Apollo macht mit Vredestein „ein gutes Geschäft“ – Kaufpreis genannt
‚Im Nachhinein ist man immer schlauer’ ist eine gern genutzte Redensart, wenn Fehleinschätzungen bzw. – was die Veröffentlichungen von Medien betrifft – Falschmeldungen nachträglich zu beurteilen sind. Auf den ersten Blick ein besonders krasser Fall einer solchen Falschmeldung ist die Berichterstattung zum Preis, den Apollo Tyres im verganenen Jahr für die Übernahme von Vredestein Banden gezahlt hat. Die Geschichte einer Falschmeldung fing dabei noch recht vertrauenerweckend mit einem Bericht in der indischen Zeitung Hindustan Times an. Darin wurde Neeraj R. S. Kanwar, Vice-President und Joint-Manaing Director von Apollo Tyres Ltd., ausgiebig zur Übernahme zitiert. In dem gleichen Bericht schreibt die Zeitung, Apollo Tyres wolle rund 300 Millionen Dollar für die Vredestein-Übernahme zahlen. In späteren Berichten wurden noch andere mögliche Kaufsummen genannt, etwa ein Preis „zwischen 220 und 260 Millionen Dollar“. Unterschieden sich die Zahlen im Detail, so gab es keinen Zweifel daran, dass Apollo Tyres ‚großes Geld’ für Vredestein Banden bezahlen würde. Doch wie sich nun herausstellt, haben alle Marktbeobachter falsch gelegen, bestätigt jetzt Vredestein-CEO Rob Oudshoorn gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG.
In einer kürzlich veröffentlichten Abschrift eines „Analyst/Investor Conference Calls“ erläutert Gaurav Kumar, bei Apollo Tyres Group Head und zuständig für Corporate Strategy and Finance, man habe, „um die 100 Prozent Equity zu erhalten, einen Betrag von 2,5 Milliarden Rupien bezahlt“. Umgerechnet ergibt dies einen Kaufpreis von knapp 50 Millionen Dollar bzw. 36,7 Millionen Euro, lag also bei nur rund einem Sechstel dessen, was seit vergangenen Mai als Zahl durch ausnahmslos alle Zeitungen geisterte. Rob Oudshoorn wundert sich im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, wie schnell damals die Informationen aus der Meldung einer indischen Tageszeitung durch die Welt gingen, egal wie fundiert oder unfundiert sie waren. Fragen zum Kaufpreis durften damals wegen der Börsennotierung des indischen Herstellers nicht beantwortet werden, sagt Oudshoorn heute, und erinnert sich an die Suggestivfragen zum Kaufpreis, die die NEUE REIFENEZEITUNG im vergangenen Juli in einem persönlichen Interview mit ihm in Enschede gestellt hatte und die lediglich mit einem wissenden „No comment!“ beantwortet wurden.
50 statt 300 Millionen Dollar also. Ist dies ein gerechtfertigter Preis für einen Reifenhersteller, der – so meldet Apollo Tyres in seinem aktuellen Jahresbericht – im Jahr 328,5 Millionen Euro umsetzt? „Es ist alles ziemlich relativ“, entgegnet Oudshoorn. Man müsse sich vergegenwärtigen, in welcher Situation das Unternehmen Anfang vergangenen Jahres steckte. Die russischen Eigentümer von Amtel steckten in akuten Zahlungsschwierigkeiten und schlidderten direkt auf die Insolvenz zu (die ab Juni 2009 dann auch endgültig für alle Unternehmensteile amtlich wurde). Außerdem legte sich die globale Finanz- und Wirtschaftskrise wie ein dunkler Schatten über die Reifenbranche. Dies betraf selbst Unternehmen wie Vredestein Banden, das – wie bekannt – in der stark betroffenen Erstausrüstung so gut wie gar nicht aktiv ist. Im Nachhinein müsse man sagen: „Das war ein ziemlicher guter Deal für Apollo“, so Oudshoorn im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Zieht man aber die weiteren Rahmenbedingungen mit in Betracht, ergebe sich eben ein anderes Bild.
Die in den Niederlanden niedergelassene Holdinggesellschaft Amtel-Vredestein N.V. hatte bereits Anfang April 2009 einen Insolvenzantrag gestellt. Der Insolvenzverwalter hatte nun die Aufgabe, im Sinne der Gläubiger Unternehmensteile zu liquidieren. Dass Apollo Tyres dann den Zuschlag erhielt, freute Rob Oudshoorn bereits bei Bekanntwerden des Übernahmeinteresses der Inder, gelten die doch als zielstrebig, auf Expansion setzend und durchsetzungsstark sowie als Benchmark auf dem indischen Reifenmarkt. Hätte man weder diese von allen favorisierte Lösung für die Zukunft von Vredestein Banden noch eine x-beliebige andere Lösung gefunden, hätte es um die Zukunft des niederländischen Reifenherstellers schlecht gestanden. „Wir wären total ausgeblutet“, so Oudshoorn heute.
Dass Apollo Tyres für Vredestein Banden ‚nur’ rund 50 Millionen Dollar bezahlt hat, ließe sich indes auch durch einen Berg Schulden bzw. andere Verpflichtungen (Pensionen etc.) erklären, den die indischen Kaufinteressenten zusammen mit dem Eigenkapital übernommen haben. Dieses Thema möchte Rob Oudshoorn selber nicht kommentieren. Auch in Indien wollte man eine entsprechende Nachfrage nicht kommentieren. Ein Blick in die Veröffentlichungen des indischen Herstellers zeigt aber, dass sich zumindest die Schuldensituation dort zwischen Dezember 2008 bis September 2009 – also in der Zeit, in der Vredestein Banden übernommen wurde – lediglich um rund zwei Milliarden Rupien verschlechtert hat, was in etwa 40 Millionen Dollar bzw. 30 Millionen Euro entspricht. Also: „Ein gutes Geschäft“, findet nicht nur Rob Oudshoorn. arno.borchers@reifenpresse.de
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