen, die noch gar nicht produziert sind oder sich gerade auf dem Wasserwege gen Europa befinden? Auf folgende Lösung zu kommen, kann nicht anders als skrupelloses Geschäftsgebaren genannt werden, wenn es sich denn so zugetragen hat. Das beteuern jedenfalls Marktteilnehmer, die nicht genannt werden wollen, weil sie nicht als „Netzbeschmutzer der Räderbranche“ dastehen wollen. Da mag man anderer Meinung sein, letzten Endes ist es aber zu akzeptieren. Und so soll es sich zugetragen haben: Man kauft von einem anerkannten Marktteilnehmer Räder, die bereits zigtausendfach auf den Straßen sind (Identräder), entfernt die darin vorhandene KBA-Nummer, lackiert die betreffende Stelle über … dann wird es schon klappen mit dem Gutachten. In diesem Falle aber nicht, die Prüfer haben den Braten gerochen, das Testprocedere – das war im August 2012 – wurde abgebrochen und das KBA informiert. detlef.vogt@reifenpresse.de
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!