Peter Becker: Erstausrüstungstüren stehen offen
Peter Becker (53), ab dem 1. Juli Leiter des noch im Aufbau befindlichen neuen europäischen Forschungs- und Entwicklungszentrums in Mörfelden-Walldorf beim koreanischen Reifenhersteller Kumho Tires, freut sich auf seine neue Aufgabe. Denn in der Pkw-Erstausrüstung bei den Automobilherstellern stehen aktuell einige Türen offen und es besteht die Chance auch für Reifenhersteller der zweiten Reihe, in einen erlauchten und bis vor wenigen Jahren nur auf wenige Premiummarken beschränkten Kreis aufzurücken.
Becker, der bis vor wenigen Wochen noch als Chief R&D für die Technik und Entwicklung im Pkw-Reifensegment beim indischen Reifenhersteller Apollo Tyres Ltd., zu dem auch die europäische Vredestein gehört, gearbeitet hat, sieht sich als Mann der Erstausrüstung und hierbei im Pkw-Segment. Der gelernte Flugzeugmechaniker und Diplomingenieur der Fachrichtung Maschinenbau war seit 1989 bei Dunlop beschäftigt und hatte zunächst verschiedene leitende Positionen in der Testabteilung des Hanauer Reifenherstellers inne, bevor ihm im Jahr 2001 die Leitung der Pkw-Reifenentwicklung sowohl für das Erstausrüstungs- wie für das Ersatzgeschäft übertragen wurde. Er kannte das Metier also bereits aus dem Effeff, als er im Juni 2008 bei den ambitionierten Indern angeheuert hatte oder im Umkehrschluss: Aufgrund dieser Qualifikation hatte ihn Apollo engagiert.
In den letzten Jahren ist Peter Becker viel zwischen den Apollo-Standorten in deren Heimatland Indien einschließlich der modernen Reifenwerke, den Dependancen in Südafrika, Enschede/Niederlande und Rüsselsheim gependelt, die zahlreichen Besuche bei Erstausrüstungskunden gar nicht mitgerechnet. Ob diese höchst intensive Reisetätigkeit immer mit seinen eigenen Ansprüchen an Effektivität in Einklang gebracht werden konnte, lässt er unbeantwortet.
All die Erfahrungen, die Becker in den letzten Jahren gesammelt hat, will der Diplomingenieur aber in seine neue Tätigkeit und bei der Zusammenstellung und dem Aufbau des eigenen Teams in Mörfelden-Walldorf einbringen. Der Aufbau der Mannschaft hat bereits Ende 2011 begonnen, mittlerweile arbeitet hier ca. ein Dutzend Techniker in Kumho-Diensten. Diese Anzahl werde wohl mittelfristig schon deutlich erhöht, so der neue Teamchef. Aber es gehe ihm weniger um eine möglichst hohe Mitarbeiterzahl, wenn denn vielleicht weniger, aber solche Ingenieure beschäftigt sind, die gut zueinander passen und die richtigen Qualifikationen haben. So freut er sich einerseits auch auf die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus dem koreanischen Technikdepartment, das aktuell kräftig aufgerüstet werde. Andererseits hat er in den letzten Jahren gespürt, wie wichtig die Erstausrüstungsexpertise für Reifenentwickler sei, die er für die ihm gestellte Aufgabe braucht. So war er sehr positiv überrascht über das Verständnis, mit dem seine indischen Kollegen bei der Bewältigung der Ansprüche, die Automobilhersteller stellen, aufwarten konnten. Deutsche Automobilhersteller hätten sich sehr wohlwollend geäußert.
Er könne zwar aus eigener Erfahrung nur beispielsweise von Erstausrüstungsprojekten aus Indien berichten, die ihm in Europa Türen geöffnet haben. Becker zählt aber weitere Beispiele auf, wo Reifenhersteller der zweiten Reihe in der Erstausrüstung Lorbeeren ernten konnten: Taiwans Cheng Shin hat es auch nach Indien geschafft, ist aber auch bei General Motors oder Ford ein Thema, Koreas Nexen hat nach den Projekten bei Fiat und diversen weiteren noch laufenden Homologationen große Ambitionen, Toyo Tires macht bei Deutschlands Audi einen ausgezeichneten Job, und gerade erst hat die Sumitomo-Marke Falken mit OE-Reifen für den Wolfsburger up! für einen Überraschungscoup gesorgt. Auch und gerade für seinen neuen Arbeitgeber Kumho ist die europäische Erstausrüstung ein Ziel mit hoher Priorität, berichtet Peter Becker von Projekten für Volkswagen, Mercedes und BMW.
Gerade bei kleineren Modellen der etablierten Automobilhersteller stehen Erstausrüstungstüren offen, untadelige Qualität müsse man aber schon liefern. Und eigentlich ist Kumho über das Stadium der kleineren Modelle und der Volumenvarianten bereits hinaus und bereit für anspruchsvollere Erstausrüstungsprojekte, verweist der neue Europachef F&E darauf, dass der koreanische Reifenhersteller ja schon diverse Leistungsnachweise in der Erstausrüstung erbracht hat in der Vergangenheit.
Kumho ist also schon weiter als echte Newcomer. Aber auch diese Marke profitiert davon, dass sich gerade Premiumreifenhersteller – genannt seien in diesem Zusammenhang Michelin, Pirelli oder unlängst Bridgestone – immer stärker den Highend-Automodellen zuwenden. Für diese Marken ist es immer weniger attraktiv, für „Standardautos“ die Erstausrüstungsreifen zu liefern, sie schielen auf die margenstärkeren, aber auch technisch anspruchsvolleren Autos beispielsweise im Sportwagen-, Luxusauto- oder Oberklasse-SUV-Segment. Das ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Reifen von verschiedenen Herstellern im Klein- und vermehrt auch im Mittelklassebereich tendenziell immer austauschbarer werden mit nur noch marginalen technischen Unterschieden. Oder mit anderen Worten: Die Premiumreifenmarken weichen aus auf Premiumautomodelle und lassen in den Fahrzeugsegmenten darunter immer mehr Raum für alternative Reifenmarken. detlef.vogt@reifenpresse.de
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