Labelling bei Lkw-Reifen: „Tricksereien“ würden zum Bumerang

Nein, dass ein Reifenhersteller seine Lkw-Reifen einseitig hinsichtlich der Kriterien des Reifenlabels entwickeln könnte, damit diese beim Rating besonders gute Werte erzielen, können sich weder Herbert Mensching, verantwortlicher Verkaufs- und Marketingdirektor bei Continental, noch Dr. Frank Walloch, Direktor Produktentwicklung Nutzfahrzeugreifen für die Region EMEA (Europa, Mittlerer Osten, Afrika) vorstellen. Die einseitige Bevorzugung von bestimmten Entwicklungsschwerpunkten würde spätestens nach etwa einem dreiviertel Jahr „auffliegen“, denn dann wissen professionelle Nutzer von Lkw-Reifen, wo sie mit einem Produkt stehen. Statt Kriterien wie Nassbremsen oder den Rollwiderstand in den Fokus zu stellen, komme es bei Lkw-Reifen wahrscheinlich mehr noch als im Pkw-Reifensegment auf eine ausbalancierte Produktentwicklung an, bei der auch andere Kriterien – hier sicherlich solche wie Laufleistung oder Runderneuerungsfähigkeit – im Lastenheft ganz weit oben stehen müssen.

Gewiss: Mit dem Verzicht von beispielsweise einem oder zwei Millimeter Profiltiefe ließen sich beim Rollwiderstand leicht Verbesserungen erzielen. Aber das wäre alles andere als Trickserei, sondern lässt sich ja ganz einfach nachmessen bzw. steht ja auch in den technischen Datenblättern. Wer das schaffe, ohne bei anderen Leistungsparametern – hier wahrscheinlich am ehesten hinsichtlich Laufleistung – Einbußen hinnehmen zu müssen, habe technischen Fortschritt bewiesen und müsse anerkannt werden. Solchen Fortschritt streben alle Mitbewerber an, natürlich auch Continental. Im eigenen Hause sei man überdies bestrebt, vom Kunden her zu denken und daraus seine Entwicklungsschwerpunkte abzuleiten, so der Conti-Chefentwickler Nutzfahrzeugreifen. So gehe es beispielsweise bei einem Reifen für den Baustelleneinsatz nur äußerst bedingt um die drei Labelkriterien und eigentlich so gut wie gar nicht um beispielsweise Geräusch, wohl aber um ein Kriterium wie Robustheit.

Dennoch, lässt Mensching gar nicht erst Missverständnisse aufkommen, die drei gewählten Aspekte Rollwiderstand, Nasshaftung und externes Außengeräusch (siehe auch den Kastentext) seien schon begrüßenswert und werden von Continental voll und ganz getragen und unterstützt, aber gerade bei Lkw-Reifen sind die Erwartungshaltungen der Kunden viel breiter als bei Pkw-Reifen. Zwischen Fern- und Regionalverkehr, Autobahn, Landstraße und Baustelle gebe es durchaus stark voneinander abweichende „Sets“ an Ansprüchen.

Für die Erstausrüstung ist das Raster der Labelwerte ohnehin zu grob, da geht es nicht um „B“ oder „C“, sondern um konkrete Messergebnisse, die zu erzielen sind. Der Abstand zwischen einem „guten B“ und einem „noch B“ könne größer sein als zwischen einem „gerade noch A“ und einem „guten B“, darum lassen sich die Fahrzeughersteller/OE-Kunden dadurch nicht leiten und schon gar nicht blenden. Als die Labelkriterien bekannt wurden, habe man sich diese zwar sehr genau angesehen und analysiert, in der Entwicklungspraxis allerdings keine größeren Veränderungen vorgenommen, ergänzt Walloch.

Man versuche vom Kunden her zu denken und zu handeln und orientiere sich an dessen Bedürfnissen, so Managing Director Mensching. Wobei es denn doch eine äußere Einflussnahme gibt, derer man sich nicht entziehe: die durch den Gesetzgeber. So berücksichtigt das ab November gültige Label ja bereits die EU-Richtlinie 2001/43/EG sowie die Verordnung Nr. 661/2009 hinsichtlich der Grenzwerte fürs Abrollgeräusch ab 2012 und ab 2016. Durchaus denkbar, dass hinsichtlich beispielsweise Umwelt oder konkret Ressourcenschonung („was passiert mit dem Reifen an seinem Lebensende?“) vom Gesetzgeber Ansprüche formuliert werden irgendwann in den nächsten Jahren, denen man genügen müsse – ganz unabhängig vom Reifenlabel, wagt Dr. Walloch einen Blick in die Zukunft.

Und so gebe es auch kein Entwicklungsprogramm nach dem Motto „AA auf Teufel komm raus“ im Hause Continental, so Walloch wissend, dass die pure Kreation von Labelwerten keinen Technologiesprung bewirken wird. Allerhöchstens habe das Labelling in Nuancen Einfluss gehabt, so habe es bei der Fülle an zu beurteilenden Spezifikationen weniger als fünf Fälle sprich Reifengrößen in einzelnen Anwendungsbereichen gegeben, wo eine bessere Labeleinstufung nur haarscharf verfehlt wurde und man sich die Frage gestellt habe, ob man nicht durch eine gezielte konstruktive Maßnahme das Produkt doch noch über eine Hürde hieven könnte, ohne dass für einen Kunden Einbußen an anderer Stelle auftreten. „Wir sind in einem Marktsegment, in dem sich Unehrlichkeit beim Produkt gegenüber dem Kunden unweigerlich rächen würde“, so Mensching und räumt unumwunden ein, dass das im Einzelfall auch einmal heißen kann, dass eine Zweitmarke aus dem Konzern in einem Labelwert ein besseres Rating bekommt als die Premiummarke in der gleichen Größe und für die gleiche Anwendung. Dann müsse man dem Kunden das eben erklären, auch wenn es aufwändig, vielleicht sogar lästig sein mag, es ist aber eine erforderliche Aufgabe der Kommunikation.

Dass das neue Reifenlabel eher Chance denn Risiko für das Lkw-Reifensegment ist, darin sind sich die beiden Gesprächspartner der NEUE REIFENZEITUNG einig. „Hineingeheimnissen“ solle man in das Labelling nicht zu viel, aber eine gewisse Unsicherheit, was es beim Verbraucher bewirkt, streiten sie auch nicht ab. Die Labelkriterien sind erst einmal primär auf Pkw-Reifen „zugeschnitten“ worden; bei Pkw habe man eine Rundumbereifung, bei Lkw an Lenk-, Antriebs- und Trailer-/Anhängerachse unterschiedliche Reifentypen. Das führt zu einem neuartigen Diskussionsansatz bei unterschiedlichen Labelwerten, wenn erklärt werden muss, dass man aus den Labelwerten auf den verschiedenen Fahrzeugpositionen eben keine Quersumme ziehen kann usw.

Der Aufwand, alle in Frage kommenden Reifentypen zu labeln, war enorm: für alle Hersteller, nicht nur für Continental. Das Label wird sich auch für Lkw-Reifen sukzessive zu einem Standard entwickeln, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg, der stark vom Gelingen der Kommunikation Hersteller an Handel, aber auch an den Verbraucher geprägt sein wird, für den „das Label ein Versprechen“ sei. Man mag einen Entwicklungsfokus beispielsweise auf „Geräusch“ an der Antriebsachse verschärfen, aber ist gerade als Premiumhersteller förmlich gezwungen, stets nach einer Balance aller Leistungskriterien auf höchstmöglichem Niveau zu streben.

„Einen einseitig optimierten Reifen verkauft man nur einmal“, sagt Herbert Mensching und geht davon aus, dass auch die anderen Premiumanbieter das genauso sehen und danach handeln. Er kann sich aber darüber hinaus auch nicht vorstellen, dass exotische Anbieter anders agieren. Wer es dennoch täte, verbaue sich die Zukunft im Nutzfahrzeugreifengeschäft. Als langjährig erfahren im Marktsegment weiß er um das „ganz lange Gedächtnis“ der Lkw-Reifenkunden. Beim professionellen Kunden zählt nicht die Gesamtlebensdauer eines Reifens, zählt nicht nur der Rollwiderstand, auch nicht der Preis und auch nicht ein Labelwert allein. All diese wichtigen Einzelwerte bestimmen die Gesamtkosten für den Flottenbetreiber und was letztlich zählt, das sind für den Kunden im Fernverkehr Kosten pro Kilometer, für Baustellenfahrzeuge oder solche in Steinbrüchen Betriebsstunden. detlef.vogt@reifenpresse.de

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