“Mission erfüllt?” – Die Cooper-Übernahme verändert den Markt
Während die Tinte auf dem Übernahmeabkommen zwischen Apollo Tyres und Cooper Tire & Rubber noch nicht ganz trocken ist, hatte Tyres & Accessories, die englischsprachige Schwesterzeitschrift der NEUE REIFENZEITUNG, Ende Juni die Gelegenheit, Neeraj R.S. Kanwar, Vice Chairman und Managing Director des indischen Reifenhersteller, im weltweiten Marketingbüro in London exklusiv zur größten Akquisition in der Reifenbranche der vergangenen Jahre, zur bevorstehenden Integration beider Unternehmen und zur dahinterstehenden Strategie zu interviewen. Durch die Übernahme steigt das börsengelistete Familienunternehmen Apollo Tyres zum siebtgrößten Reifenhersteller der Welt auf – entsprechend ambitioniert sind die Ziele, wie Neeraj Kanwar erläutert.
2010 kündigten Apollos Mehrheitseigner und Chairman Onkar S. Kanwar und dessen Sohn Neeraj R.S. Kanwar – heute Vice Chairman und Managing Director des führenden indischen Reifenherstellers – an, man wolle zur Riege der Top-10-Reifenhersteller aufschließen – wenigstens. Als diese Ankündigung gemacht wurde, sahen viele darin eine kaum ernstzunehmende Übertreibung oder einen Fall unerreichbarer unternehmerischer Zielsetzung. Aber warum sollte dies eigentlich nicht möglich sein? Ziele sind nicht per se etwas Falsches, auch nicht hochgesteckte Ziele. Viele der weltweit am schnellsten wachsenden Reifenhersteller agieren entsprechend und liefern. Zuletzt gilt die Redewendung: Wer sich nichts vornimmt, erreicht auch nichts.
Dass nun die Meldung zur geplanten Übernahme von Cooper Tire & Rubber aus den USA durch Apollo Tyres aus Indien konkret wird, wie sie konkreter kaum werden kann, verwundert demnach nicht mehr allzu sehr, hatten beide Unternehmen doch bereits Ende 2012 einen ersten Anlauf genommen. Die Geschwindigkeit allerdings, mit der der führende indische Reifenhersteller durch den Vollzug der Übernahme demnächst in die Gruppe der zehn weltweit führenden Unternehmen aus der Reifenbranche aufsteigen dürfte, lässt Beobachter schon staunen. Zusammengenommen ist Apollo/Cooper siebtgrößter Reifenhersteller der Welt, größer noch als Hankook oder Yokohama. Was passiert also als nächstes? Ist das kommende Ziel der exklusive und stark verteidigte Club der fünf größten Reifenhersteller der Welt bestehend aus Bridgestone, Michelin, Goodyear, Continental und Pirelli? Das – verständlicherweise – ist alles Zukunftsmusik. Der Takt der Gegenwart indes wird durch die demnächst anstehende Integration beider Reifenhersteller vorgegeben, und dazu gehört auch das Geschäft in Europa.
Dabei ist die Zusammenarbeit zwischen Apollo Tyres und Cooper Tire & Rubber durchaus nicht neu. Beide Unternehmen kooperieren seit rund sechs, sieben Jahren. Angefangen hatte diese mit einer Vertriebsvereinbarung für Cooper-Reifen in Südafrika, wo der indische Hersteller 2006 Dunlop Tyres International übernommen hatte, das spätere Apollo Tyres South Africa (wird gerade an Sumitomo Rubber Industries, Japan, verkauft). Wie Neeraj Kanwar gegenüber Tyres & Accessories erläutert, habe „die Chemie“ zwischen den Verantwortlichen von Anfang an gestimmt. Darauf aufbauend habe es erste gemeinsame F&E-Projekte und den Versuch gegeben, gemeinsam einzukaufen. Daraus wurde letzten Endes nicht viel. Ähnliche Ansätze verfolgten dann beide Unternehmen etwas konkreter bei einem möglichen Joint Venture in Osteuropa, über das 2008 diskutiert wurde. Bekanntermaßen hat der Beginn der globalen Finanz-, Banken- und Währungskrise ab Herbst des Jahres diesen Diskussionen ein schnelles Ende bereitet. Nichtsdestotrotz blieben die Verbindungen intakt – woraus nun eine ganz neue Beziehung wird.
Die allgemeine Logik hinter der Übernahme ist wie folgt: Die Übernahme ist sinnvoll, weil sich beide Unternehmen geografisch besonders gut ergänzen. Dies ist gut in Bezug auf die Produktion und die Logistik und gut in Bezug auf den Vertrieb. Auch die Verteilung der Umsätze zwischen beiden Unternehmen ist weltweit gut ausbalanciert. Die Marken sind verschieden genug, um sich nicht zu kannibalisieren. Und die globalen Märkte öffnen sich, wenn man eine entsprechende Position auf den verschiedenen Kontinenten hat. – Soviel dazu von Neeraj R.S. Kanwar.
„Ich habe immer einen Blick auf neue Möglichkeiten. Unser Plan in Bezug auf organisches Wachstum steht seit Langem fest. Aber andere Möglichkeiten habe ich nie aus dem Blick verloren“, so Kanwar weiter und unterstreicht, dass die vorweg genannte Logik erfüllt sein muss, damit aus der Übernahme eine „gute Übernahme“ wird. „Es sollte alles reibungslos funktionieren. Starke Marken, ohne Überlappungen“ (entweder geografisch oder in Bezug auf Marken), unterstützt durch eine starke Technologiekompetenz. Offensichtlich ist man Apollo Tyres im Allgemeinen und Neeraj R.S. Kanwar im Besonderen der Ansicht, dass Cooper Tire & Rubber diesem Idealbild eines Übernahmekandidaten entspricht. Gerade, was die Märkte in ihrer geografischen Verteilung betrifft, da ergänzen sich beide Unternehmen überaus gut.
In Nordamerika etwa. Dort würde Apollo Tyres durch die Cooper-Übernahme auf einen Schlag ein starkes Bein an die Erde bekommen, Produktionskapazitäten und über lange Jahr und gut etablierte Vertriebskanäle inklusive. Aber Cooper – (noch) der zweite verbleibende US-amerikanische Reifenhersteller – ist auch in China, Südamerika oder Russland präsent, wodurch der indische Reifenhersteller bei vollzogener Übernahme in allen vier BRIC-Staaten vertreten sein wird, ergänzt noch durch Südafrika (dann: BRICS). Für Nordamerika plant Apollo Tyres die Einführung seiner beiden bisherigen Hauptmarken Apollo und Vredestein. Beide Marken waren in den USA und darüber hinaus bisher kaum präsent. Auch scheint es kein Geheimnis mehr zu sein, dass sich die Verantwortlichen bei Apollo Tyres gerne einen größeren Erstausrüstungsanteil bei Cooper Tire & Rubber in Nordamerika wünschen. Dieser liegt Kanwar zufolge aktuell bei zwei Prozent (Ford). Ob auch Apollo zu einer Erstausrüstungsmarke in Nordamerika aufsteigen könnte, darüber kann man im Moment nur spekulieren. Erklärtes Ziel ist es seit Langem, Apollo zur globalen Erstausrüstungsmarke des Konzerns aufzubauen.
Aber auch über die Cooper-Joint-Venture-Fabrik in Mexiko wird Apollo Tyres sich klar in Richtung der lateinamerikanischen Märkte orientieren wollen und können, von günstigen Produktionskapazitäten ganz zu schweigen. Erst kürzlich hatte der indische Reifenhersteller damit begonnen, eine eigene Vertriebsorganisation in Südamerika aufzubauen. Durch die Cooper-Übernahme würde Apollo Tyres außerdem direkten Zugriff auf den chinesischen Markt haben, wo die US-Amerikaner 2006 die Mehrheit an Shandong Chengshan erlangten und dort nun über Pkw- und Lkw-Reifenproduktionskapazitäten und etablierte Vertriebswege verfügen. Außerdem ist Cooper Chengshan – so der Name nach der China-Übernahme – durchaus aktiv in der Erstausrüstung und führt darüber hinaus verschiedene Marken im Portfolio. Laut Kanwar wolle man sich vor Ort nach vollzogener Übernahme insbesondere um die Marke Cooper kümmern: „Es ist an der Zeit, die Marke Cooper in China noch mehr auszunutzen.“
Europa – Markt mit gemeinsamer Schnittmenge
Man darf behaupten, dass Apollo/Vredestein/Cooper mit seinen Produktionsstätten in Großbritannien, den Niederlanden und Serbien sowie etlichen Vertriebsgesellschaften in zahlreichen Ländern im Vergleich zu Nord-/Lateinamerika, China oder Indien in Europa deutlich überrepräsentiert ist. Während man also global betrachtet kaum Überlappungen bei den Produktionskapazitäten oder bei den Marken und Vertriebsgesellschaften konstatieren kann, ergibt sich für Europa eine deutlich größere gemeinsame Schnittmenge. Bringt dies nun Vorteile oder Nachteile? Neeraj Kanwar betont im Gespräch mit unserer englischen Schwesterzeitschrift Tyres & Accessories, es werde keine Werksschließungen geben. Selbst die kleinste der drei Fabriken im englischen Melksham habe in der Nische Motorsport und Motorradreifen einen Platz und somit ihre Daseinsberechtigung gefunden. Dass die Vredestein-Fabrik im niederländischen Enschede nicht zur Disposition steht und nicht stehen kann, hat Apollo Tyres in den vergangenen Jahren deutlich unterstrichen. Seit der Vredestein-Übernahme 2009 haben die neuen Eigentümer der Fabrik die dortigen Produktionskapazitäten um beinahe 50 Prozent gesteigert. Und dem Vernehmen nach soll die Fabrik weiter ausgebaut werden. Die Eröffnung des neuen weltweiten Forschungs- und Entwicklungszentrums für Pkw-Reifen Anfang dieses Jahres in direkter Nachbarschaft zur Reifenfabrik in Enschede unterstreicht die Bedeutung dieses Standortes im gesamten Unternehmen und dessen Rolle in der strategischen Unternehmensentwicklung auch nach einer vollzogenen Übernahme.
Cooper würde daneben noch eine 2012 übernommene Reifenfabrik in Serbien mit in die gemeinsame Beziehung einbringen. Die ehemalige Trayal-Produktionsstätte bietet zwar nur begrenzte Kapazitäten, dafür aber über ein Zollabkommen mit Russland direkten Zugang zum dortigen Reifenmarkt. Dass Apollo Tyres auch in Zukunft von diesem Umstand Gebrauch machen wird, davon darf man ausgehen. Unterm Strich, so betont Kanwar, seien aktuell eben keine Werksschließungen geplant. Der Vice Chairman und Managing Director schätzt unterdessen die Höhe der Synergieeffekte auf 95 bis 140 Millionen Euro jährlich. Diese jedoch sollten sich vorwiegend aufseiten der Beschaffung, der Forschung und Entwicklung sowie der Produkt- und Produktionsverbesserungen im Sinne eines Best Practice ergeben. „Rationalisierungsmaßnahmen“ in der Produktion, so Kanwar weiter, solle es augenblicklich schon allein deswegen nicht geben, um die Nähe zum Kunden aufrecht zu erhalten. Dennoch sieht man bei Apollo Tyres die Fabriken in Serbien, China und Mexiko schon als überdurchschnittlich wichtig an, nennt Kanwar diese doch bewusst als Ziel konkreter, umgehender Investitionen nach vollzogener Übernahme.
Drei-Marken-Strategie
Jeder, der einen Blick auf das gesamte Markenportfolio der beteiligten Unternehmen wirft, muss eingestehen: Es ist überaus weitreichend und vielfältig. Natürlich, auch Pläne die kommende Markenstrategie betreffend müssen erst noch im Detail durchdacht, formuliert und dann umgesetzt werden. Dennoch, Apollo Tyres scheint nach vollzogener Übernahme wohl auf eine Drei-Marken-Strategie zu setzen. Während die meisten Reifenhersteller sich über eine Erstmarke und eine Zweit- sowie gegebenenfalls über weitere Marken im unteren Marktsegment positionieren, will Apollo Tyres seine drei wichtigsten Marken Apollo, Cooper und Vredestein weiter nach vorne bringen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung und auf unterschiedlichen geografischen Märkten. In Zukunft soll Vredestein offenbar die Marke für das High-Performance-Premiumsegment sein – für die Marke aus den Niederlanden werde sich demnach keine große Repositionierung ergeben. Cooper wiederum soll sich als Qualitätsmarke im oberen Bereich des mittleren Marktsegmentes positionieren, wobei Cooper preislich gesehen dabei noch unter der Marke Apollo eingeordnet werden soll. Außerhalb Europas auf einigen Regionalmärkten könne diese durchaus von der hier beschriebenen allgemeingültigen Einstufung abweichen, so Kanwar weiter. Der Vice Chairman und Managing Director weiß unterdessen, dass es eine Herkulesaufgabe werden wird, diese Pläne an Mitarbeiter, den Handel und den Endverbraucher zu kommunizieren und dort zu verankern. So oder so: Die Übernahme von Cooper Tire & Rubber durch Apollo Tyres werde die Märkte verändern. Begleitet werden soll dies durch entsprechende Investitionen ins Marketing. chris.anthony@tyrepress.com/ab
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!