Iochpe-Maxion kauft Hayes Lemmerz
Großakquisition im globalen Rädergeschäft: Die seit 1984 börsennotierte brasilianische Iochpe-Maxion S.A. (Sao Paulo) hat eine Absichtserklärung unterschrieben, den bislang weltgrößten Räderhersteller Hayes Lemmerz International (Northville/Michigan, Stahlräder für Nutzfahrzeuge und Pkw sowie Aluminiumgussräder für Pkw) für ca. 725 Millionen US-Dollar durch ihre Tochtergesellschaft Iochpe Holdings, LLC zu hundert Prozent übernehmen zu wollen. Mit diesem Deal, der im ersten Halbjahr 2012 abgeschlossen werden soll, tritt die Konsolidierung in der globalen Räderwelt – vor allem hinsichtlich des Geschäftes mit Stahlrädern – in eine neue Phase.
Das bereits 1918 in Rio Grande do Sul gegründete brasilianische Unternehmen ist hierzulande weitgehend unbekannt, hat in der Räderwelt aber seit wenigen Jahren für Furore gesorgt. In der zweiten Jahreshälfte 2009 hatte Iochpe-Maxion bereits das als äußerst profitabel und vielfach als Benchmark gehandelte Pkw-Stahlrädergeschäft des damaligen nordamerikanischen Zulieferers ArvinMeritor (heißt seit einigen Monaten nur noch Meritor) mit Werken in San Luis Potosi (Mexiko) sowie Limeira (Brasilien) und der Traditionsmarke Fumagalli übernommen und vor einigen Monaten mit der Akquisition eines kleineren mexikanischen Anbieters in Tlanlnepantla für Marktbereinigung gesorgt. Die Iochpe-Maxion-Division „Wheel and Chassis“ fertigt darüber hinaus seit Jahren Stahlräder für Lkw, Busse und landwirtschaftliche Fahrzeuge. Auf dem Gelände einer Lkw-Fabrik, die Volkswagen vor etwa zwei Jahren an MAN Lateinamerika verkauft hat, unterhält Maxion ferner eine Komplettradmontage.
Ganz anders die Geschichte des letzten Jahrzehnts von Hayes Lemmerz: Nach einem grandiosen Höhenflug in den 90er Jahren, der in der Fusion des US-Giganten Hayes Wheels mit dem europäischen Marktführer Lemmerz (Königswinter) gipfelte und im Nachhinein mehr einer Übernahme glich, kam in den Nullerjahren dieses Jahrtausends der doppelte Absturz: Nachdem Hayes Lemmerz von 2001 bis 2003 zum ersten Mal für etwa anderthalb Jahre unter den Schutzschirm des amerikanischen Insolvenzrechts gemäß Chapter Eleven hatte flüchten müssen, folgte im Jahre 2009 exakt die gleiche Aufführung des Trauerspiels noch einmal, nur dauerte diesmal die Insolvenz etwa ein halbes Jahr. Trotz beachtlicher Restrukturierungserfolge wie des Verkaufs von Unternehmensteilen, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, trotz Schließung unrentabler Werke, trotz Verlagerung von Produktion an kostengünstige Produktionsstandorte und trotz signifikanter Verringerung der Abhängigkeiten vom nordamerikanischen Markt war die enorme Schuldenlast immer wieder der Mühlstein, der Hayes Lemmerz hinabgezogen hat und jetzt wohl auch die Investoren bewogen haben mag, sich endgültig von Hayes Lemmerz zu trennen.
Hayes Lemmerz hat derzeit etwa 6.100 Mitarbeiter und 17 Produktionsstätten (zum Teil als Joint-Venture-Unternehmen) in den USA, Mexiko, Brasilien, Deutschland, Tschechien, Türkei, Spanien, Italien, Südafrika, Indien und Thailand. Die weltweite Produktionskapazität wird mit jährlich 63,4 Millionen Einheiten beziffert, wovon 44,2 Millionen auf Stahlräder für leichte Fahrzeuge (also im Wesentlichen Pkw), 7,8 Millionen auf Stahlräder für Nutzfahrzeuge und 11,4 Millionen Pkw-Aluminiumgussfelgen entfallen. Als Umsatz von Hayes Lemmerz werden für das erste Halbjahr 2011 insgesamt 890,5 Millionen US-Dollar genannt bei einem Nettogewinn (net income) von 39,3 Million und einem Ebitda of 112,3 Millionen Dollar.
Die künftige Managementstruktur – also auch die Führungskräfte betreffend, die das Unternehmen zweimal in und durch Chapter Eleven geführt haben – soll erst bekanntgegeben werden, wenn der Zusammenschluss unmittelbar bevorsteht, solange operieren Iochpe-Maxion und Hayes Lemmerz noch unabhängig voneinander.
Für Hayes Lemmerz bzw. die Mitarbeiter des Unternehmens selbst mag sich der Verlust der Selbständigkeit als alles andere als negativ erweisen, denn die Iochpe-Maxion, an der die Gründerfamilie Iochpe mit einem Aktienanteil von mehr als einem Viertel maßgeblich beteiligt ist, sodass gar von einer Kontrolle gesprochen werden kann (die Familie Ioschpe hat mit einer Bank, die weitere mehr als 30 Prozent hält, ein entsprechendes Abkommen), gilt als wirtschaftlich gesund und wird operativ von CEO Dan Ioschpe geführt, der die Integration der eigenen Rädersparte mit Hayes Lemmerz vorantreiben will. Dem Aufsichtsrat steht Patriarch Ivoncy Brochmann Ioschpe als Chairma vor. Weitere Familienmitglieder finden sich sowohl im Aufsichtsrat wie in leitenden Positionen im operativen Geschäft.
Die bisherige Unternehmensstruktur der Brasilianer besteht aus vier Sparten, von denen drei dem Automotive-Bereich zuzuordnen und davon zwei ins automobile Rädergeschäft involviert sind: „Wheels and Chassis“ (letzteres meint im Wesentlichen die Herstellung von Fahrzeugrahmen für Nutzfahrzeuge in Resende/Rio de Janeiro) stand im vergangenen Jahr für 54 Prozent des Konzernumsatzes, beschäftigt 5.400 Mitarbeiter und stellt Nutzfahrzeugräder in Cruzeiro (Bundesstaat Sao Paulo), aber auch im chinesischen Nantong her. „Fumagalli“ beinhaltet die drei übernommen Pkw-Stahlräderproduktionsstätten, stand 2010 für 25,2 Prozent vom Konzernumsatz und beschäftigte ca. 1.700 Mitarbeiter. Die Division „Automotive Components“ stellt diverse verschiedene geschweißte Teile für die Pkw-Erstausrüstung her, beschäftigte im vergangenen Jahr 980 Mitarbeiter und trug 7,6 Prozent zum Konzernumsatz bei. Die Automotive-Sparte insgesamt steht für 87 Prozent des Umsatzes bei dem brasilianischen Unternehmen. Die Sparte „Eisenbahn“ repräsentiert die übrigen 13 Prozent und beinhaltet übrigens auch Eisenbahnräder.
Die Iochpe-Maxion S.A. hat im Jahre 2010 bei einem Umsatz von gut 900 Millionen Euro mit knapp 11.000 Mitarbeitern einen Nettogewinn (net income) von 67 Millionen Euro erzielt, wozu erstmals auch die Räderdivision Fumagalli einen signifikanten Beigetrag leisten konnte, begünstigt durch die starke brasilianische Wirtschaft und das Wachstum im brasilianischen Fahrzeugbau. Das Ebitda wird mit 127,6 Millionen Euro für 2010 beziffert, entsprechend 14 Prozent vom Umsatz, das Ebit mit 11,7 Prozent vom Umsatz.
Iochpe-Maxion will erklärtermaßen stärker in internationalen Märkten wachsen, wozu Hayes Lemmerz einen gravierenden Beitrag leisten wird. Denn 2010 entfielen auf den Heimatmarkt Brasilien noch gut 80 Prozent des Umsatzes, als Exportland sind lediglich die USA mit einem Anteil von 57,9 Prozent nennenswert. Auf Europa entfielen im vergangenen Jahr gerade mal 1,7 Prozent aller Exporte, vom Konzernumsatz sind das gerade mal drei Millionen Euro. Das wird sich jetzt gravierend ändern. detlef.vogt@reifenpresse.de
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