Der asiatische Landwirtschaftsreifenmarkt bleibt für Goodyear attraktiv
Seit dem Juni 2009 ist Alessandro Coggi als Managing Director für Farm- und Industriereifen bei Goodyear Dunlop Europe verantwortlich. Zuvor war er als Managing Director für Goodyear Dunlop Italien zuständig. Coggi steuert die Geschäfte vom Regionalbüro in Colmar Berg (Luxemburg) aus und damit in unmittelbarer Nähe zum Goodyear Innovation Center Luxemburg (GICL), das konzernweit für alle Farmreifen radialer Bauart außer Nordamerika zuständig ist. Im Dezember hat sich Coggi einem Interview zur Zukunft des Landwirtschaftsreifengeschäftes in seinem Konzern gestellt und sorgt damit angesichts der vielen Spekulationen, die sich im Markt um diese Geschäftseinheit ranken, für Klarheit.
NEUE REIFENZEITUNG: Herr Coggi, im September wurde eine – freilich noch unverbindliche – Absichtserklärung bekannt, die den Verkauf der europäischen Farmreifenaktivitäten Ihres Konzerns Goodyear inklusive des französischen Reifenwerkes in Amiens an den Wettbewerber Titan International beinhaltete. Das erinnert an eine Wiederholung aus dem Jahre 2005, als Titan von Goodyear die nordamerikanischen Farmreifenaktivitäten einschließlich des Werkes Freeport (Illinois) übernommen hatte. Aus dem Markt ist zu hören, der Deal werde im Jahre 2010 vonstatten gehen, oder werden – wenn ja, welche – noch andere Optionen geprüft?
ALESSANDRO COGGI: Derzeit ist Goodyear tatsächlich in einem Prozess, bei dem das Desinvest bei Landwirtschaftsreifen in EMEA (European Middle East Africa, d. Red.) und Südamerika geprüft wird. Titan hat sein Interesse bekundet und ein unverbindliches Abkommen unterzeichnet vorbehaltlich des Zustandekommens eines Sozialplanes in der Pkw-Reifenproduktion im Werk Amiens Nord. Die Verhandlungen dauern an und der Zeitpunkt einer eventuellen Transaktion steht im Zusammenhang mit dem Abschluss solch eines Sozialplanes.
NEUE REIFENZEITUNG: Der Konzern ist international mit Farmreifen noch in Südamerika (die in Kolumbien, Peru und Brasilien hergestellt werden), im Vorderen Orient (gefertigt in der Türkei), Asien (Farmreifenproduktionen in Indien, Indonesien und Malaysia) sowie Afrika (Fertigung im Werk in Südafrika) präsent. Stehen diese Märkte, die im Bereich Landwirtschaftsreifen teilweise als Wachstumsmärkte gelten, auch zur Disposition?
ALESSANDRO COGGI: Goodyear sucht einen Käufer, der an Investitionen und Wachstum bei Landwirtschaftsreifen sowohl in der Region EMEA als auch in Lateinamerika interessiert ist. Das beinhaltet beispielsweise Südafrika und Brasilien, aber nicht den asiatischen Markt. Das Management von Farmreifen in Asien liegt bei unserer regionalen Geschäftseinheit Goodyear Asia. Tatsächlich verspricht der asiatische Landwirtschaftsreifenmarkt enorme Chancen, und Goodyear hat darum in entsprechende Test- und Serviceeinrichtungen investiert einschließlich einer neuen Produktlinie von sehr widerstandsfähigen Diagonalreifen unter dem Namen „Vajra Super“ in Indien.
NEUE REIFENZEITUNG: Sie sind in Europa auch für EM-Reifen zuständig. Der Goodyear-Konzern hat gerade angekündigt, im US-Werk Topeka (Kansas) in den Aufbau einer Fertigung von 63-Zoll-Reifen investieren zu wollen und damit in einen exklusiven Klub von derzeit nur drei Neureifenanbietern aufzusteigen. Heißt das, innerhalb des sogenannten OTR-Segmentes hat Goodyear mit Landwirtschaftsreifen andere Pläne als mit EM-Reifen?
ALESSANDRO COGGI: Meine Verantwortlichkeiten beziehen sich auf Farm- und Industriereifen und ich führe die europäischen Teams von unserem Regionalbüro in Luxemburg aus. Die OTR-Aktivitäten werden zwar auch von Luxemburg aus gesteuert, aber von einer anderen Geschäftseinheit. Die Trennung von Farm-/Industrie- auf der einen und OTR-Aktivitäten auf der anderen Seite erlaubt uns ein zielgerichteteres Vorgehen und eine schnellere Reaktionsfähigkeit auf Markt- und Verbrauchertrends. Aber natürlich arbeiten beide Geschäftseinheiten eng zusammen, wenn wir die gleichen Erstausrüstungskunden haben. Wir streben Kundenzufriedenheit für unsere Handelspartner und für die Endverbraucher an, und das ist ein übergreifendes Ziel bei Farmreifen, aber auch bei OTR und in allen anderen Geschäftseinheiten. Unsere Investments, Produkt- und Verkaufsstrategien mögen unterschiedlich sein, aber dienen der Festigung unserer langfristigen Visionen und Pläne dieser Geschäftseinheiten. Als Mitglied der Goodyear-Familie ist es tatsächlich aufregend, Goodyears Investitionen in diese hochmoderne 63-Zoll-OTR-Technologie zu sehen, aber dies ist Gegenstand der Geschäftseinheit OTR.
NEUE REIFENZEITUNG: In Europa hat Ihr Konzern seit Langem mit der Premiummarke Goodyear, die auch in der Erstausrüstung vertreten ist, und der im mittleren Preissegment positionierten Marke Fulda, die auf das Ersatzgeschäft fokussiert ist, eine 2-Marken-Strategie. Das Budgetsegment wird Importeuren – zum Beispiel aus Indien – überlassen. Ist davon auszugehen, dass sich daran kurzfristig auch nichts ändert?
ALESSANDRO COGGI: Goodyear ist einer der Pioniere bei der Marken- und Produktsegmentierung bei Farmreifen. Belege dafür sind die sehr erfolgreiche Optitrac-Produktlinie mit sieben Typen für alle Bedürfnisse und die Fulda-Radialreifenpalette Pionier. Mit nur einer Marke alle Verbrauchersegmente bedienen zu wollen ist nicht möglich. Daher ist Goodyear als Premium- und Fulda als Marke im Value-Segment angesiedelt. Diese Strategie führt zu den geringsten Reifenkosten pro Stunde für unsere Kunden in beiden Segmenten. Diese erfolgreiche Mehr-Marken-Strategie findet sich auch bei einigen unserer Wettbewerber, die nun den gleichen Weg einschlagen. Zu versuchen im sogenannten Budgetsegment zu konkurrieren ist nur möglich, wenn man sich einzig auf den Verkauf konzentriert und dabei auf einen niedrigen Preis. Wir bei Goodyear wollen unsere Investitionen in Forschung und Entwicklung gewährleistet wissen, neue Technologien und Hightech-Produkte erlauben uns nicht, in diesem Segment aktiv zu sein. Wir wissen, dass das Budgetsegment für einige Verbrauchergruppen attraktiv ist und dass es gerade in unsicheren Zeiten wie diesen wächst, aber unsere Planungen sind auf die Bedürfnisse von anspruchsvollen, an Premium und Werten orientierten Verbrauchern ausgerichtet, die wissen, dass „billig“ sehr oft gleichbedeutend mit langfristig teuer ist.
NEUE REIFENZEITUNG: Mit aus den Vereinigten Staaten importierten Farmreifen war Goodyear früher nicht glücklich geworden und hatte folgerichtig die Produktion für Europa weitgehend auf Amiens umgeswitcht. Damit einher ging auch die Aufwertung der entsprechenden Produktentwicklung im Goodyear Innovation Center Luxemburg (GICL). Für welche Märkte ist das GICL hinsichtlich Farmreifen heute verantwortlich?
ALESSANDRO COGGI: Unser Goodyear Innovation Center Luxemburg (GICL) ist verantwortlich für alle Farmprodukte radialer Bauart weltweit außer Nordamerika. In Nordamerika teilen wir die Produktverantwortlichkeiten mit Titan. Folglich nutzt unser Team von Ingenieuren die vielfältigen Forschungs- und Testeinrichtungen in Luxemburg und eine Vielzahl von Informationen über neue und hochinteressante Reifen aus der ganzen Welt. Im Jahre 2009 haben die harte Arbeit und der Einsatz unserer zahlreichen Ingenieure zu einer Reihe von neuen Größen bei unserer Top-Produktlinie Optitrac R+ geführt, zu einer neuer Produktlinie DT818 High Speed, einem neuen Industriereifen IT620 T für Teleskopfahrzeuge und einen völlig neuen Reifen, bei dem wir die üblichen Öle durch Palmöl ersetzen: den Goodyear BioTred 2. Diese Verantwortlichkeiten passen sehr gut in den weltweiten Farmmarkt und zu unseren Erstausrüstungskunden. Europa benötigt Farmreifen, die sich auf dem Feld genauso wie auf der Straße bewähren – und das bei hohen Geschwindigkeiten – und die den Boden auch bei Einzelbereifung schonen, während in Nordamerika der Trend hin zu großen Maschinen anhält, die überwiegend mit Zwillingsbereifungen ausgerüstet werden. Darüber hinaus ist der Anteil radialer Reifen in Europa immer noch deutlich größer als in Nordamerika.
NEUE REIFENZEITUNG: Wie teilt sich aktuell das Verhältnis von Erstausrüstung zu Ersatzgeschäft bei Farmreifen in Europa derzeit auf bzw. inwieweit läuft die Erstausrüstung über Ländergesellschaften und nicht über die Brüsseler Europa-Zentrale des Konzerns?
ALESSANDRO COGGI: Bis 2008 war das Verhältnis von Erstausrüstungs- und Ersatzmarktverkäufen insgesamt sehr gesund, wobei es Abweichungen bei den Anteilen von Land zu Land bzw. Region gibt. Dieses Verhältnis hat sich unglücklicherweise im Jahre 2009 verschoben und unsere Erstausrüstungslieferungen haben sich wegen der globalen Wirtschaftskrise und dem geringeren Bedarf verringert. Unsere Absatzzahlen im Ersatzgeschäft haben sich hingegen sehr gut gehalten; und obwohl die meisten unserer Märkte rückläufig waren, haben sich unsere Verkaufszahlen gut entwickelt und wir konnten signifikant Marktanteile in Schlüsselsegmenten gewinnen. Besonders in vielen osteuropäischen Ländern wachsen unsere Verkaufszahlen anhaltend.
Übrigens werden von unserem Brüsseler Büro keinerlei Farmreifenaktivitäten koordiniert, all das und auch hinsichtlich Industriereifen wird von unserem Regionalbüro in Luxemburg gesteuert. Unsere nationalen Aktivitäten werden von Verkaufs- und Marketingteams in den jeweiligen Ländern gemanagt, das gibt uns die Möglichkeit, dicht bei unseren Kunden zu sein. Erstausrüstungsaktivitäten werden hingegen zentral koordiniert, wie haben für jeden unserer OE-Kunden einen Verantwortlichen.
NEUE REIFENZEITUNG: In welchen Fabriken werden die in Deutschland angebotenen Farmreifen des Konzerns derzeit gefertigt? Aufgrund der Konzentration auf eher hochwertige Produkte in Amiens musste zur Komplettierung des Sortiments in der Vergangenheit auch auf Offtake-Fertigung zurückgegriffen werden. Gilt das noch immer?
ALESSANDRO COGGI: Aufgrund des weltweiten Produktionsnetzes kann Goodyear die einzelnen Standorte optimal nutzen in Abhängigkeit von Verkaufszahlen, Nähe zu den Erstausrüstungskunden, Kosten usw. Aufgrund dieser Faktoren ist das Werk Amiens, etwa hundert Kilometer nördlich von Paris gelegen, unser Hauptwerk für die Produktion von Farmreifen radialer Bauart. Von Amiens aus können wir die meisten unserer Verkaufsorganisationen, Händler und Erstausrüstungskunden innerhalb von 24 bis 48 Stunden beliefern. Dennoch prüfen wir permanent unsere Produktionsverteilung und nehmen auch Anpassungen vor, um sicherzustellen, dass wir bestmöglich auf die Bedürfnisse unserer Kunden ausgerichtet sind. Das heißt manchmal auch, dass eine Offtake-Produktion der beste Kompromiss ist. Dabei sind die weltweiten Qualitätsstandards von Goodyear gewährleistet und garantieren, dass das Produkt die gleiche Performance hat unabhängig davon, wo es produziert worden ist; daher ist die Entscheidung, welcher Reifentyp wo produziert wird, lediglich eine Frage von Kosten, Logistik und den vorhandenen Produktionsmaschinen.
NEUE REIFENZEITUNG: Der Farmreifenbereich in Deutschland ist dem Verantwortungsbereich von Herrn Rupert Kohaupt „Commercial Tires Germany“ zugeordnet, genauso wie auch Lkw- und EM-Reifen. Ist das auch ein Modell, das in den anderen Staaten Europas praktiziert wird bzw. ist nicht das im Landwirtschaftsreifenbereich erforderliche Know-how so speziell, dass die darauf ausgerichteten Mitarbeiter immer irgendwie außen vor sind in solch einer Organisationsstruktur?
ALESSANDRO COGGI: Wie schon gesagt, sind unsere Verkaufs- und Marketinginitiativen eine Kombination aus regionalen Aktivitäten, gemanagt aus Luxemburg und Landesaktivitäten durchgeführt durch unsere nationalen Verkaufsorganisationen. Innerhalb unserer regionalen Geschäftseinheit EMEA arbeiten wir derzeit mit etwa 50 nationalen Verkaufsorganisationen zusammen, bis hin in den fernen Osten in die Ukraine und nach Usbekistan. In den meisten Ländern liegt die Verantwortung für den Farmbereich bei den jeweiligen Nutzfahrzeugreifendivisionen in etwa wie in Deutschland. Bei Goodyear glauben wir, dass es hinsichtlich Kunden, Services, Reifentypen und Logistik der beste Weg ist, in Pkw- und LLkw-Reifen auf der einen Seite und Lkw-, Farm- und Industriereifen auf der anderen Seite zu trennen. Die Nutzfahrzeugreifenteams in jedem der Länder versorgen das Farmgeschäft mit wertvoller technischer Expertise, Verwaltungs- und Logistikservice. Dies erlaubt es unserem spezialisierten Verkaufspersonal im Bereich Farmreifen und den Account-Managern, sich voll auf die Kunden zu konzentrieren und die gesamte Bandbreite unserer technischen Kompetenz zur Verfügung zu stellen, die von Goodyear erwartet wird.
NEUE REIFENZEITUNG: In Deutschland hat der Großhandel gerade im Landwirtschaftsreifenbereich eine überragende Bedeutung. Fühlt sich Goodyear – einschließlich der zweiten Marke Fulda – in diesem Distributionskanal nicht manchmal unterrepräsentiert?
ALESSANDRO COGGI: Goodyear hat das Bestreben, in jedem Land, in dem wir vertreten sind, einen ausbalancierten Anteil am Groß- und Einzelhandelsgeschäft zu haben. Wenn der Anteil der Großhändler steigt, dann kann das gewisse Vorteile wie deren Nähe zu ihren kleineren Einzelhandelskunden haben. Wir bei Goodyear glauben, dass jeder Händler eine strategische Bedeutung hat, beobachten und passen unser Kundenportfolio permanent an. Nach unserer Einschätzung sind wir beim Absatzkanal Großhandel nicht unterrepräsentiert.
NEUE REIFENZEITUNG: Die Agritechnica gilt als die Landwirtschaftsreifenmesse schlechthin. Auch Goodyear hatte dort in der Vergangenheit schon große Auftritte. Bei der letzten Agritechnica hieß es hinsichtlich Reifen der Marke Goodyear allerdings: „Fehlanzeige“. Welches war der Grund für die Abwesenheit, die Kosten?
ALESSANDRO COGGI: Direkt nach der Agritechnica 2007 haben unsere Auswertungen gezeigt, dass die Veranstaltung sich hin zu einer Maschinenshow entwickelt und nicht notwendigerweise eine Reifenshow ist. Das hat sich auch in 2009 bewahrheitet, wo die Halle mit den Reifenfirmen viel weniger Besucher angelockt hat als die Maschinenhallen. Darum haben wir Anfang 2008 entschieden, die für die Agritechnica zur Verfügung stehenden Mittel anderweitig zu nutzen im Sinne direkter Kontakte mit Händlern und Endverbrauchern. Das war auch sehr erfolgreich und viele Kunden hatten die Möglichkeit, während des Jahres mit unserer Verkaufsmannschaft zu interagieren.
NEUE REIFENZEITUNG: Im so beratungsintensiven Bereich Landwirtschaftsreifen kommt sehr viel auf den Außendienst an. Wie ist der in Deutschland derzeit aufgestellt?
ALESSANDRO COGGI: Nicht nur in Deutschland, sondern in allen EMEA-Verkaufsorganisationen wollen wir die besten Mitarbeiter haben, ausgerüstet mit dem besten Handwerkszeug und den besten Kenntnissen. Wie Sie richtig sagen, kann man ohne exzellente, engagierte und bestens ausgebildete Mitarbeiter im Hightech-Farmreifenmarkt nicht erfolgreich sein. Goodyear wendet in signifikantem Umfang Trainings-, Coaching- und Beratungsressourcen auf, um sicherzustellen, dass unsere Mitarbeiter die höchsten Qualifikationen haben. Wir wären nicht so stark und erfolgreich im europäischen Farmreifenmarkt ohne unsere Verkaufsmannnschaften.
NEUE REIFENZEITUNG: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg in einem sicherlich sehr spannenden Landwirtschaftsreifenmarkt 2010.
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