Conti führt neue Hafenreifen ein – Setzer zu Expansion und Strategie
Auf ihrer „Reise in die Zukunft“ hat die Continental jetzt den Einstieg in ein neues Marktsegment vollzogen: das der Hafenreifen. Anlässlich einer groß angelegten Produktpräsentation in Rotterdam, wo Ende Juni die Messe TOC rund um das Thema Containerhandling stattfand, präsentierte der deutsche Hersteller eine neue komplette Reifenproduktlinie. Gleichzeitig erläuterte Conti-Reifenvorstand im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG die Logik der dahinterstehenden Strategie und welche Auswirkungen sie auf das Markenmanagement im Spezialreifensegment haben wird.
Das Marktvolumen, in dem sich der Geschäftsbereich Commercial Specialty Tires der Reifendivision der Continental AG bewegt, wird vom Hersteller auf rund 15 Milliarden Euro weltweit geschätzt, was rund ein Viertel dessen für Pkw-Reifen entspricht. Interessanter aber ist vor allem eines: Mit Spezialreifen – und dazu gehören Industrie- genauso wie EM-, Untertage-, Motorrad-, Kart- oder eben Hafenreifen – lässt sich überdurchschnittlich viel Geld verdienen. Umsatzrenditen von 20 Prozent und mehr sind eher der Normalzustand als die Ausnahme. Das offenbart schon ein flüchtiger Blick in die Berichte all derjenigen Reifenhersteller, die entsprechend detaillierten Zahlen nach Geschäftssegmenten ausweisen.
Continental hat in den vergangenen Jahren selber auch durchaus gut verdient – gerade in der Rubber Group stiegen die Gewinnkennzahlen zuletzt deutlich an. Folglich hat der Hersteller die finanziellen Mittel und ist laut Reifenvorstand Nikolai Setzer auch willens, gerade in Non-Automotive-Segmenten zu investieren. Dies macht den Automobilzulieferer und Reifenhersteller einerseits unabhängiger von Erstausrüstungskunden und den dort mitunter stark schwankenden Märkten. Ersatzmärkte sind hingegen aber nicht nur stabiler, sie werfen auch tendenziell mehr ab als Erstausrüstungsmärkte. Da scheint es nur logisch, dass Continental gerade seine Rubber Group weiter ausbauen will und hat passend dazu die „Vision 2025“ verkündet, in deren Mittelpunkt eine umfassende Expansion dank zahlreicher Investitionen – etwa in die Erweiterung des Produktportfolios – stehen soll.
„Dieser Plan und der Launch des Hafenportfolios“, kommentierte Nikolai Setzer, Vorstandsmitglied bei Continental, den Produktlaunch in Rotterdam, „sind Teil von Continentals Expansionsstrategie 2025. Wir wollen unsere Position unter den Top-3 Automobilzulieferern weltweit ausbauen, indem wir die besten Lösungen für jeden Kunden in jedem Marktsegment bieten.“ Das Transportvolumen für Frachtcontainer habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und werde auch künftig weiter steigen; jährliche Wachstumsraten lagen hier bei durchschnittlich sieben Prozent und alle Prognosen versprechen weiterhin ein „immenses Wachstumspotenzial“. Allein die Kapazitäten im weltweiten Hafengeschäft sollen sich in den kommenden zehn Jahren verdoppeln – ein Wachstumsmarkt par excellence. „Der Eintritt in den Markt für Hafenlogistik ist ein logischer Schritt im Rahmen unserer langfristigen Wachstumsstrategie“, ergänzte Dr. Andreas Esser, Leiter Geschäftsbereich Nutzfahrzeugreifen.
Bei der TOC Europe 2013 nun hat Continental Commercial Specialty Tires (CST) unter der Leitung von Dr. Andreas Michael Märtens eine als „einzigartig“ beschriebene Reifenproduktlinie für das Hafengeschäft vorgestellt, „die auf der revolutionären V.ply-Technologie basiert“, heißt es dazu vonseiten des Herstellers.
„Revolutionäre V.ply-Technologie“
Die diagonale Reifenbauweise ist für ihre außergewöhnlichen Dämpfungseigenschaften bekannt. Radialreifen bieten hingegen einen optimalen Rollwiderstand. Die Continental-eigene V.ply-Technologie, auf die Patentschutz angemeldet ist, soll die jeweiligen Vorteile beider Konstruktionsweisen miteinander kombinieren. „Dabei kommt ein neuartiges Reifencordgewebe zum Einsatz, bei dem eine Vielzahl von Fäden in speziellen Winkeln angeordnet ist“, heißt es dazu erklärend vonseiten des Herstellers; Erinnerungen an ein Rautenmuster werden beim Betrachten des V-ply-Reifen-Unterbaus wach. Durch die V.ply-Konstruktion des Reifens würden Seitenwandstärken realisiert, die bis zu dreimal stärker seien als bei Radialreifen. Die Karkasse eines V.ply-Reifens besteht aus bis zu 20 Lagen diagonaler Gewebeschichten, die in drei separate Wulste eingewebt sind. Da Stahlcord nicht für eine optimale Verbindung zwischen Karkasse und Gummimantel sorge, komme bei der V.ply-Technologie ein sehr widerstandsfähiges Polymer zum Einsatz.
„Wir haben festgestellt, dass es eine ganz neue Art von Reifen braucht, um in Sachen Performance und Sicherheit der schweren Hafenfahrzeuge einen echten Fortschritt zu erzielen”, erläutert Dr. Märtens. „Unsere Ingenieure haben sich der Herausforderung angenommen, eine Technologie und ein Portfolio zu entwickeln, um diese Lücke zu schließen.“
Das Ergebnis sei die stabile V.ply-Konstruktion mit ihren starken Seitenwänden. „Sie erlaubt hohe Zuladung sogar bei Fahrzeugen mit hohem Eigengewicht, die beispielsweise sehr große Höhen erreichen müssen, sich oft auf der Stelle drehen oder häufige Richtungswechsel vollziehen. Continental hat intensive Feldversuche in Häfen auf der ganzen Welt durchgeführt. Die Ergebnisse unterstreichen, dass V.ply eine hohe Resistenz gegen Beschädigungen, eine lange Lebensdauer und niedrigen Rollwiderstand bietet“, so der Hersteller weiter zu den technischen Vorzügen der neuen Produktlinie. „Als erster Reifenhersteller bietet Continental eine Komplettlösung für Hafenflotten an, die Reifenperformance und Sicherheit optimiert und gleichzeitig deutliche Kosteneinsparungen und positive Umwelteffekte ermöglicht“, heißt es dazu weiter.
Es ist gerade das Thema Sicherheit, das in diesem Zusammenhang für den deutschen Hersteller von größter Bedeutung ist. Die Stabilität von Fahrzeugen wie etwa Straddle Carriern sei bei Reifen mit V.ply-Technologie deutlich besser als bei in diesem Segment beinahe ausnahmslos genutzten Radialreifen, insbesondere wenn es in Extremsituationen zu spontanen Lenkmanövern kommt. Außerdem sei der Bremsweg deutlich verkürzt, was ebenfalls einen Fortschritt in Bezug auf die Sicherheit bringe. Die technische Überlegenheit dank der veränderten Reifenkonstruktion müsse man allenfalls mit gewissen Einbußen bei der Laufleistung bezahlen. Diese seien aber „auf maximal zehn Prozent“ gegenüber herkömmlichen Radialreifen beschränkt, erläutert Dr. Märtens in Rotterdam und betont, dass man damit trotzdem ein mehr als wettbewerbsfähiges Produkt habe, das die sogenannten „Total Costs of Ownership“ (TCO) minimiere. Dies sei der einzig nennenswerte Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit der neuen Produktlinie mit V.ply-Technologie.
Das neue Sortiment der Continental-Hafenreifen umfasst Spezialreifen für alle Fahrzeuge, die in der Hafenlogistik eingesetzt werden, etwa für Straddle Carrier, Reach Stacker oder Containerkräne; die entsprechenden Reifen dazu heißen „StraddleMaster“, „ContainerMaster“, „DockMaster“ und „CraneMaster“. Ergänzt werden diese Produkte mit V.ply-Technologie durch weitere Reifen für Terminalzugmaschinen und -anhänger sowie Schwerlastgabelstapler – in Summe eben „eine Komplettlösung für Hafenflotten“, so der Hersteller. Da die Continental nunmehr das komplette Sortiment an Reifen für Hafenbetreiber anbieten kann, seien Verhandlungen mit diesen in der Regel an einem einzigen Lieferanten interessierten Kunden deutlich Erfolg versprechender.
Diese Komplettlösung für Hafenreifen bietet der Hersteller dabei ausschließlich unter seiner Marke „Continental“ an. In einigen Jahren dann – erläutert Continental-Reifenvorstand Nikolai Setzer – soll auch das Sortiment an speziellen Underground-Mining-Reifen neu aufgelegt werden – ebenfalls als Continental-Reifen. Dann werde die Marke „General“ in diesem Segment wohl von der Bildfläche verschwinden.
Ebenfalls „geerbt“ hat die Continental die Marke „Simex“, und zwar durch das Joint Venture mit Sime Darby in Malaysia, das seit gut einem Jahr komplett in der Hand des deutschen Herstellers ist und seither als Continental Tyre Malaysia firmiert. In der dortigen Fabrik werden übrigens die neuen Hafenreifen gefertigt.
Aber auch hier kündigt Nikolai Setzer an, dass der Marke Simex wohl keine große Zukunft im Spezialreifensegment des deutschen Hersteller habe. Dieser will sich in Zukunft ganz klar auf die Positionierung seiner Premiummarke im Spezialreifensegment konzentrieren und werde hier mit weiteren künftigen Produktlaunches den Wandel auch in den Segmenten OTR und Underground Mining vollziehen, nachdem Continental im Segment der Hafenreifen nun eben bestens positioniert sei.
Selbst der Einstieg in das Geschäft mit den sogenannten „Giant Tyres“ scheint für Reifenvorstand Nikolai Setzer denkbar, auch wenn hier die Eintrittsbarrieren eben noch höher seien als in anderen Spezialreifen-Marktsegmenten. Nur könne eben auch die Continental nicht in allen Geschäftsfelder und auf allen Märkten gleichzeitig investieren. Da könne es sich Setzer noch eher vorstellen, an in Großreifen zunächst wieder in Landwirtschaftsreifen zu investieren. Auch dies sei schließlich ein Markt mit einer vielversprechenden Dynamik. Die Continental hatte sich vor neun Jahren dieses Geschäftsbereichs in Europa entledigt und es an die CGS-Gruppe (Mitas) aus Tschechien veräußert.
So oder so, zentral bei allen entsprechenden Erwägungen sei, dass dabei die Marke Continental als Premiummarke des Konzerns stets das Produktsortiment bestimmt, wenn nicht sogar exklusiv ausmacht. Nikolai Setzer mochte zwar nicht das Ende der Marken General und Simex im Bereich Commercial Specialty Tires (CST) formulieren. Nur scheint es de facto darauf hinauszulaufen. arno.borchers@reifenpresse.de
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