Apollo Tyres stellt „Konzept Europa“ vor
Knapp anderthalb Jahre hat es gedauert, nun sind die ersten Apollo-Reifen in Europa angekommen. Zusammen mit den Produkten, werden auch die Strategie und die Konzepte sichtbar, die die Verantwortlichen in Indien und in Europa dabei verfolgen. Wichtigste Einflussfaktoren für den Markteintritt in Europa sind die bestehenden Produktionskapazitäten und die Herangehensweise in Bezug auf „Sales & Distribution“. Mit anderen Worten: Sind genügend passende Reifen da und zu welchen Preisen und wie sollen sie in Europa vermarktet werden? Auf diese und andere Fragen hat man bei Apollo Tyres in Indien und bei Apollo Vredestein in Europa jetzt Antworten gefunden.
Dass Apollo Tyres der Markteintritt in Europa gelingen wird, daran mag jeder gerne glauben, der einmal längere Zeit Gelegenheit hatte, sich mit den führenden Mitarbeitern des Unternehmens zu unterhalten. Neeraj R. S. Kanwar etwa, Sohn des Firmengründers und heute als Vice-Chairman und Managing Director eine der treibenden operativen Kräfte hinter den „Wachstumsjahren“ von Apollo Tyres, die die Welt seit 2005 bestaunen durfte. Adjektive wie vernünftig und bescheiden kommen einem da in den Sinn, jung, dynamisch und gut ausgebildet sowieso. Oder etwa Sunam Sarkar. Der erfahrene CFO des führenden Reifenherstellers in Indien und dessen Whole Time Director gilt vielen als einer der großen Strategen im Unternehmen. Oder auch Rob Oudshoorn, der bereits seit 16 Jahren bei Vredestein arbeitet und derzeit – als CEO von Apollo Vredestein in Enschede – die Marke Apollo in Europa einführt und den Blick vor offensichtlichen Realitäten nicht verschließt. All diesen Führungskräften darf man zutrauen, dass sie ihr Handwerk verstehen. Ob ihre Pläne für den europäischen Markt indes aufgehen, wird sich in den kommenden Monaten an vorderster Front zeigen, und zwar im Reifenhandel.
Was bei etablierten Reifenmarken genauso gilt wie bei Neuankömmlingen, ist die Notwendigkeit einer vernünftigen Produktqualität. Wichtiger noch: Hat eine neue Reifenmarke den Markteintritt qualitätsseitig verpatzt, braucht sie sich die oberen Marktsegmente von vornherein nicht vorzunehmen; der Abstieg einer etablierten Marke ist da schon langwieriger. Wie zu hören ist, haben die AutoBild und der ADAC Apollo-Reifen in ihre Sommerreifentests 2011 aufgenommen. Spätestens dann wird sich zeigen, auf welchem technischen Niveau die Produkte aus Indien – und zum Teil auch aus Enschede – liegen. Unwahrscheinlich scheint es, dass Apollo Tyres diese Hürde erneut reißt, nachdem man im vergangenen Jahr mit dem „Acelere Sportz“ im AutoBild-Test nicht überzeugen konnte.
Die Reifen, die damals den Weg nach Europa fanden, waren indes in der Vor-Vredestein-Zeit entwicklelt und gebaut worden. Heute kann Apollo Tyres nicht nur auf das Know-how aus Enschede zurückgreifen, sondern hat darüber hinaus Peter Becker als Chief Research & Technology angeheuert. Der erfahrene Entwickler stand lange Jahre in den Diensten des Goodyear-Dunlop-Konzerns und war bis Anfang 2008 Leiter der Pkw-Reifenentwicklung am Dunlop-Forschungs- und -Entwicklungszentrum mit Sitz in Hanau. Heute ist es seine Aufgabe, die bestehenden F&E-Kapazitäten an den Standorten in Indien, den Niederlanden und in Südafrika (ehemals Dunlop Tyres International; wurde 2006 von Apollo Tyres übernommen) zu koordinieren und Produkte zu entwickeln, die auch auf dem anspruchsvollen europäischen Markt Abnehmer finden.
In Zukunft dabei helfen wird vermutlich auch das derzeit im Bau befindliche neue F&E-Zentrum in Chennai (Bundesstaat Tamil Nadu). Während aktuell alle indische Entwicklungsarbeit am Standort in Limda bei Vadadora (Bundesstaat Gujarat) geleistet wird, errichtet Apollo Tyres neben einer als State-of-the-Art geltenden Reifenfabrik – dazu unten mehr – auch ein neues, zentrales Entwickungs- und Technologiezentrum am Standort in Chennai (Bundesstaat Tamil Nadu). Während aktuell unter zwei Prozent des Umsatzes in Forschung- und Entwicklung investiert werden, sollen dies alsbald schon rund fünf Prozent sein. Im Übrigen sei in der Nähe von Chennai auch ein neues staatliches Testgelände im Bau, dessen Kapazitäten man nutzen möchte; Apollo Tyres verfügt über kein eigenes Testgelände.
Der indische Reifenmarkt wird derzeit immer noch stark durch Nutzfahrzeug-, Dreirad- und Zweiradreifen dominiert, dennoch bieten Pkw-Reifen die größten Wachstumschancen
Bei Apollo Tyres ist man der Überzeugung, man müsse die Entwicklung neuer Märkte – in diesem Fall Europa – mit dem Ausbau der Produktionskapazitäten in Einklang bringen. Derzeit wird die Vredestein-Fabrik im holländischen Enschede für rund zehn Millionen Euro von derzeit fünf auf dann 5,5 Millionen Pkw-Reifen aufgestockt. Parallel zum Ausbau dieser Produktionskapazitäten für HP- und UHP-Reifen in Enschede investiert Apollo Tyres derzeit kräftig in den Aufbau einer neuen Reifenfabrik in Indien. Dort in Chennai wurden bereits im Frühjahr die ersten Pkw- und Lkw-Reifen radialer Bauart gefertigt, und das nach nur 14 Monaten Bauzeit. Seit diesem November fertigt die Fabrik erstmals auch Reifen, die in Europa vermarktet werden.
Das Projekt in Chennai gehört finanziell zum Größten, was das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro (2009/2010) jemals zu schultern hatte. Für rund 400 Millionen Euro entsteht im Südosten Indiens eine Anlage, in der Ende 2011 bereits 5,6 Millionen Pkw-Reifen und 2,1 Millionen radiale Lkw-Reifen gefertigt werden können (3. Ausbaustufe). Aktuell entstehen dort bereits, obwohl erst in der Hälfte der Gebäude produziert wird, 1,925 Millionen Pkw- und 385.000 Lkw-Reifen; es wurden aktuell bereits 250 Millionen investiert. Der Plan ist, die Fabrik in naher Zukunft sogar bis auf 10,5 Millionen Pkw- und 3,15 Millionen Lkw-Reifen auszubauen. Diese zusätzlichen Kapazitäten, so viel ist sicher, dienen nicht nur dem Absatz auf dem europäischen Markt, den Apollo Tyres nun für sich erobern will. Aber es ist kein Geheimnis, dass der indische Hersteller hierzulande große Absatzpläne hat und sich innerhalb der kommenden fünf Jahre in den „Top-10“ der größten Reifenhersteller der Welt ankommen will und dazu soll der europäische Markt beitragen. Während aktuell nur acht Prozent der in Indien gefertigten Reifen exportiert werden, sollen dies wenigstens 20 Prozent sein, sobald die neue Fabrik in Chennai voll ausgelastet ist. Interessanterweise sieht Apollos Vice-Chairman und Managing Director Neeraj Kanwar (noch) nicht die Notwendigkeit, in naher Zukunft auch auf dem chinesischen Markt zu landen; die „Top-10“ werde man auch ohne das Reich der Mitte erreichen, ist sich der Manager sicher.
Wie sollen aber die zusätzlichen Reifen in Europa verkauft werden? Kursierten bis vor Kurzem im Markt noch schwer zu glaubende Gerüchte über die zu verfolgende Absatz- und Preisstrategie in Europa, so erläuterten Apollo-Vredestein-CEO Rob Oudshoorn und Apollos Vice-Chairman und Managing Director Neeraj Kanwar im Interview mit der NEUE REIFENZEITUNG, was nun genau geplant sei. Thema Pricing. Während man sich im Markt Gedanken darüber machte, ob der indische Hersteller wohl seine sogenannte „Flagship Brand“ Apollo über oder unter der übernommenen Marke Vredestein in Europa positionieren würde, scheint mittlerweile eine Entscheidung zugunsten der etablierten Marke aus den Niederlande gefallen zu sein. Apollo werde „zehn bis 15 Prozent unter Vredestein“ stehen, bestätigt Rob Oudshoorn, wobei sich das Vredestein-Preisgefüge selbst durch den Markteintritt Apollos nicht verändern soll. Insgesamt sollen Apollo-Reifen im „oberen Viertel des mittleren Marktsegmentes“ angesiedelt sein, erläutert Neeraj Kanwar und ist überzeugt, dass die Märkte dies annehmen. Erst in den kommenden Jahren werde man auch preislich im Premiumsegment ankommen, so hofft man in Gurgaon bei Delhi am Hauptsitz des Reifenherstellers. Dies, so pflichtet der für die Vermarktung in Europa zuständige Rob Oudshoorn bei, müsse die Marke Apollo sich aber „verdienen“. Das Pricing werde darüber hinaus zentral gesteuert, betont Rob Oudshoorn. Es gebe „einen einheitlichen, transparenten Preis“, der – außer durch die üblichen gewährten Konditionen – „nicht verhandelbar“ sei. Man will ganz bewusst verhindern, dass Apollo-Reifen zur europäischen Spekulationsware für Wiederverkäufer werden.
Bei Apollo Tyres nennt man die vergangenen fünf Jahre die "Wachstumsjahre" oder auch "the wonder years", die Wunderjahre
Dabei von großer Bedeutung soll der Eintritt in die Erstausrüstung mit der Marke Apollo sein. Während Vredestein bekanntermaßen kein Erstausrüstungsgeschäft mit Pkw-Reifen betreibt, sieht man einmal vom „Space Master“ ab, und dieses auch in naher Zukunft nicht anstrebt, sei Apollo als globale Marke auch die Marke für die Erstausrüstung, so Neeraj Kanwar. In Indien bereits fest etabliert als Erstausrüster – auch für Volkswagen und Ford –, so hat das Unternehmen auch in Europa große Pläne. Wie nun anlässlich einer Präsentation in Gurgaon am Hauptsitz des indischen Unternehmens mitgeteilt wurde, seien die Hersteller Volkswagen, Fiat, Mercedes und Audi „in Europa in der Pipeline“.
Thema Vertrieb. War man bisher stets im Unklaren darüber, wie man sich diesem entscheidenden Thema nähern würde, so haben die Verantwortlichen auch dabei die vergangenen Monate intensiv genutzt, um konkret zu werden. Auch wenn Rob Oudshoorn im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG daran erinnert, dass man noch „am Anfang von allem“ stehe, so legt das Unternehmen doch bereits eine beeindruckende Liste an Verkaufspunkten in Europa vor. Während man sich – auch wegen der fehlenden Kapazitäten – ganz bewusst zunächst auf nur vier Märkte konzentrieren möchte, und zwar auf Deutschland, Großbritannien, Italien und natürlich die Niederlande, so kann Apollo Vredestein seine neue Marke für Europa offenbar ab Anfang des kommenden Jahres bereits an über 600 bis 700 Verkaufspunkten anbieten. Man habe gerade erst begonnen, Vertriebspartner in den vier besagten Ländern zu finden. In Deutschland allein sollen es Anfang des kommenden Jahres 212 Point-of-Sales sein, in den Niederlanden 200, in Italien 150 und in Großbritannien noch einmal 100.
Auch wenn Apollo Tyres mit der neuen Reifenfabrik in Chennai die Kapazitäten für die Herstellung moderner radialer Lkw-Reifen deutlich hochfährt, plane man aktuell und in nächster Zeit nicht, diese auch in Europa zu vermarkten. Apollo werde in Europa als Pkw-Reifenmarke an den Start gehen, so der für den Vertrieb in Europa zuständige Apollo-Vredestein-CEO. Rob Oudshoorn bescheinigt gleichzeitig, durch die Markteinführung von Apollo-Reifen werde man auch nicht die Herangehensweise bei der Vermarktung von Maloya-Reifen nennenswert ändern. „Wir werden die Marke Maloya nicht vom Markt nehmen“, so Oudshoorn.
Ob die eben genannten Verkaufspunkte notwendigerweise auch Vredestein-Händler in den besagten Ländern sein müssen? Rob Oudshoorn sagt Nein. Wegen der unterschiedlichen Positionierung der beiden Marken Vredestein und Apollo in Bezug auf Preis aber auch in Bezug auf Leistungsmerkmale (HP-/UHP-Reifen) und Designeigenschaften (Giugiaro Design) sehe man kein Problem, beide Marken auch über ein und denselben Kanal bzw. Händler zu vermarkten. Dies sei aber keine zwingende Voraussetzung. Aus diesem Grund werde Apollo Vredestein in Europa natürlich auch keine Parallel-Vertriebsorganisation für Apollo-Reifen aufbauen. Dies würde nur Zusatzkosten schaffen, was unsinnig sei, bestätigt Neeraj Kanwar. Man müsse aber die bestehenden Teams in den Märkten im Multi-Marken-Vertrieb schulen. Auch wenn Vredestein seit Jahren die Zweitmarke Maloya (ehemals aus der Schweiz) im Sortiment führt, hat sie nur für wenige Märkte eine wirkliche Bedeutung; der Multi-Marken-Vertrieb – für viele Konzern täglich Brot – ist für die Vredestein-Mannschaften in den Märkten Neuland.
Neue Marken, die den Weg nach Europa finden, werden in der Regel zunächst über Großhändler mit großem Kundenstamm eingeführt. Dies ist aber nicht die Herangehensweise, die Apollo Vredestein verfolgt. Einerseits verfüge das Unternehmen vermutlich noch nicht über die notwendigen Kapazitäten, um den Anforderungen eines Großhandelspartners gerecht zu werden, meint Oudshoorn. Andererseits würde auf dem Weg vom Hersteller zum Großhändler zum Händler stets viel an Informationen über das Produkt und die Marke verloren gehen. Das passe einfach nicht zum Anspruch einer „Flaggship Brand“ mit europäischen OE-Ambitionen. Von den preislichen Anforderungen eines Großhändlers ganz zu schweigen.
Hatten die Verantwortlichen in Enschede früher vielleicht noch gehofft, ihre Marke Vredestein künftig auch in Indien in größerem Umfang anbieten zu können, so scheint das derzeit nicht ganz oben auf der To-do-Liste der Manager bei Apollo Tyres zu stehen. Man habe zwar rund 200.000 Vredestein-Reifen im Absatzplan für die „Zone I“, also Indien. Dazu zählen aber – neben Indien selbst – auch weitere Länder Asiens wie etwa China, wo Vredestein erst kürzlich eingeführt wurde, die GUS-Staaten (ohne Russland), die Türkei, der Mittlere Osten und sogar Australien/Neuseeland. Dort, so erläutert Satish Sharma, Chief India Operations, könnten Vredestein-Reifen eingeführt werden; im Schwellenland Indien aber bliebe der europäischen HP-/UHP-Marke mit ihrer speziellen Ausrichtung auf Design (Giugiaro) bestenfalls „eine Supernische“ für die Vermarktung. arno.borchers@reifenpresse.de
Apollo Tyres Ltd. auf einen Blick:
Sitz in Gurgaon (Bundesstaat Haryana, Indien); 1975 gegründet
Onkar S. Kanwar, Chairman und Managing Director
Neeraj R. S. Kanwar, Vice Chairman und Managing Director
1,34 Milliarden Euro Jahresumsatz (Geschäftsjahr 2009-2010)
472.500 Tonnen Jahresproduktion (aktuell)
16.000 Mitarbeiter weltweit
Sechs Reifenmarken: Apollo, Vredestein, Dunlop, Maloya, Regal, Kaizen
Tochtergesellschaften:
Apollo Tyres South Africa (Pty) Ltd. (2006 als Dunlop Tyres International, Südafrika, übernommen)
Apollo Vredestein BV (2009 als Vredestein Banden, Niederlande, übernommen)
Fabriken:
Fünf Fabriken in Indien:
● Chennai (Tamil Nadu); in Betrieb seit 2010; radiale Pkw- und Lkw-Reifen
● Pune (Maharashtra); in Betrieb seit 1996; Schläuche, Wulstbänder und Heizmembrane; Schlauchmontage
● Kalamassery (Kerala); in Betrieb seit 1962; 1995 von Premier Tyres übernommen; diagonale Nutzfahrzeugreifen und Runderneuerungsmaterial
● Limda-Baroda (Gujarat); in Betrieb seit 1991; zweite eigene Fabrik; seit 2000 Radialreifen; radiale Pkw-Reifen, Nutzfahrzeug-, Landwirtschafts- und EM-Reifen (seit 2009) in radialer und diagonaler Bauweise; mit 175.000 Tonnen Jahresproduktion größte Reifenfabrik Indiens und im Konzern noch zentrales Entwickungs- und Technologiezentrum (bald in Chennai)
● Perambra (Kerala); in Betrieb seit 1977; erste eigene Fabrik; diagonale Nutzfahrzeugreifen
Zwei Fabriken in Südafrika:
(2006 mit Dunlop Tyres International übernommen)
● Durban; in Betrieb seit 1935; radiale und diagonale Nutzfahrzeugreifen, EM-Reifen
● Ladysmith; in Betrieb seit 1973; radiale Pkw-/LLkw-Reifen
Zwei Fabriken in Simbabwe:
(2006 mit Dunlop Tyres International übernommen)
● Bulawayo; in Betrieb seit 1957; radiale Pkw-/LLkw-Reifen, Diagonalreifen
● Harare; in Betrieb seit 1926; runderneuerte Reifen
Eine Fabrik in den Niederlanden:
(2009 mit Vredestein Banden übernommen)
● Enschede; in Betrieb seit 1946; Pkw-/LLkw-, Landwirtschaftsreifen
Weitere Informationen zu Apollo Tyres finden Sie hier in unserem Geschäftsberichte-Archiv.
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