10 Fragen an Pirellis Motorsportchef Paul Hembery

Die Qualität und Auslegung der Reifen, die Pirelli den Formel-1-Teams als Exklusivlieferant zur Verfügung stellt, ist Gegenstand zahlreicher Kommentare: von aktiven und ehemaligen Rennfahrern über Motorsportoffiziellen und F1-Fans bis hin zu manchem mehr oder sogar weniger motorsportinteressierten Konsumenten. Die NEUE REIFENZEITUNG hatte die Möglichkeit, dem für das Formel-1-Engagement Verantwortlichen beim italienischen Reifenhersteller Paul Hembery zehn Fragen zu stellen, um einigen der kontrovers diskutierten Aspekte rund um die Formel-1-Reifen der Saison 2013 auf die Spur zu kommen.

NEUE REIFENZEITUNG: Herr Hembery, warum sind die unterschiedlichen Slicktypen des F1-Jahrgangs 2013 mit ihren Härtegraden so ausgelegt worden? Wer hatte deren Performance in Vorbereitung auf die Saison vorgegeben?

Paul Hembery: Als wir in diesen Sport im Jahre 2011 kamen, gab es die eindeutige Vorgabe des Promotors der Meisterschaft und der Teams, Reifen herzustellen, die schneller abbauen und dadurch sicherstellen, dass es durchschnittlich zwei bis drei Boxenstopps pro Rennen und Auto geben wird. Diese Anforderung basierte tatsächlich auf dem Kanada-Grand Prix 2010, als die Reifen mehr Boxenstopps als üblich erforderlich gemacht hatten. Fans und Teams gefiel das und die Anforderung war geboren. Auch in unserem dritten Jahr hat sich an dieser Anforderung nichts geändert. Da sich Formel-1-Autos jedoch mit einer ungeheuren Geschwindigkeit entwickeln, müssen sich unsere Reifen mit der gleichen Geschwindigkeit weiterentwickeln. Das bedeutet, dass wir zum Saisonstart ein wenig in die Richtung entwickeln müssen, dass es immer noch zu zwei bis drei Boxenstopps kommt. Die Reifen dieser Saison sind daher die logische Weiterentwicklung aus dem letzten Jahr und dem Jahr davor.

NEUE REIFENZEITUNG: Gerade zu Beginn einer Saison – nicht erst 2013 – häufen sich immer wieder die kritischen Stimmen. Warum ist das so?

Paul Hembery: Jedes Team entwickelt zum Saisonstart ein neues Auto. Manchmal sind die Veränderungen sehr beachtlich aufgrund einer Reihe von technischen Regulierungen wie 2012, manchmal sind sie weniger einschneidend. Aber in jedem Falle haben sich die Reifen entsprechend zu entwickeln, um für die Teams herausfordernd zu sein und zwei bis drei Boxenstopps zu haben. Im Verlaufe der Saison verstehen Fahrer und Ingenieure unsere Reifen dann besser und sie können durch das Setup des Autos die besten Ergebnisse erzielen. Dieser Punkt wird in etwa zur Mitte der Saison erreicht, und in dieser Saison wird das kaum anders sein. Hätten wir in diesem Jahr die gleichen Reifen genommen wie 2012, dann hätte es in vielen Rennen nur einen Stopp gegeben.

NEUE REIFENZEITUNG: Im weiteren Verlauf der Saison wird es dann ruhiger um die Reifen. Liegt das daran, dass Pirelli den Kritikern entgegenkommt und die Auslegung der Reifen modifiziert oder eher daran, dass die F1-Teams lernen, wie das Potenzial der Reifen besser genutzt werden kann?

Paul Hembery: Da sind die weltbesten Piloten und Ingenieure, sodass die Teams im weiteren Verlauf der Saison immer besser verstehen, wie sie die Reifen auf dem bestmöglichen Weg für ihr Auto nutzen können. Es ist auch wichtig zu wissen, dass wir die gleichen Reifen und den gleichen Service allen elf Teams bieten, ohne Ausnahme. Konsequenterweise machen wir keinerlei Konzessionen an ein oder zwei Teams, nur weil diese am lautesten lamentieren. Wir nehmen nur Veränderungen an unseren Reifen vor, wenn wir den Eindruck gewinnen, dass diese Veränderungen allen Teams zugute kommen, nicht nur einem oder zwei; und so haben wir das in diesem Jahr mit der harten Gummimischung gemacht, die beginnend mit dem Spanien-GP ein breiteres Temperaturfenster hat.

NEUE REIFENZEITUNG: Gibt es einen Punkt, an dem für Sie bzw. für Pirelli die Kritik unsachlich oder sogar unfair wird? Ein bekannter deutscher Ex-Rennfahrer hat unlängst den Sicherheitsaspekt in seine Argumentation einbezogen und die Sorge geäußert, ein F1-Reifen könne bei hoher Geschwindigkeit förmlich explodieren.

Paul Hembery: Nun, wir hatten schon lautstarke Kritik von deutschen Fahrern in der Vergangenheit, aber beide waren Formel-1-Weltmeister und wissen, worüber sie reden. Namentlich als Schumacher seine Kritik über unsere Reifen im letzten Jahr geäußert hatte, haben wir uns mit ihm zusammengesetzt und alle Aspekte beleuchtet. Und wir kamen zu dem Ergebnis, dass – bei allem Respekt für seine Meinung – es um einen eher philosophischen Meinungsunterschied bei der Herangehensweise ging. Also konnten wir ihm nicht helfen, vor allem auch weil die Mehrheit der Teams und Fahrer keine Veränderung wollte. Bezüglich des Sicherheitsaspekts, den dieser ehemalige Formel-1-Fahrer (Bernd Schneider, d. Red.) ins Spiel gebracht hat, kann ich versichern, dass unsere Reifen kein Sicherheitsrisiko darstellen und wir seit unserer Rückkehr in die Formel 1 im Jahre 2011 nicht einen einzigen strukturellen Reifenfehler hatten. Null! Sogar Hamiltons Reifenschaden in Bahrain, der sehr spektakulär aussah, war nicht auf ein strukturelles Reifenproblem zurückzuführen, sondern auf einen externen Faktor, in diesem Falle Fremdkörper auf der Strecke.

NEUE REIFENZEITUNG: Die Notwendigkeit, gegebenenfalls mit den Reifen haushalten zu müssen, stehe im Widerspruch zum zentralen Racinggedanken, dass der schnellste Fahrer gewinnen möge, heißt es gelegentlich. Würde das nicht bedeuten, dass die Rolle der Reifen im Formel-1-Sport zu wichtig geworden wäre?

Paul Hembery: Früher mussten die Fahrer Reifen- und Bremsenmanagement betreiben und einen Schaltknüppel bedienen. Wenn Fahrer die Performance beeinflussen können, dann ist das eine Kunst. Große Champions wie Prost – der „Professor“ – waren bekannt für diese Kunst. Haben die aktuellen Fahrer weniger Fähigkeiten? In der Vergangenheit hatten wir sehr oft Rennen, die mehr einer Prozession denn einem Rennen ähnelten. Du konntest dir den Start ansehen, dann beruhigt dein sonntägliches Mittagsschläfchen nehmen, aufwachen und es gab keine Wechsel bei den Platzierungen. Wenn es das ist, was die Leute wollen, kein Problem. Wir können Reifen herstellen, die ein Rennen und länger halten. Sobald sämtliche Teams zu uns kommen und uns einhellig sagen, dass sie Reifen wollen, die nicht abbauen, tun wir das. Derzeit besagt das Feedback, das wir von den einzelnen Teams erhalten, jedoch, dass wir überhaupt nichts ändern.

NEUE REIFENZEITUNG: Wenn ein Rennen schlecht läuft, dann hat es in den Verlautbarungen von Fahrern, Teams, aber auch Kommentatoren oftmals an den Reifen gelegen, bei einem Podestplatz oder gar Sieg jedoch am herausragenden Piloten oder seinem Auto. Empfindet man das als Reifenlieferant nicht als großen Undank?

Paul Hembery: Wir sind nicht in der Formel 1, damit man uns dankt oder liebt. Formel 1 ist ein Sport, aber am Ende des Tages auch Geschäft. Pirelli ist in der Formel 1, weil es in unser Geschäftsmodell passt. Wie überall im Leben ist es unmöglich, jedermann glücklich zu machen, aber offen gesagt ist das auch gar nicht unsere Absicht. Wir konzentrieren uns darauf, Reifen zu liefern, die den Anforderungen gerecht werden und jederzeit sicher zu fahren sind. Außerdem sei daran erinnert, dass das Gewinnerauto die gleichen Reifen hat wie die anderen.

NEUE REIFENZEITUNG: Es gibt ja Leute, die behaupten, negative Kritik in den Medien sei immer noch besser, als überhaupt nicht erwähnt zu werden. Gilt das auch für Formel-1-Reifen? Man könnte ja auf den Gedanken kommen, Pirelli wolle mit Reifen, die nur bedingt lange halten, provozieren, um im Gespräch zu sein.

Paul Hembery: Wie bereits gesagt, ist die Formel 1 ein Geschäft für uns und muss daher auch vom Geschäftlichen her gesehen Sinn machen. Was in der Vergangenheit normalerweise passierte war, dass die Leute nur über die Reifen sprachen, wenn es ein ernsthaftes Problem gab, erinnert sei an Indianapolis im Jahre 2005 (als Michelin nicht für die Sicherheit der Reifen garantieren konnte, d. Red.). Wenn du Reifen zur Verfügung stellst, die nur ihren Job machen, dann weiß niemend, dass du überhaupt da bist. Das ist nicht das, was wir wollen. In diesem Sinne hat die Anforderung der Teams, abbauende Reifen zu kreierenen, auch aus geschäftlicher Sicht für uns Sinn gemacht, weil es uns im Gespräch hält. Und solange es wie jetzt kein Sicherheitsrisiko gibt, ich wiederhole mich, sind wir glücklich, Diskussionsanlässe zu geben für diejenigen, die sagen, unsere Reifen haben Racing aufgepeppt, und diejenigen, dass die Piloten kein Rennen mehr fahren.

NEUE REIFENZEITUNG: Es heißt ja immer, die Entwicklung von Rennreifen käme auch direkt der Entwicklungsarbeit von Straßenreifen zugute. Mit Blick auf einige Karrieren von F1-Ingenieuren in den letzten Jahren keimt aber der Vedacht, dass ein hochqualifizierter F1-Reifeningenieur später einmal für die Entwicklung von Brot-und-Butter-Reifen wenig beizusteuern hat.

Paul Hembery: Ich weiß nicht, auf welche Ingenieure Sie Bezug nehmen, aber ich kann versichern, dass von unseren Erkenntnissen in der Formel 1 auch unsere Straßenreifenproduktion profitiert. Heute sind viele gewöhnliche Industriestandards – wie beispielsweise Niederquerschnittsreifen – das Ergebnis von Innovationen, die wir zuvor in den Motorsport eingeführt hatten. Der Niederquerschnittsreifen ging aus Asphaltrallyes der 70er Jahre hervor. Und wir blicken auf die Formel 1 als unser größtes Forschungs- und Entwicklungslabor, mit all den Grand-Prix-Zirkussen, um die ultimative Teststrecke zu haben. So sehen wir deutlich, dass uns die Extreme, durch die unsere Reifen gehen, helfen, Informationen zu sammeln, um den besten Straßenreifen zu entwickeln. Wir haben erst unlängst den Straßenreifen P Zero Silver eingeführt und den Cinturato Blue, der auf Formel-1-Know-how basiert. Und dieser Technologietransfer wird in der Zukunft zunehmen.

NEUE REIFENZEITUNG: Ganz offensichtlich spielt der Umweltgedanke eine immer stärkere Rolle bei der Wahrnehmung von Reifen. Wie kann ganz allgemein der Motorsport dem Rechnung tragen und welche Rolle spielen Umweltthemen ganz speziell bei Formel-1-Reifen?

Paul Hembery: Wir bringen etwa 1.800 Reifen zu jedem F1-Rennwochenende mit und die werden alle bei den Teams wieder eingesammelt zum Ende des Wochenendes, um in einer speziellen Recyclinganlage in Großbriannien recycelt zu werden. Ferner nutzen wir – zum Beispiel in unserer Motorsportreifenfabrik im türkischen Izmit – fortschrittliche Produktionsprozesse, die energie- und wassereffizient sind und bei denen gefährliche Emissionen wie Kohlendioxid verringert werden. Pirelli war immer ein Pionier bei neuen Technologien, beispielsweise haben wir aromatische Öle aus allen Bereichen unserer Reifenproduktionsprozesse eliminiert lange bevor gesetzliche Vorschriften das verlangt haben. Es gibt zahlreiche Beispiele, in welchem Maße wir die Umwelt schützen als Firma; und Pirelli ist das sechste Jahr in Folge das führende Unternehmen im Bereich Autoteile und Reifen beim „Dow Jones Sustainability World Index“.

NEUE REIFENZEITUNG: Pirelli ist ja ganz eindeutig als Premiummarke positioniert. Wirkt das Formel-1-Engagement unterstützend für die Konzernkollegen, die Pirelli-Reifen in der Erstausrüstung positionieren bzw. für den Abverkauf im Aftermarkt?

Paul Hembery: Absolut, Formel 1 ist eine perfekte Ergänzung für uns und ist ein Motor in allen Bereichen unserer Aktivitäten. Wir sind der anerkannte Weltmarktführer bei Ultra-High-Performance-Reifen, Formel 1 passt ideal zu unserer Sportphilosophie und bringt das höchste Level der Reifentechnologie zum Ausdruck. Aus all diesen Gründen wollen wir involviert bleiben und wir glauben, dass wir einen guten „Return on Investment“ mit einem höheren Niveau der Markenwahrnehmung hatten.

NEUE REIFENZEITUNG: Herr Hembery, wir bedanken uns für die Antworten und wünschen Ihnen sowie Pirelli und damit uns allen eine tolle Formel-1-Saison 2013. (Das Gespräch wurde in der Woche von dem Grand Prix von Spanien geführt.) detlef.vogt@reifenpresse.de

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