Kommentar in Sachen Reifenlabelingkontrolle: 6 aus 49
Es ist mittlerweile fast schon Tradition, dass rund um den Start der Umrüstsaison Workshops/Roadshows zum Thema Winterreifen stattfinden. Da bildet 2012 keine Ausnahme, und es lässt sich unschwer vermuten, was in diesem Jahr im Vordergrund stand: das Reifenlabeling. Die dabei vermittelte Botschaft war bei allen die gleiche und beileibe auch nicht neu: Die Kennzeichnung hinsichtlich Energieeffizienz/Rollwiderstand, Nassbremsen und Abrollgeräusch lasse keinerlei Rückschlüsse auf die Wintereignung von Reifen zu und decke ohnehin nur drei von rund 50 bei ihrer Entwicklung eine Rolle spielenden Kriterien ab.
Rein mathematisch ist die Wahrscheinlichkeit, die drei richtigen Kriterien unter 50 auszuwählen, zwar größer als beim Lotto die sechs gewinnbringenden Zahlenkästchen unter den 49 zur Wahl stehenden anzukreuzen. Aber mit Glücksspiel hat das Reifenlabeling eigentlich ja ohnehin wohl nicht viel zu tun. Oder am Ende vielleicht doch? Zumindest kann man sich dieses Eindruckes nicht erwehren, wenn man hört, was in Bezug auf die Marktüberwachung in Sachen Reifenlabel zu erwarten ist. Bei einem der Winterreifenworkshops kam ein Vertreter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zu Wort, das all dies koordiniert, während die Überwachung selbst Ländersache ist. Nach seinen Aussagen veranschlagt die Behörde basierend auf den (personellen) Kapazitäten pro Jahr etwa 0,1 Stichproben je 1.000 Einwohner.
Gerechnet auf rund 80 Millionen Bundesbürger ergibt das die stattliche Anzahl von jährlich 8.000 Stichproben. Was sich vergleichsweise hoch anhört, relativiert sich allerdings sehr schnell, weil diese Zahl für alle Produkte gilt, die mit einem Energieeffizienzlabel versehen sind: also nicht nur Reifen, sondern auch Kühlschränke, Waschmaschinen, Leuchtmittel, Autos … Wenn man sich jetzt noch vor Augen führt, dass es laut den Zahlen des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie allein rund 2.500 verschiedene zu labelnde Reifenvarianten im Markt gibt, dürfte klar sein, dass eine lückenlose Überwachung des Ganzen ziemlich graue Theorie ist.
Als erschwerenden Faktor bei alldem erwähnte der Ministeriumsvertreter zudem die Kosten für die Produktüberprüfungen, die er mit irgendwo zwischen 2.500 und 8.000 Euro je Reifen bezifferte. Und auf diesem “ganz schönen Brocken” bleibe man sitzen, wenn sich der Verdacht eines Falschlabelings nicht bestätigen sollte, ergänzte er. Ergo setze man einerseits auf eine Art Selbstregulierung des Marktes – soll heißen: Irgendwer wird die Überwacher schon mit der Nase auf ein mögliches “schwarzes Schaf” stoßen – sowie andererseits auf einen Plausibilitätscheck der Labelangaben, um erst dann eine tatsächliche Produktüberprüfung vorzunehmen, wenn ein wirklich hinreichend begründeter Verdacht besteht sowie zudem gute Chancen gesehen werden, dies auch nachweisen zu können.
Platt formuliert könnte all dies also in etwa so zusammengefasst werden: Solange ein Hersteller nicht allzu offensichtlich an den Labeleinstufungen seiner Produkte “dreht”, kann er sich relativ entspannt zurücklehnen. Für den Handel gilt das umgekehrt aber wohl keineswegs: Denn einen Prüfer mal eben einen Blick in den Verkaufsraum werfen und nachsehen zu lassen, ob denn alle dort ausgestellten Modelle ordnungsgemäß gekennzeichnet sind, kommt die Obrigkeit sicherlich deutlich billiger als der Test von Reifen. Zumal dann quasi unmittelbar erkennbar ist, ob eine Zuwiderhandlung vorliegt und ein Bußgeld fällig ist.
Wenn unabhängig davon nun aber selbst die Reifenhersteller fast durchgängig empfehlen, Verbraucher sollten sich lieber zusätzlich mithilfe der gängigen Vergleichstests von Automobilzeitschriften informieren, anstatt allzu sehr auf das Reifenlabel zu schielen und eine effektive Labelingkontrolle der Produkte nur Wunschdenken ist, stellt sich zwangsläufig folgende Frage: Wozu das Ganze eigentlich? Nun gut, man hat damit gezeigt, dass etwas für die Energieeffizienz bzw. gegen den von weiten Teilen der Allgemeinheit erwarteten Klimawandel getan wird. Stehen aber bei diesen sicher gut gemeinten Bemühungen Aufwand und Nutzen in einem gesunden Verhältnis zueinander?
Klar, jeder hat schon des Öfteren gehört, dass sich mit einem in Sachen Rollwiderstand mit “A” gelabelten Pkw-Reifen im Vergleich zu einem mit “G” gekennzeichneten bis zu 7,5 Prozent an Kraftstoff sparen lassen, und es wird früher oder später tatsächlich Serienmodelle geben, die “A”-Energieeffizienz gleichzeitig noch mit “A”-Nassbremseigenschaften in Einklang bringen. Andererseits ist es schon heute schwierig, einen Reifen mit “G”-Rollwiderstand im Markt zu finden – selbst bei Winterreifen ist wenigstens “E” der aktuelle Stand der Technik und bei Sommerreifen sogar “C” oder gar “B”. Die in der Theorie damit erzielbaren Spriteinsparungen dürften insofern entsprechend weniger ins Gewicht fallen. Lassen sich vor dem Hintergrund all dessen die personellen und finanziellen Ressourcen, die das Labeling in der Branche bindet, anders nicht sinnvoller nutzen? christian.marx@reifenpresse.de
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