3PMSF für Nutzfahrzeuge lässt auf sich warten
Mit der Diskussion um die Einführung der situativen Winterreifenpflicht vor einigen Jahren wurde auch immer wieder mal die Frage aufgeworfen, was denn überhaupt ein Winterreifen sei. Angesichts von einigen Reifentypen, die von weit her in den deutschen Markt geflossen sind, das feinste Sommerreifenprofil hatten, aber dennoch das Kürzel „M+S“ (Matsch und Schnee oder Mud & Snow) auf der Seitenwand tragen, herrschte recht schnell Konsens, dass es damit nicht weit her sein konnte – mochten die renommierten Reifenhersteller das Logo noch so diszipliniert und nach bestem technischen Wissen einsetzen.
Beim Besuch einer Reifenfabrik, in der solche Sommerreifen mit „M+S“-Kennzeichnung hergestellt wurden, ist denn auch dieser Zeitschrift gegenüber unumwunden und mit verblüffender Offenheit eingeräumt worden, der betreffende Reifentyp habe sich in der Entwicklung nie unter winterlichen Bedingungen bewähren müssen. Vielmehr signiere man die Seitenwand mit „M+S“, weil es Kunden in einem Lande wünschten, in das der Reifentyp exportiert werden sollte (in diesem Falle in die Vereinigten Staaten). Abgesehen davon, dass der Reifen unter winterlichen Verhältnissen natürlich auch in den USA kläglich gescheitert sein wird, fanden diese Reifen natürlich auch den Weg in den deutschen Markt. Die Kennzeichnung „M+S“ auf der Seitenwand mag ein Indiz sein, dass es sich um einen Winterreifen oder wenigstens um einen Reifen mit gewissen Qualitäten unter winterlichen Bedingungen auszeichnet, ein Beweis sieht anders aus. Der M+S-Kennzeichnung liegt keinerlei normiertes Testverfahren zugrunde.
Reifenhändler erkennen einen Pkw-Winterreifen auf den ersten Blick, obwohl das in den letzten Jahren zum wichtigsten Kriterium aufgestiegene Merkmal dieses Reifentyps gar nicht optisch wahrnehmbar ist: die Gummimischung. Bei Sommerreifen ist sie eher hart und verhärtet weiter, je kälter es wird, bei Winterreifen ist sie geschmeidig. Dass die sogenannte 7-Grad-Regel (ursprünglich erdacht in den 90er Jahren in der Marketingabteilung Pirellis) eher willkürlich ist, sei an dieser Stelle einmal ausgespart. Was ein Reifenexperte aber auf den ersten Blick erkennt, das ist die bei Winterreifen sehr ausgeprägte Lamellierung der Lauffläche.
Aber es gibt neben dem M+S-Logo ja noch eine zweite Kennzeichnung auf der Reifenseitenwand, die ihren Ursprung in Nordamerika hatte und sukzessive den Weg nach Europa fand: das „Three Peak Mountain Snow Flake“-Symbol, welches jedenfalls in der Branche schnell unter dem Kürzel 3PMSF eine gewisse Bekanntheit erlangte. Pkw-Reifen, die dieses Symbol auf der Seitenwand hatten, hatten sich in einem ganz bestimmten Praxistest gegenüber einem Referenzreifen (übrigens der Marke Firestone) zu behaupten, dann waren sie für die kalte Jahreszeit geprüft sowie gegebenenfalls für ausreichend gut genug befunden, um als Winterreifen klassifiziert zu werden und als solche auf die Straßen der Vereinigten Staaten und Kanadas durften. Was nicht ganz unwichtig war, hatten doch einige Provinzen in Kanada und Bundesstaaten in den USA das Thema Winterreifenpflicht bereits aufgegriffen, als hierzulande dazu noch Stillschweigen herrschte. In Nordamerika handelte es sich um einen Traktionstest, was Kritiker zu der Aussage berechtigt, hier werde sehr einseitig geurteilt und im Übrigen sei dies nicht mal ein Indiz für einen Winter-, sondern vielmehr für einen Schneereifen. In Europa wird an die Stelle des Traktionstests wohl ein Bremstest auf schneebedeckter Fahrbahn zur Verleihung des Winterreifensymbols mit der dreizackigen Bergkette und der Schneeflocke herangezogen werden. Ob das gegenüber dem in Nordamerika gängigen Traktionstest die bessere Lösung ist, mögen die Reifentechniker unter sich ausmachen.
Die 3PMSF-Kennzeichnung ist auch heute noch keine gesetzliche Pflicht in Europa, soll es aber ab 2017 für die Fahrzeugklassen C1 (also Pkw) und C2 (also Transporter/LLkw) werden. Reifen, die bereits heute die Kennzeichnung tragen, haben damit gewissermaßen ein Muster ohne Wert. Da werde (siehe 7-Grad-Regel oben und wo sie ausgeheckt wurde) schlicht Marketing betrieben. Das gilt erst recht mit Blick auf Reifen für die Fahrzeugklasse C3, also Lkw. Dass ist einerseits nachvollziehbar, werden doch an Lkw-Reifen gänzlich andere Anforderungen gestellt als an Pkw-Reifen, das sind reifentechnisch (fast) zwei verschiedene Welten.
An Lkw-Reifen werden – im Gegensatz zu Pkw – schon ganz grundsätzlich in Abhängigkeit von ihrer Achsposition ganz andere Anforderungen gestellt, Lenk- und Antriebsachse haben völlig verschiedene Laufflächenprofile. Lkw-Reifen sind darüber auf ungleich höhere Radlasten ausgelegt, der Reifendruck ist viermal höher als bei den Pkw-Pendants. Eine Schlüsselrolle fällt den Gummimischungen zu: Bei Pkw-Reifen haben sich Synthesekautschuke einen hohen Anteil gesichert, bei Lkw-Reifen beißen sich die Chemiker noch an den Molekülketten des Naturkautschuks die Zähne aus. Da gibt es Fortschritte, aber Lkw-Reifen sind nach wie vor eine Domäne des Naturkautschuks. Weil Gummimischungen für große Nutzfahrzeugreifen druckfest sein müssen, bleibt also lediglich die Profilgestaltung als Einflussfaktor, um Wintertauglichkeit zu erzielen.
Folglich tragen auch fast alle im Markt erhältlichen Reifen für die Antriebsachsen eine M+S-Kennzeichnung auf der Seitenwand, in zunehmendem Maße auch das 3PMSF-Symbol. Doch auch hier gilt: Das läuft jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unter dem Stichwort Marketing. Dass das 3PMSF-Kennzeichen doch noch zeitgleich mit C1 und C2 verpflichtend für den Beweis der Wintertauglichkeit wird, muss aus heutiger Sicht eher als unwahrscheinlich angesehen werden, dazu gibt es einfach noch zu viele „Baustellen“ und (vor allem von Technikern) doch recht kontrovers diskutierte Aspekte – trotz Praxistest gemäß ECE-Regelung Nr. 117.02. Der sah übrigens einen Traktionsvergleichstest mit einem definierten Referenzreifen auf fester Schneefahrbahn vor, wobei der getestete Reifen in sechs bis zehn Testläufen gegenüber einem Referenzreifen um wenigstens 25 Prozent besser abschneiden musste. Damit wäre eine Wintereignung in Zentraleuropa attestiert, aber was ist mit Reifen, die sich in stark verschneiten Höhenlagen auf Lkw zu beweisen haben oder im Skandinavien-Einsatz sind? Bei Reifen für solche Einsätze ist das 3PMSF-Symbol demnach nicht wirklich aussagekräftig, sondern die renommierten Reifenhersteller stellen dafür ja nicht umsonst Spezialisten wie Continental Reifen aus der Serie „Scandinavia“.
Dass Reifen auf der angetriebenen Achse von Lkw winterliche Qualitäten haben müssen, liegt auf der Hand. Aber sie allein können Fortkommen der Trucks nicht gewährleisten, denn es kommt ganz wesentlich auf die Beladung an: Wird die Antriebsachse wegen ungünstiger Verteilung der Beladung entlastet, dann wird die Reifenaufstandsfläche kleiner und die theoretisch erreichbaren Traktionseigenschaften sind für die Katz’; auch ein zu hoher Reifenfülldruck ist schädlich, weil sich die Lauffläche verkleinert und die Reifenschultern bei der Traktion nicht mehr helfen können.
Nun wissen wir also, dass auch der beste Lkw-Winterreifen auf der Antriebsachse – ob mit M+S oder 3PMSF gekennzeichnet – versagt, wenn Trucker, Fuhrparkleiter oder Spediteur sündigen. Aber wie verhält es sich eigentlich mit Lkw-Reifen für die Lenkachse oder gezogene Fahrzeuge? Vorderachsreifen haben keine Traktionsaufgaben, sie haben Richtungs- und Seitenstabilität zu gewährleisten und deren Profilbilder sind darum – ganz ähnlich den Trailer-/Anhängerreifen – von Längsrillen geprägt. Dass Lenkachs- und Trailerreifen im Allgemeinen keine M+S-Markierung (oder auch 3PMSF) haben, erklärt sich dadurch. Für sie spielt zumindest vordergründig Wintereignung erst mal keine, vielleicht sollte man besser sagen eine eher untergeordnete Rolle. Denn zusätzlich zu Spur- und Richtungsstabilität, die durch die Längsorientierung der Profilrillen erreicht wird, wirkt eine gewisse Lamellierung auf schneebedeckten Fahrbahnen unterstützend. Gerade auf einer glatten Fahrbahn mit Gefälle – je stärker, desto eher nachvollziehbar – kann auch ein Lenkachsreifen winterliche Eigenschaften entfalten, wenn sich dank der Lamellen ein gewisser Verzahnungseffekt einstellt.
All diese Fragen müssen vor einer Einführung des 3PMSF in der Fahrzeugklasse C3 diskutiert werden und muss Konsens zwischen den Reifenentwicklern der großen Lkw-Reifenproduzenten hergestellt werden. Da prallen Entwicklungsphilosophien aufeinander, da ist manche Diskussion müßig, wenn nicht begleitend Maßnahmen ergriffen werden. Die Gewährleistung des korrekten Luftdruckes ließe sich dabei noch am ehesten realisieren durch eine verpflichtende Einführung von Reifendruckkontrollsystemen. Aber wie sollen Sanktionen gegen Trucker oder Speditionen aussehen, wenn sie beispielsweise bei einer Teilbeladung die Waren und Güter nicht bis an die Stirnwand nach vorne schieben, sondern wegen einfacherer oder schnellerer Beladung im Heckbereich platzieren? detlef.vogt@reifenpresse.de
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