Näher am Markt: Giorgio Barbier zum Wechsel auf 17”-Reifen in der WSBK

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Ab der Saison 2013 beliefert Pirelli die Fahrer/Teams in der World-Superbike-Serie (WSBK) anstatt wie bisher mit 16,5- dann mit Opens external link in new window17-Zoll-Rennreifen. Anlass genug für die NEUE REIFENZEITUNG, ein Gespräch mit Giorgio Barbier, Racing Director bei Pirelli, über diesen für den italienischen Reifenhersteller nach eigenen Aussagen „wichtigen Schritt“ zu führen. Dabei geht es in erster Linie um die Gründe für die Entscheidung und wie Otto Normalmotorradfahrer davon profitieren kann. Nicht verwunderlich in diesem Zusammenhang: Fragen dazu, welche Summe(n) sich der Konzern seinen Status als Superbike-Reifenausrüster kosten lässt oder in welcher Relation die Aufwendungen zum Opens external link in new windowFormel-1-Engagement stehen, beantwortet Babier – wie zu erwarten – freilich nicht. Gleiches gilt mit Blick darauf, ob der für die Saison 2013 geplante Wechsel auf 17-Zoll-Reifen als so etwas wie ein vorzeitiges weiteres Bekenntnis zur WSBK verstehen ist bzw. ob die Ausrüstung der Superbike-WM mit Pirelli-Reifen auch Opens external link in new windowüber das Jahr 2015 hinaus angestrebt wird.

: Wie ist es letztendlich zu der Entscheidung gekommen, in der Superbike-WM ab 2013 von 16,5- auf 17-Zoll-Reifen zu wechseln? Ist dies als Wunsch von den Fahrern/Teams an Sie herangetragen worden oder geht das eher auf Ihre eigene Initiative zurück?

Giorgio Barbier: Wir haben dies schon seit längerer Zeit mit Paolo Flammini [CEO des italienischen Ablegers von Infront Motor Sports, dem Veranstalter hinter der Serie] diskutiert. Genauer gesagt haben Maurizio und Paolo dies schon seit Einführung der Einheitsreifenregel in der WSBK im Jahre 2004 vorgeschlagen, doch die Teams waren dagegen. Denn sie wollten die Felgengröße nicht ändern. Obwohl sie bis dahin zwar mit verschiedenen Reifenherstellern zusammenarbeiteten, setzten trotzdem alle auf 16,5-Zoll-Räder. Und auch aus unserer Sicht war es damals sinnvoll, es zunächst dabei zu belassen. Schließlich hatten wir zu diesem Zeitpunkt nur [Renn-]Erfahrung mit 16,5-Zoll-Rädern und wollten diesen innerhalb von wenigen Jahren erarbeiteten Know-how-Vorteil nicht aufs Spiel setzen. Vor dem jetzt angekündigten Umstieg auf 17 Zoll haben wir alle in der WSBK startenden Hersteller im Rahmen eines TT-Klubtreffens in Magny Cours über unser Vorhaben informiert, und Flammini hat das Konzept der FIM nähergebracht. Dort stand man dem Ganzen sehr aufgeschlossen gegenüber, und inzwischen sind alle bereit für den Schritt in Richtung einer noch größeren Nähe zu den Serienmotorrädern auf der Straße.

: Welche Vorteile können die Motorsportler aus dem Größenwechsel ziehen?

Giorgio Barbier: Wir sind davon überzeugt, dass es unsere Aufgabe rund um diese Meisterschaft ist, für die Fahrer, Teams und Hersteller zu arbeiten, die hier erzielten Vorteile und Verbesserungen dann aber auch den Verbrauchern zugutekommen zu lassen. Das gilt für Reifen angefangen bei solchen für den Einsatz auf Rennstrecken bis hin zu solchen mit DOT-Kennung für den Straßeneinsatz. Unsere „Diablo“-Produktpalette deckt beginnend mit der WSBK und bis ins Supersportsegment ein breites Spektrum ab, und der Wechsel auf Slicks in 17 Zoll im Rennsport und damit die Verwendung derselben Felgenstandardgröße wie im [Endverbraucher-]Markt macht all dies noch einfacher.

: Wie aufwendig ist die Umstellung für die Fahrer/Teams? Rechnen Sie mit Blick auf den Saisonübergang 2012/2013 beispielsweise mit einem höheren Testbedarf?

Giorgio Barbier: Nicht wirklich. Seit Beginn der WSBK haben wir die 16,5-Zoll-Karkasse, die grundlegenden internen Materialien und die Kontur der Reifen so nahe wie möglich an die von Serienreifen angelehnt. Mit der Entwicklung der derzeitigen 17-Zoll-Slicks basierend auf Einsätzen in der World-Endurance-, IDM- und der französischen Superbike-Serie fallen jetzt noch die letzten Unterschiede. Allgemein kann man sagen, dass 16,5-Zoll-Reifen durch eine höhere Seitenwand theoretisch ein Mehr an Luftvolumen bieten. Dafür aber erfordern sie einen höheren Aufwand beim Set-up der Maschinen, um daraus einen Vorteil ziehen zu können. Demgegenüber gehen 17-Zoll-Reifen mehr in Richtung einer „Plug-&-Play”-Lösung und können die Abstimmung der Motorräder einfacher machen. Wir glauben, dass dies im modernen Motorsport ein sehr wichtiges Argument ist, zumal das gerade verabschiedete neue WSBK-Reglement für 2012 von 60 auf 45 Minuten verkürzte Trainingssessions vorsieht.

: Inwiefern sieht man bei Pirelli selbst Vorteile in der Umstellung etwa in Sachen Know-how-Transfer zwischen Rennstrecken- und Serienreifen?

Giorgio Barbier: Die sind im Markt schon längst angekommen. Ich will das kurz erklären: Als 1999 zum ersten Mal in einer europäischen Meisterschaft (SST1000) auf Einheitsreifen gefahren wurde, hat Pirelli die Reifendimension 195/55-17 mit DOT-Kennung eingeführt, die nach einigen Jahren dann auch in der Erstausrüstung akzeptiert wurde und heute letztendlich die Größe 190/50 bei den gängigsten Sportmaschinen ersetzt hat. Im vergangenen Jahr haben wir uns entschlossen, die beiden neuen Größen 180/60-17 (in der WSSP) und 200/55-17 (im SST1000 FIM Cup) einzuführen, und die Motorradhersteller sind auch diesen Schritt mitgegangen: Mittlerweile sind diese Dimensionen bereits auf Maschinen von Aprilia und Ducati homologiert – weitere Homologationen sind in Planung. Das bedeutet, dass neue Sportmotorräder schon von Haus aus auf sehr kompetitiven 17-Zoll-Sportreifen stehen. Alle Weiterentwicklungen für die nächste Slick-Generation fließen nach kurzer Zeit – sechs Monate/ein Jahr – in die Rennreifenproduktion für den freien Verkauf ein und nur wenig später dann auch in unsere Supersportreifen für die Straße.

: Insbesondere bezüglich welcher Leistungskriterien rechnen Sie mit Verbesserungen bei den Rennreifen und wie wird der Normalfahrer/Endverbraucher bei den für ihn gedachten Produkten konkret davon profitieren können?

Giorgio Barbier: Im Vergleich zu den 16,5-Zoll-Slicks hat unser neuer 17-Zöller eine dickere Lauffläche, was bessere Handlingeigenschaften und höhere Gleichförmigkeit mit sich bringt. Zudem ist die Bodenaufstandsfläche durch die veränderte Kontur und dank einer höhere Seitenkräfte übertragenden Karkasse zehn Prozent größer. Sämtliche dieser Eigenschaften werden definitiv allen Motorradfahrern weltweit große Vorteile bringen.

: Im tagtäglichen Motorradreifengeschäft kann man 16,5-Zoll-Reifen guten Gewissens wohl als so etwas wie „Exoten“ bezeichnen, mit denen sicherlich auch eine höhere Komplexität aufseiten der Produktion verbunden ist. Haben solche Überlegungen bzw. etwaige mögliche Kostenreduktionen auf der Herstellungsseite eine Rolle gespielt bei der Entscheidung zum Wechsel auf 17-Zöller in der Superbike-WM?

Giorgio Barbier: 16,5 Zoll sind eine Größe nur für den Wettbewerbseinsatz, kein einziger Hersteller arbeitet damit in der Erstausrüstung für seine Maschinen. Das liegt an den Bestimmungen der ETRTO [European Tyre and Rim Technical Organisation]: Dort befürchtet man Missverständnisse bzw. Verwechslungen mit Bereifungen in 16 Zoll und 17 Zoll. Es könnte sehr gefährlich werden, wenn 16,5-Zoll-Reifen auf Felgen einer der beiden anderen Größen montiert würden.

: Wie hat Pirelli bis dato vom Engagement in der Superbike-WM – abgesehen vom Technologietransfer zwischen Motorsport- und Serienreifen – profitieren können? Gibt es beispielsweise Erkenntnisse dazu, ob und wie sich das Image bzw. die Bekanntheit der Marke im Motorradsegment durch die Funktion als SBK-Reifenausrüster hat steigern lassen?

Giorgio Barbier: Mit dem Wettbewerb im Markt kennen wir uns gut aus, denn das ist unsere alltägliche Herausforderung. Um in einem Segment in einer führenden Position zu bleiben, muss man seinen Händlern und Kunden demonstrieren, dass man immer wieder Fortschritte macht. Motorradfahrer haben ein Gefühl dafür, was im Markt passiert: Sie sind im Mittel besser informiert als Pkw-Fahrer und im Straßenverkehr gleichzeitig weniger geschützt als diese. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes näher am Asphalt, sodass das Vertrauen in die Ausrüstung der eigenen Maschine nicht nur eine Frage des [Fahr-]Spaßes alleine ist. Das heißt: Wir müssen ihnen die Sicherheit bieten, die Motorradfahrer zum Ausleben ihrer Leidenschaft brauchen. Vor diesem Hintergrund können wir nur betonen, dass die WSBK-Meisterschaft sehr wichtig dafür ist, um nahe an den Bedürfnissen des Marktes zu bleiben. Denn die dort zum Einsatz kommenden Maschinen und Reifen sind mit den Serienprodukten stark verwandt.

: Haben Sie bei alldem auch einen etwaigen Nutzen des Ganzen für die Vermarkter von Motorradreifen im Blick und wie könnte sich Ihr Engagement in der Superbike-Serie beispielsweise für den Reifenhandel auszahlen?

Giorgio Barbier: Wir sprechen hier von einer interessanten supertechnologischen Nische. Der Markt für Supersportmaschinen ist zwar nicht mehr das, was er noch bis 2008 gewesen ist. Aber Produkte – Motorräder und Reifen – mit einer Verbindung zur WSBK stellen für Motorradfahrer so etwas wie eine Empfehlung dar, weshalb sich unser diesbezügliches Engagement seitens des Handels als gutes Verkaufsargument nutzen lässt. christian.marx@reifenpresse.de

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